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ID0113608600

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    Deutscher Bundestag - 136. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. April 1951 5818 136. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 19. April 1951. Geschäftliche Mitteilungen 5314D Vorlage der Entwürfe von Verordnungen über Verarbeitung, Lieferung, Bezug, Vorratshaltung und statistische Erfassung von Nichteisen-Metallen (NEM I/51), Verwendungsbeschränkungen von Kupfer und Kupferlegierungen (NEM II/51) und Verwendungsbeschränkungen von Zink und Zinklegierungen (NEM III/51) 5314D Änderungen der Tagesordnung . . 5315A, 5381D Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Errichtung einer Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (Nr. 2131 der Drucksachen) 5315A Storch, Bundesminister für Arbeit 5315A, 5321B Sabel (CDU) 5315D Richter (Frankfurt) (SPD) 5317A Dr. Seelos (BP) 5318C, 5322D Willenberg (Z) 5319A Walter (DP) 5319B Dr. Schäfer (FDP) 5319C Renner (KPD) 5320D Frau Dr. Rehling (CDU) 5321D Arndgen (CDU) 5322A Schoettle (SPD) 5322B Ausschußüberweisung 5323A Fortsetzung der zweiten Beratung des Entwurfs eines zweiten Gesetzes über die Neugliederung in den Ländern Baden, Württemberg-Baden und WürttembergHohenzollern (Nrn. 821, 1752, 1849 der Drucksachen); Mündlicher Bericht des Ausschusses für innergebietliche Neuordnung (30. Ausschuß) (Nr. 2160 der Drucksachen) . . . . 5323B Dr. Schmid (Tübingen) (SPD): zur Geschäftsordnung 5323C zur Sache 5327A, 5338C von Thadden (DRP) . . . . 5323D, 5342C Dr. Kopf (CDU) 5324A, 5340B, 5344D, 5345C Farke (DP) 5326B Dr. von Merkatz (DP) . . . 5326C, 5343A Freudenberg (FDP) 5330D Dr. Etzel (Bamberg) (BP) 5331B Donhauser (Unabhängig) 5331D Fisch (KPD) 5331D Dr. Ehlers (CDU) 5333C Dr. Müller, Staatspräsident von Württemberg-Hohenzollern . . . 5334D Wohleb, Staatspräsident von Baden 5337C Dr. Hamacher (Z) 5338B Mayer (Stuttgart) (FDP) . . 5338C, 5342B Ewers (DP) 5339D Clausen (SSW) 5341A Erler (SPD) 5341B Dr. Jaeger (CDU) 5343D Euler (FDP) 5345D Abstimmungen . 5323C, 5339A, 5345B, 5346A Zweite Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1950 (Nr. 1500 der Drucksachen); Mündliche Berichte des Haushaltsausschusses (10. Ausschuß) Einzelplan XV — Haushalt des Bundesministeriums für Vertriebene (Nr. 1916 der Drucksachen) in Verbindung mit der Beratung des Antrags der Fraktion der BP betr. Errichtung einer UmsiedlungsAusgleichskasse für Heimatvertriebene, Flüchtlinge und Evakuierte (Nr. 2112 der Drucksachen) 5346A Frau Dr. Probst (CSU), Berichterstatterin 5346B Reitzner (SPD) 5348B Schütz (CSU) 5351A Tichi (BHE-DG) 5353D Trischler (FDP) 5355A Wittmann (WAV) 5357D Willenberg (Z) 5360A Dr. Seelos (BP) 5360B Dr. Etzel (Bamberg) (BP) 5361B Müller (Frankfurt) (KPD) 5361C Farke (DP) 5363C Dr. Goetzendorff (DRP-Hosp.) . . 5364B Dr. Lukaschek, Bundesminister für Angelegenheiten der Vertriebenen 5365A Meyer (Bremen) (SPD) (zur Abstimmung) 5367B Dr. Kather (CDU) (persönliche Bemerkung) 5367C Abstimmungen 5367B Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gewerbesteuerrechts (Nr. 2130 der Drucksachen) 5368D Dr. Dresbach (CDU) 5368D Tenhagen (SPD) 5369D Dr. Besold (BP) 5370D Ausschußüberweisung 5371A Beratung des Antrags der Fraktion der WAV betr. Maßnahmen zur Sicherung deutschen Eigentums in Österreich (Nr 2024 der Drucksachen) 5371A Dr. Richter (Niedersachsen) (SRP), Antragsteller 5371A Mellies (SPD) 5373B Ausschußüberweisung 5373C Beratung des Antrags der Fraktion der KPD betr. Anweisung auf Herausgabe der Brückenbaupläne im Bereich der Bundesstraßen und der Bundesbahn an die US-Armee zum Zwecke des Einbaues von Sprengkammern (Nr. 2085 der Drucksachen) 5373C Fisch (KPD), Antragsteller 5373C Schoettle (SPD) 5375B Ausschußüberweisung 5375C Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Arbeit (20. Ausschuß) über den Antrag des Abg. Stücklen u. Gen. betr. Maßnahmen zur Behebung des Landarbeitermangels (Nrn. 2126, 1870 der Drucksachen) 5375D Dr. Kneipp (FDP), Berichterstatter . 5375D Glüsing (CDU) 5377A Frau Strobel (SPD) 5377D Eichner (BP) 5378D Dr. Preiß (FDP) 5379B Ausschußüberweisung 5380B Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Arbeit (20. Ausschuß) über den Antrag der Abg. Dr. Ott u. Gen. betr. Arbeitslosenfürsorgeunterstützung (Nrn. 2127, 1768 der Drucksachen) 5380B Pelster (CDU), Berichterstatter . . . 5380B Beschlußfassung 5380C Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Arbeit (20. Ausschuß) über den Antrag der Fraktion der KPD betr. Erhöhung von Unterstützungssätzen (Nrn. 2128, 1434 der Drucksachen) . . . 5380D Pelster (CDU), Berichterstatter . . . 5380D Müller (Frankfurt) (KPD) 5381A Keuning (SPD) 5381C Beschlußfassung 5381D Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, DP, BP, Z und Gruppe BHE-DG betr. Bereitstellung von Bundeshaushaltsmitteln für den sozialen Wohnungsbau im Haushaltsjahr 1951/52 (Nr. 2123 der Drucksachen) . . . 5381D, 5382A Beratung abgesetzt 5382B Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Wiederaufbau und Wohnungswesen (18. Ausschuß) über den Antrag der Fraktion der SPD betr. Sicherungsmaßnahmen für den sozialen Wohnungsbau 1951 (Nrn. 2145, 1970 der Drucksachen) . 5381D, 5382B Wirths (FDP), Berichterstatter . . 5382C Beschlußfassung 5382C Beratung des interfraktionellen Antrags betr. Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse (Umdruck Nr. 150) 5382C Beschlußfassung 5382C Erklärung nach § 85 der Geschäftsordnung: Dr. Wuermeling (CDU) 5382D Nächste Sitzung 5383C Die Sitzung wird um 13 Uhr 31 Minuten durch den Präsidenten Dr. Ehlers eröffnet.
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    Rede von Richard Reitzner


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß es nützlich ist, die Problematik aufzuzeigen, die sich hinter den Ziffern des vorliegenden Haushalts verbirgt. Man kann die Strömungen unserer Zeit und auch die Ideologien unserer Tage nicht verstehen, wenn man nicht dem Problem der Heimatvertriebenen einen sehr breiten Raum widmet. Ich möchte nichts überdramatisieren und nichts überdimensionieren. Europa hat ja Gelegenheit gehabt, Katastrophen ähnlicher Art zu sehen, aber keine Katastrophe war so tiefwirkend wie die Katastrophe des Jahres 1945. Trotzdem ist die Bedeutung des Heimatvertriebenenproblems noch nicht in das Bewußtsein aller unserer Zeitgenossen eingedrungen, und es wird noch mancher Bemühungen bedürfen, um das Verständnis für die innerdeutsche und europäische Tragweite dieses Problems wachzurufen. Trotzdem möchte ich sagen, daß die Mehrheit des deutschen Volkes und auch die große Mehrheit des Hohen Hauses die Bedeutung dieses Problems erkannt hat. Ich würde, Kollege Schütz, die jetzige schwache Besetzung des Hauses nicht als unbedingten Maßstab für die Beurteilung anwenden. Ich glaube, es ist eine richtige Feststellung, wenn wir sagen, daß wir auf dem Wege aus der Epoche der theoretischen Anerkennung der Notlage der Heimatvertriebenen zu echten Ansätzen und Lösungsversuchen sind. Die Verabschiedung des Gesetzes nach Art. 131 in diesem Hause war ja dafür ein anschauliches Beispiel. Trotzdem bleibt das Heimatvertriebenenproblem immer noch eine Quelle sozialer Spannungen in Deutschland und im internationalen Feld die Ursache mancher Mißdeutung. Daher kann man auch in keinem Augenblick, auch nicht heute — es geht ja nicht um die Beantwortung eines Berichts eines Buchhalters oder einer Buchhalterin — das Problem von den sozialpolitischen Problemen Deutschlands und den politischen Aufgaben Europas loslösen.
    Wir haben uns heute bei der Debatte um die Neuordnung des Südweststaates erinnert, daß vor uns noch eine große Aufgabe steht, nämlich die Neuordnung des europäischen Raumes.

    (Abg. Loritz: Sehr richtig!)

    Auch im Feld der sozialen und Wirtschaftspolitik müssen wir natürlich feststellen, daß die Massenarbeitslosigkeit unter den Heimatvertriebenen nicht nur eine zusätzliche Erschwerung des Schicksals dieser Menschen ist, sondern daß meine Freunde die Überwindung der sozialen Marktwirtschaft als eine echte und wesentliche Aufgabe im Sinne der Lösung der Heimatvertriebenenprobleme betrachten.
    Diese Erkenntnis ist schon in weite Kreise der deutschen Bevölkerung gedrungen. Mit Genehmigung des Herrn Präsidenten möchte ich Ihnen einen kurzen Auszug aus dem Bericht des Deutschen Roten Kreuzes, vorgelegt der Internationalen Rote-Kreuz-Flüchtlingskonferenz in Hannover vom 9. bis 14. April 1951, mitteilen. Diesen Bericht sollte man in Deutschland plakatieren und ihn zur Kenntnis unserer Menschen bringen. Der Bericht sagt nämlich an dieser Stelle:
    Allen verantwortlichen Deutschen ist bewußt, daß der Fremde, der zu kurzem Besuch in Deutschland weilt, im allgemeinen auf die äußeren Eindrücke angewiesen ist. Das Straßenbild einer Großstadt wie Hamburg oder München macht mit seinen reichen Schaufensterauslagen und den gepflegten Gaststätten den Eindruck eines Wohlstandes und bietet einen Eindruck, der in schroffem Gegensatz zur harten Wirklichkeit steht, da nur eine verschwindend geringe Schicht der Bevölkerung an diesem Überfluß teil hat. Diese Erkenntnis einer immer tiefer werdenden Diskrepanz zwischen Wirklichkeit und Fassade läßt alle jene, die in verantwortlicher sozialer Arbeit stehen, oft genug in einen Abgrund blicken. Wir sehen es als unsere Pflicht an, die Wirklichkeit, die sich besonders in dem Flüchtlingsproblem widerspiegelt, zu zeigen, um die Aufmerksamkeit der Welt und Deutschlands stärker auf diese Frage zu lenken. .
    Diese Pflicht haben auch wir im Zusammenhang mit der Diskussion über den Haushalt des Ministeriums für Angelegenheiten der Vertriebenen. Ich glaube, die Erkenntnis der sich aus dem komplexen Problem ergebenden Aufgaben ist ja auch dem Herrn Minister und dem Ministerium nicht verborgen geblieben, weil nämlich im Vorwort, das die Kollegin Probst bereits zitiert hat, eine


    (Reitzner)

    wesentliche Aufgabe umrissen ist, die Aufgabe nämlich, bei der gesamten Gesetzgebung, soweit sie die Belange der Vertriebenen berührt, mitzuarbeiten und die gesamte Planung in der Betreuung der Heimatvertriebenen in grundsätzlicher Beziehung vorwärtszutreiben.
    Ich muß leider sagen, daß diese Aufgabe, die sich das Ministerium selbst gesetzt hat, nicht erfüllt wurde. Das Klassenziel ist nicht erreicht worden. Es fehlt heute noch der gesamtdeutsche Plan. Es mußte eine amerikanische Kommission — es war eine gemischte Kommission, ich weiß es — kommen, um uns zu zeigen, wie man es machen könnte. Meine Freunde hätten es sehr begrüßt, wenn der ansonsten schätzenswerte Bericht der Sonne-Kommission unter der Flagge des Bundesvertriebenenministeriums diskutiert worden wäre. Ich will gar kein rückwärts gerichteter Prophet sein, aber die sozialdemokratische Fraktion hat im September 1949 in Drucksache Nr. 33 sechs Fragen an die Bundesregierung und an das Bundesvertriebenenministerium gerichtet und hat ihnen sechs Aufgaben gestellt. Wenn wir diese sechs Fragen heute mit dem Sonneplan konfrontieren, finden wir sie in ihm beantwortet. Wieviel schöner wäre es gewesen, wenn uns vor dem Sonneplan ein solcher Plan von der deutschen Bundesregierung unter der Initiative des Bundesministeriums für Vertriebenenangelegenheiten vorgelegt worden wäre. Daher glaube ich, es handelt sich jetzt nicht allein um den ziffernmäßigen Bericht und um die zahlenmäßige Beurteilung der Zweckmäßigkeit im Voranschlag. Diese Zweckmäßigkeit bestreite ich in vielen Punkten nicht. Besonders begrüße ich den neuen Tit. 39, dessen Inhalt die Frau Kollegin Probst aufgezeigt hat. Man muß aber die Aufgaben und die Verantwortung des Ministeriums zentraler sehen. Dem Herrn Minister sollen natürlich — das ist meine persönliche Auffassung — seine guten und ehrlichen Absichten nicht bestritten werden und können ihm nicht bestritten werden; man muß aber, glaube ich, auch feststellen, daß sich der Herr Minister innerhalb der Regierung in eine Position hat hineindrängen lassen, die es ihm nicht mehr erlaubt, die Interessen der Heimatvertriebenen energisch genug zu vertreten. Ich möchte diese Position als die eines biederen Bettelmannes bezeichnen, der brav mit dem Hut in der Hand von Tür zu Tür geht.
    Vor allem möchte ich feststellen, daß der Herr Minister keinen ausgiebigen Gebrauch von jenen Möglichkeiten und Vollmachten gemacht hat, die ihm das Grundgesetz geboten hätte. Der Flüchtlingsausgleich ist ja dafür ein klassischer Beweis. Es ist heute auch nicht das erstemal, daß das heute ausgesprochen wird; wir haben darüber schon diskutiert. Ich persönlich habe es dem Herrn Minister in einer Sitzung mitgeteilt. Es ist mir bitter, die folgende Feststellung zu treffen, und ich tue es nicht sehr gerne und nicht leichten Herzens, aber es muß in dieser Form ausgesprochen werden: Das Ministerium hat 'sich meiner Überzeugung nach an keiner wesentlichen Stelle des Heimatvertriebenenproblems führend und initiativ gezeigt.
    Herr Minister, ich weiß selbst aus eigener Erfahrung, wie schwer es ist, sich in einem reinen Flüchtlingsamt eine eigene Stellung herauszuarbeiten, wobei uns die dominierende Rolle des Herrn Finanzministers als Herr des Haushalts wohl bekannt ist. Aber deswegen muß man sich ja auch nicht immer mit seinen Forderungen abdelegieren lassen, sagen wir, an das Hauptamt für Soforthilfe, wie es in der Frage der Kinderbeihilfe geschah. Das Kinderhilfswerk der UNO hat nämlich 20 Millionen DM zur Verfügung gestellt. Es sollten dann für die Umarbeitungskosten 12 Millionen von der Bundesregierung zur Verfügung gestellt werden. Soweit ich informiert bin, hat aber der Herr Finanzminister die kalte Schulter gezeigt, und unser Bundesminister für die Angelegenheiten der Vertriebenen ist dann zum Hauptamt für Soforthilfe gegangen. Man muß schon manchmal auch dem Herrn Finanzminister gegenüber solche echten Interessen stàrker vertreten, daher frage ich mich, ob nicht doch der Herr Minister selbst aus den Erfahrungen seiner Amtstätigkeit in der letzten Zeit zu der Auffassung gekommen ist, daß die Koordinierung der Vertriebenenfragen und deren Lösung mit der jetzigen Konstruktion des Ministeriums überhaupt nicht möglich ist. Ich frage mich, ob der Herr Minister nicht ernstlich darüber einmal nachdenken könnte, ob diese Konstruktion des Ministeriums bei der Fülle und Problematik der Aufgaben nicht doch eine Fehlkonstruktion ist. Denn hier muß ja der Herr Minister auf eine stärkere zentrale Verantwortlichkeit hinsteuern

    (Sehr richtig! links)

    und diese stärkere zentrale Verantwortlichkeit seines Ministeriums herausarbeiten. Ich möchte sehr dringend wünschen und ersuchen, dafür zu sorgen, daß diese zentrale Verantwortung jetzt bald sichtbar wird, beispielsweise in dem Entwurf zum Bundesvertriebenengesetz, den wir bald erwarten und dessen Vorlage wir hoffentlich bald diskutieren und verabschieden können.
    Es scheint uns auch auf anderen Gebieten eine Klärung notwendig, z. B. eine Klärung der Zuständigkeit zwischen dem Vertriebenen-Ministerium und dem Ministerium für gesamtdeutsche Fragen in der Frage der Vereinfachung der Verwaltung in den großen Durchgangslagern und in der Frage der Behandlung der Aufnahme der Deutschen aus dem Ostgebiet, damit wir es hier nicht mit zwei oder drei Instanzen — Ministerium für Vertriebene, Ministerium für gesamtdeutsche Fragen und den Länderinstanzen — zu tun haben.
    Vor allem gestatte ich mir, folgendes zu sagen. Es scheint uns unerläßlich, daß das Ministerium und der Herr Minister in der lebenswichtigsten Frage, die jetzt vor uns zur Entscheidung steht, nämlich in der Frage des Lastenausgleichs, die Gedanken, die er oder das Ministerium hat, und die berechtigten Forderungen, die von der Mehrheit der Heimatvertriebenen vorgetragen wurden, vorträgt und versucht, mit diesen Gedanken bis in die Regierung, in die Ressorts und natürlich auch in den Lastenausgleichsausschuß vorzustoßen. Es geht ja nicht allein darum, daß man dem Schäfferschen Entwurf stellenweise irgendwelche vagen Einwände und Proteste entgegenhält und dann irrtümlicherweise den Anschein erweckt — ohne Absicht natürlich —, als ob sich das Ministerium zum Puffer zwischen der Bundesregierung und den Ansprüchen der Heimatvertriebenen entwickeln könnte, und weiter gleichzeitig der Anschein erweckt wird, das Bundesvertriebenenministerium hat sich in der Regierung nicht energisch genug durchgesetzt oder konnte sich in der Regierung nicht energisch genug durchsetzen. Zur Frage des Lastenausgleichs glaube ich, müßte das Ministerium zum mindesten in den Ressorts und dem Lastenausgleichsausschuß seine eigenen Gedanken vortragen.


    (Reitzner)

    Ich möchte mir in diesem Zusammenhang gestatten, einige Worte an den Herrn Minister zu richten und die Art seiner sogenannten Taktik und Strategie innerhalb dieses komplexen Sektors zu beurteilen. Ich bedaure, Herr Minister, daß wir nicht öfter — vielleicht eine Frage der Zeitnot, ich weiß es nicht — Gelegenheit hatten, im Heimatvertriebenenausschuß zu einem intensiveren Gedankenaustausch zu kommen. Der Herr Minister wird sagen, daß er sehr oft mit Repräsentanten dieses und jenes Verbandes Gespräche hatte. Das gebe ich offen zu. Aber mein persönlicher Eindruck ist — ich weiß nicht, von wem er geteilt wird —, daß das Schwergewicht der Aussprachen, Gespräche und Verhandlungen des Herrn Ministers außerhalb des zuständigen Ausschusses lag. Wir haben oft den Eindruck, daß er den Ratschlägen dieser Berater ein geneigteres Ohr leiht. Es ist nicht meine Aufgabe, dem Herrn Minister Vorschriften zu machen, wen er sich als Berater einlädt. Ich habe auch, um Mißverständnissen vorzubeugen, natürlich gar nichts dagegen — im Gegenteil —, wenn der Herr Minister sich mit Reprasentanten verschiedener Verbände, sei es VerbaOst, sei es ZvD oder seien es heimatvertriebene Handwerker oder heimatvertriebene Landwirte, unterhält. Wir können uns auch seine politische Sorge vorstellen, nämlich die Sorge, daß die Politik der Bundesregierung oder seine Politik von den radikalen Strömungen innerhalb der Heimatvertriebenen überspielt werden könnte und daß er in dieser Richtung vielleicht beruhigend wirken wollte. Ich kann das verstehen. Ob es immer wirksam ist, ist eine andere Frage. Die politische Verantwortung, glaube ich, liegt schließlich primär hier in diesem Hause und beim Ausschuß.
    Aus der von mir erwähnten Sorge des Herrn Ministers erklärt sich auch die enge Zusammenarbeit insbesondere mit dem Zentralverband der vertriebenen Deutschen, die wir in den Haushaltsausgaben Kap. 1 Tit. 32 bestätigt sehen. Dort heißt es: Für kulturelle und sonstige Betreuung werden 250 000 DM vorgeschlagen. Niemand von uns, auch meine Freunde nicht, werden die Berechtigung dieser Ausgabe bezweifeln, ja, wir würden es sogar begrüßen, wenn diese Mittel erhöht werden könnten, wenn man damit ein lebendiges Bild der früheren Kultur und der früheren Wirtschaft der Gebiete östlich der Oder und der Neiße und des Sudetenlandes vermitteln könnte und wenn man gleichzeitig dadurch den Heimatvertriebenen manche besinnliche Stunde geben könnte, in der sie sich an ihre -Heimat wieder erinnern. Es wäre sicher eine dankenswerte Aufgabe, auch mit solchen Mitteln das Gefühl der Verbundenheit aller Deutschen mit den verlorenen Ostgebieten zu stärken und zu vertiefen.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Dafür haben wir großes Verständnis. Ich sehe aber zu meiner Überraschung und zu meinem Bedauern, daß dort eine kulturelle Organisation, der StifterBund, mit 600 DM bedacht wurde. Das ist nämlich der Adalbert Stifter, der den „Witiko" geschrieben hat, das Werk, das heute für das Schicksal der Heimatvertriebenen symbolisch ist. Der Titel für diese Zuwendungen lautet nämlich nicht nur: „kulturelle Aufgaben", sondern auch „sonstige Betreuung", und ich möchte sagen, daß die sonstige Betreuung, wie wir feststellen konnten, einen breiten Raum einnimmt. Es handelt sich hier in der Hauptsache um Zuwendungen an den ZvD, VerbaOst, heimatvertriebene Wirtschaft, heimatvertriebene Landwirtschaft und heimatvertriebenes Handwerk, — wie mir scheint, eine etwas sehr lückenhafte ständische Gliederung, um es in aller Offenheit zu sagen.

    (Sehr richtig! rechts.)

    Wir bejahen auch diese Zuwendung, wenn die Zweckbestimmung geklärt wird, und dazu wird, glaube ich, der Unterausschuß in der nächsten Zeit Gelegenheit haben. Es wäre ja, Herr Minister, für Sie selber eine sehr peinliche Situation, wenn einer dieser subventionierten Verbände sich vielleicht im Laufe der innenpolitischen Entwicklung in Deutschland als eine Vorstufe oder ein Vorzimmer für die Gründung einer politischen Partei erweisen sollte. Wir müssen also die Aufmerksamkeit des Herrn Ministers doch auch auf diesen Umstand lenken.
    Zusammenfassend möchte ich sagen: Es geht uns nicht darum, hier an den Reisekosten oder an anderen Aufwendungen zu kritisieren; die sind sicher, was das Ausmaß der Aufgabe anlangt, berechtigt. Ich behaupte auch nicht, daß der Herr Minister faul war oder daß das Ministerium nicht gearbeitet hat. Ich bezweifle nur, ob die Hebel immer an der richtigen Stelle angesetzt wurden und ob man mit der nötigen Initiative gearbeitet hat. Ich habe dem Herrn Minister schon einmal gesagt: Philosophische Güte in unserer harten, schwerhörigen Zeit tut es nicht. Man muß ja auch nicht immer mit der Faust auf den Tisch hauen. So will ich es auch nicht sehen. Ich kann natürlich verstehen, daß der Mangel einer gesamtdeutschen Planung auf wirtschaftlichem Gebiet das Ministerium in eine ziemlich schwache Situation versetzt.
    Die Frage ist nun die, ob es möglich ist, aus der Initiative des Vertriebenenministeriums heraus in Zusammenhang mit dem Sonne-Plan eine solche gesamtdeutsche wirtschaftliche Planung, in der natürlich die Heimatvertriebenen mit eines der Kernstücke sind, durchzuarbeiten. Ich habe etwas Zweifel; denn die Forderung der Heimatvertriebenen nach Arbeit und Wohnung und sozialer Sicherheit, nach dem Lastenausgleich und nach der Wiedergutmachung erfordert ja eine gerechte Verteilung der Lasten, des Besitzes und der Güter, ja eine strukturelle Veränderung unserer sozialen Ordnung. Ob das bei der jetzigen Konzeption der Bundesregierung möglich ist, wage ich zu bezweifeln. Es ist niemandem entgangen, wie schwierig die Probleme sind. Natürlich empfindet der Herr Minister das auch, und immer, wenn er sich in diesem Dilemma befindet, wendet er sich an das Ausland. Ich möchte sagen: Je energischer der Herr Minister die Interessen der Heimatvertriebenen in der Regierung vertritt und je mehr wir auch jedem Deutschen zum Bewußtsein bringen, daß dieses Problem der Heimatvertriebenen primär ein Problem der Gesamthaftung der ganzen deutschen Nation für den Hitler-Krieg und die Niederlage ist, um so eher können wir die Hilfe des Auslandes erhoffen und erwarten, aber nicht früher. Es muß ein Höchstmaß eigener Anstrengungen vorliegen, ehe wir uns berechtigt fühlen können, an das Ausland heranzutreten.
    Ich möchte abschließend folgendes feststellen. Der Herr Minister ist ein Mitglied dieser Regierung; er ist ein Teil dieser Regierung als Person. Er trägt — sicher auch aus einem Gefühl der Solidarität — für alle Entscheidungen der Regierung die Mitverantwortung. Deswegen können wir nicht für den Haushalt des Ministeriums stimmen. Wir werden uns der Stimme enthalten, auch deswegen, weil wir


    (Reitzner)

    nicht die Überzeugung haben, daß das Ministerium, geleitet vom Herrn Bundesminister Dr. Lukaschek, immer zur rechten Zeit und mit der notwendigen Initiative die Gesamtinteressen der Heimatvertriebenen vertreten hat.

    (Beifall bei der SPD.)



Rede von Dr. Carlo Schmid
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Abgeordnete Schütz.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Hans Schütz


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man kann nicht zum Etat des Vertriebenenministeriums reden, ohne wenigstens mit ein paar Sätzen zu dem Vertriebenenproblem selber etwas zu sagen. Ach Gott, in diesem Hause ist über das Vertriebenenproblem schon sehr viel geredet worden — und in Deutschland auch. Aber, Hand aufs Herz: steht das Vertriebenenproblem wirklich im Mittelpunkt oder wenigstens so im Gesichtsfeld der deutschen Innenpolitik, wie es für die deutsche Innenpolitik notwendig wäre?

    (Zuruf von der Mitte: Nein!)

    Um Ihnen eine Vorstellung von diesem Problem zu geben, will ich Ihnen ein ganz schlichtes und einfaches Bild zeichnen. Als ich ein kleiner Junge war — ich hatte es immer ein bißchen mit der Romantik —, da hatte ich den Wunsch, die Alpen zu sehen. Und ich muß gestehen, als ich sie zum ersten Mal gesehen hab, war ich überwältigt. Wenn wir solch einen Alpenberg vor uns sehen, dann glaubt ein jeder, dies sei für die Ewigkeit gebaut. Und doch wissen wir, daß selbst diese Alpenberge wandern. Da haben wir z. B. gehört, daß im Jahre 1904 15 Millionen Kubikmeter Gestein vom Rigi heruntergefallen sind. Was gestern noch für die Ewigkeit gebaut zu sein schien, ist heute ein Haufen Schutt geworden.
    Die Volksgruppen in den Landschaften von Ostpreußen bis hinunter zum Schwarzen Meer — hat nicht jede von ihnen geglaubt, sie würde bis zum jüngsten Tag dort bleiben können? Nun sind 12 Millionen weggejagt worden. 8 Millionen davon sind in der Deutschen Bundesrepublik. So wie der Erdrutsch die Gestalt des Berges, der ins Tal stürzte, total veränderte, so verändern die herabstürzenden Bergmassen auch die Landschaft, auf die sie gestürzt sind. Was gestern noch eine organisch gewachsene Volksgruppe war, was gestern noch Staatsvolk, Wirtschaftsvolk und Kulturvolk war, das ist heute ein atomisierter Haufen Menschenschutt geworden. Das ist das Schicksal, das ist das Heimatvertriebenenproblem: ein Haufen Menschenschutt, sich selbst und anderen im Wege. Das allein kann die Aufgabe echter Vertriebenenpolitik sein: aus diesem Haufen Menschenschutt wieder Staatsvolk, Wirtschaftsvolk und Kulturvolk zu machen.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Als um die Errichtung des Bundesministeriums für die Vertriebenen diskutiert wurde, habe ich — wie so manchmal — zu den sogenannten Einzelgängern gehört. Ich habe damals die Meinung vertreten, es werde sehr schwer sein, in einem Bundesministerium dieses große Problem aufzufangen. Es gibt nämlich keinen Bereich des staatlichen und des ökonomischen Lebens, in den nicht das Vertriebenenproblem naturnotwendig hineingreift.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Als mein lieber Freund, der sehr geschätzte Herr
    Dr. Lukaschek, Minister wurde, habe ich ihm mit
    folgendem Bild gratuliert. Ich habe gesagt, der
    Vertriebenenminister komme mir vor wie der heilige Sebastian,

    (Heiterkeit)

    splitternackt ausgezogen;

    (Zuruf in der Mitte: Er hat doch einen Bart! — Erneute Heiterkeit)

    die Hände und die Füße angebunden, während ein oder zwei Dutzend Bogenschützen giftige Pfeile auf den wehrlosen Leib jagen.

    (Abg. Schoettle: Ein Schütz war auch dabei! — Heiterkeit.)

    Meine Damen und Herren, wenn wir die Situation betrachten, so müssen wir sagen, daß dieses Bild vom heiligen Sebastian die wirkliche Stellung unseres Bundesministers für Vertriebene sehr treffend kennzeichnet. Das Bundesministerium für Vertriebene hat — ich habe es im Bild zu zeichnen versucht — gigantische Aufgaben. Aber fragen wir doch einmal: Was hat der Minister denn für Vollmachten?

    (Zuruf von der SPD: Alle!)

    Territorial sind die Länder, die Kreise und die Gemeinden zuständig. Wenn der Bürgermeister da unten sagt: „Nein, ich gebe keine Zuzugsgenehmigung", dann kann dieser Minister nicht einmal Mann und Frau zusammenführen. Sachlich ist für den Wohnungsbau der Wohnbauminister, für die materielle Eingliederung, für die Existenzgründung der Wirtschaftsminister, für die Renten der Sozialminister und für die Steuern und die Steuersenkungen der Finanzminister zuständig. Ich will nicht sagen, daß man das von heute auf morgen oder überhaupt ändern kann. Aber glauben wir, auf die Dauer mit .dem Vertriebenenschicksal fertig zu werden, ohne auch die anderen Ministerien an die Verantwortung für das Flüchtlingsschicksal zu binden?

    (Zustimmung rechts.)

    Als ich gestern darüber nachdachte, was ich zum Etat des Ministeriums sagen werde, habe ich zunächst den Kalender genommen, in dem alles steht, was das Ministerium im letzten Jahr gemacht hat.

    (Zuruf links: Haben Sie das alles notiert?)

    — Sehr genau! — Das Ministerium hat zunächst das Notaufnahmegesetz von sich aus gestartet. Das Ministerium hat ferner im Jahre 1950 die Verordnung über die Vertriebenenumsiedlung gestartet. Die Umsiedlung von 300 000 war geplant, 158 000 sind in geregelten Transporten umgesiedelt worden, und 81 000 wurden angerechnet. Das sind die, die in eigener Initiative umsiedelten. Von den vorgesehenen 300 000 sind rund 240 0000 umgesiedelt worden. Jeder muß anerkennen, daß das Ministerium beim Zustandekommen des Gesetzes nach Art. 131 die Interessen der von ihm betreuten Gruppe tapfer und treu vertreten hat. Von den 290 000 Betroffenen nach Art. 131 gehören etwa 110 000 zu dem Kreis, der unter die Betreuung des Vertriebenenministeriums fällt. Ich möchte dem Ministerium auch für die Initiative und die konkrete Arbeit in der Betreuung der Kriegsgefangenen und Internierten danken.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Ich möchte dem Ministerium aber gleichzeitig die sehr herzliche Bitte nahelegen, einmal zu überlegen, ob man nicht für die Internierten in der Tschechoslowakei, in den Südoststaaten und auch in Schlesien noch manches tun könnte. Ich werde mir gestatten, in den nächsten Tagen zwei ganz


    (Schütz)

    konkrete Aufgaben im Ministerium persönlich vorzutragen, um Sie hier nicht zu langweilen.
    Das Ministerium hat in den letzten Jahren an den Vorbereitungen zu einem einheitlichen Vertriebenengesetz gearbeitet. Ich kenne es nicht, ich habe nur gehört, daß dort sehr viel und sehr umfangreiches Material verarbeitet werden soll. Wir brauchten aber dringend im zweiten Jahr der Bundesrepublik endlich einen einheitlichen, für alle 11 Länder verbindlichen Flüchtlingsbegriff. Wenn das Vertriebenengesetz nicht mit allen Fragen fertig wird, die es gern regeln möchte, dann, bin ich der Meinung, sollte man wenigstens zunächst als Vorschuß eine knappere Fassung vor dieses Haus bringen, damit wir endlich einmal zu einem einheitlichen Vertriebenenbegriff kommen, mit dem wir auch bei der anderen Gesetzgebung etwas anfangen können. Ich registriere, daß die Arbeit des Ministeriums an der Vorbereitung der Vertriebenenbank und die Mitarbeit an der von meinem Vorredner, Kollege Reitzner, erwähnten Sonne-Kommission wertvoll war.
    Ich möchte aber auch diese Diskussion einmal zum Anlaß nehmen, um festzustellen, daß bei allem Ausmaß der Vertriebenennot in unserem Lande der Bund und vor dem Bund die Länder weitgehend ihre Pflicht getan haben. Darüber hinaus möchte ich sagen: obwohl noch tausende Fragen ungelöst sind, dürfte es kaum ein Land in der Welt geben, das mit einer solchen Not wie der der Vertriebenen in Deutschland in ähnlicher Weise fertig würde, wie unser Deutschland bis jetzt damit fertig geworden ist.

    (Zustimmung in der Mitte.)

    Ich möchte diesen Augenblick benutzen, um all den Bekannten und den Unbekannten, die unter persönlichen Opfern ihren Teil dazu beigetragen haben, im Namen der 8 Millionen Menschen. über dieses Haus hinaus ein recht herzliches und aufrichtiges Dankeswort zu sagen.

    (Beifall rechts und in der Mitte.)

    Meine Damen und Herren, eine Fülle von Fragen bleibt noch ungelöst. Gestatten Sie, daß ich bei dieser Gelegenheit nur einige wenige anspreche. Dieses Haus hat ab und zu einmal eine große Stunde. Seine größte Stunde war, als es sich zur deutschen Einheit bekannte. Die deutsche Einheit, die Einheit der getrennten Brüder im Osten mit uns, ist die eine Einheit. Vergessen wir darüber hinaus die andere nicht! Wir müssen auch in unserem Lande selber leidenschaftlich dafür sorgen, daß die Einheimischen und die Vertriebenen eine große deutsche Einheit werden.

    (Erneuter Beifall in der Mitte und rechts.)

    Zum zweiten: Die Vertriebenen — das möchte ich auch einmal sagen — sind j a nicht nur eine Last, ja sie sind, davon bin ich überzeugt, nicht einmal primär eine Last. So arm, wie wir aussehen, sind wir auch wiederum nicht. Professor Wagemann, den Sie ja alle kennen, hat einmal in einer vorzüglichen Arbeit Schlesien die zweite Lunge Deutschlands genannt. Er wollte damit sagen, daß es ein reiches Land ist und daß die Menschen dort in der Lage sind, die notwendige ökonomische Luft in dieses Land hineinzupumpen.
    Auch von meinem Land, dem Land, aus dem ich komme, möchte ich bei dieser Gelegenheit ein gutes Wort sagen. Dort, wo die drei Millionen Sudetendeutschen daheim waren, in Deutschböhmen, Mähren und Schlesien, waren ehedem 78 vom Hundert der Industrie eines 54-MillionenStaates daheim. Zwei Drittel dieser Menschen sind hier.
    Ein einziges Beispiel möchte ich Ihnen sagen. Im Laufe der letzten Jahre haben die deutschen Länder Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen und vielleicht noch ein anderes Land unseren Gablonzern zusammen 71/2 Millionen RM und DM zur Verfügung gestellt. Im Jahre 1950 hat die Gablonzer Industrie für 9 Millionen DM Waren ausgeführt. Unsere braven Gablonzer haben also in einem einzigen Jahr 120 Prozent des investierten Kapitals dem deutschen Bund als Export-Erlös eingebracht.

    (Beifall in der Mitte und rechts.)

    Ich könnte noch viele solche Beispiele anführen. Ich weiß aber auch, daß nicht alles Gold ist, was glänzt. Ich bin jedoch davon überzeugt, daß wir mit den Vertriebenen aus dem Osten auf die Dauer gesehen in dem Europa von heute ein großes Aktivum in das deutsche Land hereingebracht haben und daß die, die diese Deutschen fortgejagt haben, heute schon Tränen der Reue weinen,

    (Zustimmung in der Mitte)

    weil sie damit echte Werte ihres Territoriums zerstört haben.

    (Beifall in der Mitte.)

    Bei dieser Gelegenheit darf ich eine Sorge zum Ausdruck bringen. Ich habe schon vorhin gesagt, die Schwäche der Konstruktion liegt darin, daß keine echten Vollmachten vorhanden sind. Der Kollege Reitzner hat den Herrn Minister mit einem scharmanten Bettelmann verglichen, der einmal an die eine Türe und das andere Mal an die andere Türe klopfen muß. Es wird dem Herrn Minister für absehbare Zeit gar nichts anderes übrigbleiben. Wir bitten ihn aber, daß er bei den einzelnen Türen recht kräftig anklopft. Ich glaube, daß dieses Haus bereit ist, dieses Klopfen ab und zu auch einmal mit einem sehr scharmanten Sprechchor zu unterstützen.

    (Erneuter Beifall in der Mitte.)

    Ich möchte zunächst einmal bei dem Herrn Minister für den Marshallplan anklopfen. Die erste Tranche betrug 1360 Millionen DM. Für die Vertriebenen wurden 6 Millionen DM abgezweigt. Meine Damen und Herren, das ist zu wenig. Die zweite Tranche betrug 1200 Millionen DM. Abgezweigt wurden 70 Millionen DM. Das ist bedeutend besser. Die dritte Tranche beträgt 1350 Millionen DM; abgezweigt: bisher noch unbekannt.

    (Zuruf von der Mitte: Kommt noch!)

    Herr Minister, klopfen Sie bei dem Herrn Vizekanzler an, und alle in diesem Hause, die guten Willens sind und einen besonderen Einfluß auf den Herrn Minister für den Marshallplan haben, mögen den Herrn Vertriebenenminister bei diesem Klopfen unterstützen.

    (Sehr gut! bei der FDP.)

    Vor ein paar Monaten haben wir uns eingehend darüber unterhalten, daß keine Vorräte und keine Devisen im Lande wären. Als das große Mittel — manchmal schien es mir zu stark im Vordergrund zu stehen —, als das Allheilmittel wurde die Einfuhrbeschränkung bezeichnet. Das ist nicht zutreffend, wenigstens nicht allein und in dem Maße, wie es viele glaubten. Wenn wir versuchen, den Export zu fördern, werden wir über diese Sorge leichter hinwegkommen.
    Meine Damen und Herren, wie können wir denn den Export der Vertriebenenbetriebe fördern? Ich weiß sehr wohl, daß es ein armes Deutschland ist;


    (Schütz)

    aber es gibt da und dort Möglichkeiten, deren Auswertung nicht viel kostet. Schauen Sie: das alte Preußen hat in der Zeit der Religionskämpfe die dort gelandeten Salzburger aufgenommen und angesiedelt. Weil man in Preußen nicht jeden zu einem Bauern machen konnte, entstanden durch sie die ersten preußischen Manufakturen, und sie erhielten fünf Jahre Steuerfreiheit. Ähnlich hat es das Königreich Bayern mit den Hugenotten in Erlangen und Umgebung getan.

    (Abg. Bausch: In Württemberg!)

    — In Württemberg! Ich weiß, daß mir da oft die Geschichte vom gleichen Start entgegengehalten wird. Wenn Sie einen Radfahrer und einen Mercedes-Automobilisten zur gleichen Zeit abfahren lassen, dann haben sie zwar die gleiche Abfahrtszeit, aber nicht den gleichen Start. Nach Adam Riese wird dann der mit dem Mercedes auch bei aller Anstrengung des anderen früher dort sein.

    (Abg. Müller [Frankfurt]: Sind Sie tatsächlich davon überzeugt? — Weitere Zurufe.)

    Meine Damen und Herren! Wenn wir den echten Vertriebenen-Unternehmen, vor allen Dingen denjenigen, von deren Wirtschaftlichkeit wir überzeugt sind, und denjenigen, von denen wir wissen, daß sie uns in den nächsten Jahren die so wichtigen Devisen einbringen, auch vom Finanzminister, von der Steuerseite her einen Start ermöglichen, dann ist das das zweite Klopfen. Und alle diejenigen, die ein besonderes Gehör bei dem Finanzminister finden, mögen mitklopfen.
    Ich möchte aber auch bei dem Herrn Wohnungsbauminister anklopfen. Das „Sozialwissenschaftliche Institut der Zentralgemeinschaft für produktive Flüchtlingshilfe" hat im Auftrage einer Dienststelle der Hohen Kommission eine Untersuchung durchgeführt. Diese Untersuchung beruht darauf, daß man daran denkt, in Gebieten, in denen mehr als zehn Beschäftigungslose auf hundert Beschäftigte fallen, eine Umsiedlung vorzunehmen. Unter diesem Gesichtspunkt können innerhalb der deutschen Länder 30 000 Männer und 9 000 Frauen umgesiedelt werden. Über die einzelnen Ländergrenzen im Bundesgebiet hinaus können 268 000 Männer und 99 000 Frauen umgesiedelt werden. Nach den Untersuchungen dieses Instituts können nur 193 000 Männer und 85 000 Frauen umgesiedelt werden. Die Umsiedlung kann aber nur erfolgen, wenn der Vertriebenenminister seine Umsiedlungsplanung mit dem Wohnungsbauminister auf Grund dieser Untersuchungen abstimmt und wenn der Wohnungsbauminister sich dann die großen Stiefel anzieht und versucht, die Mittel zusammenzubringen, damit diese soziologisch wertvolle Umsiedlung auch durchgeführt werden kann.
    Ich glaube, daß man auch an den Herrn Landwirtschaftsminister Wünsche herantragen sollte. Wir haben 220 000 Flüchtlingsbauern und 180 000 Flüchtlingsfamilien, die einmal Landarbeiterfamilien waren, zusammen also 400 000. Wir wissen, daß der Boden kein vermehrbares Gut ist. Die Möglichkeit, bäuerliche Unternehmen anzusetzen, ist von Haus aus beschränkt. Aber der Landvorrat aus Moor- und Ödlandgewinnung beträgt im Bundesgebiet immer noch 730 000 Hektar.

    (Sehr richtig! rechts.)

    Das ist mehr als das Doppelte dessen, was uns bei der optimistischsten Annahme aus der Bodenreform zur Verfügung gestellt werden könnte, nämlich 375 000 Hektar.
    Man müßte auch einmal gemeinsam mit dem Arbeitsminister und dem Wohnungsbauminister ein
    sehr eindringliches Wort reden. Lassen Sie mich das Thema nur ansprechen. Es ist die Sozialpolitik auf dem Lande. 80 v. H. der Vertriebenen wohnen in Gemeinden unter 3000 Einwohnern. Diese Gemeinden haben dadurch ein vollkommen anderes Gesicht bekommen. Wenn man in Deutschland bisher von Sozialpolitik geredet hat, dann hat man an die Stätten mit den Schloten, den Fördertürmen und den Hochöfen gedacht. Durch die Einschleusung der Vertriebenen in unsere Dörfer gibt es auf den Dörfern ein echtes soziales Problem.

    (Sehr richtig! rechts.)

    Wir kennen die Frage, wir wollen ihr nicht ausweichen. Wir wissen, daß unsere Bauern sagen: Ach, da sitzen die in unseren Wohnungen und bestellen nicht unsere Äcker! Wir wissen, was die Vertriebenen in ihrer Mehrheit darauf antworten. Wenn wir den Lastenausgleich machen wollen und dazu die Zustimmung des ganzen Volkes brauchen, müssen wir mit echter Sachlichkeit auch an das Problem gehen. Die Landarbeiternot, die uns, wenn wir für die Flüchtlinge etwas haben wollen, immer wieder entgegengehalten wird, ist ein echtes Problem.

    (Zuruf rechts: Ein sehr ernstes Problem!)

    Es ist aber in seiner tiefsten Tiefe ein Problem des Mangels an Landarbeiterfamilien und daher des Mangels an Wohnraum auf dem flachen Lande. Wenn wir in den nächsten Jahren und Jahrzehnten den Wohnungsbau vom Staat her, mit öffentlichen Mitteln massiv fördern, dann müssen wir auch daran denken, dabei die Frage der echten sozialen Not des Landes, die Wohnraumfrage und in Verbindung damit die Frage der Dienstbotennot zu lösen.
    Das Licht leuchtet hier auf; ich muß mir die anderen Dinge schenken. Lassen Sie mich zum Schluß nur ein einziges Wort hinzufügen. Es wird sehr oft gesagt: Ja, ist denn die ganze Arbeit für die Vertriebenen nicht eine Fehlinvestition, gehen denn die Leute nicht früher oder später doch wieder heim? Wenn ich meinen Leuten draußen auf diese Frage antworte, sage ich ihnen immer: Schaut, Leute, wenn es Winter ist, 30 cm Schnee über der Erde und 30 cm Frost drunter, und die Bäuerin zum Bauer sagt: Wann ernten wir denn den Weizen?, dann sagt der Bauer: Ja, siehst du denn nicht, daß es Winter ist? Ich sage den Vertriebenen, die vom Heimgehen reden, immer: Leute, seht ihr denn nicht, daß es Winter ist, echter politischer Winter, daß unsere große Sorge die Sorge um die 70 000 Sudetendeutschen in Böhmen und Mähren, die Sorge um die vielen Millionen ist, die noch im Reiche Titos und der Polen und der Russen stecken; deshalb gilt es heute, die winterliche Arbeit zu tun, die Arbeit dafür, daß wir, wie lange auch immer dieser politische Winter dauern mag, nicht verhungern und nicht erfrieren! Das heißt aber nicht, die Hoffnung aufgeben, daß es nach jedem Winter auch wieder einen Sommer gibt: in der Natur und in der Politik. Deshalb laßt uns gemeinsam mit dem Ministerium unseres Bundes, das dafür geschaffen ist, die winterliche Arbeit tun und an den Sommer glauben.

    (Beifall in der Mitte und rechts.)