Rede von
Hans
Jahn
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mir liegt daran, vorerst etwas über die Verkehrspolitik zu sagen. Dazu einige Zahlen, mit denen ich Sie leider belästigen muß. Der Anteil des Verkehrs am deutschen Volkseinkommen beträgt etwa 10%. Im Vergleich dazu: die Landwirtschaft liefert ebenfalls 10%, der Bergbau 10%, die ganze übrige Industrie etwa 35% des Volkseinkommens. Der Anteil des Verkehrs an der Gesamtvolkswirtschaft ist also bemerkenswert hoch. Dazu kommt, daß im Gegensatz zu den meisten übrigen Zweigen der Wirtschaft, die nur mit einem Teile der anderen Gebiete verbunden sind, der Verkehr mit allem und jedem eng verflochten ist. Aus dieser Tatsache ergeben sich starke öffentlichrechtliche Bindungen auf dem Gebiete der Tarif- und der Betriebs- und Sicherheitsvorschriften. Der Verkehr kann daher seinem Wesen nach nicht im gleichen Maße frei sein wie die übrigen Zweige der Volkswirtschaft.
Wenn man die Handelsteile der Zeitungen und die Fachzeitschriften durchblättert, so tönen einem die Sorgen auf dem Verkehrsgebiet überall und ununterbrochen entgegen. Der Bundesbahn geht es schlecht. Das Defizit beträgt nach dem Wirtschaftsplan für 1951 113 Millionen DM. Im vorigen Jahre mußten die Aufträge en die Lok- und an die Waggonindustrie gestoppt werden. Ich erinnere an die von meiner Fraktion damals gestellten Anträge. Sie wurden leider abgelehnt. Die Folgen sind heute in der Tatsache ,spürbar, daß die Bundesbahn wieder 6000 Güterwagen aus dem Auslande anmieten muß. Ich bin der Meinung, daß vordringliche Kreditbeschaffung für die Bundesbahn sehr, sehr notwendig ist. Die Lage hat sich zwar etwas gebessert, aber der vorliegende dringende Erneuerungsbedarf in allen Betriebszweigen kann nicht befriedigt werden, da eben das Geld noch fehlt.
Hierzu einige Bemerkungen! In Italien, Frankreich und Belgien sind die Kriegsschäden an den Anlagen ihrer Bahnen zu 100% vom Staat überrommen worden. Wenn das bei der Bundesbahn auch der Fall gewesen wäre — meine Herren Vorredner haben das bereits bemerkt —, dann wäre ihre materielle Lage wesentlich besser. Seit der Währungsreform sind bis Ende 1949 für die Kriegsschädenbeseitigung 600 Millionen DM aus eigener Leistung der Bundesbahn aufgebracht worden.
Vor der Währungsreform war es eine Milliarde R-Mark. Die Kriegsschäden, die noch zu beseitigen sind, betragen allein für die Anlagen noch rund eine Milliarde DM. Darüber hinaus besteht ein Nachholbedarf für Instandhaltung und Erneuerung in etwa der gleichen Höhe. Die Bundesbahn benötigt im nächsten Jahre 540 Millionen DM, um die dringendsten Kriegsschäden an Anlagen und am Betriebsmittelpark beseitigen und um Modernisierungsmaßnahmen durchführen zu können.
Der Straßengüterverkehr stöhnt ebenfalls. Zahlreiche, insbesondere kleinere und Einmannunternehmen kommen nicht mehr auf ihre Rechnung. Die Abschreibungen werden nicht verdient, und wenn das Fahrzeug das Ende seiner Lebensdauer erreicht hat, kann ein neues nicht beschafft werden, d. h. die Existenz ist nicht mehr vorhanden.
Auch die Binnenschiffahrt hat ihre Sorgen. Lange Zeit lagen Hunderte von Schiffen auf der Duisburger und Uerdinger Reede ohne Fracht, und die auf dem Schiff wohnenden Familien waren ohne
Einkommen. Dazu kommt, daß die deutschen Schiffe zum Teil technisch veraltet sind, was die ausländische Schiffahrt mit ihren modernen Fahrzeugen in die Lage brachte, ihren Verkehrsanteil gegenüber früher wesentlich zu erhöhen
Worauf ist diese wirklich bedrohliche Lage auf dem gesamten Verkehrsgebiet, deren Ernst mit diesen wenigen Worten nur sehr unvollkommen wiedergegeben werden konnte, zurückzuführen? Die Schwierigkeiten sind erstens weitestgehend auf eine gewaltige technische Revolutionierung und zweitens darauf zurückzuführen, daß die zwingend erforderlichen Folgerungen und Entschlüsse aus dieser technischen Umwälzung bisher nicht gezogen werden konnten, möglicherweise weil es nicht einfach ist, den Gesamtkomplex sachlich völlig zu übersehen, aber auch weil der eine oder der andere sich vor den tiefgreifenden Konsequenzen, die hinsichtlich des Schicksals vieler Menschen gezogen werden müssen, scheut. Auf die sozialpolitischen Probleme komme ich noch besonders zu sprechen.
Wieso erfuhr der Verkehr eine technische Revolution? Die Zahl der Lastkraftwagen im Bundesgebiet beträgt bereits 358 000 gegen über nur 238 600 betriebsfähigen Güterwagen der Eisenbahn. Die Zahl der Lastkraftwagen über 4 t beträgt 41 000 im Bundesgebiet gegenüber 22 000 im Jahre 1938 im gesamten Reichsgebiet. Mit diesen Zahlen ist erwiesen, daß die Monopolstellung der Eisenbahn gebrochen ist.
Und nun einige Zahlen, die einen Begriff von den Auswirkungen der erwähnten Veränderungen geben. Der Anteil der Eisenbahn am Volkseinkommen, einer Zahl, die nur die Löhne, Gehälter, Zinsen und Gewinne umfaßt, nicht aber die Investitionen und Abschreibungen, beträgt 3 Milliarden DM. Davon entfallen auf den Güterverkehr rund 2 Milliarden. Die entsprechende Zahl im Straßenverkehr ist etwa 750 bis 790 Millionen DM für den Güterverkehr. Die Beförderungsleistungen für den Güterverkehr bei der Eisenbahn werden im Jahre 1950 schätzungsweise 40 Milliarden Nettokilometer betragen, beim Straßengüterverkehr 9,4 Milliarden Nettokilometer. Daraus ergibt sich, daß die Eisenbahn im Durchschnitt Güter befördert, die aus Gründen der langen Strecke oder des geringen Wertes 5 Pfennig pro Nettokilometer erbringen, während der Lastkraftwagen durchschnittlich Güter befördert, die 9 Pfennig pro Nettokilometer erbringen.
Ich frage: Warum sind aus dieser technischen Entwicklung, die zu solchen Unausgewogenheiten in den Verhältnissen der Verkehrsträger untereinander geführt hat, noch nicht die entsprechenden verkehrspolitischen Folgerungen gezogen worden? Die deutschen Eisenbahnen haben 1920, zu einer Zeit, als sie noch die Monopolstellung im Verkehr besaßen, ein Tarifsystem geschaffen, das von großer wirtschaftlicher Bedeutung war und das die Ausgewogenheit des Gefüges der deutschen Wohn- und Siedlungsräume, der Industriebezirke und der landwirtschaftlichen Gebiete sicherstellte. Es war außerdem die Grundlage dafür, daß die wichtigsten Massengüter — Kohle, Holz, Erze — an jeder Stelle Deutschlands zu vernünftigen Preisen zur Verfügung standen. Selbstverständlich sind die Kosten je Tonnenkilometer für eine kurze Strecke bei der Beförderung durch einen Güterzug wesentlich höher als bei einer langen Strecke. Aber die Tarife
für die langen Strecken wurden noch tiefer gesenkt, um aus nationalpolitischen Gründen die peripheren Gebiete Deutschlands, früher Ostpreußen und jetzt Schleswig-Holstein und den Bayerischen Wald, dichter an die Mitte Deutschlands und an das Industriegebiet anschließen zu können.
Aus gemeinwirtschaftlichen Überlegungen heraus mußte die Eisenbahn den Staffeltarif einführen. Daneben war aber auch das Ausmaß einer Ware und deren Wert zu berücksichtigen; Stückgut, Eilgut, Wagenladungen, sperrige Güter, die im Verhältnis zu ihrer Größe ein geringes Gewicht haben, erfuhren in der tarifarischen Behandlung unterschiedliche Wertung. Außerdem erfolgte entsprechend dem Wertsystem eine Abstufung der Güter nach dem Handelswert. Dieses Tarifsystem ist also volkswirtschaftlich ausgerichtet und wohl ausgewogen, entstammt aber einer Zeit mit völlig anderen Voraussetzungen als heute.
Die Binnenschiffahrt war bei diesem System von vornherein nicht glücklich, da die Zu- und Ablauftarife, deren die Schiffahrt bedarf, recht hoch sind und die Konkurrenzpreise für lange Strecken, auf denen sich die Binnenschiffahrt betätigt, verhältnismäßig niedrig liegen.
Das Tarifgefüge zwischen Schiene und Straße ist durch die Anpassung des Reichskraftwagentarifs an den eben in seinen Grundzügen skizzierten deutschen Eisenbahngütertarif gekennzeichnet. Diese Bestimmung besteht seit 25 Jahren. Sie war tragbar, solange das Monopol der Eisenbahn bestand. Bis heute sind auch aus dieser Tatsache die erforderlichen tarifpolitischen Konsequenzen noch nicht gezogen worden. Das hat wesentlich zu dem Verkehrschaos von heute beigetragen.
Der Lastwagen ist seiner Natur nach besonders geeignet, kurze Strecken zu bewältigen. Er kann die Ware ohne Umladung von Haus zu Haus befördern. Er braucht verhältnismäßig wenig Verpackung und kann in den meisten Fällen Rückladung mitnehmen.
Bei dem Verkehr im nahen Raum hat sich der Straßerverkehr nicht nur auf hochwertige Güter beschränkt, sondern er ist, vor allen Dingen nach Einführung der Krisenzu- und -abschläge, auch zum Transport von Gütern der niedrigen Tarifklassen übergegangen. Ich darf darauf hinweisen, daß z. B. der Abtransport von Sand aus dem Duisburger Hafen, um die vielen Baustellen im Ruhrgebiet zu beliefern, der noch vor zwei Jahren zu 80 % mit der Bahn erfolgte, heute zu 80 % mit dem Lastkraftwagen durchgeführt wird.
Für die Beförderung von einer Tonne Gut auf dem Wasserweg ist 0,2 Pferdestärke erforderlich. Die Reibung ist gering. Der Wasserweg ist der geeignete Weg zur Beförderung von Massengütern, wenn dafür Zeit zur Verfügung steht. Für die Beförderung einer Tonne auf der Eisenbahn sind 2 Pferdestärken und für die Beförderung auf der Landstraße 10 Pferdestärken, also fünfmal soviel erforderlich, denn die Reibung auf der Straße ist wesentlich größer als auf der Schiene.
Dazu eine zweite wichtige Tatsache, die mit der eben genannten eng zusammenhängt. Die Bundesbahn hat im Jahre 1950 wahrscheinlich rund 40 Milliarden Nettokilometer geleistet, wobei es sich größtenteils um Massengüter handelt. Dafür und für ihre Personenbeförderung braucht sie 300 Millionen DM für Kohle. Die Straße befördert für rund 9,4 Milliarden Nettokilometer. Sie braucht dafür und für den Verkehr mit Personen mit PKW für rund 750 Millionen DM Dieselöl und Benzin, davon etwa 150 bis 200 Millionen DM in Devisen.
Hier taucht die Frage der echten Kosten je Tonnenkilometer auf der Eisenbahn, auf der Straße und in der Schiffahrt auf. Die Eisenbahn unterhält ihre Gleise und ihre Strecken, ihre Signal- und Sicherheitsanlagen und ihre umfangreiche Bahnpolizei selber. Der Straßenverkehr zahlt auch gewaltige Beträge für den Straßenbau; aber es ist notwendig zu wissen, ob alles bezahlt wird, was erforderlich ist. Und wer baut und unterhält die Binnenwasserstraßen? Welches sind also die echten Kosten für die Beförderung einer Tonne Gut auf der Eisenbahn, der Straße und dem Wasserweg?
Ich weiß, der Herr Bundesverkehrsminister hat den Auftrag für die Ermittlung der echten Kosten erteilt. Wir wollen hoffen, daß wir bald das Ergebnis dieser Untersuchung zur Kenntnis bekommen.
Würde man aber nur so an das Gesamtproblem herangehen, so würde man zu einem neuen Tarifsystem kommen, das nur die echten Beförderungskosten zur Grundlage hat. So einfach geht es aber nicht. Man würde zwar ein sehr schönes Auspendeln der Verkehrsmittel untereinander erreichen, dafür aber eine völlige Strukturwandlung der deutschen Länder, die Verödung der entfernt liegenden Gebiete und die Zusammenballung der Industrie in der Nähe der großen Lager an Bodenschätzen, also z. B. im Ruhrgebiet fördern helfen. Der volkswirtschaftliche Ausgleich muß wie beim ursprünglichen Eisenbahntarif angestrebt werden. Es müssen Entfernungsstaffelungen sowie Ausnahmetarife für gewisse Gebiete und bestimmte Industrien beibehalten werden. Aber — und das scheint mir wichtig — diese volkswirtschaftlich begründeten Ausnahmen vom reinen Kostentarif müssen genau berechnet und die Kosten dieser volkswirtschaftlich erforderlichen Ausnahmetarife dürfen nicht einem Verkehrsmittel allein aufgebürdet werden, weil dies zufälligerweise dem Volk gehört — ich meine die Eisenbahn —, sondern sie müssen entweder dem gesamten Verkehr oder aber der gesamten Volkswirtschaft angelastet werden.
Darüber hinaus muß die Frage der Beförderungspflicht sowie das Vorhalten von Transportraum der Eisenbahn während der Ernte oder bei strengem Winter berücksichtigt werden. Nur so kann man die logischen und volkswirtschaftlich richtigen Grundgedanken des alten Eisenbahntarifs auf die neue Zeit übertragen.
Meine politischen Freunde und ich sind davon überzeugt, daß es gelingen wird, auf der Grundlage echter und sauberer Zuordnung der Verkehrsmittel zueinander, des Grundsatzes der Bezahlung der echten Kosten und eines volkswirtschaftlich zweckmäßigen Ausgleichs für Standortbedingungen zu einer gesunden Neuordnung unseres Verkehrswesens zu kommen. Wir sind viel zu arm, um uns den Luxus eines Gegeneinander leisten zu können. Wir können nur auf der Basis eines echten Miteinanders und einer sauberen Ausgewogenheit zu einer Koordinierung der Verkehrsträger kommen.
Die von mir vorgeschlagene Lösung wird erhebliche Ersparnisse auf dem gesamten Verkehrsgebiet und damit für die ganze Volkswirtschaft mit sich bringen.
Der Bund hat aber darüber hinaus noch wichtige Aufgaben auf dem Gebiet des Verkehrs zu erfüllen. Er ist für den Schutz von Leib und Leben
seiner Bürger verantwortlich. Es ist außerordentlich eindrucksvoll, wenn man sieht, welche Vorsichtsmaßnahmen die Eisenbahn auf diesem Gebiet getroffen hat. Die Übergänge sind mit Schranken versehen. Vor- und Hauptsignale sichern die Strecke. Die Beamten der Bahnhöfe geben zusätzlich Signale. Der Totmannknopf in der elektrischen Lokomotive sichert den Zug bei eventuellem Unwohlsein des Lokomotivführers. Die induktive Zugsicherung verhütet das Überfahren eines auf Halt stehenden Signals.
Alle und jede Möglichkeit ist bedacht. Das Ergebnis ist, daß die Unfallziffer auf der Eisenbahn außerordentlich klein ist. Folgende Zahlen beweisen das. Im Jahre 1949 verzeichnete die Eisenbahn-Unfallstatistik der gesamten Bizone 666 Getötete, davon 105 Reisende, 232 Eisenbahnbedienstete, 3 Post- und Zollbeamte sowie 326 Personen, die nicht im Eisenbahnverkehr, sondern z. B. an Straßenübergängen getötet wurden. Innerhalb der vier Eisenbahn-Direktionsbezirke Nordrhein-Westfalens enthält die Eisenbahn-Unfallstatistik für 1949 gegenüber mehr als 2 000 im Straßenverkehr des Landes Getöteten nur 245 Getötete, davon 24 Reisende, 79 Eisenbahner, i Zollbeamter und 141 Personen, die nicht innerhalb des Bahnverkehrs, sondern, wie gesagt, an Straßenübergängen getötet worden sind. Berücksichtigt man, daß in der Zahl der Bediensteten auch diejenigen erfaßt sind, die nicht im eigentlichen Eisenbahnverkehr, sondern z. B. in Werkstätten zu Tode kamen, und daß die 141 fremden Personen nicht allein dem Eisenbahnverkehr, sondern auch dem Straßenverkehr angelastet werden müssen, so dürften in NordrheinWestfalen den über 2 000 Toten des Straßenverkehrs höchstens 100 bis 150 Tote des eigentlichen Eisenbahnverkehrs gegenüberzustellen sein.
Was ist nun auf der Straße los? Auf der Straße gibt es wenig Sicherheitsmaßnahmen. Ich stimme vollkommen mit dem Herrn Kollegen Rademacher darin überein, daß die Verkehrsdisziplin beim Publikum außerordentlich zu wünschen übrigläßt.
Nach einem Bericht des Statistischen Bundesamtes ist die Zahl der Straßenverkehrsunfälle im vergangenen Jahre um 53 % gegenüber 1949 angestiegen.
Bei den 182 695 im vergangenen Jahr gemeldeten Verkehrsunfällen im Bundesgebiet wurden 4 211 Menschen getötet und 107 811 verletzt. 90 % aller Unfälle waren durch Kraftfahrzeuge verursacht. Der Lastkraftwagenbesitzer, der sein eigenes Fahrzeug fährt, ist besorgt um seine Existenz; er fährt manchen Abend bis zur Übermüdung.
Wenn er das selbst tut, ist das für ihn schlecht, für die Öffentlichkeit aber eine Gefährdung.
Wenn er seine Angestellten zu derartigen Überanstrengungen veranlaßt, so ist das noch viel schlimmer.
Hier stoßen wir auf das soziale und sozialpolitische Problem. Die im Straßenverkehr beschäftigten Personen werden rücksichtslos ausgebeutet und damit zu einer ständigen Gefahr für Leib und Leben unserer Mitbürger. Hier besteht ein sozialer Notstand, der mit allen Mitteln beseitigt werden
muß. Bei der Bundesbahn bestehen geregelte Lohn-, Dienst- und Arbeitsbedingungen. Solche fehlen im Straßenverkehrsgewerbe fast völlig. Hier stößt zum sozialen Notstand die soziale Schmutzkonkurrenz. Erst wenn beides behoben ist, kann eine Abnahme der Gefährdung der Sicherheit auf der Straße erwartet werden.
Es klingt etwas lieblos, wenn man hier Kosten vorrechnet; denn in Wirklichkeit steckt hinter den Unfall- und den Totenzahlen der Verkehrsopfer der Straße ein Meer von Blut und Tränen. 4 200 Familien sind durch Todesfall betroffen worden; 107 811 Menschen wurden verletzt oder sogar verstümmelt. Hier muß verwaltungsseitig ganz anders als bisher eingegriffen werden. Hier darf es keine falsche Zurückhaltung mehr geben. Das Wichtigste ist die Schaffung einer in jeder Hinsicht ausreichenden Verkehrspolizei mit ausreichenden Befugnissen, die bisher völlig unzulänglich sind. Die Kasten für eine solche Verkehrspolizei bewegen sich etwa in einer Größenordnung von 5 bis 10 % der Schäden, die pro Jahr durch Unfälle entstehen.
Verkehrspolitisch sehe ich auch in der Zukunft die nicht nachlassende Bedeutung der Binnenschiffahrt auf den uns von der Natur gegebenen oder auf den vom Fleiß deutscher Arbeiter geschaffenen Wasserstraßen. Ich sehe ferner die bleibende Bedeutung des Lastkraftwagens für eine ganze Anzahl von Transportbeziehungen sowohl im Nahverkehr als auch im Fernverkehr. Ich sehe die große wirtschaftliche und kulturelle Bedeutung des Omnibuswesens, durch das das flache Land ganz anders erschlossen wird, als es mit der Eisenbahn möglich ist, weil die Kosten für die Neuanlegung von Eisenbahnstrecken in jedes Dorf zu groß werden würden. Es ist erfreulich, daß mit dem Omnibus auch die Landarbeiter und die Bauern der entfernten Dörfer zu Einkäufen in die Stadt fahren und am kulturellen Leben des Volkes teilnehmen können. Aber eines sehe ich auch, ich sehe eine gute, eine bedeutsame Zukunft der deutschen Eisenbahn im Rahmen der deutschen Volkswirtschaft und für das deutsche Volk. Generationen haben daran gearbeitet, das Filigranwerk der stählernen Wege in Deutschland zu bauen. Milliarden und aber Milliarden sind in dieses riesige Werk hineingesteckt worden. Es wäre töricht. wenn man nicht alles aufbringen wollte, um diese Milliarden fortlaufend nutzbar zu machen, um damit wirklich echte wirtschaftliche Erfolge zu erzielen.
In diesem Zusammenhang interessiert die Feststellung des Haushaltsplanes des Bundesverkehrsministeriums, daß das Hauptprüfungsamt der Deutschen Bundesbahn in seinem Bericht vom 27. Oktober 1950 in einer eingehenden Berechnung nachgewiesen hat. daß bei der heutigen Gleiserneuerung die Gleise 322 Jahre liegen müssen, während sie bei normaler Erneuerung von 71/2 % etwa 13 bis 14 Jahre liegen.
Das ist ein Beweis dafür, wie notwendig Kreditgewährung für die Bundesbahn ist, damit diesem Betriebsunsicherheitsfaktor größten Ausmaßes ein Ende gesetzt werden kann.
Hier also besteht echter Nachholebedarf. Wer die Dinge kennt, weiß, daß die hierfür erforderlichen Aufträge für die Eisen-, Stahl-, Kleineisen- und Schotterindustrie Leben und Arbeitsbeschaffung
bedeuten würden. Also noch einmal: Hier sind Kredite in höchstem Ausmaße erforderlich.
Nun gestatten Sie mir noch einige kritische Bemerkungen.
Herr Kollege Rademacher ist nicht mehr anwesend. Er hat in zarten Worten etwas angedeutet, was mich verpflichtet, folgendes auszusprechen. Wenn wir den jüngsten Verkehrsträger, die Luftfahrt, wieder in unser Verkehrssystem eingliedern wollen, dann — so sagte Herr Kollege Rademacher — muß optisch gesehen feinste psychologische Tastbarkeit, möchte ich sagen, an den Tag gelegt werden. Ich habe eine Pressemeldung gelesen, die überschrieben war: „General mit Blutorden berät Minister Seebohm". Ich war, das sage ich offen, entsetzt.
— Ja. Das geschieht nicht leicht, aber da war es der Fall. Lassen Sie mich hierzu folgendes sagen. Ich war Vorsitzender des Hauptausschusses zur Entnazifizierung der Hauptverwaltung des Verkehrs. Ich habe einige tausend Personalakten durchstudiert und mußte einige hundert Personen vernehmen. Ich will Ihnen nichts über meine Vergangenheit erzählen. Aber als Vorsitzender dieses Hauptausschusses habe ich mich nur von einem Gesichtspunkt leiten lassen - das mögen alle die Herren bestätigen, die ihren Persilschein mit meinem Namen unterzeichnet in der Tasche tragen —: ich habe Gerechtigkeit walten lassen.
Dabei mag einer mal unterlaufen sein. Dafür stehen wir Sozialdemokraten gerade. Ich weiß, daß General Kreine in Klasse V eingestuft worden ist, daß er als Fahnenjunker an dem Marsch zur Feldherrnhalle teilgenommen und nachher den Blutorden erhalten hat. Wir haben auch bei unseren Verhandlungen im Hauptausschuß einen solchen Mann vor uns gehabt. Ich habe den Mann gefragt: Warum haben Sie die Annahme dieses Ordens nicht verweigert? Jeder kam uns damit, daß er sagte, er sei gezwungen gewesen, in die NSDAP einzutreten. Das bestreite ich; niemand war gezwungen. Er mußte nur den Mut haben, im Kampf um die Freiheit eventuell seinen Kopf auf das Schaffott des Dritten Reiches zu legen.
Ich bin mit tiefer Sorge erfüllt, daß diese Personalpolitik uns für die Wiedergewinnung des vierten Verkehrsträgers nicht förderlich, sondern hinderlich sein könnte. Ich würde sehr empfehlen, daß der Herr Bundesverkehrsminister in dieser Art seiner Personalpolitik einen Wandel eintreten läßt. Ich glaube, es ist nur zum Besten unseres gesamten Verkehrs.
Ich muß hier noch ein Wort zu der Frage - die ich schon oft habe anschneiden müssen — meiner Westberliner Eisenbahner sagen. Ihr Kampf hat damals die Bewunderung der ganzen Welt erregt.
In diesem Kampf blieben 4000 Eisenbahner auf der Strecke. Ich will Ihnen nicht sagen, was ich als Leiter der zuständigen Gewerkschaft aus Hauptkassenmitteln zur Erhaltung dieser Streikopfer aufgebracht habe; es würde zu bombastisch klingen. Wir haben Leute untergebracht. Es sind noch 1200 übriggeblieben. Die materiellen Forderungen werden in etwa durch die neusten Beschlüsse des Berliner Senats erfüllt. Aber es bleiben immer noch 1200 Menschen besonders zu betreuen. Ich hatte mich an den Herrn Bundeskanzler gewendet. Der Herr Bundeskanzler hatte das Ministerium Kaiser mit der Verfolgung dieser Angelegenheit betraut. Am 29. März 1951 habe ich vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen einen Brief erhalten, den ich mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten hier zur Kenntnis bringen möchte. Es heißt dort:
Die Verhandlungen über die Zurverfügungstellung einer Sonderzuwendung für die noch vorhandenen arbeitslosen Westberliner Eisenbahner haben sich hinausgezögert und müssen nunmehr, nachdem der Herr Bundesminister der Finanzen die Mittel dafür nicht bereitstellen kann, als gescheitert angesehen werden.
Als Grund dafür wird angeführt, daß die Deutsche Bundesbahn noch mehr als 11 000 Beamte und rund 4000 Arbeiter im Bundesgebiet wieder einzugliedern hat. Das sind, soweit ich aus dem Schreiben zu entnehmen glaube, solche Beamte und Arbeiter, die unter das Gesetz nach Art. 131 des Grundgesetzes fallen. Die Gewerkschaft wird nach wie vor dafür Sorge tragen, daß die Leute nicht umkommen. Aber ich darf einmal die Frage aufwerfen, ob eine Regierung, die Menschen, welche für die Freiheit gekämpft haben. im Stich läßt, noch berechtigt ist. das deutsche Volk zum Kampf um Freiheit und Demokratie aufzurufen.
Das ist doch das entscheidende Problem. Ich möchte von dieser Stelle aus dringend darum bitten. daß wir uns einmal überlegen — ich muß erst noch die Konsequenzen durchdenken und durcharbeiten -, ob nicht dieser Rest von 1200 Westberliner Eisenbahnern in das Gesetz zu Art. 131 eingegliedert werden kann.
Das muß endlich mal ein Ende nehmen. und zwar ein mutes; denn sonst sehe ich trübe in die Zukunft und kann nicht mehr glauben, daß das Wort. daß Berlin unser äußerster Vorposten ist und deshalb alles getan werden muß, um die Menschen dort kampflustig und kampffähig zu erhalten, Wahrheit ist.
Und noch ein letztes. Ich habe in letzter Minute gehört. daß die Hauptverwaltung der Bundesbahn ihren Sitz von Offenbach nach Köln verlegen soll.
Ich möchte bitten, daß man diesen Umzug nicht durchführt. Die rund 650 bei der Hauptverwaltung der Bundesbahn Beschäftigten haben mich dringend ersucht, dafür einzutreten, daß sie von einem nochmaligen Wohnungswechsel verschont bleiben, und zwar im Interesse ihrer Familien, im Interesse der nun schon zum dritten oder zum vierten Male zur Umschulung verurteilten Kinder und im Interesse der Erhaltung der Arbeitsfreude der in dieser Behörde beschäftigten Menschen. ganz abgesehen von den Millionen, die dieser Umzug wieder an Kosten verursachen würde.
Also sowohl aus materiellen als auch aus moralischen Gründen möchte ich das dringende Ersuchen an die Regierung, an den Herrn Bundesverkehrsminister und an das Hohe Haus richten, dafür zu sorgen, daß die Leute an ihrem Arbeitsplatz in Offenbach bleiben. Ich erlaube mir deshalb zum
Schluß, dem Hohen Hause folgenden Antrag zu unterbreiten:
Der Sitz der Hauptverwaltung der Deutschen
Bundesbahn bleibt Offenbach am Main.
Ich bitte Sie, diesem Antrage Ihre Zustimmung
zu gehen.
Ich möchte meine Ausführungen schließen. Ich bin der festen Überzeugung, daß ich — aus der Stimmung des Hauses entnehme ich es — an meine Berliner Kollegen berichten kann, daß deren Wünsche endlich restlos ihre Erfüllung finden.