Rede von
Dr.
Maria
Probst
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, wenn wir dem Kern des Problems der Kriegsopferversorgung und vor allem einer realen Lösung der brennenden Fragen, um die es den Kriegsopfern draußen geht, näherkommen wollen, müssen wir zunächst einmal heraus aus der Vernebelungstaktik, die Herr Kollege Renner mit der Vermischung von Ursache und Wirkung betrieben hat. Aber ich glaube, daß wir auch nicht ohne weiteres den Weg beschreiten können, den Herr Kollege Mende aufgezeigt hat. Wir können eine Änderung des Grundgesetzes nicht in einigen Minuten — so über den Daumen gepeilt — durchziehen. Ich würde darin eine Gefahr für das Staatsganze sehen. Ein solches Problem bedarf ernster Beratungen, und es steht zu erwarten, daß diese Beratungen allzuviel Zeit in Anspruch nehmen würden, als daß man im Augenblick darin d e n Weg sehen könnte, die Schwierigkeiten zu beheben, die sich zur Zeit in der Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes ergeben.
Wir stehen hier vor einer sehr grundsätzlichen Entscheidung. Es handelt sich um die Durchführung des ersten großen Sozialgesetzes der Bundesrepublik. Wir erproben zum erstenmal in der Praxis die Bestimmungen des Grundgesetzes in bezug auf die Handhabung der Sozialgesetze der Bundesrepublik in der Verwaltung.
Aus den Erfahrungen des ersten halben Jahres ergeben sich eine Reihe von Konsequenzen. Ich möchte sie möglichst konkret fassen, um zu Ergebnissen zu kommen, die das Hauptanliegen der Kriegsopfer befriedigen, nämlich eine beschleunigte Durchführung des Gesetzes mit dem Ziele einer möglichst schnellen Besserung der unerträglichen Notlage der Millionen unserer Kriegsopfer.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich muß hier einmal folgendes anklingen lassen, allerdings nur am Rande der Debatte. Der Weg der Rechtsverordnung zur Durchführung unserer Gesetze, also der Erlaß von Durchführungsverordnungen im Wege der Rechtsverordnung ist nach meiner Auffassung irgendwo fragwürdig. Die Durchführung des Gesetzes wird damit aus der Hand des Gesetzgebers genommen. Wir schalten für den Erlaß der Durchführungsverordnungen ein anderes Gremium ein und nehmen damit dem Gesetzgeber die Einwirkung. Darin sehe ich eine große Gefahr. Man sollte den Weg vom Erlaß des Gesetzes zum Erlaß der Durchführungsverordnung möglichst kurz halten und dem Gesetzgeber eine möglichst große Einwirkung belassen.
Ich muß ferner folgendes sagen. Es kommt vor allem darauf an, daß wir in den Paragraphen und Richtlinien nicht nur den Buchstaben des Gesetzes hinausgeben, sondern daß es uns gelingt, auch den Geist des Gesetzes bis in die weitesten Verästelungen der Verwaltung, bis hinunter in die letzten Instanzen, die Versorgungsämter in den Ländern, mit hinauszugeben. Wenn ich hier von dem Geist unseres Gesetzes spreche, so meine ich eben diese Wendung um 180 Grad, die das Versorgungsgesetz vollzogen hat, die Abwendung von der reinen Entschädigung, von der rein mechanischen Abfindung nach versicherungsmathematischen Gesichtspunkten, wie wir sie noch im KBLG, in der Sozialversicherungsdirektive Nr. 27 finden, eine Hinwendung zu einer neuen Auffassung, nämlich zu der Beachtung der Unterhaltspflicht des Staates als einer ethischen Pflicht angesichts der Größe des gebrachten Opfers, und vor allem auch die Forderung nach einer individuellen Betreuung, wie sie der Versorgungspflicht entspricht. Das ist eine
Forderung an die Verwaltung, und sie verlangt einen echt demokratischen Geist des Verwaltungsbeamten, sie verlangt den Dienst am Einzelschicksal in der Achtung vor der Einzelpersönlichkeit.
Wenn wir bei der Durchführung des Gesetzes in den letzten Monaten beklagenswerterweise erleben mußten, daß draußen kollektivistisch, mechanisch, sogar in Akkordlohn heruntergestuft worden ist, so müssen wir feststellen, daß das gegen den Geist des Gesetzes ist. Es ist eine Schicksalsfrage der Bundesrepublik, ob es gelingt, den neuen Geist des Gesetzes in die Verwaltungen in den Ländern bis zur letzten Gemeinde hinunterzutragen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich muß nun an den Herrn Bundesarbeitsminister erneut eine Bitte richten. Diese Angelegenheit hat bereits zu einem Beschluß des Haushaltsausschusses geführt. Es ist also mehr als eine Bitte, es ist bereits ein Beschluß, eine Forderung, nämlich die, daß wir endlich zu einer selbständigen Kriegsopferverwaltung kommen, die von der Sozialversicherung losgelöst und völlig selbständig einem Ministerialdirektor unterstellt ist. Nur einer solchen selbständigen Abteilung kann es gelingen, der Größe dieses sozialen Problems für acht Millionen Menschen — wir müssen ja die Angehörigen hinzurechnen — gerecht zu werden.
Ich muß noch eines sagen. Es wird vor allem darauf ankommen, jeden Kompetenzstreit zwischen Bundesarbeitsministerium und Bundesinnenministerium so rasch wie möglich auszuräumen. Es geht nicht an, daß die Soziale Fürsorge für die Kriegsopfer deshalb nicht zum Anlaufen kommt, weil diese Kompetenzstreitigkeiten bis heute noch nicht behoben sind. Es muß die Frage gestellt werden, wohin die Verwaltung der 21 Millionen DM gegeben wird, die im alten Haushalt noch für die Erziehungsbeihilfen vorgesehen waren. Ich für meine Person muß dafür eintreten, daß die Hauptfürsorgestelle, also die Verwaltung des Innern damit befaßt bleibt. Es muß hier möglichst rasch eine Lösung gefunden werden.
Ein weiteres. Wenn wir an die Länderverwaltungen diese Auflage hinausgeben, müssen wir sie aber auch instand setzen, sie zu erfüllen. Es kommt darauf an, daß wir im Vorgriff auf den Haushalt 1951 möglichst sofort die Mittel bekommen, um die noch vorgesehenen 1800 Stellen in den Ländern besetzen zu können. Wenn wir einen Beamten für einen Fall am Tag rechnen, sind das im halben Jahr rund 250 000 Rentenfälle, die sofort bearbeitet werden können, wenn wir im Vorgriff die Mittel für diese 1800 Stellen erhalten.
Es kommt vor allem auch darauf an — ich befinde mich da im Gegensatz zu unserem verehrten Herrn Kollegen Brese und bedauere, daß hier die Grüne Front aufgespalten werden muß, zu der ich mich sonst durchaus bekenne —, daß wir möglichst bald die Bauten durchführen können, die die unerläßliche Voraussetzung zu einem Funktionieren der Länderverwaltungen, wie wir sie fordern müssen, sind.
Nun, meine Damen und Herren, wir haben in völliger Übereinstimmung mit den Rednern des heutigen Tages gestern schon die Anfrage Nr. 177 an die Bundesregierung gerichtet. Ich darf mit besonderer Genugtuung feststellen, daß die Einheitsfront für unsere Kriegsopfer, von der heute schon einmal die Rede war, sich heute über alle Parteien hinweg nach wie vor fest und unerschüttert dokumentiert hat. Die Forderung, die wir in unserer gestrigen Anfrage folgendermaßen formuliert haben, wird von dem ganzen Hohen Hause getragen:
Wir bitten ferner die Bundesregierung um Auskunft darüber, welche Maßnahmen vorgesehen sind, um auch auf dem Gebiete der Kriegsopferversorgung den Preiserhöhungen Rechnung zu tragen.
Auch das ist ein Anliegen des ganzen Hauses. Es geht nicht an, daß Erhöhungen der Sozialversicherungsrenten oder sonstige Erhöhungen ihre Grenze etwa an den Einkommensgrenzen unseres Gesetzes finden. Das ist undenkbar. Ich möchte deshalb diese Forderung auch von uns aus nochmals mit allem Nachdruck anmelden.
Schließlich muß ich, um dem von dem Herrn Kollegen Mende besonders betonten Anliegen Rechnung zu tragen, auf Art. 84 des Grundgesetzes hinweisen. In diesem Art. 84 ist ein Aufsichtsrecht verankert. Unsere Anfrage Nr. 177 hat den Zweck, die Bundesregierung zu diesem Aufsichtsrecht, ich will nicht sagen, zu ermahnen,
aber doch aufzumuntern, wie der Zwischenruf eben lautete. Wir werden also zur Schulung der Beamten kommen müssen, vor allem auch zur Beratung. Bei der Durchführung des Reichsversorgungsgesetzes hat sich ja diese Beratung von zentraler Stelle aus als sehr nützlich und zweckmäßig erwiesen. Ich darf bemerken, daß der Bundestagsausschuß schon den Wunsch geäußert hat, selbst auf Reisen zu gehen, um draußen bei einem Versorgungsamt alle diese Fragen an Ort und Stelle zu besprechen und zu klären.
Meine Herren und Damen! Ich sehe das Schlußzeichen. Jedenfalls möchte ich bitten, daß sich aus der heutigen Aussprache, die, wie gesagt, eine Einmütigkeit im ganzen Hause gezeigt hat, sehr rasch praktische Konsequenzen ergeben, damit wir unser Gesetz, zu dem sich die Kriegsopfer in den Grundlagen nach wie vor bekennen — es ist nicht mehr als ein Fundament; wir feiern noch kein Richtfest, wie ich immer wieder betone —, so rasch wie nur möglich und so gut wie nur möglich durchführen, und zwar — ich möchte dies als Überschrift über alles setzen —: zugunsten der Kriegsopfer.