Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Tatsache, die den Gesetzesauftrag des Art. 131 des Grundgesetzes notwendig machte, ist der Zusammenbruch von 1945 mit seinen nur allzubekannten Auswirkungen. Das hier geregelte Gebiet betrifft einen Teilausschnitt aus dem Chaos des Unrechts und der Ungerechtigkeit, das uns vom sogenannten Dritten Reich als schicksalsgeschlagenen Erben hinterlassen wurde, Erben, meine Damen und Herren, die leben wollen in gerechter sozialer Ordnung, die aber immer wieder erkennen müssen, daß diese Sisyphusarbeit nur Stück fur Stück mit unendlich viel Geduld und mit noch mehr sozialem Gerechtigkeitssinn erfolgreich geleistet werden kann.
Nach dem Kriegsopferversorgungsgesetz vom vergangenen Jahre, nach dem der Wiedererrichtung zerstörter Heime dienenden ersten Wohnungsbaugesetz vom vergangenen Jahr, nach er kürzlichen Erhöhung der Arbeitslosenunterstützungssätze und im Höhepunkt der Ausschußberatungen über das Lastenausgleichsgesetz verabschieden wir dieses Gesetz jetzt zu einem Zeitpunkt, in dem die endgültige Sanierung der Sozialversicherung in Angriff genommen ist und in dem die vom Bundestag eindringlichst geforderte unerläßliche erneute Erhöhung der Sozialrenten unmittelbar bevorsteht. Meine Damen und Herren, ich möchte namens unserer Fraktion in diesem Zusammenhang keinen Zweifel darüber
lassen, daß die ganz kurzfristige Erhöhung der Sozialrenten in dem vollen von uns geforderten Ausmaß für uns eine unabdingbare Voraussetzung für die Verabschiedung dieses Gesetzes ist.
Wir erwarten und fordern vom Herrn Finanzminister und vom Herrn Arbeitsminister, daß diese Voraussetzung einschließlich der Einbringung der erforderlichen Deckungsvorlagen ohne jede Verzögerung erfüllt wird.
Man kann dieses Gesetz nicht ganz losgelöst von allen diesen drängenden Nachkriegsproblemen sehen, und in dieser Verbundenheit mit der Gesamtheit der Nachkriegsprobleme liegt die eigentliche Problematik dieses Gesetzes begründet. Als Mitglied desjenigen Ausschusses dieses Hauses, der sich nun sechs Monate lang unter Einsatz aller Kräfte bemüht hat, dem Personenkreis des Art. 131 nun endlich, endlich sein Recht werden zu lassen, darf ich mit besonderer Betonung darauf hinweisen, daß wir dieses Gesetz nicht ausschließlich unter formalrechtlichen Gesichtspunkten sehen dürfen, sondern daß auch soziale, allgemeinpolitische, beamtenpolitische wie auch technische und nicht zuletzt auch finanzielle Gesichtspunkte für die Betrachtung und Beurteilung maßgebend sein müssen.
Keine Schicht der Bevölkerung kann für sich das Recht in Anspruch nehmen, als einzige ihre Forderungen gegen die staatliche Gemeinschaft hundertprozentig erfüllt zu bekommen, während andere nicht weniger von der Katastrophe des Jahres 1945 betroffene Volkskreise ihre ebenfalls begründeten Rechtsansprüche noch nicht erfüllt sehen oder sich mit Teilleistungen abfinden müssen. Sicherlich weisen die Staatsdiener, also die Behördenbediensteten und die Berufssoldaten mit vollem Recht darauf hin, daß sie als Staatsdiener einen urkundlich begründeten Anspruch auf Erfüllung der Treupflicht auch seitens der staatlichen Gemeinschaft haben und daß selbst im Konkurs des Privatrechts die in einem Betrieb Beschäftigten bezüglich ihrer Lohn- und Gehaltsforderungen bevorrechtet sind. Dieser Gesichtspunkt ist bei den Beratungen des Beamtenrechtsausschusses in einem solchen Ausmaß berücksichtigt worden, daß es für manchen nicht einfach sein wird, andere Volksschichten von der Richtigkeit des Ergebnisses der Beratungen, wie es Ihnen vorliegt, zu überzeugen.
Wir müssen in diesem Zusammenhang ganz eindeutig und klar den Grundsatz herausstellen, daß die Rechtsansprüche jedes Staatsbürgers gegen die staatliche Gemeinschaft ihre natürlichen Grenzen finden an dem nicht weniger berechtigten Anspruch anderer Volksschichten auf das Existenzminimum, das ein menschenwürdiges Leben gewährleistet.
Dieser Satz, meine Damen und Herren, bedeutet in keiner Weise, daß die Ansprüche der Staatsdiener etwa denen der Sozialrentner oder sonstigen Rentenempfänger mehr oder weniger angeglichen werden sollen. Er bedeutet aber, daß die Regelung nach Art. 131 nicht ausschließlich auf die noch so berechtigt erscheinenden Ansprüche des betroffenen Personenkreises gegenüber ihren früheren Anstellungskörperschaften abgestellt werden kann, sondern auch im Blick auf die ungeheure Not breitester Volksschichten bei den Rentenempfängern zu treffen ist.
. Höchstes Prinzip, meine Damen und Herren, ist nicht das' formalistische Recht, sondern das höchste Prinzip ist und bleibt, zumal nach einer Katastrophe, wie sie hinter uns liegt, die Verwirklichung der sozialen Gerechtigkeit im formalen Recht.
Meine Damen und Herren! Wir haben bei der Ausarbeitung des Gesetzes — um das nochmals zu sagen — so weitgehend, ja vielfach so hundertprozentig die Erfüllung der Rechtsansprüche des betroffenen Personenkreises auf den Bund übernommen, daß weite Volksschichten uns dieserhalb angreifen werden. Wir haben aber gehandelt im vollen Bewußtsein unserer Verantwortung gegenüber allen Volksschichten, die ja schließlich alle ein echtes Interesse an der Erhaltung des Rechtsbewußtseins und auch an der Erhaltung der Einrichtung des Berufsbeamtentums haben.
Alle diese Gesichtspunkte, meine Damen und Herren, möge man von beiden Seiten beachten, werten und würdigen. Gewiß können über diesen oder jenen Punkt, der in diesem Gesetz geregelt ist, verschiedene Meinungen bestehen, nach der einen wie nach der andern Seite hin. Man möge im Lande draußen auf allen Seiten immer wieder daran denken, daß leitend für unsere Arbeit die Gesichtspunkte des Rechtes, der sozialen Gerechtigkeit und des Staatswohles gewesen sind. Der Kreis der unter Art. 131 fallenden Personen, dem nun endlich nach langen Jahren der Entrechtung und des bitteren Wartens wieder sein Recht wird, möge die gewaltige Kraftanstrengung unserer zerschlagenen Heimat werten und ihr durch vollen persönlichen Einsatz bei der Wiederherstellung von Recht und Ordnung auch auf anderen Gebieten danken, damit uns durch gemeinsame Arbeit aller Volksschichten eine nochmalige Katastrophe wie die vergangene erspart bleibt.
Die letzte Ursache all unserer gegenwärtigen Not ist begründet in dem Verlassen der Grundsätze demokratischer Ordnung und der für die ganze zivilisierte Menschheit bestehenden sittlich bindenden Gesetze. Möge die Verabschiedung dieses Gesetzes dazu beitragen, daß die Grundlagen der Demokratie, des Rechtes und der sozialen Gerechtigkeit nach allen Seiten in unserem gesamten Volk gestärkt und vor allem auch von denjenigen vertreten werden, für die nun die gewaltige Leistung dieses Gesetzes bewirkt wird. Jetzt soll nach langen, bitteren Jahren der Not und Entrechtung endlich wieder Recht und Gerechtigkeit auch für den unter Art. 131 fallenden Personenkreis gelten. Jetzt ist auch Schluß mit jeder Diffamierung, und gleiche Rechtsgrundsätze für einheimische wie vertriebene Beamte und Berufssoldaten sind gesetzlich sichergestellt. Nun gilt für jeden erst recht die volle Verpflichtung zu letztem persönlichen Einsatz für den weiteren Wiederaufbau unserer Heimat und die volle persönliche Verpflichtung zur Mitarbeit mit allen demokratischen Kräften, die sich — wahrlich im Schweiße ihres Angesichts — in der unendlich schweren, opferreichen Arbeit am Wiederaufbau unseres Vaterlandes verzehren.
In diesem Sinne, meine Damen und Herren, möge dieses Gesetz ein Baustein sein für Recht, Ordnung und sozialen Frieden.