Rede von
Oskar
Müller
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(KPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (KPD)
Meine Damen und Herren! Schaltet man einmal aus der bisherigen Diskussion die polemischen und zum Teil, wie bei dem Kollegen Dr. Arndt, substantiierten Auseinandersetzungen aus, so schält sich ein Kern heraus, der sowohl in den Ausführungen des Justizministers wie auch in den Ausführungen des Kollegen Dr. Arndt zum Ausdruck gekommen ist, nämlich der Versuch, das Postulat einer unabhängigen Justiz, eines unabhängigen Rechts und einer Rechtspflege aufzustellen. Ich glaube, 'daß diese Absicht nicht von ungefähr kommt. Man muß den Versuch machen, im Volke den Eindruck zu erwecken, als ob
Recht, Rechtspflege und Gesetz unabänderliche Dinge sind, die in den Augen der arbeitenden Bevölkerung, des Volkes draußen, als eine Art Heiligtum hingestellt werden, um damit eine Sicherung, eine Barriere im Volk selbst zu schaffen, also den Versuch zu machen, die bestehenden Machtverhältnisse vor dem Volk zu schützen. Dabei ist doch eines ganz zweifellos Tatsache und kann nicht bestritten werden: daß es ein solches absolutes, abstraktes Recht nicht gibt. Gesetz und Recht — das zeigt die gesamte geschichtliche Entwicklung — sind immer Ausdruck der Klassenverhältnisse, sind immer Beweis für die Machtverhältnisse der jeweils herrschenden Schicht gewesen, gleichgültig, ob in der Epoche des Feudalismus oder des Kapitalismus, und sie haben keine andere Aufgabe als die, die Herrschaft eben der herrschenden Schicht zu schützen.
Meine Damen und Herren! Ich hielt es für notwendig, diese Tatsache nur kurz zu erwähnen, um nun mit einem Beispiel das, was hier festgestellt werden muß, zu untermauern. Ich denke an die Zeit vor 1933; ich denke an die Zeit des Republikschutzgesetzes, in der mit Hilfe jenes Gesetzes und des dadurch geschaffenen sogenannten Rechts so evident bewiesen wurde, daß dieses Recht dem Schutz der damals herrschenden Schicht dienen sollte. Die Kollegen der sozialdemokratischen Fraktion werden sich an Hand eines von einem Sozialdemokraten zusammengestellten Beweismaterials selbst noch davon überzeugen können. Wie dieser feststellte, wurden in der Zeit jenes Gesetzes Delikte ein und derselben Art, wenn es sich um Angehörige der SA oder der SS handelte, von den Gerichten um das Zehnfache geringer bestraft, als wenn es sich um die Strafbemessung gegen Kommunisten, Sozialdemokraten oder Reichsbannerkameraden handelte.
Hier zeigte sich also der ganze Charakter dieses Klassenstaates und der Klassenjustiz. Ich glaube, daß nach 1945 und insbesondere in der letzten Zeit das Vorgeheh der Gerichte gegen junge Menschen, die sich für den Frieden einsetzen,
oder auch gegen Erwachsene im Kampfe um die deutsche Einheit ganz eindeutig wiederum den Charakter der Klassenjustiz zum Ausdruck bringt. Von dieser Ebene aus verstehe ich auch absolut die Haltung des Justizministers, der ja eine besondere Perle in der Krone dieser Bonner Millionärsregierung ist,
verstehe ich auch die Haltung und den Haß dieses Justizministers Dr. Dehler gegenüber der Entwicklung in der Deutschen Demokratischen Republik.
Aber bevor ich darauf zu sprechen komme, noch eine Bemerkung. Die ganzen Ausführungen, die der Justizminister hier gemacht hat, und ebenso auch die Änderungen im Strafrecht, die er vorgeschlagen hat und die dem Hause zur Beratung vorliegen, sind alle, glaube ich, eindeutige Beweise dafür, daß der Herr Justizminister als Mitglied dieses Kabinetts auch auf dem Gebiete des Rechts alle Voraussetzungen schaffen hilft, damit die Politik, die von Washington aus gesteuert wird, hier in Westdeutschland durchgeführt werden -kann, d. h. damit auf dem Gebiete des Rechts die Vorausetzungen geschaffen werden, um die Bewegung und den Kampf des Volkes gegen den Krieg zu unterdrücken.
Eine der entscheidendsten Voraussetzungen im Zuge der Kriegsvorbereitungen war von jeher, das Volk seiner Rechte zu berauben. Dem dienen diese Änderungen, die Dr. Dehler vorgeschlagen hat. Wenn ich aber sagte, daß in seinen Ausführungen der ganze Haß gegenüber der Deutschen Demokratischen Republik zum Ausdruck kam, dann verstehe ich das absolut; denn es ist wohl nicht zu bezweifeln, daß in der Entwicklung der Deutschen Demokratischen Republik die Schicht, die Dr. Dehler hier vertritt, entwurzelt worden ist und dort nicht mehr den Einfluß hat, den sie hier in Westdeutschland noch besitzt, und daß auf Grund der Entwicklung der Deutschen Demokratischen Republik das Recht nicht mehr ein Mittel zum Schutze der früher dort herrschenden Klasse der ostelbischen Junker usw. ist, sondern daß es, ausschließlich dem Volke dient und dort mithilft, daß diese Kräfte, die hier bei uns in Westdeutschland unter dem Schutze dieser Justiz, dieser Gesetze und dieses Rechtes noch an der Macht sind, drüben ihre Funktionen nicht mehr ausüben können.
Das ist die Ursache für den Haß und für die Ausführungen, die Herr Dr. Dehler gegenüber der Entwicklung der Deutschen Demokratischen Republik gemacht hat.
Meine Damen und Herren, ich glaube, daß zu der Gesamtkonzeption der Politik dieser Regierung, zu deren Bestandteilen ja auch die Justiz, die Rechtsprechung, die Rechtsetzung gehören, noch ein Wort hinzugefügt werden muß. Wenn ich vorhin von einer Anzahl von Urteilen sprach und wenn heute sowohl in den Ausführungen des Justizministers wie auch in denen einiger Diskussionsredner von den Richtern gesprochen wurde, dann gehört das, meine Damen und Herren, zu den Bestandteilen der Klassenjustiz. Denn wo kommen die Richter im wesentlichen her? — Sie sind Fleisch vom Fleische und Geist vom Geiste der Schicht, die bei uns in Westdeutschland politisch herrscht. Sie werden in der Regel' infolgedessen nicht nur allein auf Grund der Schaffung der Klassengesetzgebung und der Klassenjustiz, sondern auch auf Grund ihrer eigenen Verbundenheit mit der Schicht, aus der sie herkommen, das Recht sprechen, nämlich das Recht für die Herrschenden und gegen das Volk.
Meine Damen und Herren, ich glaube also, die Frage, die insgesamt beantwortet werden muß, ist, daß draußen in der Bevölkerung darüber völlige Klarheit vorhanden sein muß: Es gibt keine unabhängige Justiz und kein unabhängiges Recht, sondern es ist Klassenjustiz und Klassenrecht, so daß infolgedessen die Änderung der Verhältnisse und damit auch der Rechtsprechung zur Voraussetzung hat, daß eine Entwicklung angebahnt wird, die die Klassenjustiz ausschaltet, damit der Kampf unseres Volkes um den Frieden gesichert wird. Das wird nur möglich sein, wenn wir zu einem einheitlichen und demokratischen Deutschland kommen,