Meine Damen und Herren! Am 29. März wurde die in Hannover erscheinende Zeitung „Die Wahrheit" auf die Dauer von 90 Tagen verboten. Einen Tag später wurde die in Stuttgart erscheinende Tageszeitung „Volksstimme" gleichfalls auf die Dauer von 90 Tagen verboten. Außerdem wurde in beiden Fällen sowohl dem Verlag wie der Druckerei auf die Dauer von drei Monaten jegliche Tätigkeit untersagt. Die 1 Arbeitsräume beider Unternehmen wurden versiegelt und das Personal wurde aufgefordert, binnen einer Stunde — im Falle Stuttgart binnen 15 Minuten — die Räume zu verlassen.
Was erfahren wir über die Motive, die die Behörden vorschützen, welche die Zeitungen verboten haben? Bemerkenswert an der Angelegenheit ist, daß zum erstenmal eine deutsche Zeitung von der Alliierten Hohen Kommission verboten worden ist. In der Begründung, die in Hannover überreicht wurde, heißt es, die Zeitung „Die Wahrheit" habe „in einer Art gehandelt, die das Prestige oder die Sicherheit der alliierten Streitkräfte vorsätzlich gefährdet hat oder hätte gefährden können." Wir haben hier eine durchaus neue Begründung für einen Gewaltakt, nämlich nicht einen nach der Meinung der verbietenden Behörde vorliegenden Tatbestand, sondern die Möglichkeit eines Tatbestandes, über dessen Existenz noch nicht einmal Klarheit herrscht.
Wenn man sich die Mühe macht zu prüfen, welches die beanstandeten Artikel gewesen sein mögen, so kommt man zu überraschenden Feststellungen, darüber nämlich, welche Schreibweise und welche Enthüllungen „das Prestige der alliierten Streitkräfte", wie es heißt, „gefährden oder hätten gefährden können".
In der beanstandeten Nummer der „Wahrheit" war eine umfangreiche Darstellung über eine ganze Reihe konkreter Vorbereitungsmaßnahmen zu kriegerischen Handlungen veröffentlicht. Darin ist die Rede Von Vorarbeiten für die Anlegung neuer Flugplätze im Gebiet von Jever, von Burgdorf, von Langelsheim und von anderen militärischen Maßnahmen im Vorharz, im Raum von Braunschweig und Hannover und vor allem von den Kriegsübungen in der Lüneburger Heide. Es wird weiter auf das ungeheuerliche Projekt hingewiesen, im und am Steinhuder Meer in Niedersachsen eine neue Raketenabschußbasis zu errichten, wodurch dieses ganze Gebiet die Existenzmöglichkeit von Tausenden von Menschen verliert, die ihren Verdienst durch den Fremdenverkehr erworben haben, und wodurch die Interessen der Fischer dieses großen Binnensees auf das ernsthafteste gefährdet werden. Weiter ist in der betreffenden Nummer die Rede von der Anlegung neuer Panzerstraßen, insbesondere im Kreise Soltau; es ist die Rede von den ungeheuerlichen Vorgängen im Kreise Fallingbostel in der Lüneburger Heide, wo durch die Maßnahmen der britischen Besatzungsmacht für Kriegsübungen nicht weniger als 14 000 ha beschlagnahmt worden sind. Schließlich wird nach der Darstellung dieser ganzen Tatbestände, die ja in der Bevölkerung des betreffenden Gebietes bekannt sind, eine politische Schlußfolgerung gezogen. Es wird gesagt: jawohl, diese Tatsachen sind der Bevölkerung Niedersachsens kein Geheimnis; sie erkennt von Tag zu Tag deutlicher, daß, wenn diesen Kriegsvorbereitungen kein Einhalt geboten wird, es eines Tages zu spät sein kann, und darum muß das Volk die Sache des Friedens in die eigene Hand nehmen.
Das, meine Damen und Herren, ist der Grund, weshalb die Alliierte Hohe Kommission eingegriffen und verboten hat, daß dem Volke nahegelegt wird, es müsse sich gegen verbrecherische Maßnahmen zur Vorbereitung eines Krieges zur Wehr setzen.
Im anderen Falle, im Falle der Stuttgarter „Volksstimme", handelt es sich um ähnliche Vorgänge. Dort ist die Bevölkerung seit einigen
Wochen aufgebracht über das Ulmer Kasernenprojekt. Alle Zeitungen sind sich in der Feststellung einig, daß Ulm wieder eine Garnisonstadt werden soll. Auf Befehl der amerikanischen Besatzungsbehörden ist die Stadtverwaltung von Ulm angewiesen worden, bis spätestens 1. April fünf Kasernen für amerikanische Truppenverstärkungen bereitzustellen. Zwei weitere Kasernen sollen zu einem demnächst bekanntzugebenden Termin gleichfalls geräumt werden. Der amerikanische Befehl wurde der Ulmer Stadtverwaltung auf dem Wege über den hier ja bekannten Herrn Theodor Blank übermittelt.
Es ist interessant, zu wissen, wie die Bevölkerung durch diese Maßnahmen auf das ernsthafteste geschädigt wird. 2000 Menschen, die in diesen Kasernen bisher eine notdürftige Unterkunft gefunden hatten, würden dadurch zwangsweise ausgesiedelt. Nicht weniger als 96 Handwerks- und Industriebetriebe mit über 1300 Beschäftigten, die in Nebenräumen der Kasernen untergebracht waren, würden auf die Straße gesetzt. Und schließlich würden durch diese Maßnahmen nicht weniger als 2800 Schulkinder ihre Unterrichtsräume verlieren.
Das sind keine Dinge, die geheim bleiben können, und es ist das Recht der Bevölkerung, sich dagegen zur Wehr zu setzen. So hat auch die Stadtvertretung und die Stadtverwaltung die Pflicht anerkannt, sich gegen diese Maßnahmen zur Wehr zu setzen.
In der beanstandeten Nummer vom 22. März 1951 wird darum ein Bericht über eine Sitzung des Ulmer Gemeinderats vom 19. März veröffentlicht und daran die Aufforderung an die Bevölkerung angeschlossen, die Bemühungen zu verstärken, um die Räumung dieser Objekte zu verhindern. Wörtlich heißt es: „Die Erwartungen, die die Bevölkerung in bezug auf die Gemeinderatssitzung hatte, wurden nicht erfüllt. Die Bevölkerung muß nun selbst die Initiative ergreifen und alles tun, um die drohende Beschlagnahme zu verhindern." Ich kann mir vorstellen, daß diese Aufforderung, die im Sinne der Tausende der betroffenen Menschen liegt, nicht auf das Verständnis der Besatzungsbehörden gestoßen ist, und das ist der Grund, weshalb eine solche ungeheuerliche Maßnahme im Interesse der Besatzungsmacht und ihrer kriegsvorbereitenden Maßnahmen für nötig gehalten wurde.
Aber anscheinend hat noch ein weiterer Artikel in dieser Nummer der „Volksstimme" das Mißfallen der Besatzungsmacht erregt. Die Besatzungsmacht hielt es ja nicht für nötig, die Artikel im einzelnen zu benennen; sie spricht nur von „gewissen Artikeln". In dieser Nummer ist eine Sonderseite über das ungeheuerliche Nebeneinander von provozierendem Luxus der amerikanischen Besatzungsmacht und deutschem Elend in Garmisch-Partenkirchen. Garmisch-Partenkirchen, das als sogenanntes amerikanisches „Erholungszentrum" angesprochen wird, wird auf dieser Sonderseite als ein klassisches Beispiel für den wirtschaftlichen, kulturellen und sittlichen Niedergang in Westdeutschland unter dem Besatzungsregime dargestellt. Es werden eine Reihe von Beispielen aus dem Leben dieser von Amerikanern beherrschten Stadt dargestellt, aus dem Leben in den Vergnügungslokalen, über die offene und versteckte Prostitution, über die Vergewaltigung der primitivsten Interessen der deutschen Bevölkerung. Es wird vom Rießersee und seinen amerikanischen „Etablissements" gesprochen. Es werden Einzelangaben gemacht über die provozierend hohen Ausgaben, beispielsweise für die Errichtung einer Großwaschanlage, für die Errichtung der hier im Hause schon diskutierten Kegelbahn mit einem Kostenaufwand von 400 000 DM.
Es wird von Klein-Amerika gesprochen, das im Wald bei Garmisch-Breitnau errichtet wird, und von den mit provozierendem Luxus ausgestatteten Wohnungen für die Herrenmenschen aus Übersee.
Dann wird dem gegenübergestellt eine Darstellung des ungeheuerlichen Elends, das dicht neben diesem Besatzungsluxus sein Dasein führt. Als Musterbeispiel werden die sogenannten „Asozialen" — Baracken erwähnt. die an der Loisach errichtet sind und dort armen Menschen als Notunterkunft dienen, die man im offiziellen Behördensprachgebrauch als asozial bezeichnet. So wird eine Holzbaracke geschildert, ohne gemauerten Untergrund, mit Ritzen in den Fußböden, durch die es kalt und feucht heraufzieht: dünne Holzwände, kein elektrisches Licht, obwohl nur 20 Meter entfernt die Lichtleitung vorbeiführt. Petroleum und Kerzen geben abends ein notdürftiges Licht; Wasser liefert eine Pumpe im Freien, vier Pfähle, ein Dach darüber und darunter ein Kessel, — das ist die Waschküche. Sommer wie Winter eine zugige Holzbude mit einer Grube sind der vollwertige Ersatz für Wasserspülklosetts, durch die das Abendland doch seine Berühmtheit erlangt hat.
So wird dieses eine Beispiel dargelegt, das typisch ist für die Armut und das Elend einer großen Anzahl - von Menschen, die gezwungen sind, täglich die Entfaltung des ungeheuerlichen Luxus mitanzusehen. Es wird auf die Tatsache hingewiesen, daß in Garmisch-Partenkirchen 30 Klassenräume fehlen, daß in einer Schule 3 Zimmer und 6 Klassen für 321 Kinder vorhanden sind und dergleichen mehr.
Man kann verstehen, daß es die amerikanische Besatzungsmacht als nicht im Sinne ihrer Besatzungspolitik betrachtet, wenn auch die Bevölkerung außerhalb Garmisch-Partenkirchens von diesen Tatsachen etwas erfährt.
Ich möchte noch darauf hinweisen, daß es für das Verbot der „Wahrheit" in Hannover eigentlich zwei Begründungen gibt, nämlich die eine, die an Ort und Stelle vom britischen Landeskommissar ausgehändigt worden ist, und eine zweite, die gleichzeitig unabhängig davon auf dem Petersberg von der alliierten Hohen Kommission bekanntgegeben worden ist. Ich denke, daß diese zweite Fassung — man hielt es in Hannover gar nicht für nötig, sie zu überreichen — wohl den politischen Sinn der ganzen Angelegenheit besser trifft. Dort heißt es nämlich in der Begründung:
Am 17. März veröffentlichte die Zeitung „Die Wahrheit" auf der ersten Seite einen Artikel, der die Bevölkerung zum Widerstand gegen die alliierten Maßnahmen zur Verteidigung Deutschlands aufhetzt.
Meine Damen und Herren, niemand aus der deutschen Bevölkerung hat die amerikanischen und britischen Herren zur „Verteidigung" Deutschlands aufgefordert.
Darum kann auch keine Rede davon sein, daß die „Verteidigung" Deutschlands, wie es die Amerikaner darstellen, d. h. ihr Aufmarsch zu kriegerischen Maßnahmen, zu aggressiven Maßnahmen gegen die Sowjetunion auf unserem Boden, den besonderen Schutz der öffentlichen Meinung oder der Presse in Westdeutschland verdient. Es ist das gute Recht eines jeden Deutschen, sich gegen die Kriegsvorbe-
reitung und gegen die Remilitarisierung zur Wehr zu setzen.
Allerdings muß man den Eindruck erhalten, daß die Alliierte Hohe Kommission alle Reden über Freiheit und Demokratie, über Freiheit der Persönlichkeit und der Presse für ungültig erklärt, wenn es sich um ihre eigenen machtpolitischen und militärischen Interessen handelt.
Sie gibt hiermit eine drastisches Beispiel, was die Bevölkerung von der westlichen Freiheit der Presse, von der Freiheit der Wahlen zu halten hat. Denn man darf es doch wohl nicht als einen Zufall betrachten, daß das Zeitungsverbot gerade in dem Land erfolgte, in dem in einigen Tagen die Neuwahlen zum Landtag stattfinden sollen.
Wir fordern das Recht eines jeden Staatsbürgers, nicht nur seine Stimme zu erheben, sondern zu agitieren, Argumente zu entwickeln und zu kämpfen gegen die Vorbereitung des Krieges auf deutschem Boden, gegen die Remilitarisierung auf fremdes Geheiß. Das ist ein wahres demokratisches Grundrecht.
Allerdings wird die Bundesregierung kaum den Mut aufbringen, um für die Grundrechte, die im Grundgesetz umschrieben sind, zu kämpfen; denn dann würde sie sich in Widerspruch setzen zu den Intentionen der Besatzungsmächte, die ihren Kriegsvorbereitungen unter allen Umständen den Vorrang gegenüber den Rechten der deutschen Bevölkerung sichern möchten. Aber Sie, meine Damen und Herren, die immer von Freiheit der Persönlichkeit, von der Freiheit der westlichen Zivilisation und von der Notwendigkeit, sie zu schützen, sprechen, hier haben Sie eine Gelegenheit, zu beweisen, inwieweit Sie gewillt sind, Worte und Taten miteinander in Übereinstimmung zu bringen. Wenn Ihnen die Freiheit der Rede, die Freiheit der Person etwas wert ist, wenn Sie wollen, daß es einem jeden freisteht, gegen die Remilitarisierung Stellung zu nehmen, dann seien Sie so konsequent und stimmen unserem Antrag zu, der einen Protest gegen die Willkürmaßnahmen der Besatzungsmacht darstellt, gegen Maßnahmen, die die Freiheit der Persönlichkeit vergewaltigen im Interesse einer skrupellosen Politik der Remilitarisierung.