Meine Damen und Herren! Obwohl mancherlei an sich berechtigte Forderungen der Geschädigten des Nationalsozialismus durch den vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung für die Angehörigen des öffentlichen Dienstes unerfüllt geblieben sind und obwohl der Entwurf in der jetzt vorliegenden Fassung nur eine beschränkte Wiedergutmachung bringt,
wird die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei diesem Entwurf zustimmen.
Selbstverständliche Ehrenpflicht der Bundesrepublik Deutschland, meine Damen und Herren, hätte es insbesondere sein müssen, den Angehörigen des öffentlichen Dienstes volle Wiedergutmachung zu gewähren, die vom Nationalsozialismus verfolgt und geschädigt worden sind, weil sie als aufrechte und standhafte Anhänger der freien Demokratie nicht bereit waren, ihren der Weimarer Republik geleisteten Eid zu brechen. Dasselbe gilt aber auch für alle übrigen politisch Verfolgten und diejenigen, die wegen ihrer Weltanschauung, wegen ihrer religiösen Überzeugung oder wegen ihrer Rasse verfolgt wurden. Wenn sich die ziemlich deutlich abzeichnenden Entwicklungen mit dem Ziel einer gewissen Restauration weiter fortsetzen sollten, könnte das allerdings ein Grund mehr werden, zu gegebener Zeit weitere Anträge zu stellen. Zur Zeit sieht die sozialdemokratische Fraktion davon ab, damit dieser Entwurf endlich Gesetz wird, da er immerhin einige bisher bestehende Lücken schließt und einige Fortschritte bringt. Viel kommt jedoch auf die Auslegung und Handhabung des Gesetzes an. Ich glaube, in der Annahme nicht fehlzugehen, daß die Vertreter aller Parteien im Ausschuß für Beamtenrecht in der Erwartung übereinstimmten, daß bei der Anwendung des Gesetzes nicht engherzig und kleinlich verfahren werden darf.
Wie sehr nicht nur wir, sondern gerade auch den Regierungsparteien nahestehende Organisationen gewissen Organen der Verwaltung in manchen Dingen mißtrauen, zeigen die in einer mir vorliegenden Eingabe enthaltenen Forderungen: erstens, bei der Vorbereitung und Verkündung jeder Entscheidung in Wiedergutmachungsangelegenheiten nur im amtlichen Verfahren anerkannte Verfolgte mitwirken zu lassen; ferner zweitens, daß der Antragsteller vor der Entscheidung zu hören ist. Meine politischen Freunde und ich nehmen an, daß — vielleicht mit wenigen Ausnahmen — alle Mitglieder dieses Hohen Hauses darin übereinstimmen, daß die Erfüllung der letzterwähnten Forderung als selbstverständliche Pflicht in den Fällen angesehen wird, in denen die Verwaltung die Absicht hat, von den gestellten Anträgen auf Wiedergutmachung abzuweichen. Der ersten Anregung liegen bestimmte Erfahrungen zugrunde, die in der ersten Lesung zu diesem Gesetzentwurf auch der Herr Kollege Dr. Weber anklingen ließ. Nachdem ich seinerzeit mit den Kollegen des Beamtenrechtsausschusses, die den drei Regierungsparteien angehören, Rücksprache genommen habe und ihre Übereinstimmung feststellen konnte, spreche ich die bestimmte Erwartung aus, daß die Verwaltungen aus Gründen des Takts entsprechend der eben erwähnten ersten Forderung verfahren.
Das Mißtrauen geht soweit, daß auf Grund von Erfahrungen die Organisation eine mißbräuchliche Auslegung des § 8 Abs. 2 fürchtet. Im Ausschuß herrschte mit den Regierungsvertretern Einmütigkeit darüber, daß Wiedergutmachung nur ausgeschlossen ist, wenn eine Maßnahme der in Rede stehenden Art auch ohne die Herrschaft des Nationalsozialismus aus beamten- oder tarifrechtlichen Gründen hätte getroffen werden müssen, und daß ein Verhalten eines öffentlichen Bediensteten, das die Folge seiner Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus und seines aktiven Widerstandes gegen das Nazisystem und seine typischen Äußerungen und Maßnahmen war, die Wiedergutmachung nicht ausschließt, auch wenn es formell mit beamten- oder tarifrechtlichen Vorschriften, insbesondere im Sinne der nationalsozialistischen Auffassung, nicht im Einklang stand.
Ebenso hat es keinem Zweifel unterlegen, daß der Anspruch gemäß § 9 Abs. 1 auf bevorzugte Wiedereinstellung besteht, wenn" der Geschädigte im Zeitpunkt der Wiedereinstellung die sonstigen allgemeinen Voraussetzungen für die Berufung in das Beamtenverhältnis erfüllt: es dürfen also NS-Vorwürfe, die gegen einen Wiedergutmachungsberechtigten erhoben wurden, und gleichfalls NS-Maßnahmen nicht fortgesetzt, d. h. äußerlich sozusagen entnazifiziert werden, und es darf ihnen keine Dauergültigkeit verliehen werden.
Als besonders bedrückend und verletzend wird, wie aus einer Reihe von mehr oder weniger temperamentvollen Zuschriften hervorgeht, von den Geschädigten empfunden, daß sie, die als wahre Demokraten aufrecht und standhaft waren und wegen ihrer Treue zu dem der Weimarer Republik geleisteten Eid nicht befördert oder wegen ihres offenen Widerstandes gegen das national sozialistische System aus ihrem Amt verjagt wurden, jetzt auch noch dafür geradezu bestraft und diffamiert würden dadurch, daß im Gegensatz dazu diejenigen, die rechtzeitig, wie Ratten das sinkende Schiff verlassen, bei den Nazis „mitgelaufen" sind, nicht nur die ganze Zeit im Amt geblieben sind, sondern mehrmals befördert wurden. Hier hat erfreulicherweise § 9 Abs. 2 Abhilfe geschaffen, auch, wie ich mit Rücksicht auf die verschiedenen mir zugegangenen Proteste hinzufügen möchte, für diejenigen, die bereits vor der sogenannten Machtübernahme die Spitzenstellung ihrer Dienstlaufbahn erreicht hatten. Das ist in der letzten Sitzung des Beamtenrechtsausschusses auf meinen Hinweis durch den Regierungsvertreter mit der Erklärung festgelegt worden, daß in Fällen, in denen Beförderungen in die nächsthöhere Laufbahn erfolgt
4972 Deutscher Bundestag — 13b. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1951
sind, der § 9 Abs. 2 Satz 1 auch auf solche Geschädigte anzuwenden ist, die bereits vor dem 30. Januar 1933 die sogenannte Spitzenstellung ihrer Dienstlaufbahn erreicht hatten, natürlich nur, soweit die sachlichen Voraussetzungen für ihre Beförderung vorlagen.
Nicht unerwähnt bleibe im Zusammenhang mit unserem Antrag zu § 19 Abs. 2, den wir zur zweiten Lesung gestellt hatten, daß im Beamtenrechtsausschuß mit den Regierungsvertretern Übereinstimmung ebenfalls darüber bestanden hat, daß die Absicht unseres Antrags, den Ländern die Möglichkeit zu geben, durch Landesrecht günstigere Vorschriften hinsichtlich der Abgeltung der durch die Maßnahmen der Nationalsozialisten entstandenen Schädigungen von Personen des öffentlichen Dienstes zu erlassen, voll durch die vom Ausschuß vorgeschlagene Ergänzung in § 32 Abs. 1 letzter Halbsatz, wie sie soeben in zweiter Lesung gemäß der Drucksache Nr. 1996 Ziffer 6 beschlossen worden ist, erreicht wird.
Wenn der vorliegende Gesetzentwurf einige Fortschritte auf dem Wege zur Wiedergutmachung bringt, so ist dabei nicht zu verkennen, daß er nur in beschränktem Maße und nur für Angehörige des öffentlichen Dienstes, also auf einem Teilgebiet, die Wiedergutmachung regelt. Noch immer aber fehlt z. B. auch die Wiedergutmachung für die von den Nationalsozialisten verfolgten Angestellten von Vereinigungen, die den Nationalsozialisten mißliebig waren, von sozialen Organisationen, von Gewerkschaften und von politischen Parteien. In drückender Notlage befinden sich beispielsweise die früheren Mitglieder des Vereins Arbeiterpresse, die dort durch hohe Beiträge Vorsorge für ihr Alter getroffen hatten, desgleichen ihre Hinterbliebenen. Der Herr Bundesarbeitsminister hat kürzlich von dieser Stelle aus dem Sinne nach gefordert, daß der Wille der Versorgungsberechtigten, der in rechtzeitiger Vorsorge durch Versicherungen dargetan ist, durch Rentenleistungen anzuerkennen ist, insbesondere auch unter Berücksichtigung der Höhe der geleisteten Beiträge. Die Mitglieder des Vereins 'Arbeiterpresse haben freiwillig sehr hohe Beiträge gezahlt. Es ist also endlich an der Zeit, daß auch Ihnen gegenüber im Wege der Wiedergutmachung der Grundsatz des Herrn Bundesarbeitsministers zur Anwendung gebracht wird. Wir fordern daher erneut im Zusammenhang mit dem vorgelegten Gesetzentwurf, daß die Bundesregierung unverzüglich den Entwurf eines umfassenden Wiedergutmachungsgesetzes vorlegt und sich nicht der Gefahr des Vorwurfs aussetzt, sie zögere mit einer solchen Vorlage so lange, bis die meisten Wiedergutmachungsberechtigten verstorben seien.
In Ergänzung der zur Zeit allmählich zur Durchführung . kommenden Rückgabe von Vermögenswerten, die in der Nazizeit den schon erwähnten Organisationen weggenommen wurden, muß endlich und beschleunigt Ersatz für die nicht mehr vorhandenen entzogenen Vermögenswerte geleistet werden. Wir fordern, daß auch hierzu unverzüglich von der Bundesregierung ein Entwurf vorgelegt wird. Die Zeit der Verzögerung und des Hinhaltens mit unverbindlichen schönen Worten muß auch auf diesem weiteren Gebiet in Kürze abgeschlossen sein.