Auch das ist gelegentlich mal nötig!
Wie gesagt, ich kenne ihn ja. Ich habe ein außerordentlich gutes Gedächtnis, und in dem, was ich in meinem Leben erfahren habe, ist kein Riß eingetreten, so daß ich also diesen Herrn Lehr von dem Tag an beurteile, an dem ich ihn kennengelernt habe, bis zu dem Zeitpunkt, in dem wir, er und ich, uns im Augenblick befinden. Und da bin ich etwas anderer Auffassung als der, daß bei ihm, wenn man ihn kratzt, der „alte Kommunalpolitiker" zum Vorschein kommt. Ich weiß, was hinter der demokratischen Maske steckt, die er heute aufgesetzt hat.
Ich weiß auch, wie die demokratische Rolle zu werten ist, die er heute mit Virtuosität gespielt hat. Hinter all dem steckt der alte, der eingefleischte Reaktionär,
der Mann, dessen gesellschaftliche und soziale Grundhaltung die eines ausgesprochenen Herrenmenschen ist,
ein Mann, der durch seine ganze politische und menschliche Vergangenheit bewiesen hat, daß er kein Freund des kleinen Mannes, daß er ein Feind der Arbeiterklasse ist.
Und wenn bei der Sozialdemokratie noch der eine oder andere vorhanden wäre, der auch noch etwas aus der alten Geschichte des Herrn Lehr behalten hätte, — —
— Ganz recht, aber die Angriffe, die heute abend von dieser Stelle aus als Fanfare begonnen und als süßliche Schamade geendet haben, haben nicht bewiesen, daß die SPD sich an seine Vergangenheit erinnert. Aber wenn hier einer wäre, der ihn aus seiner Düsseldorfer Oberbürgermeisterzeit beurteilen könnte, der z. B. weiß, welche Rolle er noch in den Tagen des November 1918 gespielt hat, wo er Dezernent der Polizei war, der wüßte, wie Ihre Fraktion in Düsseldorf 1932 reagiert hat, als Herr Lehr dem Adolf Hitler, dessen Partei damals so pleite war, daß ihre großen Führer nicht einmal in der Lage waren, für ihre Angestellten die Beiträge zu den Krankenkassen zu bezahlen, wenn Sie sich erinnerten, wie damals mit vollem Recht in Ihrer Fraktion in der Stadtverordnetenversammlung die Haltung aufs schärfste verurteilt wurde, die er anläßlich dieses Besuches oder, besser gesagt, anläßlich der durch ihn herbeigeführten Einführung Hitlers gespielt hat, — -
— Sollen wir die Stadtverordnetenberichte aus der
damaligen Zeit herausholen?
Daß Sie sagen: „das ist nicht wahr", das beweist nur eins: mit welcher Kühnheit Sie hier den Versuch machen, Ihre Vergangenheit zu vertuschen, um kein härteres Wort zu gebrauchen. Mein lieber Herr Lehr, mir machen Sie nichts vor!
Schlagen Sie, meine Herren von der Sozialdemokratie, einmal Ihre Zeitungen aus der damaligen Zeit nach!
— Versuchen Sie doch einmal, etwas geistreichere Zwischenrufe zu machen! Ich gehe sehr gern auf geistreiche Zwischenrufe ein.
— Ich habe mich so rechtzeitig zum Wort gemeldet, daß ich meiner Berechnung nach früher drankommen mußte.
Als ich von der Berufung des Herrn Lehr zum Innenminister erfuhr, weit von hier, durch den Rundfunk,
— wenn ich damals hier gewesen wäre, hätte ich es damals schon in aller Deutlichkeit gesagt; so kann ich es erst heute mit der wünschenswerten Deutlichkeit sagen —, da habe ich mir natürlich auch über diese Berufung meine Gedanken gemacht.
— Sind zollfrei, richtig! — Ich habe mir die Frage vorgelegt: Was hat denn das zu bedeuten, daß der Herr Adenauer diesen Herrn Lehr zum Innenminister macht? Nun will ich nicht indiskret sein. Ich will nicht Urteile wiederholen, die Herr Konrad Adenauer — —
— Sitzen Sie schon wieder in der ersten Reihe?
— Bleiben Sie auf Ihrem Platz!
— Das ärgert mich nicht; aber das ist ein sehr gefährlicher Platz für Provokateure hier in der ersten Reihe!
Ich habe mir damals gedacht: Wie ist es möglich, daß der Herr Adenauer, der sich doch bei Gelegenheit manchmal ganz offenherzig darüber geäußert hat, wie er den Herrn Lehr beurteilt, diesen Mann zum Innenminister machen konnte?
— Nein, nein! Ach, der alte Konrad, der kennt seine Menschen schon und setzt sie richtig ein!
Überlassen Sie ihm das Urteil schon. Das bringt er schon fertig, einen richtig einzuschätzen. Ich habe mir aber etwas anderes gedacht, und ich glaube, damit komme ich der Wahrheit nahe.
Ich habe mir gedacht: Wieweit muß es doch in diesem westdeutschen Stätchen gekommen sein, wenn man mit der Aufgabe, die ein Innenminister durchzuführen hat, einen Herrn Lehr betraut. Und ich bin dann zu dem Schluß gekommen, daß die Zeit für Herrn Adenauer gekommen ist, wo er einen Mann einsetzen muß, der ohne jede Hemmung die Pläne eines Adenauer durchführt.
— Ja, sicher verlangt ihr das von ihm! Ihr seid ja schließlich Geist vom Geist des Herrn Adenauer!
Auf das, was der Herr Adenauer, wie sich jetzt offensichtlich herausstellt, mit Ihrer Zustimmung plant, darauf komme ich am Schluß meiner Ausführungen zu sprechen.
Ich will mich heute abend nur mit zwei Maßnahmen dieser Regierung Adenauer beschäftigen, für die eigentlich der Herr Bundesinnenminister als Wahrer und Hüter der Verfassung zuständig ist. Ich habe diese Absicht vorhin schon angedeutet. Ich beschäftige mich zuerst mit dem Erlaß der Bundesregierung vom 20. September 1950, durch den es den Beamten verboten wurde, Parteien und Organisationen zu unterstützen, die nach Ansicht des Herrn Adenauer als „verfassungswidrig" anzusprechen sind.
— 5. Kolonne? — 5. Kolonne: das waren einmal in Frankreich und im übrigen Ausland die Agenten Hitlers,
und von diesen führenden Leuten, die damals diese Agenten machten — gucken Sie sich mal in seinem Ministerium und im Justizministerium etwas um! —, ist so mancher hier wieder aufgetaucht. Der Herr Sprecher der Sozialdemokraten hat ja einige Namen genannt; ich kann auch noch mit einigen Namen dienen, falls es gewünscht wird.
Was enthielt nun dieser damalige Erlaß? Dieser Erlaß, für den der Herr Dr. Heinemann als Bundesinnenminister noch zeichnete, — —
— Haben Sie ihm das so furchtbar übelgenommen?
— Das ist er auch heute noch, die Privatpersönlichkeit Heinemann.
. - Er besitzt meine freundschaftliche Hochachtung als Person; den Politiker Heinemann lehne ich ab. Ebenso lehne ich es auch ab, zwischen ihm und Herrn Lehr eine Parallele zu ziehen, wie das geschehen ist, denn er ist mir zu schade dazu!
— Was Anstand ist, das haben Sie uns hier zum Teil abgewöhnt; gerade Sie, Herr Köhler!
— Darüber läßt sich streiten, wer hier der Anständigere ist, Sie oder ich. —
Nun, in diesem damaligen Erlaß sind neben unserer Partei eine Reihe von Organisationen als verfassungswidrig angesprochen worden, —
— Was wissen Sie denn, was mit uns verwandt ist?
— Was wissen Sie, was mit uns verwandt ist? Kommt es darauf an, zu klären, was mit uns verwandt ist, oder kommt es darauf an, zu klären, ob die Regierung berechtigt ist, diese Organisationen von sich aus, aus eigenem Willen und politischen Wollen heraus als „verfassungswidrig" abzustempeln? Das ist doch die Streitfrage.
Zu diesen Organisationen, die so charakterisiert und verunglimpft worden sind, gehört neben der Freien Deutschen Jugend die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes. Dabei ist mir auf Grund der Diskussionen und des Charakters der heutigen Polizei eine Reminiszenz aufgetaucht. Die Zugehörigkeit zur VVN — vielleicht könnte sich Ihr Kollege Menzel darüber äußern — ist im Lande Nordrhein-Westfalen lange, lange bevor es diesen Erlaß gab, bereits so beurteilt worden, daß ein Mitglied der VVN nicht Angehöriger unserer, damals noch Kreispolizei genannten Polizei sein durfte.
Es war also der damalige sozialdemokratische Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen, der die Zugehörigkeit zur VVN so gewertet hat.
Weiter zählt zu diesen Organisationen das „Komitee der Kämpfer für den Frieden", das „Komitee der Jungen Friedenskämpfer", die „Nationale Front", die „Vereinigung der Freunde der Sowjetunion",
die „Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion", der „Kulturbund zur Demokratischen Erneuerung", der „Gesamtdeutsche Arbeitskreis für Land- und Forstwirtschaft", die „Sozialdemokratische Aktion", wie es in der Anordnung steht: eine kommunistisch beeinflußte Splittergruppe.
Weiter waren — sozusagen als Feigenblatt für die Regierung — auch die Sozialistische Reichspartei und die sogenannte Schwarze Front, die OttoStrasser-Bewegung, genannt.
— Ihre alte Gesellschaft!
Nun, dieser verfassungswidrige Erlaß lief darauf hinaus, den Beamten, Angestellten und Arbeitern des öffentlichen Dienstes die Zugehörigkeit zu diesen Organisationen zu verbieten,
aber, darüber hinaus, ihnen auch zu verbieten, diese Organisationen in irgendeiner Form zu unterstützen oder die Ideen und Ziele, die von diesen Organisationen verfolgt werden, irgendwie zu propagieren und zu teilen, — ja, sogar zu teilen!
Nun hat diese Verordnung einige Auswirkungen höchst interessanter Art gehabt. Es gab einige Landesregierungen, die auf Grund dieser Verordnung in ihrem Lande prompt gleichlaufende oder weitergehende Maßnahmen durchgeführt haben. Zuerst schaltete sich die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen mit dem CDU-Mann Arnold an der. Spitze ein, dann kam die Regierung von Württemberg-Baden und dann die von Hessen und zuletzt die von Rheinland-Pfalz. Ministerpräsident Altmeier von Rheinland-Pfalz beraumte eine Sondersitzung an, um in seinem Ländchen in dieser Frage nun alles auf einen Nenner zu bringen. Auf der Tagesordnung dieser Sitzung stand die von dem Vorsitzenden des Städteverbandes Oberbürgermeister Dr. Emil Krauß, Frankenthal, geforderte Herausgabe klarer Richtlinien zur Regierungsverordnung von Rheinland-Pfalz vom 27. Februar über die Ausschaltung der
Kommunisten aus 'den öffentlichen Ämtern. Aber außer dieser Frage wurde auf dieser Versammlung auch bezeichnenderweise eine andere Frage gestellt und behandelt, nämlich die, was mit den kommunistischen Fraktionen und Fraktionsvorsitzenden in den Stadt- und Gemeinderäten geschehen solle. Da haben wir also den ersten Versuch, diese Verordnung auszuweiten und die Frage so zu stellen, daß damit ein Verbot unserer Partei herbeigeführt werden könnte. Dr. Krauß stellt laut Bericht der „Neuen Zeitung" vom 10. Oktober 1950 fest, daß in den hohen Verwaltungsstellen in Rheinland-Pfalz Beamte und Angestellte säßen, denen zwar keine Mitgliedschaft zur Kommunistischen Partei nachzuweisen sei, von denen aber dennoch „vermutet" werden könne — laut Zeitung —, daß sie mit der KPD in Verbindung ständen. Das ist also meines Erachtens eine Gesinnungsschnüffelei in höchster Potenz.
Die Haltung der Gemeindevertretungen, der Bürgermeister, Oberbürgermeister, Oberstadtdirektoren, Kreisdirektoren usw. usw. gegenüber diesen Anordnungen von Bundesregierung und Landesregierungen war sehr unterschiedlich. Der Eßlinger Oberbürgermeister Dr. Roser verweigerte die Durchführung des Beschlusses der württemberg-badischen Regierung vom 11. Oktober 1950. Der FDP-Bürgermeister — FDP, nicht S! — Hagen-burger aus Mohringen erklärte, die Verordnung stehe im Gegensatz zur Demokratie und führe zum Gewissenszwang. Düsseldorf nimmt kurzfristige Beurlaubungen auf unbestimmte Zeit vor, ist aber schon Ende November 1950 durch die Stadtverordnetenversammlung gezwungen, diese Beurlaubungen wieder aufzuheben. Essen — mit Zustimmung der CDU- und SPD-Fraktion — führt durch. Dort haben wir den ulkigen Zustand, daß seit diesem Zeitpunkt ein Stadrat, nur weil er Kommunist ist
— seine Qualifikation als Beamter ist nicht auch nur leise angezweifelt worden —, bei vollem Gehalt spazierengeht. Und die Verwaltung und die maßgebenden Parteien haben nicht den Mut oder haben nicht die Absicht, gegen den Stachel des Herrn Arnold zu löcken. In Mülheim-Ruhr, einer Stadt mit einer politischen Zusammensetzung, die Ihnen ja bekannt ist und die sehr einseitig ist, hat man Beurlaubungen und Entlassungen glatt abgelehnt. Dort hat man den städtischen Beamten und Angestellten den Regierungserlaß, den berüchtigten „Schnüffelerlaß" lediglich zur Kenntnis gegeben, und der von der Regierung obligatorisch geforderte Fragebogen wurde- einfach nicht herausgegeben.
— Das ist zur Sache! Ich spreche zu diesem Erlaß und zu seiner Durchführung. Wenn es Ihnen nicht paßt, setzen Sie sich ins Restaurant! Meine Redezeit ist noch nicht erschöpft!
Der Oberbürgermeister Seidel in Kassel von der SPD bezeichnet die Maßnahmen des Bundesinnenministers als undemokratisch und- mit dem Grundgesetz als nicht vereinbar. Stadtverwaltung und Gemeindeverwaltung lehnen die Durchführung ab. In Kirn kommt ein einstimmiger Beschluß des Stadtrates zustande.
— Nein, ich beschwere mich überhaupt nicht.
— Ich freue mich über den Tatbestand, daß es noch Oberbürgermeister Ihrer Richtung gibt neben denen anderer Parteien, die dieselbe Stellung bezogen haben, — unter uns gesagt sogar Oberbürgermeister der FDP,
die in der Beurteilung dieser Verordnung als verfassungswidrig einig gehen.
Diese Auffassung ist ja auch durch so viele Gerichtsurteile bis zu den höchsten Instanzen, ja bis zu dem Verfassungsgerichtshof in Bremen bestätigt worden. Ich will den Beweis dafür liefern, daß die politische und juristische Beurteilung durch die zur Beurteilung dieser Verordnung berufenen Instanzen ausschließlich in der Richtung geht, daß diese Verordnung rechtswidrig und verfassungswidrig ist. Die Gewerkschaften, zum Beispiel der Deutsche Beamtenbund, die Gewerkschaft öffentliche Dienste, Transport und Verkehr usw. usw., die Betriebsräte der Sozialbehörde in Hamburg z. B. und Hunderte und aber Hunderte von Organisationen gewerkschaftlicher Art haben diese Verordnung als rechtswidrig bezeichnet. Die Verwaltung hat aus dieser Auffassung keine Konsequenzen gezogen. Sie besteht nach wie vor und wird, was ich schon besprochen habe, nun neuerlich durch diesen Beschluß ergänzt, die Unternehmer, die Händler und die kleinen Leute, die die genannten Organisationen, die diesmal als „verfassungsfeindlich" angesprochen werden, in irgendeiner Form unterstützen, von der Teilnahme an den öffentlichen Ausschreibungen und an Aufträgen für die öffentliche Hand auszuschalten.
Nun die Folgen dieser Maßnahmen der Landesregierungen. Es sind die Folgen, die wir aus der Vergangenheit nur zu gut kennen. Diese Verordnungen haben zu „Saalabtreibungen" geführt. Diese sind so welt gegangen, daß man die Saalbesitzer — auch die privaten —, die Wirte, direkt bedroht hat, daß man ihnen mit Sperrung ihrer Betriebe gedroht hat.
— Nicht wie „bei uns", sondern wie zu Zeiten eines Carl Severing.
— Entschuldigen Sie, wie zu Zeiten eines Carl Severing. Man hat der Kommunistischen Partei die städtischen Säle, sogar die Schulräume zur Durchführung von Veranstaltungen entzogen. Man hat den kommunistischen Presseorganen die Veröffentlichung der amtlichen Mitteilungen entzogen, — alles keine neuen Dinge, alles Dinge, die wir aus der Weimarer Republik kennen!
Man ist sogar einen Schritt weitergegangen. Man hat den sozialpolitischen Organisationen, die hier genannt worden sind, z. B. der Gemeinschaftshilfe, die im Rahmen des Haushaltsplans vorgesehenen Mittel zur Durchführung öffentlicher Wohlfahrtsaufgaben glatt gesperrt. Man hat aus den Kreissonderhilfeausschüssen die Vertreter der VVN hinausgesetzt. Man hat systematisch eine direkte Terror- und Unterdrückungskampagne gegen die Freie Deutsche Jugend durchgeführt.
Das hat zu solchen skandalösen Vorfällen geführt
wie etwa der Sprengung der Kundgebung der FDJ in Essen-Werden, wo die Landessonderpolizei eingesetzt worden ist, gesunde, kerngesunde, aus-
gewachsene, von Kraft strotzende Polizeibeamte gegen Kinder, Jugendliche, Mädchen, und zwar mit brutalsten Mitteln.
— Richtig! Richtig! Kinder gehören ins Haus! Und wenn sie zu Hause sind und sie sind die Kinder von Wohlfahrtsunterstützungsempfängern, dann gibt ihnen die Gemeinde, in der S i e herrschen, ganze 28 Mark Wohlfahrtsunterstützung pro Monat, nicht wahr? So geht es den Kindern, wenn sie ,brav zu Hause bleiben, in Ihrem Reich.
Heute ist hier festgestellt worden,
wie sich dieser Geist, der in unserer Polizei herrscht, erklärt. Hier ist sogar von dem Sprecher der Sozialdemokratie darauf hingewiesen worden, daß dieser Geist aus der Tatsache resultiert, daß die Leitung dieser Polizeiorgane zum Teil bis zu 80 °/o und darüber hinaus noch durch die leitenden Polizeioffiziere der Nazi-Polizeiorganisationen besetzt ist. Herr Menzel ist leider weg; er würde mir sicher z. B. bestätigen, was ich jetzt sage: daß die sogenannte Entnazifizierung des Polizeiapparates und des Justizapparates bei uns in Nordrhein-Westfalen und in der ganzen britischen Zone erfolgt ist, ohne daß irgendeine deutsche Instanz die Möglichkeit hatte, sich irgendwie einzuschalten. Diese ehemaligen Nazi-Polizeiterroristen sitzen auch heute noch in diesen führenden Funktionen, und sie sind verantwortlich dafür, daß es unter den unteren Beamten bedauerlicherweise Elemente gibt — zum Glück sind es bei weitem nicht alle —,
die sich zu einer Armee der Bürgerkrieges gegen die Arbeiterschaft und vor allen Dingen gegen die Jugend, die für den Frieden kämpft, mißbrauchen lassen.
Wir haben vor kurzem im Zusammenhang mit der Grenzschutzpolizei — wenn ich nicht irre, aus dem Munde des Herrn Kollegen Menzel — einmal erfahren, daß die Polizei nur sehr schlecht mit Munition ausgerüstet sei.
Dieser Mangel ist behoben. Man hat der Polizei sogar etwas Neues in die Hand gedrückt, nämlich einen neuen Schießerlaß. Nach diesem neuen Schießerlaß, den der jetzt zuständige Minister von Nordrhein-Westfalen herausgegeben hat, hat die Polizei in dem Falle, daß sich ein Verhafteter, ein Mann, der sich in Gewahrsam der Polizei befindet, diesem Gewahrsam entzieht, etwa durch Flucht, ohne weiteres das Recht, auf diesen Mann zu schießen. So weit sind wir heute.
— Das steht in dem neuen Schießerlaß. Diesen habe nicht ich, sondern den hat Ihr CDU-Minister gemacht. Ich erinnere aus unserer Vergangenheit an diese Vorfälle, an diese Morde, die uns nachher unter dem Stigma „auf der Flucht erschossen" deklariert worden sind.
Der SPD möchte ich noch eines sagen: (Zuruf des Abg. Blachstein. — Weitere Zurufe von der SPD. — Erneute Zurufe von
der Mitte und rechts.)
Wenn Sie, meine Herren Sozialdemokraten, heute wiederholt erklärt haben, daß Sie bereit sind, sogar die Verfassung zu ändern, um diesem Herrn Minister die Möglichkeit zu geben, entgegen dem im Augenblick bestehenden Grundgesetz eine Bundespolizei aufzubauen, wenn Sie gleichzeitig auf die politische Zusammensetzung der leitenden Organe dieser Polizei hinweisen, für die er ja mit verantwortlich ist, und wenn Sie dann im Anschluß daran die Hoffnung aussprechen, er würde dafür sorgen, daß diese neue zentrale Bundespolizei nicht von diesem Geist getragen sei, dann erinnere ich Sie an eine Tatsache aus der Weimarer Zeit.
Damals wurde auch eine Reichswehr, damals wurde auch eine Polizei aufgebaut. Und was hat man uns gesagt, als sich herausstellte, daß der Einfluß der Arbeiterschaft in dieser Polizei und in dieser Reichswehr gleich Null war?
Da hat man uns gesagt: Die Arbeiter sind selber schuld daran, daß dieser Geist da ist, sie hätten ja in die Reichswehr und in die Polizei hineingehen können. Ich fürchte, daß wir nach einigen vier oder fünf Jahren dieselbe Begründung aus Ihrem Mund hören, wenn es einfach nicht mehr zu verschweigen ist, welcher Geist in dieser Bürgerkriegsarmee vorherrscht.