Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß der Bundestag in der Behandlung dieses Mitbestimmungsgesetzes für Kohle und Eisen, ganz gleich, was man sonst über ihn sagen mag, doch eine Bewährungsprobe bestanden hat. Wir können nicht daran vorbeigehen — und wir können auch heute bei der dritten Beratung nicht daran vorbeigehen —, daß wir vor etwa drei Monaten eine sich vorbereitende Streiksituation bei Kohle und Eisen gehabt haben. Diese Streiksituation ist von der Bundesregierung gemeistert worden. Aber für das Parlament lag in der Meisterung dieser Streiksituation eine ganz große Gefahr, nämlich die Gefahr, lediglich zu einem nachträglichen Bestätigungsinstrument für etwas zu werden, was man damals in „Richtlinien" zwischen den auf der einen und auf der anderen Seite Beteiligten festgelegt hatte. Es kam also für dieses Hohe Haus darauf an, darum zu kämpfen, daß seine ausschließliche Zuständigkeit, in Deutschland die Gesetze zu machen, nicht gefährdet und nicht beeinträchtigt wurde. Ich glaube, daß wir sehr gut daran getan haben, all jenen Versuchungen zu widerstehen und ihnen unbedingten Widerstand zu leisten, die darauf hinausgingen, mehr oder weniger überstürzt hier etwas zu legalisieren, was uns mehr oder weniger überstürzt vorgelegt worden war. Ich glaube, daß wir, wenn wir heute, zwei Monate nach der ersten Behandlung der Vorlage in diesem Hohen Hause, auf die in der Zwischenzeit abgelaufene Zeitspanne zurücksehen, mit voller Befriedigung sagen können: Wir haben diese Regierungsvorlage genau so behandelt, wie es unsere Pflicht und unsere Aufgabe gegenüber jeder Regierungsvorlage ist, und wir haben im Ausschuß sowohl wie in den Plenarverhandlungen nichts weiter getan, als in einem durchaus ordnungsgemäßen Verfahren ein ordnungsgemäßes Gesetz zu schaffen.
Aber ich glaube, daß die Rückerinnerung an diesen Tatbestand doch dazu nötigt, von dieser Stelle aus eines ganz klar zum Ausdruck zu bringen. Meine Damen und Herren, es ist sicherlich möglich, außerhalb des Parlaments im Rahmen der Vertragsfreiheit und im Rahmen gesetzlicher Ermächtigungen Vereinbarungen zu treffen, Vereinbarungen zu treffen in jenem Raum der Betätigung, der den Beteiligten freisteht und über den sie nach ihrem Ermessen frei verfügen können. Aber das, was mit Verbindlichkeit für alle festzulegen ist, kann nur hier definitiv beschlossen werden. Ich glaube, wir sollten mit aller Deutlichkeit unterstreichen, daß Vereinbarungen mit Gesetzeskraft, daß Gesetze nicht etwa draußen gemacht werden können, sondern — ganz gleichgültig, wer die Partner sind und wie mächtig sie sein mögen — daß dieses Haus die ausschließliche Zuständigkeit hat.
Wir würden nichts lieber gesehen haben — und wir haben auch jetzt noch die Hoffnung, wenn auch nur ganz entfernt, so doch in etwa —, als daß sich in diesem Hause eine wirklich sehr breite Mehrheit für ein solches Gesetz wie das vorliegende finden möge. Das gilt ganz besonders für unsere Freunde von der FDP. Sie wissen, daß wir uns im Ausschuß die größte Mühe gegeben haben, ein Gesetz zu schaffen, auf das sowohl die einen als auch die andern mit gutem Gewissen blicken könnten, weil wir uns sagten, daß eine so einschneidende und so umwälzende gesetzgeberische Maßnahme nur dann wirklich fruchtbar, von Dauer und von Segen sei, wenn sie tatsächlich von allen Seiten bejaht werden könne. Uns ist es völlig klar, meine Damen und Herren, daß das auf allen Seiten Opfer bedeutet hätte und bedeutet hat. Wir wissen sehr wohl, daß es nicht möglich ist, hier etwas zu schaffen, was etwa die hundertprozentige Zustimmung von allen Seiten des Hauses finden könnte. Aber ich glaube, daß wir recht daran getan haben, bis zur letzten Minute, ich möchte sagen: bis zu dieser Minute jedenfalls darum zu kämpfen, daß eine breite Mehrheit in diesem Hause zustande komme, gerade wegen der überragenden Bedeutung dieses Gesetzes.
Darf ich mich dann mit einigen Worten den Ausführungen von Herrn Kollegen Henßler zuwenden. Ich habe in seinen Ausführungen als besonders positiv empfunden und möchte dies besonders unterstreichen, daß er wenigstens an zwei Stellen neben dem verlangten gleichen Recht sehr betont die gleichen Verpflichtungen hervorgehoben hat. Das ist in der Tat auch der für unsere Betrachtung maßgebende Gesichtspunkt, daß jedem Recht, jedem Maß von Mitbestimmung ein entsprechendes Maß von Mitverpflichtung und Mitverantwortung gegenüberstehen muß.
Aber zu einigen anderen seiner Betrachtungen müssen wir uns leider absolut negativ einstellen. Herr Henßler hat dieses Gesetz über die Mitbestimmung bei Kohle und Eisen als einen Vorstoß in die Sphäre der Gesamtwirtschaft, als einen Beginn der Neuordnung der Wirtschaftsverfassung bezeichnet. Meine Damen und Herren, obwohl wir sicherlich keineswegs die große Tragweite dieses uns jetzt zur Beschlußfassung vorliegenden Gesetzes unterschätzen, obwohl wir also sehr wohl sehen, um welch eine wesentliche Neuerung in unserer Wirtschafts- und Sozialgeschichte es sich hier handelt, so können wir keineswegs die Auffassung teilen, daß damit der Beginn einer Neuordnung der Wirtschaftsverfassung gemacht werden sollte. Der Gegensatz, der uns in den Ausschußberatungen getrennt hat, ist gerade der gewesen, daß wir auch die Mitbestimmung bei Kohle und Eisen nicht — darf ich einmal so sagen — als eine überbetriebliche Angelegenheit angesehen haben, sondern daß wir alles das, was zur Mitbestimmung hier zu sagen war, immer aus der Sphäre des einzelnen Betriebes angesehen haben. Ich würde es keinen Augenblick bestreiten, daß Sie, Herr Henßler, dann, wenn es sich hier um eine Sozialisierungsvorlage handelte, durchaus recht hätten und daß dann eine überbetriebliche, gesamtwirtschaftliche Betrachtungsweise angezeigt wäre. Aber hier handelt es sich darum, daß für jeden einzelnen dieser Betriebe eine gesunde Zusammensetzung von Aufsichtsrat und Vorstand gewährleistet werden soll. Gerade darin liegt ja auch der tiefste Unterschied, der uns in der Auffassung trennt, ob die Legitimation für die Vertreter der Arbeitnehmer in der einen oder anderen Weise geboten werden soll, nämlich daß Sie im Grunde bei Ihrer Argumentation immer von den überbetrieblichen Aufgaben und daher auch von den überbetrieblichen Organisationen ausgehen, während wir nach wie vor den stärksten Nachdruck darauf legen müssen, daß die eigentliche Legitimation eine solche durch die Belegschaften zu sein hat, und zwar ganz ohne Rücksicht darauf, wie groß das Maß der Mitwirkung von Gewerkschaftsvertretern im Aufsichtsrat sein mag. Ich glaube also, daß man diese Dinge sehr sauber und deutlich auseinander halten sollte; ich glaube, es ist auch ganz gut, das schon jetzt zu sagen, denn wir werden ja in absehbarer Zeit bei der Debatte des allgemeinen Mitbestimmungsrechts und vielleicht etwas später bei der Debatte über Wirtschaftskammern und dergleichen auf alle diese Gesichtspunkte zurückkommen.
Die Schilderung, die Sie schließlich von der Entstehung und Entwicklung der Ruhrindustrie und von der Haltung der Ruhrindustriellen gegeben haben, kann man, glaube ich, in diesem Pauschalurteil, wie Sie es selbst auch über die nach Ihrer Meinung besten Unternehmer gefällt haben, schwerlich bestehen lassen. Sie haben in der Tat gesagt — und das darf, meine Damen und Herren, in diesem Hause nicht unwidersprochen bleiben —, daß auch die bedeutendsten dieser Unternehmer in dem Arbeiter nur das Objekt gesehen hätten. Ich glaube, daß diese Auffassung durch nichts deutlicher widerlegt werden kann als dadurch, daß Sie einmal einen Blick in einen Bericht werfen, den der Betriebsrat eines ehemals sehr bedeutenden Unternehmens in Essen in diesen Tagen veröffentlicht hat. Wenn Sie aus diesem Bericht des Betriebsrats sehen, daß es dort nicht weniger als 17 000 Pensionäre gerade auch aus jener Zeit der von Ihnen kritisierten Ruhrentwicklung heute zu versorgen gilt, dann sollte hier, glaube ich, nicht gesagt werden können, daß der Arbeiter in all diesen Jahren großen industriellen Aufschwungs und einer sehr bedeutenden Entwicklung nur als Objekt behandelt worden wäre. Ich bin im Gegenteil der Meinung. daß ganz überwiegend gesagt werden kann, daß das, was dem Arbeiter als Menschen zukommt, von den hervorragendsten dieser Unternehmer sicherlich in keinem Augenblick verkannt worden ist.
Ich möchte aber auch auf jenen Punkt Ihrer Ausführungen zurückkommen, in dem Sie sich gegen die „Intervention" vor allem der Amerikaner und wahrscheinlich auch der übrigen europäischen Staaten im Laufe dieser Verhandlungen gewandt haben. Ich glaube, daß hier ein Mißverständnis zugrunde liegt. Für uns alle ist es ganz selbstverständlich, um zunächst einmal zu Frage der Behandlung ausländischer Interessen überzugehen, daß wir diesen Interessen gegenüber eine durchaus gleichgelagerte Haltung bewahren müssen. Sie wissen ja auch, daß wir im Ausschuß alle diese Dinge mit einem Höchstmaß von Objektivität behandelt haben. Wir sind jenen Wünschen, etwa bestimmte Gesellschaften von dieser Regelung auszunehmen, in keiner Weise entgegengekommen. Wir haben lediglich dafür Sorge getragen, daß für alle Gesellschaften ein gleicher Start oder ein gleicher Starttermin festgelegt wurde. Das Mißverständnis scheint mir aber doch darin zu liegen, daß die amerikanischen Stimmen, die hier laut geworden sind, die Stimmen von Vertretern derjenigen Menschen waren, die hier Investitionen haben oder von denen Investitionen erwartet werden. Sicherlich werden Sie nicht die Auffassung vertreten wollen, daß amerikanische Investitionen in Deutsch-
land etwa gerade in den in dieser Beziehung so besonders bedürftigen oder für diese Investitionen so besonders bereiten Grundstoffindustrien unzulässige Einmischungen darstellen. Ich glaube, man kann keinem Geldanleger verwehren, seine Auffassung darüber darzulegen, in welcher Form er sich das Management bei der entsprechenden Gesellschaft vorstellt. Ich glaube also, daß der Appell an das nationale Gefühl, der in Ihren Worten durchklang, dem Tatbestand nicht angemessen zu sein scheint, sonst würde er sicher bei niemandem stärker als bei uns auf eine unbedingte Resonanz stoßen.
Ich vermisse gerade bei der Darstellung der Vergangenheit doch eine ehrliche Würdigung dessen, worin nun eigentlich das riesenhaft Neue in diesem Gesetz liegt. Sehen Sie, wir bemühen uns, uns gegenseitig beim elften Mann vorzurechnen, ob da nun eine wirkliche Parität besteht oder ob ein kleines Übergewicht dieser oder jener Seite vorhanden ist. Dabei vergißt man völlig, daß es sich bei dieser Parität um eine ganz gewaltige Sache handelt. Wenn, ich möchte beinahe sagen, so mir nichts dir nichts, ohne daß ein ganz langwieriger Kampf vorhergegangen wäre, in einem solchen Maße zur Umgestaltung der Aufsichtsräte und in einem gewissen Umfange auch zur Umgestaltung der Vorstände in den beiden wichtigsten deutschen Industrien geschritten wird, dann ist das ein Ereignis von einer so überragender Bedeutung, daß mir die Kritik dieser Dinge am Rande weniger wesentlich zu sein scheint als eine unbedingte Anerkennung dessen, was hier an Neuem und in die Zukunft Weisendem geleistet und, wenn Sie so wollen, von der anderen Seite konzediert worden ist.
Aber gerade weil das so ist, gerade weil hier ein unerhört neues Ereignis vorliegt, deshalb, glaube ich, sollten wir mit aller Deutlichkeit zum Ausdruck bringen, daß wir daran zwei Erwartungen knüpfen. Die eine Erwartung ist die, daß nun wirklich auf diesen beiden ganz bedeutenden Gebieten ein unbedingter sozialer Frieden herrschen wird. Als zweite Erwartung möchten wir alle miteinander die Hoffnung haben, daß hier eine, ich möchte sagen: geradezu demonstrative Leistungssteigerung vor sich geht. Ich glaube, daß der deusche Arbeiter durch nichts deutlicher zeigen könnte, wie sehr er das schätzt, worum hier gerungen worden ist und was ihm hier aus diesem Hause und kraft der Gesetzgebungsbefugnis dieses Hauses gegeben wird, als daß er darauf sichtbar positiv reagiert, denn nur dann haben wir die Möglichkeit, dafür die letzte, ich möchte sagen, sittliche Legitimation zu finden.
Ich glaube, wenn wir nun zur Einzelberatung und schließlich zur Abstimmung über dieses Gesetz schreiten werden, dann sollten wir uns einer Tatsache bewußt sein, nämlich dieser, daß wir für das, was wir hier unternehmen, in der ganzen Welt kein gleichartiges Beispiel haben,
daß dies ein Experiment ist, auf das die ganze Welt mit der größten und gespanntesten Aufmerksamkeit sieht und das deswegen nur dann gerechtfertigt ist und nur dann zu positiven Ergebnissen führen wird, wenn hier aus der Zusammenarbeit von uns allen ein klarer und deutlicher Erfolg erwächst.
Priisident Dr. Ehlers: Als nächster Redner der
allgemeinen Aussprache hat sich Abgeordneter Loritz zum Wort gemeldet.