Rede von
Dr.
Adolf
Arndt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen des Herrn Abgeordneten Ewers sind weitgehend irrig und mit dem Gesetz über das Bundesverfassungsgericht nicht zu vereinbaren. Herr Kollege Ewers, es ist erstens nicht richtig, daß etwa die Hälfte der Bundesverfassungsrichter vom Obersten Bundesgericht kommen müsse. Richtig ist, daß genau ein Drittel der Richter aus Bundesgerichten kommen muß, d. h. nicht nur aus dem Obersten Bundesgericht, das noch gar nicht da ist, sondern auch aus dem Bundesgerichtshof, dem Bundesarbeitsgericht, dem Bundessozialgericht und dem Bundesfinanzhof. Diese Gerichte liegen heute schon teilweise an verschiedenen Orten. Der Bundesfinanzhof befindet sich z. B. in München.
Weiterhin ist es irrig, so zu argumentieren: da die Bundesverfassungsrichter teilweise aus den oberen Bundesgerichten kommen, ist eine örtliche Verbindung notwendig. Nach unserem Gesetz sind ja die Bundesverfassungsrichter hauptberuflich und vollamtlich tätig, kehren also praktisch bis zur Beendigung ihres Richteramts niemals wieder an das obere Bundesgericht oder das Oberste Bundesgericht zurück, so daß die Forderung nach einer örtlichen Verbindung mit unserem Gesetz nicht übereinstimmt.
Im übrigen aber ist zu sagen, Herr Kollege Ewers, daß alle Ihre Erwägungen auch auf 'das Bundesverwaltungsgericht anzuwenden wären, welches ja nach einem Beschluß der Bundesregierung gerade nach Berlin kommen soll. Mit solchen Erwägungen kann man also hier wohl nicht operieren. Ebenso halte ich die Auffassung nicht für richtig, daß eine enge örtliche Verbindung zwischen dem Sitz des Bundesverfassungsgerichts und dem Sitz der Bundesregierung unerwünscht sei. Das Bundesverfassungsgericht ist zwar ein echtes Gericht, aber seiner ganzen Struktur nach etwas durchaus anderes als ein Gericht für Zivil- oder Strafsachen, das man nach guter alter deutscher Tradition möglichst weit weg von der politischen Metropole setzen sollte. Das Bundesverfassungsgericht dagegen muß mit dieser sogar einen Kontakt haben, um auch die Arbeitsmöglichkeit zu besitzen und sich über die Einzelheiten der Gesetzesentstehung usw. jeweils ohne Schwierigkeiten unterrichten zu können. Ich glaube also nicht, daß einer Ihrer Gründe zutrifft.
Vor allen Dingen muß ich aber etwas gegenüber dem Herrn Kollegen Dr. Tillmanns sagen. Wenn der Berliner Senat den Beschluß gefaßt hat, mit dem Bundesaufsichtsamt für Privatversicherung zufrieden zu sein, so doch nur aus der Sorge heraus, überhaupt eine Bundesbehörde nach Berlin zu bekommen. Er läuft nämlich sonst Gefahr, daß sowohl das Bundesverfassungsgericht als auch das Bundesaufsichtsamt nicht nach Berlin kommen, was ja erklärtermaßen die ursprüngliche Absicht der Bundesregierung gewesen ist. Das ist also der Grund, der dahintersteckt. Darüber hinaus hat selbstverständlich der Senat von Berlin das gute Recht, Landesinteressen zu vertreten und sich für die Bundesbehörde zu interessieren, die am meisten Arbeitskräfte, insbesondere Angehörige einer öffentlichen Verwaltung, zu beschäftigen in der Lage ist. Das ist beim Bundesaufsichtsamt mit einem großen Personalstab selbstverständlich ganz anders der Fall als bei dem Bundesverfassungsgericht, das aus 24 Richtern und einigen wenigen Beamten des gehobenen und mittleren Dienstes bestehen wird. Dieses regionale Interesse dabei zu vertreten, ist das gute Recht des Senates der Stadt Berlin, besonders dann, wenn er sonst Gefahr läuft, nach Berlin — entsprechend der ursprünglichen Absicht der Bundesregierung — überhaupt nichts zu bekommen.
Meine Damen und Herren, bitte bedenken Sie doch, was Sie hier tun. Das Bundesverfassungsgericht ist, wie es ja hier häufig ausgesprochen wurde, neben dem Bundestag, dem Bundesrat und der Bundesregierung eines der obersten Verfassungsorgane der Bundesrepublik Deutschland. Den Sitz dieser Organe kann man nicht in einer Weise bestimmen, daß man sagt: wenn irgendeine Bundesbehörde dorthin kommt, dann setzen wir dafür dieses oberste Verfassungsorgan woanders hin. Ein derartiges Junktim ist einfach nicht möglich und ist auch mit der Selbstachtung, die sich das deutsche Volk schuldet, nicht vereinbar. Wir können den Sitz des Bundestages oder der Bundesregierung oder des Bundesrats nicht davon abhängig machen, wohin irgendeine andere Bundesbehörde kommt; und davon können wir auch nicht den Sitz des Bundesverfassungsgerichts abhängig machen.
Das Bundesverfassungsgericht gehört an den Hauptort in Deutschland, an die Stelle, an der es — wie mein Kollege Mellies gesagt hat — weithin sichtbar wird im Kampf für Recht und Freiheit. Und das kann nur Berlin sein!