Rede von
Kurt
Pohle
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren! Da der Herr Arbeitsminister heute sehr freundlich gesprochen hat, will ich mit einem Wort der Anerkennung nicht zurückhalten. In der anderthalbjährigen Parlamentsperiode, die wir nun hinter uns haben, in der anderthalbjährigen Zusammenarbeit mit seinem Ministerium habe ich wirklich empfunden, daß auf dieses Ministerium das alte Wort etwas abgewandelt zutrifft: „Die Verwaltungsmühlen mahlen langsam."
Ich bin leider heute noch nicht in der Lage, auch den Nachsatz hinzuzusetzen: „mahlen aber trefflich fein." Aber, Herr Bundesarbeitsminister, ich gebe die Hoffnung nicht auf. Ich nehme nicht an, daß man, wie es am Eingang zum Höllentor bei Dante geschrieben steht, sagen muß: „Ihr, die ihr eingeht, laßt alle Hoffnung fahren". Einen Rest von Hoffnung habe ich noch, und ich würde mich glücklich schätzen, wenn ich eines Tages mit vollem Bewußtsein diesen Nachsatz dem Bundesarbeitsministerium gegenüber anwenden könnte.
Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesarbeitsminister hat uns, der Opposition, in diesen eineinhalb Jahren manche Sorge bereitet. Das muß ich offen aussprechen. Er hat sich manchmal in einer Gesellschaft befunden, die uns nicht behagte. Ich denke nur an seine Stellungnahme zu dem Gesetz über die Wiederherstellung der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung.
Herr Bundesarbeitsminister! Wir hätten natürlicherweise erwartet, daß unter Ihrer Leitung, Führung und Beeinflussung daraus nicht ein Mitbestimmungsrecht für die Arbeiter und Versicherten, sondern ein wirkliches Selbstverwaltungsrecht alter Prägung geworden wäre. Darin haben Sie uns sehr enttäuscht.
Wenn ich von Nordrhein-Westfalen höre, in nächster Zeit rechne man damit, daß sich ungefähr 350 neue Krankenkassen allein in Nordrhein-Westfalen auftun werden, so muß ich selbst auf die Gefahr hin, meine geschätzte Kollegin Frau Kalinke
als gewappnete Kriemhild auf den Plan zu rufen,
sagen: gerade auf diesem Gebiet ist soviel Not draußen im Lande vorhanden, daß wir nicht zersplittern und verzetteln, sondern zusammenfassen und gestalten sollten.
Ich habe einmal in einer Ausschußsitzung, Herr Bundesarbeitsminister — ich war damals in diesem Parlament noch jung und unerfahren und habe auch noch einen Glauben gehabt —, der Verwaltung die Frage vorgelegt, wann wir denn damit rechnen dürften, daß uns der Gesetzentwurf zur Neuregelung der kassenärztlichen Verhältnisse vorgelegt würde. Damals ist mir mit dem Brustton der Überzeugung versichert worden: „In zwei Monaten liegt der Gesetzentwurf vor". Darüber sind die Monate vergangen, aus den Monaten ist ein ganzes Jahr geworden, und wir rufen immer noch nach diesem Gesetz. Ich denke an das Fremdrentengesetz. Es wird eine wesentliche Aufgabe des Ministeriums sein, die vorbereitenden Arbeiten auf diesem Gebiet zu beschleunigen und uns den Gesetzentwurf baldigst vorzulegen. Ich denke auch — ich werde ja heute noch eine Gegnerin auf den Plan rufen, die auch hier erscheinen dürfte — an das Gebiet der Angestelltenversicherung und der Invalidenversicherung. Hier wird noch vieles zu tun sein, um die Dinge nicht auseinanderlaufen zu lassen, sondern zusammenzuhalten und zu vereinheitlichen.
Aber das Wichtigste, Herr Bundesarbeitsminister, das, was uns allen am Herzen liegt, ist doch die Neugestaltung der Sozialrenten. Nach allem, was in den letzten Monaten zu diesem Problem gesagt worden ist, widerstrebt es einem, noch ein Wort hinzuzusetzen. Ich darf mich aber darauf berufen, daß selbst in einem Kreise, von dem man das nicht erwarten konnte, nämlich im Kreise der Arbeitgeber ähnliche Äußerungen getan worden sind. Die Zeitschrift „Der Arbeitgeber" schrieb in diesen Wochen, daß die geplante Rentenerhöhung sozial gerechtfertigt sei. Weiter erklärte die Zeitung:
Politisch ist der. einstimmige Beschluß des Bundestages zu begrüßen, weil die Rentenerhöhung
der Gefahr der Verproletarisierung vorbeugt.
Das ist ein durchaus richtiges Wort. Ich denke daran, Herr Bundesarbeitsminister Storch, daß Sie am
1. März 1951 in diesem Hause die Worte sprachen:
„Ich kämpfe seit Wochen mit dem Herrn Bundesfinanzminister darum, daß er mir für den neuen
Etat die Mittel zur Verfügung stellt, um diese
Dinge in ihrer Grundsätzlichkeit regeln zu können". Nun, der kämpfende Bundesarbeitsminister
ist uns immer eine sympathische Erscheinung, vorausgesetzt, daß er auf der richtigen Seite kämpft.
Herr Bundesarbeitsminister, wenn Sie in den Ring
zum Kampf mit dem Herrn Bundesfinanzminister
steigen, dann vergessen Sie nicht ein altes Wort:
„Sei klug wie die Taube und zart wie die Schlange!"
Setzen Sie sich gegenüber dem Herrn Bundesfinanzminister wirklich einmal durch! Ich hoffe, Herr Bundesarbeitsminister, daß Sie nicht resignieren, daß Sie nicht nach Grillparzer sagen: „Der Minister des Äußern kann sich nicht äußern; nach dem Minister der Finanzen muß alles tanzen", sondern daß gerade in der Frage der Erhöhung der Sozialrenten innerhalb der Bundesregierung einmal nach dem Arbeitsminister getanzt wird.
Meine verehrten Damen und Herren! Ich kann
leider gegenüber dem Herrn Bundesarbeitsminister in alter gewerkschaftlicher Kameradschaft mit einem Vorwurf nicht zurückhalten. Als der Herr Abgeordnete Richter bei dieser Debatte einen Zwischenruf machte, erwiderte Herr Bundesarbeitsminister Storch: „Ja, dann müssen sie eben durch die Wohlfahrtsämter so lange noch zusätzlich betreut werden; daran kommen wir nicht vorbei, Herr Kollege Richter". Herr Bundesarbeitsminister, denken Sie einmal an die Zeit zurück, als wir uns noch nicht auf unser seliges Ende vorbereiteten, als wir noch jung und hübsch waren und als wir mit diesen alten Leuten zusammen an der Hobelbank, am Webstuhl, am Schraubstock standen und von diesen alten Kollegen unsere ersten sozialen und arbeitsrechtlichen Impulse bekamen! Es bäumt sich doch alles in uns dagegen auf, diese Leute zusätzlich vom Wohlfahrtsamt betreuen zu lassen, gerade weil wir von diesen Leuten immer etwas vom Recht gehört haben. Und, Herr Bundesarbeitsminister, wenn in den letzten Tagen hier soviel von Tapferkeit und Ehre gesprochen worden ist, denken Sie einmal an das tapfere, ehrenhafte Leben dieser alten Leute! Wir dürfen ihnen unsere Anerkennung nicht versagen.
Wir wollen sie unter keinen Umständen zum Wohlfahrtsamt schicken, weil wir nämlich von den alten Leuten gelernt haben, wie man die Sozialversicherten betreuen muß. Diese Leute haben sich mit allen Mitteln dagegen gewehrt, wenn irgendeiner versuchte, die Sozialversicherung auszunutzen. Es ist unmöglich, diese Leute heute nicht zu ihrem Recht kommen zu lassen. Hier müssen wir den Weg des Rechts finden und gehen.
Meine sehr geschätzte Frau Abgeordnete Kalinke, ich bin wirklich glücklich, mich in dieser Debatte zum zweitenmal auf Ihre werte Persönlichkeit berufen zu dürfen. Sie haben am 1. März in der Debatte gesagt: „Ich kann in wenigen Worten sagen, daß die Indexzahlen, die heute verbreitet sind, in keiner Weise für die Rentner angewandt werden können und daß die Kaufkraft der Sozialrenten um mehr als die Hälfte geringer geworden ist". Frau Abgeordnete Kalinke, ich glaube, Sie stehen noch zu Ihrem Wort: „um mehr als die Hälfte geringer geworden ist". Seit diesem Tag sind wieder fünf Wochen vergangen. Wissen Sie, was das für diese Menschen bedeutet, dieses ewige Warten, dieses Harren und dieses Sich-so-vergessen-Fühlen, was dann zur Verbitterung führt?
Weil wir im Interesse dieses Personenkreises nicht länger warten können, unterbreitet Ihnen die Fraktion der SPD einen Antrag, der als Vorschußleistungen auf geplante Teuerungszulagen für Rentenempfänger je Monat 15 DM, für Witwen- und Witwer-Rentenempfänger je Monat 12 DM und für Waisenrentenempfänger je Monat 6 DM vorsieht. Ich glaube, wir sollten darüber nicht lange reden, sondern sollten hierüber beschließen und handeln. Herr Bundesarbeitsminister, wenn Sie hier wieder hintreten und sich auf den Finanzminister berufen, — ich habe einmal erlebt, daß der Herr Finanzminister auch sehr schnell arbeiten und handeln kann. Als ich nach der Benzinpreiserhöhung mit meiner Benzinkanne zur nächsten Tankstelle lief, da ist der Herr Finanzminister mit seinem Gesetz schon dagewesen, und ich bekam kein billiges Benzin mehr.
Ich hoffe, daß der Herr Bundesfinanzminister das
Tempo, das er hier auf dem Gebiet der Einnahmen
entfaltet hat, auch einmal in der Versorgung der Sozialrentner vorlegt.
Wenn wir in diesem Sinne an die Gestaltung der Dinge herangehen, dann, hoffe ich, wird die Bitterkeit von diesen alten, in Ehren grau gewordenen Leuten abfallen, und sie werden das Gefühl haben, daß sie vom Parlament aus gesehen nicht als letzte in der Schlange der zu Betreuenden stehen.