Das Wort hat als Mitglied des Bundesrates Herr Staatspräsident Dr. Müller.
Dr. Müller, Staatspräsident von WürttembergHohenzollern: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen von zwei der Herren Abgeordneten veranlassen mich, zu dem in Frage stehenden Problem kurz Stellung zu nehmen. Das erste ist das Bedauern des Herrn Abgeordneten Dr. Etzel, daß die Neugliederung des südwestdeutschen Raumes überhaupt im Grundgesetz ermöglicht worden ist. Meine Damen und Herren, bei den vielen Meinungsverschiedenheiten, die die Länder im südwestdeutschen Raum gehabt haben, waren sie sich immer darüber im klaren, daß glücklicherweise wenigstens das Grundgesetz die Neugliederung im südwestdeutschen Raum ermöglicht; denn wenn Art. 118 nicht im Grundgesetz stünde — Art. 29 ist noch suspendiert —, würde das maßlose Unglück, das dem südwestdeutschen Raum im Jahre 1945 durch die Besatzung geschehen ist, nicht wiedergutgemacht werden können, würden vor allem in den beiden südlichen Ländern, die abgeschnitten wurden, die dauernden wirtschaftlichen Nachteile nicht beseitigt werden können. Das wäre unheilvoll und zu bedauern.
Ich glaube, man übersieht völlig, daß die Neuregelung des südwestdeutschen Raumes von den beteiligten Ländern schon zu einer Zeit in Angriff genommen wurde, als es noch kein Grundgesetz gab, und daß wir schon ein Jahr vor dem Inkrafttreten des Grundgesetzes einen Vertrag abgeschlos-
sen haben, den sogenannten Karlsruher Vertrag, bei dem alle Beteiligten völlig einig waren. Wenn man überhaupt von einer Tragik in der Entwicklung der Frage der Neuregelung des südwestdeutschen Raumes sprechen kann, dann liegt sie darin, daß dieser vom föderalistischen Standpunkt wie auch vom Standpunkt der Interessen der beteiligten Länder her gesehen ausgezeichnete Vertrag an der Haltung Südbadens gescheitert ist.
Lassen Sie mich ein Zweites sagen — die Ausführungen des Herrn Albgeordneten Dr. Ehlers veranlassen mich dazu Ich glaube, man sollte in das Verfahren hinsichtlich der Neuregelung des südwestdeutschen Raumes nicht Gedanken hineintragen, die in den beteiligten Ländern jedenfalls nicht zum Ausdruck kommen. Wie Sie wissen, ist die Formulierung der §§ 3 und 10 weitgehend auf Vorschläge der Tübinger Staatsregierung zurückzuführen; deshalb bin ich vielleicht auch berechtigt, dazu zu reden. Ich glaube, man geheimnist in diese Vorschläge viel zuviel Dinge hinein, die damit gar nichts zu tun haben. Man steht im Gegenteil vor einer sehr, sehr schwierigen Entscheidung, der_ Entscheidung, wie man aus verschiedenen an sich irgendwie berechtigten Prinzipien eine gerechte Lösung finden kann.
Es sind drei Grundsätze, nach denen man verfahren könnte. Einmal stellt man auf das ganze einheitliche Gebiet ab und läßt nur die Mehrheit im künftigen Gebiet des Südweststaates gelten. Meine Damen und Herren, das hat sehr viel für sich von zwei Gesichtspunkten aus. Erstens ist es ja für die Zukunft letztlich entscheidend, ob dieses ganze Volk, das im Südweststaat zusammen leben muß oder will, sich in seiner Mehrheit mit dieser Neuregelung abfindet. Wer also an die Zukunft denkt, an das künftige Zusammenleben, kann durchaus die Meinung vertreten, die Mehrheit im ganzen Gebiet solle entscheiden. Ich gebe zu, daß die Regelung von 1803 etwas gefälligere Begleitumstände hatte. 1945 war ausschließlich die Autobahn Frankfurt—München maßgebend, 1803 waren es wenigstens 'die Wünsche einer schönen und intelligenten Frau, der Eugenie Beauharnais.
Aber, meine Damen und Herren, das scheint mir nicht das Maßgebende zu sein. Wer im südwestdeutschen Raum lebt, wer 'ihn kennt und wer mit seiner Bevölkerung zusammenlebt, weiß, daß die Gemeinsamkeit der Schicksale, wie sie sich in diesem Raum schon seit den Jahren 800, 900 und 1000 gestaltet haben, heute noch eine absolute Aktualität besitzt.
Deshalb sind meines Erachtens alle diese Fragen, ob nun 1945 Recht geschaffen hat oder ob es 1803 auch nicht ganz recht hergegangen ist, nicht von besonderer Bedeutung. Dazu darf ich nachher noch einige Worte sagen.
Bei dem Vorschlag, das neue Gesamtland nicht zu berücksichtigen, kann man — und das darf ich dem Herrn Abgeordneten Dr. Kopf sagen — auch Beispiele konstruieren, die zu einem seltsamen Ergebnis führen. Dann ist es möglich, daß, obwohl sich in dem Gesamtgebiet des künftigen Südweststaates 80% für ihn aussprechen, der Südweststaat nicht zustande kommt, weil er im Lande Baden keine Mehrheit findet. Auch das scheint mir, meine Damen und Herren, keine demokratische Lösung zu sein.
Man kann auch nach einem anderen Gesichtspunkt vorgehen, und zwar nach dem Vorschlag des Herrn Abgeordneten Dr. Kopf, nur die alten Länder maßgebend sein zu lassen. Ich gebe zu, daß diese Regelung auch vom Standpunkt der Anhänger des Südweststaates aus vielleicht die große Geste der Versöhnung wäre.
Ich habe sie in den Verhandlungen der letzten drei Jahre immer und immer wieder vorgeschlagen, um eine Einigung zwischen den Ländern zu erzielen. Aber auch diese Geste hat zu keiner Einigung geführt; und ich fürchte, daß der Vorwurf der Vergewaltigung auch dann nach wie vor erhoben werden würde, wenn die Durchzählung nach alten Ländern zugebilligt werden würde.
Ein dritter Gesichtspunkt, der zwar nicht in den Gesetzesvorschlägen seinen Ausdruck gefunden hat, der aber sehr vieles für sich hat, wäre eigentlich der, daß man von 'den jetzigen Ländern ausginge. Auch das wäre eine Möglichkeit; sie würde aber dazu führen, daß unter Umständen keine Einigung zustande käme und ein ganzes Land vergewaltigt würde, je nachdem, wie man die Mehrheitsverhältnisse oder die Auswertung der Abstimmung bestimmt.
Alle diese Gründe haben uns veranlaßt, nun von Tübingen aus den Vorschlag zu machen, den sich der Ausschuß zu eigen gemacht hat. Er beruht auf folgendem, was zweifellos Tatsachen sind:
Wohl sind die drei Länder, die jetzt bestehen, 1945 durch Besatzungsdiktat entstanden; es ist aber nicht zu bestreiten, daß diese sechs Jahre der Zusammengehörigkeit — und es waren für die Länder der französischen Zone außerordentlich harte Jahre — vielleicht noch mehr zählen als gemeinsame Kriegsjahre. Jedenfalls haben sie eine Entwicklung eingeleitet und Zustände geschaffen, die man nicht einfach als Nichts betrachten kann. Es sind in diesen sechs Jahren in den drei jetzt bestehenden Ländern Tatsachen geschaffen worden, über die man nicht einfach hinweggehen kann. Ich weise auf folgendes hin: Es ist leider entgegen unserem Willen und entgegen unseren Bemühungen — aber es ist eben so gegangen — in diesen drei Ländern eine völlig verschiedene Rechtsentwicklung eingetreten, nämlich in den Ländern, die französisch besetzt waren, die Rechtsentwicklung, wie sie vom französischen Besatzungsrecht her bestimmt war, in Württemberg-Baden die amerikanisch bestimmte. Leider ist auch die innerstaatliche Rechtsentwicklung in diesen Ländern in einer ganzen Reihe von entscheidenden Fragen des öffentlichen Lebens getrennte Wege gegangen. Wir haben in Gesetzgebung und Verwaltung in diesen drei Ländern und vor allem im Gegensatz zu der Entwicklung in Württemberg-Baden zum Teil völlig verschiedene Gestaltungen. Das läßt sich nicht bestreiten. Es sind in diesen sechs Jahren auch eine Reihe von wirtschaftlichen Vereinigungen, Verbindungen, Querverbindungen, finanziellen Dingen entstanden, die man nicht einfach als Nichts erklären kann. Es ist bezeichnend — ich sage das nur, um es festzustellen, und nicht, um Vorwürfe zu erheben —, daß es, wenn wir bei den Vereinbarungen und Verhandlungen der Länder verschiedener Meinung waren, dann immer 'so war, daß ausgerechnet die nordbadischen Vertreter gegen die südbadischen Auffassungen aufgetreten sind, während es viel leichter gewesen wäre, eine Vereinbarung zwischen
den südbadischen, südwürttembergischen und nordwürttembergischen Auffassungen zu erzielen. Das ist auch ein Umstand, der zeigt, wie sich Nordbaden in diesen sechs Jahren von Südbaden wegentwickelt hat.
Das ist, meine Damen und Herren, ein Moment, das uns dazu veranlaßt hat, zu sagen: Man kann auch die Entwicklung seit 1945 bis heute nicht vollständig außer acht lassen. Sie ist auch bezüglich der Gestaltung der Verfassungen zum Ausdruck gekommen. Mit der Zustimmung aller badischen Abgeordneten ist in der württembergisch-badischen Verfassung bestimmt, daß durch einfaches Landesgesetz der Südweststaat geschaffen werden kann, während die Wiederherstellung des alten Landes Baden einer verfassungsändernden Mehrheit im Stuttgarter Landtag bedürfte. In Württemberg-Hohenzollern wollte man etwas Ähnliches in die Verfassung hineinnnehmen, war aber durch das Veto der Besatzung daran gehindert. Nur die südbadische Verfassung erschwert merkwürdigerweise rein verfassungsrechtlich die Änderung des auch dort als unglücklich empfundenen jetzigen Zustandes in außerordentlichem Maße.
Ein zweiter 'Gesichtspunkt, der meines Erachtens in der ganzen Debatte des Hohen Hauses völlig übersehen wurde: Es ist gar nicht so, daß sich nur die alten Länder Württemberg und Baden gegenüberstehen. Zu Württemberg-Hohenzollern gehören auch die Hohenzollernschen Lande, und die lehnen es ab, nun entweder zu Alt-Württemberg oder zu Alt-Baden gezählt zu werden.
— Nein, sondern die sind, wie Sie wissen, Herr Abgeordneter Hilbert, bei der Probeabstimmung zu ungefähr 99 % für den Südweststaat eingetreten; die handeln nach dem Grundsatz, daß sie nicht zum Vater Württemberg und nicht zur Mutter Baden, jeweils getrennt, zurückkehren wollen, sondern zu beiden Eltern. Das ist der Grund.
Wenn man nun schon so außerordentlich auf die Rechte der Minderheiten sieht, meine Damen und Herren, dann sollte man auch diese Rechte der Hohenzollern, die nicht einfach mit den Alt-Württembergern in einen Topf geworfen werden wollen, berücksichtigen, und zwar vor allem von der Seite her, die so sehr für die Beachtung der Rechte der Minderheit eintritt.
Dann noch etwas: Es ist richtig, daß dieser sogenannte Tübinger Entwurf sich an das Ergebnis der Probeabstimmung anschließt. Aber, meine Damen und Herren, das war ja gerade der Zweck dieser Probeabstimmung.
Sie sollte uns nämlich für das dann zu entwerfende Gesetz sagen, was die 'Bevölkerung eigentlich denkt.
Wenn wir uns deshalb in der Gestaltung dieses Entwurfs der Probeabstimmung angeglichen haben, so haben wir, glaube ich, nicht undemokratisch, sondern demokratisch gehandelt.
Ich glaube, 'das dürfte man doch nicht übersehen.
Und schließlich kommen Sie, wenn Sie es sich genau überlegen und durchrechnen, welches die Unterschiede zwischen dem Antrage Kopf und dem Antrage des Ausschusses sind, zu dem Ergebnis, daß in der großen Mehrzahl der Fälle der Ausschußantrag und der Antrag Kopf keinen praktischen Unterschied aufweisen, und zwar deshalb. weil ja Nordbaden, wie Sie wissen, rund 190 000 Abstimmungsberechtigte mehr hat als Südbaden, so daß es an sich schon immer in der Lage ist, Südbaden zu überstimmen. Der Unterschied besteht nur darin, daß nach dem Antrage des Ausschusses Nordbaden leichter in der Lage ist, Südbaden zu überstimmen, während nach dem Antrage Kopf Südbaden eher in der Lage ist, Nordbaden zu überstimmen. Aber das Entscheidende, meine Damen und Herren — darauf möchte ich hinweisen und das möchte ich vor allem meinen badischen Freunden sagen, die anderer Meinung sind als ich —, ist doch, daß nach idem Tübinger Vorschlage und nach dem Antrage, wie ihn der Ausschuß angenommen hat, eine Überstimmung Badens durch Württemberg ausgeschlossen ist. Auch wenn Württemberg 90 oder 100 % für den Südweststaat aufbringt, kommt es nicht zum Zuge, wenn nicht mindestens einer der beiden Landesteile, Südbaden oder Nordbaden, sich dieser Mehrheit anschließt. Damit ist die Überstimmung Badens ausgeschlossen, und ich bin der Meinung, daß gegenüber dem ursprünglichen FDP-Antrag, der einfach durchzählen wollte — dafür sprechen Gründe, wie ich ausführte —, der jetzige Tübinger Vorschlag einen absolut fairen Vorschlag bedeutet.
Schließlich — nehmen Sie mir's nicht übel, wenn ich das sage als ein Mann, der in 'diesem Gebiet geboren und in ihm groß geworden ist! —, schließlich sind die Gegensätze im südwestdeutschen Raum — trotz des Lärms der Wortführer — nicht so groß, wie es hier scheinen könnte.
Werten Sie doch einmal die Probeabstimmung vom 24. September 1950 richtig aus. Sie ist durch drei Dinge gekennzeichnet: Erstens, daß sämtliche Grenzkreise an der württembergbadischen Grenze für den Südweststaat gestimmt haben — das ist doch ein Zeichen, daß diese Bevölkerung sich versteht und zusammenfließt —;
zweitens, daß Nordbaden 58% für den Südweststaat erbracht hat, und drittens — was mir besonders bezeichnend war —, daß sogar die Stadt Freiburg nahezu 50% für den Südweststaat erbracht hat.
Meine badischen Freunde' sagen, das rühre daher, daß in Freiburg allzu viele Preußen seien.
Aber ich bin der Auffassung, daß das einen viel, viel tieferen Grund hat; denn dieses Freiburg war 600 Jahre 'lang die Hauptstadt eines Gebietes, zu dem ein großer Teil des jetzigen SüdwürttembergHohenzollern gehört hat. Auch hier zeigt sich diese Gemeinschaft. Mir ist in den letzten Tagen eine Schriftstelle zur Kenntnis gekommen, die mich einigermaßen erfreut und versöhnt hat. Der Abt Walafried Strabo von der Insel Reichenau hat im 9. Jahrhundert schon geschrieben:
Die Alemannen oder Schwaben sind zwei Namen für ein Volk. Alemannen nennen uns die benachbarten Völker, welche lateinisch reden; Schwaben nennen uns die Nichtlateiner,
— wie man damals sagte —die Barbaren.
Ich habe den Eindruck, daß dieser Abt Walafried Strabo nicht nur ein Gelehrter und ein Kenner des Volkes, sondern auch ein Prophet war; denn auch heute gibt es das, und einer der hervorragendsten Wortführer Altbadens ist ja ein ebenso hervorragender Kenner des Lateinischen, der erschrickt, wenn er den Namen Schwaben hört.
Im übrigen, meine Damen und Herren: wenn Sie sich wirklich einmal die Einheit dieses Gebietes vor Augen führen wollen, dann lesen Sie so unverdächtige Zeugen, wie sie in einem Abstand von 150 Jahren über diese Dinge geschrieben haben; lesen Sie einmal die „Einführung des Christentums" des berühmten Bischofs Hefele von Mottenburg, der sie als Kirchengeschichte des südwestdeutschen Raumes bezeichnet, und lesen Sie neuerdings die Geschichte des südwestdeutschen Raumes von einem so hervorragenden Gelehrten wie dem Freiburger Karl Siegfried Bader, dann wird Ihnen in der ganzen Wucht und Eindringlichkeit die Einheit dieses Raumes zum Bewußtsein kommen. Es ist nicht so, wie letzthin ,der Herr Abgeordnete Dr. Jaeger im „Rheinischen Merkur" geschrieben hat, daß die Württemberger deshalb so einmütig für den Südweststaat seien, weil er ihnen Vorteile bringe.
Sehr neutrale und völlig unverdächtige Stellen wie neuesten das Institut für die Landesplanung in Bonn haben ausgerechnet, wer die finanziellen Vorteile hat. Herr Kollege Dr. Jaeger, es gibt tatsächlich in meinem Volk solche Leute, so unwahrscheinlich es klingt. Aber die 'Schwaben sind solche Leute; wir würden sagen, solche Rindviecher,
die eine Sache 'deshalb erstreben, weil sie ideal und vernünftig ist, auch wenn sie keine Vorteile dabei haben.
Ich bin der Meinung, meine Damen und Herren: ob man Baden die Geste der Durchzählung nach alten Ländern machen soll oder nicht, das ist mir weniger wichtig; das Entscheidende scheint mir zu sein: nicht die vielen Teilungen in diesem südwestdeutschen Raum in all den Jahrhunderten, zuletzt durch Napoleon und dann 1945, sind maßgebend, sondern die Einheit dieses Raumes, der dem deutschen Volke seine größten Geschlechter — die Staufen, die Welfen, die Habsburger und die Zollern — geschenkt hat, und unser Wunsch ist, daß dieser Raum mit allen seinen guten Eigenschaften in der deutschen Bundesrepublik auch staatlich geeint wieder zur Geltung kommt. Das sage ich als ein Mann, der zutiefst davon überzeugt ist, daß ein Föderalismus nur dann bestehen kann, wenn er sich auf Länder stützt, die weder vom Bunde noch von anderen Ländern abhängig sind, sondern die auf sich gestellt, finanziell und wirtschaftlich kräftig, die Politik treiben, die ihre Bevölkerung wünscht.