Ich bin in fünf Minuten fertig.
Vor einigen Tagen ist hier von dem Vertreter einer Partei, die in Bayern dominiert, gesagt worden, daß in Bayern bisher kein Minister eine Wahlkundgebung verboten habe. Ich habe hier eine Mitteilung unserer Partei aus Kiel.
— Kiel! Das kennen Sie ja. Da kommen die Kieler Sprotten her, wenn Sie das nicht wissen sollten.
— Wenn Sie zu denken anfangen, wird es gefährlich!
Ich habe da die Abschrift eines Briefes des sozialdemokratischen Oberbürgermeisters der Stadt Kiel als Leiter des Ordnungsamts vom 10. April dieses Jahres, also von gestern. Dieser Brief enthält eine Ordnungsverfügung. Es heißt darin — ich muß ihn ja wohl vorlesen —: Auf Grund des Erlasses der Landesregierung Schleswig-Holstein — der Landesminister des Innern von Sowieso und Sowieso und demzufolge auf Grund der §§ 11 und 14 des Polizeiverwaltungsgesetzes und des § 1 usw. — es kommt eine ganze Reihe von Gesetzen — wird die von Ihnen für Sonnabend, den 14.4., 18 Uhr auf dem Rathausplatz in Kiel vorgesehene Kundgebung verboten. Die Kundgebung kennzeichnet sich insbesondere dadurch als leine gegen den Bestand der demokratischen Grundordnung gerichtete, daß sie schon in der Ankündigung in besonders hervorgehobener und damit ,aufreizender Form als eine solche angezeigt ist, in der über Krieg gesprochen werden sollte.
— Ich lese das nur vor, ich bin ja für das schlechte Deutsch nicht verantwortlich. Es heißt dann weiter: Aus dieser Ankündigung ergibt sich im Zusammenhang mit den weiteren Ankündigungen, daß auf dieser Kundgebung unter freiem Himmel eine gegen den Bestand der demokratischen Grundordnung gerichtete und damit nach dem Grundgesetz verbotene Tätigkeit entfaltet werden soll, die eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt. Die Kundgebung ist demgemäß auf Grund der oben genannten Bestimmungen zu verbieten.
— Einspruchszeit ist angegeben. Es heißt weiter: Einer eventuellen Beschwerde wird auf Grund des § 51 der Militärregierungsverordnung Nr. 165 die aufschiebende Wirkung versagt. — Also da ist alles drin, sogar die Bezugnahme auf eine noch geltende Anordnung der Militärregierung.
Was liegt nun diesem Verbot zugrunde? — Ein Plakat, auf das man sich ausdrücklich bezogen hat. In diesem Plakat heißt es: Steigende Preise, sinkende Lebenshaltung, Remilitarisierung — Krieg. Darüber spricht ... An dieser Stelle wird der Redner genannt.
— Ein Bundestagsabgeordneter: Herr Gundelach! Sie werden lachen!
— Was gibt es denn da zu lachen?
Sind Sie der Meinung, — —
— Auf wessen Befehl?
Soll ich aus Ihrem Lachen schließen, daß Sie der Meinung sind, daß ein Bundestagsabgeordneter nicht in einem Wahlkampf in irgendeinem Lande auftreten darf?
Dann heißt es:
Kämpft mit der KPD gegen die Wiederaufrüstung, für den Friedensvertrag noch im Jahre 1951, für den Abzug der Besatzungstruppen, für Einheit und Freiheit unseres Vaterlandes.
— Demonstrieren Sie nicht allzusehr Ihre schlechte Konzeption von der Demokratie! Dieses Plakat hat die Kieler Polizei, den Kieler Oberbürgermeister veranlaßt, diese Wahlkundgebung mit der Begründung zu verbieten: die öffentliche Sicherheit und Ordnung ist gestört.
So weit sind wir heute! Jeder Polizeiinspektor gefällt sich in der Rolle eines Auslegers des Grundgesetzes.
Er maßt sich Rechte an aus dem von Ihnen geschaffenen Grundgesetz, das Sie doch so hoch und heilig halten. Er maßt sich das Recht an, das nach Ihrem Willen, nach Ihrer Deklaration zum mindesten der Bundesverfassungsgerichtshof allein haben sollte. Sehen Sie nicht die Parallele: hier der Minister, der in öffentlicher Versammlung als Parteimann oder in amtlicher Eigenschaft als Minister ohne jede Hemmung unter Bruch der Verfassung
Anordnungen durchführt, die er mit der Behauptung begründet, die Organisation, gegen die sie sich richten, sei „verfassungswidrig", der Minister, der es nicht mehr notwendig hat, seine eigene Verfassung zu beachten, der es nicht mehr notwendig hat, ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtshofes einzuholen, und ein Polizeiinspektor, der sich dieselben Funktionen wie Richter ides Bundesverfassungsgerichts anmaßt.
Das ist Ihre Auffassung von Demokratie.
Genau so ungehemmt, meine Herren, wie die Hetze gegen unsere Partei und gegen die Organisationen, die sich für den Frieden und die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands einsetzen, betrieben werden kann, entwickelt sich unter den Augen dieser Polizei in den Kreisen, in den Ländern und im Bund jeden Tag stärker sichtbar ein Antisemitismus, der zu solchen Folgerungen führt. Sehen Sie sich diese Photos an! Da ist das Ehrenmal der jüdischen Gemeinde in Essen. Unter diesem Holzkasten versteckt sich das Ehrenmal. Dieser Holzkasten ist als Protest dagegen angebracht worden, daß es weder der Stadtverwaltung noch der Polizei der Stadt Essen möglich war, zu verhüten,
daß zum dritten Male der Davidstern, der auf diesem Ehrenmal angebracht worden ist, entfernt, gestohlen, von faschistischen Elementen geraubt wurde, ohne daß es möglich war, diese Schändung irgendwie aufzuhalten.
— Wollen Sie mir erzählen, daß es Metalldiebe gewesen sind?
— Werden Sie doch nicht zu flach! Verraten Sie doch nicht zu sehr den Geist, der sich in Ihrem berühmten und berüchtigten Hannoverschen Büro austobt!
Das ist ein schandbares Zeichen der Zeit, das ist
ein Beweis dafür, was in diesem „Deutschland der
Demokratie" möglich ist, das angeblich mit seiner
hitlerfaschistischen Vergangenheit gebrochen hat.
— Sie haben nachher die Möglichkeit, hier heraufzukommen und mich zu desavouieren.
Ich komme zum Schluß. Wer bedroht die Sicherheit dieses Landes, und wer bedroht die Sicherheit, die Ruhe und den Frieden des schaffenden Volkes in diesem Lande?
Die Organe, die Verwaltungen, die Minister, die Parteien, die für derartiges verantwortlich sind!
Je näher wir an den Krieg herankommen, desto systematischer muß die Hetze gegen unsere Partei und gegen alle anderen Organisationen getrieben und gesteigert werden, die genau wie wir für die Erhaltung des Friedens kämpfen, gegen die Kriegsgefahr kampfen, gegen die Remilitarisierung kampfen. Das gehört dazu; das eine ist die Folge des anderen. Zu Ihren Kriegsplänen kommen Ihre verscharften Attacken gegen, uns und gegen den Fortschritt. Darum müssen Sie, auch Sie, meine Herren von der SPD, diese Maßnahmen verteidigen.
Da dieser Minister für diese Situation in Westdeutschland verantwortlich ist und da er für den Geist seiner Organe verantwortlich ist, für die politische Vergangenheit der Beamten in den leitenden Positionen seines Ministeriums verantwortlich ist, lehnen wir diesen Haushalt des Bundesministeriums des Innern mit besonderer Klarheit und Eindringlichkeit ab. Um Ihnen Gelegenheit zu geben, zu beweisen, wie ernst es Ihnen mit Ihrer Kritik, die doch eine Kritik war — oder sollte es nur ein Gerede gewesen sein? — an den Mißstanden in diesem Ministerium ist, haben wir diesen Antrag eingebracht, das Gehalt des Bundesinnenministers zu streichen.
Ich unterstelle Ihnen nicht, daß Sie für diesen Antrag stimmen.
Ich bin mir darüber klar, daß der Innenminister
nicht nur von Gnaden Adenauers, sondern auch
von Gnaden Ihrer Parteien und Fraktionen dort sitzt, wo er sitzt. Ich verlange also von Ihnen nicht etwas, was Ihnen einfach unmöglich ist. Aber ich gebe den Fraktionen, die doch vielleicht gewillt sind, aus den Mißständen, die gerade in diesem Ministerium besonders eindringlich zutage treten, die einzige nach dem Grundgesetz mögliche Konsequenz zu ziehen, Gelegenheit, für unser Mißtrauen gegen den Minister und sein Ministerium zu stimmen, das wir dadurch zum Ausdruck bringen, daß wir ihm sein Dienstgehalt ablehnen.