Rede von
Dr.
Ludwig
Preiß
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist von verschiedenen Vorrednern gesagt worden, mit diesem Antrag und seiner Behandlung sei ein Problem angeschnitten worden, das heute allerhöchste Bedeutung habe. Dem ist in der Tat so, und ich bedaure sehr, daß es vor einem so schlecht besetzten Hause überhaupt erörtert wird. Man kann, glaube ich, nicht die Auffassung vertreten, daß diese Angelegenheit eine Frage der paar landwirtschaftlichen Abgeordneten allein sei.
Vielmehr ist das eine Angelegenheit, die wahrscheinlich in aller Kürze mit einem sehr viel größeren Ernst auf Sie alle zukommen wird, als es heute vielleicht noch scheinen mag.
Mit Recht wird in diesem Hause soundso oft nicht nur von der Notwendigkeit der Erhaltung des heutigen Leistungsstandes in der Landwirtschaft, sondern auch von der Notwendigkeit einer Leistungssteigerung gesprochen. Diese Leistungssteigerung heißt in vieler Beziehung Mehrarbeitsleistung, die nicht von den schwachen Schultern der heute noch in der Landwirtschaft Tätigen getragen werden kann. Ich habe Verständnis dafür, wenn gerade die Frau Kollegin Strobel darauf hinwies, daß es auch nicht in allen Betrieben so ist, wie es sein sollte, daß es mit der Menschenführung und -behandlung und mit der wohnungsmäßigen Unterbringung nicht überall in Ordnung ist. Ich unterstreiche all das, was sie in diesem Zusammenhang erwähnte und -was neben dem Lohnproblem zu regeln notwendig ist, um die Neigung, in der Landwirtschaft tätig zu sein, wieder zu erhöhen.
Aber, sehr verehrte Frau Kollegin Strobel, darf ich einmal ganz kurz darauf verweisen, wie es heute draußen wirklich aussieht? Ich bin zeitlebens in der Landwirtschaft tätig gewesen und habe seit langem keine Landarbeiterfrau mehr gesehen, die bis wenige Tage vor ihrer Niederkunft noch mit in den Stall gegangen wäre oder Arbeiten auf dem Felde mit verrichtet hätte.
Aber ich sehe allenthalben die Notwendigkeit, daß die Bauersfrau selber in diesem körperlichen Zustand noch alle Arbeiten erledigt und wenige Tage nach diesem Ereignis schon wieder in den Betrieb eingespannt ist. Von ihr spricht man wenig. Man spricht hier auch nicht vom Mutterschutzgesetz, und auch bei familieneigenen Kindern, die man schon mit 11 und 12 Jahren zu schweren körperlichen Leistungen heranzieht, spricht man nicht von Mindestarbeitsbedingungen. Ich pflichte Ihnen ohne weiteres bei, daß die oben erwähnten Dinge in Angriff genommen und geregelt werden müssen. Aber solange nicht ein Mindestbesatz an Arbeitskräften da ist oder sich der Besatz wieder bessert, bestehen doch nicht günstigere, sondern schlechtere Voraussetzungen dafür, zu Mindestarbeitsbedingungen zu kommen.
Es ist heute mehrfach das Wort von der Landflucht gefallen. Ich glaube, wir haben allen Anlaß, dieses Wort zu korrigieren. Es handelt sich ja gar nicht mehr um eine Landflucht wie in den ersten Jahrzehnten der Industrialisierung. Es handelt sich lediglich um eine Flucht aus der Landarbeit;
denn die Dörfer da draußen waren noch nie so volkreich und die landwirtschaftlichen Betriebe noch nie so knapp mit Arbeitskräften besetzt wie zur Zeit. Das ist kein Wunder, wenn ich von Hilfskräften, von Mitarbeitern längere Arbeitszeiten, ungeregelte Arbeitszeiten, Arbeitsleistungen in Wind und Wetter und Schmutz verlangen muß, wenn sie obendrein nicht den Feierabend kennen wie ihre Kollegen in anderen Einsatzzweigen, wenn sie auch den Sonn- und Feiertag nicht in' dem gleichen Maße kennen und sich obendrein mit einem Lohn abfinden sollen, der heute nicht einmal den Stand der Unterstützung eines arbeitslosen Industriearbeiters ausmacht. Dann brauchen wir uns über die geringe Neigung, in der Landwirtschaft noch Mitarbeit zu verrichten, nicht zu wundern. Hier setzt nun der große Streit dieser Tage, möchte ich sagen, ein. Wie ist diesem Problem näherzukommen? Ich glaube, es wird heute niemand im Hause mehr auftreten und sagen wollen: Ja, die Landwirtschaft legt große Kapitalien zurück; sie ist ausreichend liquid, so daß es nur an dem guten Willen bei ihr mangelt, ihre Mitarbeiter besser und anständiger zu entlohnen. Dieser Nachweis gelingt keinem, mag er nun in diesem Hause sitzen, wo er will. Wohl aber ist es für jeden sehr einfach nachweisbar, wie die Illiquidität, die Schuldenbelastung und die Krediterschwerung heute schon aussieht. Diese Frage muß jetzt mit Entschiedenheit angegriffen werden. Ich lese in diesen Tagen sehr oft und nicht zuletzt in der gestern verbreiteten Denkschrift der Deutschen Angestelltengewerkschaft von rigorosen Preisforderungen der Landwirtschaft. — Meine Damen und Herren, wir haben gar kein Interesse an der absoluten Höhe irgendwelchér Preise. Wir haben
nur, wie jeder Produktionszweig, ein Interesse daran, daß bei Gegenüberstellung von Einnahmen und Ausgaben im Betriebe unter dem Strich ein -Betrag bleibt, der nicht ein Minuszeichen, sondern ein Pluszeichen hat. Sonst sind wir nicht in der Lage, die sozialen und arbeitsmäßigen Bedingungen für die eigene Familie und für die braven Mitarbeiter zu verbessern. Hier wird nun sicherlich in der allernächsten Zeit von jedem von uns eine ganz klare Entscheidung verlangt werden. Wir tun der Landwirtschaft und dem ganzen Volke einen Gefallen, wenn wir uns endlich ehrlich zu den Dingen bekennen, wenn wir, indem wir auf der einen Seite die Forderung auf Produktionssteigerung erheben, auf ,der anderen Seite auch nicht versagen, an der Durchführung dieser Forderung mitzuhelfen.
Meine Fraktion hat es eigentlich 'bedauert, daß aus diesem sehr wertvollen Antrag zur Zeit nicht mehr gemacht werden konnte. Wir wollen hoffen, daß die Überweisung als Material an die Regierung nicht gleichbedeutend mit dem ist, was mein Kollege von der CDU vorhin schon sagte, daß der Antrag nämlich damit beerdigt ist, sondern wir wollen hoffen, daß die Regierung zusammen mit der Weiterberatung im Ernährungsausschuß baldmöglichst Veranlassung nimmt, mit Vorschlägen, die irgendwie konstruktiv sind, zur Behebung und Lösung dieser Frage auf unszuzukommen. Wir werden uns dann noch einmal und hoffentlich unter Anteilnahme des ganzen Hauses mit diesem sehr wesentlichen, vielleicht schicksalhaften Problem unseres Volkes auseinandersetzen können.