Rede von
Dr.
Hermann
Etzel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Abs. 1 des § 77 in der Fassung der Ausschußvorlage sind Ansprüche, die das vorliegende Gesetz nicht zubilligt, aberkannt. Es wird nicht verkannt, daß der 25. Ausschuß die Regierungsvorlage in zahlreichen wesentlichen Punkten zugunsten der Betroffenen verbessert hat. In § 77 aber hat er sie zuungunsten dieser Kreise verschlechtert. Auch die Regierungsvorlage will das Klagerecht der Betroffenen einschränken. Aber sie will immerhin nur, wie Art. 131 des Grundgesetzes, ein Klageverbot, also eine Prozeßsperre, verhängen und im übrigen auch die Geltendmachung weitergehender Ansprüche blokkieren.
Der Gesetzgeber hat offenbar, ich will nicht sagen, ein schlechtes, aber kein gutes Gewissen. Um es zu beschwichtigen, möchte er mit einem Federstrich einen etwas radikalen Schlußstrich ziehen. Ich muß es aussprechen: Die Bestimmung des Abs. 1 des § 77 des Gesetzentwurfes in der Fassung der Ausschußvorlage ist meines Erachtens rechts- und grundgesetzwidrig. Schon die Versagung des Klagerechts verstößt gegen den Gedanken des Berufsbeamtentums, der im Grundgesetz, in den Länderverfassungen und in den Beamtengesetzen, so auch in dem vorläufigen Bundesbedienstetengesetz vom Mai 1950, enhalten ist.
Ob die Geltendmachung wie unter der Bismarckschen und der Weimarer Verfassung sowie den Verfassungen der Länder vor den ordentlichen oder, wie nach § 142 des Deutschen Beamtengesetzes von 1937, vor den Verwaltungsgerichten zu erfolgen hat, ist meines Erachtens eine justizstaatliche, also rechtspolitische, nicht aber eine rechtsstaatliche, also grundsätzliche, im höheren Sinne moralische Frage. Der Art. 33 Abs. 5 des Grundgesetzes bestimmt ausdrücklich, daß das Recht des öffentlichen Dienstes unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln ist. Auch die Verfassungen der Bundesländer .enthalten ähnliche Vorschriften. Die bayerische Verfassung erklärt in Art. 95, daß das Berufsbeamtentum grundsätzlich aufrechtzuerhalten sei. Das Berufsbeamtentum wird aber nicht nur durch die fachliche Vorbildung, die grundsätzlich lebenslängliche Anstellung, den lebensberuflichen öffentlichen Dienst und die wechselseitige Treuepflicht, sondern auch durch den Schutz der wohlerworbenen Rechte gekennzeichnet.
Ich lasse dahingestellt, ob die Bestimmung des § 77 auch den in den Verfassungen und im Grundgesetz gewährleisteten Grundsatz de's Eigentums verletzt. Sicher ist, daß es sich hier um ein verfassungsmäßig fundiertes, legitimes Rechtsschutzinteresse der Berufsbeamten handelt und daß hier der Beamte, der betroffen ist, von den Möglichkeiten des Art. 19 Abs. 2 und 4 des Grundgesetzes
ebenso Gebrauch machen kann wie von der Vefassungsbeschwerde des § 90 des Gesetzes über das
Bundesverfassungsgericht, der bestimmt: Jedermann kann mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Artikel 33, 38, 101, 103 und 104 des Grundgesetzes enthaltenen Rechte verletzt zu sein, die Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erheben.
Es wird auch Aufgabe der Gerichte sein, nach Art. 100 des Grundgesetzes zu prüfen, ob das heute in § 77 zu verabschiedende Gesetz grundgesetzmäßig ist. Art. 19 Abs. 2 bestimmt ausdrücklich, daß ein Grundrecht nicht in seiner Substanz verletzt werden darf, indem er sagt:
In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.
Gerade dadurch, daß hier die Geltendmachung anderer Ansprüche, als sie im Entwurf des Gesetzes vorgesehen sind, ausgeschlossen wird, wird eine Fülle von Rechtsstreitigkeiten hervorgerufen, also gerade das bewirkt, was § 77 in seinem Abs. 1 verhindern will.
Und nun erlauben Sie mir, meine sehr verehrten Damen und Herren, noch ein kurzes Wort. Der Herr Präsident des Bundes der Steuerzahler — verzeihen Sie, der Herr Bundesfinanzminister
hat vorhin auf die Grenzen hingewiesen, die unter dem Blickpunkt des Steuerzahlers einer Regelung im vorliegenden Falle gezogen sind und sein müssen. Niemand unter besonnenen Menschen wird sich dem Gewicht der von ihm geltend gemachten Hinweise und Argumente entziehen. Aber ich frage mich, ob, wenn solche Grenzen gezogen sind, die das Vermögen der Bevölkerung und ihre Leistungskraft angehen, das dann zu einer Diskriminierung einer bestimmten Bevölkerungsgruppe führen muß und soll. Die Frage des Rechts muß an erster Stelle stehen,
und ich bin der Meinung, daß auch in der Frage der Staatsausgaben und damit der Beanspruchung der Leistungskraft der Bevölkerung eines Bundes oder Staates gewisse Rangordnungen oder Prioritäten zu beachten sind. Die Verwirklichung des Rechts hat in der Rangordnung der Dinge an erster Stelle zu stehen. Wenn uns in den letzten Wochen aufgegeben worden ist, eine immer höhere Besatzungskostenlast zu tragen, dann ist uns sechs Jahre nach Kriegsschluß erlaubt, die Frage zu stellen, ob hier die richtige Prioritätenfolge eingehalten ist. Ich bin der Auffassung, daß es nicht angeht, durch eine immer höhere Hinaufsetzung des sogenannten Sozialprodukts von 80 auf 90, auf 100, auf 110 Milliarden — —