Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Nowack.
Dr. Nowack (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir jetzt zur abschließenden Beratung dieses wesentlichen Gesetzes kommen, so lassen Sie mich dazu noch einige grundsätzliche Bemerkungen vom Standpunkt meiner Fraktion machen.
Die FDP hat von Anfang an bei der Besprechung der rechtlichen Gestaltung dieses Gesetzes immer wieder zum Ausdruck gebracht, daß sie den Art. 131 des Grundgesetzes nur insoweit als konstitutiv aufgefaßt hat, als durch den Verlust des Krieges Verhältnisse eingetreten sind, deren Vorkommen und damit auch Regelung in den bestehenden gesetzlichen Vorschriften für Beamte und Berufssoldaten nicht vorgesehen war. Um nur zwei besonders gewichtige Punkte dieser Art anzuführen: der Wartestandsparagraph des deutschen Beamtengesetzes, der im wesentlichen für die sogenannten politischen Beamten als Ausnahmebestimmung in Frage kommt, konnte nicht auf Zehntausende von Beamten Anwendung finden. Und das Wehrmachtfürsorge- und Versorgungsgesetz sah natürlich keine Lösung vor für den Fall, daß die Wehrmacht
in ihrer Gesamtheit an einem Tage entlassen würde. Insoweit, aber auch nur insoweit mußte also Art. 131 konstitutiv ausgelegt werden. Diese Notwendigkeit brauchte aber nicht zu verhindern, den Art. 131 soweit deklaratorisch aufzufassen, als er auf den bestehenden Gesetzen aufbaute. Diese Gesetze waren und sind für die Beamten, die Berufssoldaten, die Polizei oder die Hochschullehrer verschieden. Diese Verschiedenartigkeit ist keine Erfindung des Nationalsozialismus, sondern im Gegenteil, sie ergibt sich so natürlich aus den Unterschieden in der Tätigkeit dieser Gruppen, daß selbst die dem Nationalsozialismus innewohnende primitive Tendenz zur Gleichmacherei an ihnen nicht vorübergehen konnte.
Diese unsere Auffassung wird noch dadurch gestützt, daß die verschiedenen Gremien des Parlamentarischen Rates bei der Beratung und Ausarbeitung des Art. 131 zweimal einen von dem sozialdemokratischen Abgeordneten Zinn gestellten Antrag, die Rechte des unter diesen Artikel fallenden Personenkreises für erloschen zu erklären — offenbar um damit den Weg für eine rein konstitutive Regelung freizumachen —, abgelehnt haben. Als nun der Regierungsentwurf erschien — man wird sich erinnern, daß das erst der Fall war, nachdem meine Fraktion sich geweigert hatte, sich dem Antrag auf parlamentarische Ferien anzuschließen, bevor nicht der Entwurf in den parlamentarischen Geschäftsgang gebracht war — und als dieser Entwurf nicht unseren Rechtsvorstellungen entsprach, sind wir darangegangen und haben mit dankenswerter Unterstützung von Fachleuten auf den verschiedenen Rechtsgebieten einen Entwurf ausgearbeitet, der unseren rechtlichen Vorstellungen entsprach.
Die Fertigstellung dieses Entwurfs, mit dessen Ausarbeitung bereits während der Ferien des Bundestags begonnen wurde, nahm naturgemäß längere Zeit in Anspruch, da er von völlig anderer rechtlicher Betrachtung bei der Lösung verschiedener Probleme ausging und vollkommen neu erarbeitet werden mußte. Diesen Entwurf haben wir in voller Wahrung der Loyalität und, da wir nicht unserer Partei, sondern dem Recht und der Sache einen Dienst erweisen wollten, vor seiner Einbringung den Vertretern der Koalitionsparteien zur Kenntnis gebracht, mit ihnen besprochen und gemeinsam vor der Öffentlichkeit vertreten.
Um s'o größer war unser Bedauern, als wir bei der Arbeit im Beamtenrechtsausschuß feststellen mußten, daß die Mehrheit des Ausschusses, bewirkt durch Herrn Wuermeling und einen Teil seiner CDU-Kollegen, es ablehnte, den sogenannten Abgeordnetenentwurf zur Grundlage der weiteren Beratungen zu machen.
Damit war das Schicksal dieses Entwurfs, der übrigens der erste Antrag war, der die Zahlung der vollen Pensionen für alle über 65 Jahre Alten vorsah, praktisch besiegelt; denn bei seiner völlig anderen . rechtlichen Konstruktion war die Übertragung von Teilen zur Abänderung des Regierungsentwurfs nicht möglich.
Wir bedauern die Notwendigkeit der Erörterung
dieser Einzelheiten, die hervorgerufen worden ist
durch die leichtfertigen Ausführungen des Herrn
Wuermeling bei der zweiten Beratung dieses Gesetzes.
Er hat damit sich selbst und seinen Freunden keinen guten Dienst erwiesen.
— Leider müssen wir es so sagen, Herr Wuermeling.
Wenn wir nun zur Schlußabstimmung dieses Gesetzes kommen, dann wird meine Fraktion diesem Gesetz ihre Zustimmung geben. Unsere rechtlichen Vorbehalte, wie ich sie hier noch einmal dargelegt habe, bleiben hierdurch unberührt. Wir stimmen dem Gesetz zu, weil es in seiner materiellen Regelung bis an die Grenze der Leistungsfähigkeit des Bundes geht. Mehr als zwei Drittel der Anspruchsberechtigten erhalten ihre vollen Pensionen. Das ist eine Regelung, die bei den Betroffenen zweifellos große Befriedigung auslösen wird und die eine ganz außerordentliche Verbesserung gegenüber der Regierungsvorlage bedeutet.
Gefallen ist weiter die in dem Regierungsentwurf vorgesehene Altersgrenze von 50 Jahren, die alle Jüngeren von dem Empfang des sogenannten Übergangsgehalts ausschließen wollte. Und — um eine weitere wesentliche Verbesserung aufzuführen —das Übergangsgehalt ist jetzt von einer Höhe, die alle vorhergehenden Vorschläge übersteigt. Damit ist eine materielle Regelung getroffen, die dazu führen wird, daß die Beamten zur Wiederverwendung für die Übergangszeit eine vertretbare Besoldung erhalten.
Eine weitere wesentliche Verbesserung und Neuerung stellt die sozialversicherungsrechtliche Regelung dar, die allen denen, die nach diesem Gesetz keine Versorgungsansprüche geltend machen können, die Nachversicherung in der Sozialversicherung sichert.
Diese wichtigen und wertvollen materiellen Bestimmungen des Gesetzes lassen uns nicht nur der Hoffnung, sondern auch der Erwartung Ausdruck geben, daß dieses Gesetz zur Befriedung der Betroffenen beiträgt. Lassen Sie mich gerade zu diesem Thema noch einige Sätze sagen. Die jahrelange Notlage, in der die Personen lebten, die unter dieses Gesetz fallen — eine Not, die nun endlich durch dieses Gesetz gebannt werden soll —, hat zu einer wachsenden Verbitterung dieser Kreise geführt. Diese Menschen, vor allem die Beamten, gewohnt, die Normen des Rechts an den Ablauf des Lebens zu -legen, sahen sich plötzlich und zum größten Teil ohne persönliche Schuld in eine Umgebung versetzt, die nicht bereit schien, ihnen ihr Recht anzuerkennen. Die Verbitterung stieg in den Kreisen, denen ursprünglich durch alliierte Gesetze die Zahlung ihrer Versorgungsgebührnisse gesperrt, später aber freigegeben, jedoch von den Länderregelungen nur zum Teil erfüllt wurde. Meine Damen und Herren, alle diejenigen, die mit diesem Gesetz in Zusammenhang standen und für dieses Gesetz gearbeitet haben, haben im Lauf der letzten Monate aus diesen Kreisen Briefe bekommen, in denen oftmals Formulierungen gestanden haben, die von Diffamierung, von Staatsbürgern zweiter
Klasse und von allen möglichen Entrechtungen sprachen. Es waren nicht immer Formulierungen, die man eigentlich lautlos hätte hinnehmen dürfen. Aber wir haben die Verbitterung dieser Menschen gekannt.
Ich glaube, wenn dieses Gesetz auch noch einen politischen Sinn haben soll, dann muß es doch wohl der sein, daß die Betroffenen heute anerkennen, was ihnen mit diesem Gesetz von der deutschen Volksgesamtheit gegeben wird. Meine Damen und Herren, diese Menschen sind in diese Verbitterung und zum Teil Negation des Staates durch die Notlage gekommen, in der sie sich befunden haben. Diese Verbitterung, diese Negation entsprechen nicht ihrem Charakter als Menschen, dem Charakter ihres Herkommens. Sie entsprechen auch nicht ihrer ganzen staatspolitischen Auffassung. Nur die Not hat sie dorthin getrieben.
Wir hoffen und erwarten, daß die Regelung dieses Gesetzes dazu führt, daß diese Kreise den Weg zu staatsbejahender Arbeit zurückfinden und sich einschließen in den Kreis der Menschen, die bemüht sind, die Not und das Elend, das der Krieg und ein vergangenes System nun einmal über Deutschland heraufbeschworen haben, mit zu beseitigen und Wunden wieder zu heilen.