Rede von
Franz
Höhne
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren! Wir haben uns mit diesem Problem schon so oft beschäftigt, daß man glauben möchte, die Bundesregierung würde es nun endlich einmal von sich aus aufgreifen, ohne daß erst die Abgeordneten dieses Hauses dazu Stellung nehmen. Im Antrag Drucksache Nr. 2078 steht, daß der Bundestag bereits am 18. Januar 1950 einstimmig beschlossen hat, diese Notstandsgebiete besonders zu beachten. Die Bundesregierung hat bis heute in dieser Hinsicht nichts getan. Zum Beweis führe ich an, daß verschiedene Anträge, die dieses Haus mit großer Mehrheit angenommen hat, ob es sich nun um den Straßenbau oder den Bahnbau oder um sonstige Projekte handelte, bisher sämtlich dem Papierkorb überantwortet worden sind. Dagegen müssen wir alle, meine sehr verehrten Damen und Herren, protestieren; denn. Beschlüsse sind nicht dazu da, nicht ausgeführt zu werden, sondern sie werden gefaßt, um der Bevölkerung draußen das zu geben, was ihr zusteht.
Wir leben von Passau bis Hof in einem Notstandsgebiet. Haben Sie denn, meine Damen und Herren, und Sie, meine Herren von der Regierung, eine Ahnung, was es heißt, in diesem Gebiet leben zu müssen, von Passau bis Hof eine Brustwehr gegen
die östliche Infiltration aufzubauen, die sich bisher nur auf die geistigen Kalorien beschränkt hat? Es wird uns Abgeordneten in der Zukunft nicht mehr möglich sein, den Unwillen der Bevölkerung aufzuhalten. Wir haben unser Möglichstes getan und hoffen nunmehr, daß die Regierung ihrerseits unser heftiges Bemühen, der Demokratie durch nachhaltige Hilfe einen Schutz angedeihen zu lassen, unterstützt.
Welches Ausmaß von Not in kultureller, wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht herrscht, ist hier sattsam erörtert worden, und ich habe den Eindruck, daß dieses so wichtige Problem nicht in dem Maße gewürdigt wird, wie es sein müßte. Wir haben uns wirklich aufgeschlossen dem Problem Berlin hingegeben und haben erkannt, daß Berlin für Deutschland das Sinnbild des demokratischen Lebens darstellt.
Meine Damen und Herren, ich möchte Sie dringendst bitten, sich einmal mit den Grenzschwierigkeiten zu beschäftigen, die Notstände dort zu berücksichtigen und daraus zu schließen, in welch weitem Maße dort große politische Gefahren drohen. Hier nützen keine Deklamationen mehr. Sie wissen: vom Osten her ist der Generalangriff gegen unser Bundesgebiet politisch eröffnet worden,
und die ersten Gebiete, die davon betroffen sind, die all die Schwierigkeiten aufzufangen haben, sind doch die Grenzgebiete. Ich möchte den Status des Notstandsgebiets nicht näher erörtern. Wir sind eigentlich weniger Notstandsgebiet als vielmehr gefährdetes Grenzlandgebiet mit allen wirtschaftlichen und soziologischen Folgen,
und zwar infolge der Totwinkellage, infolge der unglücklichen Grenzziehung, die nach dem Kriege erfolgt ist.
Das Beispiel, das ich Ihnen nun geben möchte — und sagen Sie mir nicht, es sei ein extremes —, ist ein Musterbeispiel für das durchschnittliche Ausmaß der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Not dieses Gebietes. So gibt es in einem Kreis, im Kreise Neunburg vorm Wald — ich wiederhole: das ist kein Sonderbeispiel, sondern dieses Beispiel gibt einen Querschnitt durch die allgemeine Lage —, keine Gewerbeschulen, keine Turnhallen, kein öffentliches Bad, keine Bibliothek, keine Jugendherberge. Eine Rundfrage in den Schulen hat ergeben, daß von 2460 Kindern nur 1492, also etwa die Hälfte, ein eigenes Bett haben; 750 Kinder schlafen zu zweit, 333 mit Erwachsenen. 2456 Kinder haben kein Bad im Hause, 1310 keine Wasserleitung, 1324 keine Zahnbürste, 742 haben nur 1 Paar Schuhe, 368 Kinder sind noch nie mit der Bahn gefahren. Daraus mögen Sie ersehen, welch schreckliche Not dort herrscht.
Wir möchten Sie nicht allein deshalb bitten, die Verwirklichung der beiden Anträge nun doch in sichtbarere Nähe zu rücken, als dies bisher geschehen ist, um dieser Not Einhalt zu gebieten, sondern vor allem, um unserem dortigen so tapferen und demokratisch widerstandsfähigen Volke wieder Boden unter den Füßen zu geben. Wir sind für die Überweisung der Anträge Drucksachen Nrn. 2078 und 2069 an den Haushaltsausschuß und bitten darum, daß das Wirtschafts- und das Arbeitsministerium das schon seit langem
geforderte Arbeitsbeschaffungsprogramm für die Notstandsgebiete uns in der nächsten Zeit vorzulegen.