Rede von
Dr.
Hermann
Ehlers
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren! Sie haben den Antrag des Herrn Abgeordneten Oellers gehört. Es bestehen zweifellos keine Bedenken, eine weitere Überweisung vorzunehmen. Das würde heißen: federführend an den Ausschuß für Wiederaufbau und Wohnungswesen und darüber hinaus an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht. Ist das Haus damit einverstanden? — Das scheint der Fall zu sein.
Ich rufe jetzt auf Punkt 4 der Tagesordnung: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, DP, BP und des Zentrums eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten
.
Soll der Antrag von den antragstellenden Fraktionen begründet werden? — Herr Abgeordneter Dr. Schmid, bitte!
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, auch in diesem Falle auf eine Aussprache zu verzichten.
Dr. Schmid (SPD), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der interfraktionelle Antrag, die Konvention zur Wahrung der Menschenrechte und Grundfreiheiten zu ratifizieren, soll in Abwesenheit des Kollegen, der zunächst dafür vorgesehen war, von mir in wenigen Sätzen begründet werden. Die antragstellenden Fraktionen empfehlen die Ratifikation aus folgenden Gründen.
Die Konvention, die der Europarat verabschiedet hat, stellt gegenüber dem bisher geltenden Recht einen außerordentlichen Fortschritt dar. Bisher war Völkerrecht nur so vorstellbar, daß ausschließlich Staaten Objekt und Subjekt der Normen des Völkerrechts sein konnten. Mit dieser Konvention wird zum erstenmal Rechtens, daß auch Individuen Adressaten von Völkerrechtsnormen sein können und sind. Damit Ist ein Schritt nach vorwärts getan, um den sich die Vorkämpfer für eine Fortentwicklung des Völkerrechts bisher seit Jahrzehnten vergeblich bemüht haben.
Eine Konvention zum Schutze der Rechte von Individuen wäre bisher nur möglich gewesen in der Form, daß zwei, drei oder vier Staaten miteinander aushandelten, in welcher Weise ihre Staatsangehörigen gegenseitig behandelt werden sollten, und die Durchführung der so vereinbarten Normen und die Kontrolle ihrer Anwendung wäre
ausschließlich Sache des jeweils betroffenen Staates gewesen.
Hier tritt nun ein grundlegender Wandel ein. Es wird nun nicht nur von einzelnen 'Staaten ausgehandelt, 'wie ihre Staatsangehörigen gegenseitig behanelt werden sollen, sondern sämtliche Staaten, die Mitglied des Europarats sind, beschließen mit der Ratifikation dieser Konvention, daß innerhalb ihres Staatsgebietes sämtliche Menschen ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit einen bestimmten Mindeststandard von Grundrechten genießen sollen, und darüber hinaus wird die Kontrolle über die Durchführung dieser Verpflichtung nicht ausschließlich den nationalen Gerichten anheimgegeben, sondern internationalen Instanzen.
Diese beiden Instanzen sind die Europäische Kommission für Menschenrechte und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Jedermann in jedem der angeschlossenen Staaten, der glaubt, eine Behandlung erfahren zu haben, die unterhalb des Rechtsstandards liegt, den die Konvention vorsieht, kann sich an diese Kommission für Menschenrechte wenden, und diese Kommission muß nach Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtsweges seinen Fall aufnehmen und diskutieren. Wenn von der Kommission festgestellt wird, daß jemand der Konvention zuwider behandelt wurde, dann ist die Kommission verpflichtet, den Gerichtshof anzurufen, der den Fall unter Auschaltung von Opportunitätsgesichtspunkten ausschließlich unter strikter Anwendung des Rechts entscheidet. Dieser Gerichtshof kann außer von der Kommission noch von dem Staat angerufen werden, dem das Individuum angehört, das sich grundrechtswidrig behandelt fühlt, und von dem Staat, dem gegenüber behauptet wird, daß er jemanden grundrechtswidrig behandelt hätte.
Das ist ein ungeheurer Fortschritt gegenüber dem bisherigen Rechtszustand, und wenn sich auch die internationale Kontrolle staatlichen Tuns hier auf den schmalen Bereich der Garantie der Menschenrechte beschränkt, so ist doch damit ein Einbruch in ein Dogma geschehen, das 'bisher unbeschränkt regiert hat, in das Dogma nämlich, daß nur Staaten Adressaten von Völkerrechtsnormen sein könnten und daß nur Staaten sich an internationale Institutionen sollten wenden können, wenn einem Menschen Unrecht getan worden ist.
Was den Inhalt der Konvention betrifft, so brauche ich wohl den Inhalt der einzelnen Artikelnicht vorzutragen. Wir finden dort im wesentlichen die klassischen Menschenrechte, 'die seit der Deciaration of Rights in der Verfassung des Staates Virginia immer wieder — neu formuliert und ausgeweitet — in die staatlichen Verfassungen übernommen worden sind. Es sind nicht sämtliche Wünsche aller derer befriedigt worden, die Anträge an die Beratende Versammlung des Europarats gerichtet haben. Für die einen ist man zu weit gegangen, für die anderen ist man zuwenig weit gegangen. Aber was zu guter Letzt herausgekommen ist und was — mit Beschränkungen — vom Ministerrat akzeptiert wurde, ist etwas, was man beiahen kann. wenn man entschlossen ist. die Verteidigung der Sache der Freiheit indes Einzelmenschen aus der bloßen Sphäre der staatlichen Jurisdiktion herauszunehmen und zu einer internationalen Angelegenheit, zu einem Anliegen aller Völker zu machen.