Rede von
Louise
Schroeder
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich bedauere, daß ich Sie in dieser Stunde und bei dieser Besetzung des Hauses mit sozialpolitischen oder sozialversicherungsrechtlichen Fragen langweilen muß. Ich hatte gar nicht die Absicht, zu diesem Thema zu sprechen; aber leider hat mich Frau Kalinke dazu gezwungen.
Ich will nur noch einmal sagen, Frau Kalinke, daß Sie immer wieder den Unterschied vergessen, obwohl Sie ihn vorhin mit vollem Recht selber gekennzeichnet haben, der zwischen Berlin und dem Bund oder Westdeutschland, wie ich lieber sagen möchte, besteht; denn wir in Berlin fühlen uns als zum Bund gehörig. Sie sagen, Sie möchten auch, daß alle Frauen mit 60 Jahren Rente bekommen. Glauben Sie denn, daß bei über 150 000 weiblichen Arbeitslosen in Berlin überhaupt noch eine Frau mit 60 Jahren die Möglichkeit hat, eine Arbeit zu bekommen?
Die zweite Frage betrifft den Unterschied bei der Witwenrente der Arbeiter- und der Angestelltenversicherung. Da sage ich Ihnen ganz klipp und klar folgendes. Ich habe ja die Freude und Ehre gehabt, bereits im Reichstag an diesen Gesetzen mit-
zuarbeiten. Mit meinen Fraktionskollegen habe ich damals schon gegen diesen Unterschied gewirkt, der in gar nichts berechtigt ist.
Was ist denn bisher im Bund in bezug auf die Neuordnung der Sozialversicherung geschehen, die wir, glaube ich, doch alle für notwendig halten? Das einzige, was geschehen ist, ist die Verschlechterung der Vertretung von 50 zu 50 %,
womit man, soweit die Krankenversicherung in Frage kommt, hinter die Zeit von Bismarck zurückgegangen ist. Sie werden es verstehen müssen, daß man sich da in Berlin allerdings wehrt, diese Verschlechterung mitzumachen.
Herr Kollege Horn, ich möchte Ihnen aber eines sagen. Sie haben von Ihrer Fraktion gesprochen. Ich glaube nicht, daß Ihre Fraktion einheitlich hinter dieser Meinung steht. Ihr Kollege Dr. Tillmanns hat im Berlin-Ausschuß in Berlin ausdrücklich erklärt: Wir können in der Frage der Sozialversicherung Berlin nicht ohne weiteres an den Bund anschließen. Das würde eine ungeheure Härte bedeuten. Wir müssen versuchen, Wege zu finden, die nach und nach zu einer Angleichung zwischen Bund und Berlin führen.
Nun noch ein Wort an Herrn Kollegen Renner. Er hat so halbwegs — das war sehr freundlich — den Magistrat von Westberlin, wie er sich ausdrückte, verteidigt. Wir nennen ihn Berliner Magistrat; denn er ist der einzige rechtmäßig zustande gekommene, Herr Kollege Renner.
Ich möchte Ihnen eines sagen. Sie haben von der Aufrechterhaltung der Spaltung Berlins und Deutschlands gesprochen. Wie ist denn die Spaltung Berlins zustande gekommen? Mitten in der schwersten Zeit der Blockade, die Berlin durchgemacht hat, ist am 30. November 1948 ohne ein Mandat, ohne eine Wahl ein sogenannter Ostmagistrat gebildet worden. Seit dem Augenblick haben wir die Spaltung. Sorgen Sie bei Ihren Parteifreunden in Berlin und bei der hinter ihnen stehenden Macht mit dafür, daß in Berlin allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlen für ganz Berlin ausgeschrieben werden können! Seien Sie überzeugt: dann ist es aus mit der Spaltung Berlins.
Wenn Sie die Spaltung Deutschlands beseitigen wollen, dann kämpfen Sie mit uns für allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlen in ganz Deutschland!