Rede von
Dr.
Carlo
Schmid
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren! Die Ausführungen unseres verehrten Präsidenten nötigen mich zu einer kurzen Replik, die einiges richtigzustellen hat.
Es handelte sich in meiner Rede nicht darum, daß ich geistig-seelische Volkstumswerte ausschalten wollte; es handelte sich nur darum, die geographische Grenze richtig zu bestimmen, wo im Südwesten die Wasserscheide dieser Werte liegt, und diese Wasserscheide liegt nicht zwischen Württemberg und Baden, sondern, wenn man schon eine haben will, liegt sie zwischen Württemberg und Baden auf der einen und Bayern auf der anderen Seite. So ist es und man sollte konservatives Denken nicht mit antiquarischem Denken verwechseln. Das ist das eine.
Das zweite: Herr Kollege Ehlers hat die Befürchtung ausgesprochen, daß man dort unten so gewaltsam wie 1866 im alten Welfenlande verfahren könnte. Nun, da gibt es einen Unterschied. Nach 1866 wurde Hannover annektiert, d. h. man hat keinen Mann in Hannover gefragt, ob er Preuße werden wolle. Aber bei der Bildung des Südweststaates soll nicht annektiert werden — wer sollte schon wen annektieren? —, hier soll
die Bevölkerung auf- Grund eines vernünftigen Abstimmungsmodus gefragt werden, wie sie sich ihre staatliche Zukunft denkt. Ich glaube, das ist ein Unterschied.
Nun zu den Rechtsausführungen des Herrn Abgeordneten Dr. Ehlers. Ich glaube, daß er den Art. 29 ,des Grundgesetzes nicht mit der richtigen Betonung gelesen hat. Er sagte, Satz 1 enthalte eine Muß-Vorschrift, wobei er das „Muß" auslegt als verpflichtend, die landsmannschaftliche Verbundenheit, die geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge den Ausschlag geben zu lassen;
Satz 2 aber enthalte nur eine Soll-Vorschrift. Meine Damen und Herren, der Abs. I heißt: „Das Bundesgebiet ist unter Berücksichtigung ... neu zu gliedern." Der Imperativ des Satzes betrifft die Neugliederung, d. h. das verpflichtet den Gesetzgeber der Bundesrepublik, eine Neugliederung des Bundesgebietes vorzunehmen. Das bedeutet das „ist"! Bei der Ausführung dieses Gebotes sind dann die landsmannschaftliche Verbundenheit, geschichtliche und kulturelle Zusammenhänge usw. zu berücksichtigen. So ist der Satz zu lesen. Was aber auf Grund dieses „Muß" herauskommen soll, das sollen vernünftige Länder sein. Ich hoffe, daß alle, die hier sind, insoweit wenigstens der Vernunft die Ehre geben wollen, als keiner von Ihnen sich den Vorwurf wird zuziehen mögen, daß er „unvernünftige" Länder gewollt haben könnte.