Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir befinden uns, wie eben schon gesägt wurde, bei der Behandlung des § 6 am Kernpunkt des Gesetzentwurfes, dessen zweite Lesung wir heute haben. Ich habe aus vielen Unterhaltungen mit Kollegen und Kolleginnen des Hauses den Eindruck gewonnen, daß sich, wenn wir hier in diesem Kernpunkt des Gesetzes eine Brücke zwischen gewissen grundsätzlich gegensätzlichen Auffassungen innerhalb des Hauses finden, die Möglichkeit ergeben wird, das Gesetz mit einer, sagen wir, mindestens relativ breiten Mehrheit in diesem Hause zu verabschieden.
Deshalb gestatten Sie mir, daß ich mit wenigen Worten einen solchen Überbrückungs- und Vermittlungsvorschlag vor Ihnen begründe, damit wir nachher darüber abstimmen und sehen können, wie weit sich die Basis innerhalb des Hauses verbreitern läßt.
Darf ch zunächst mit ganz wenigen grundsätzlichen Sätzen beginnen. Mir ist schon so oft aus Kreisen der sozialdemokratischen Fraktion im Landtag in Rheinland-Pfalz bei sozialpolitischen Debatten der Text der berühmten päpstlichen Enzykliken „Rerum novarum" und „Quadragesimo anno" vorgehalten worden, in denen gewisse Grundlinien der christlich-sozialen Konzeption über die Dinge, um die es sich hier handelt, niedergelegt sind. Ich habe diese Hinweise immer sehr dankbar begrüßt, weil ich gerne nach solchen
Richtlinien schaue, von denen jeder weiß, daß sie auch für den Katholiken zwar keine absolute Bindung bedeuten, daß sie für uns aber von großem Erkenntniswert sind. Deswegen erlauben Sie mir, daß ich an diesem entscheidenden Punkt der Beratungen nun meinerseits einmal ein solches Zitat zu der grundsätzlichen Frage bringe, um die es hier letzten Endes im Gipfelpunkt des Gesetzes, gerade bei der Beratung des § 6 geht. Papst Pius XII. hat an die Teilnehmer der Internationalen Studientagung in Rom am 3. Juni 1950 eine Ansprache gehalten, in der er zu diesem Problem grundsätzlich Stellung genommen und dabei — vier Sätze will ich nur zitieren — folgendes gesagt hat. Er sprach von der Grenze, bis zu der man hinsichtlich der Mitwirkung — wenn ich so sagen soll, von der anderen Seite her — gehen darf, und fuhr dann wörtlich fort:
Diese Grenze liegt dort, wo die Gefahr sich erhebt, daß jetzt die Arbeiterschaft in den gleichen Fehler fällt wie seinerzeit das Kapital. Der Fehler bestand darin, die Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel, namentlich in den großen und Riesenunternehmungen, der persönlichen Verantwortlichkeit des privaten Eigentümers zu entziehen, um sie anonym kollektiven Formen der Verantwortlichkeit zu überantworten.
Dann heißt es weiter:
Sozialistisches Denken kann sich mit einer solchen Gestaltung sehr wohl befreunden. Beunruhigen aber muß sie denjenigen, der darum weiß, welche grundlegende Bedeutung dem Recht auf Eigentum zukommt, um in der Wirtschaft die Entschlußfreudigkeit zu selbständigem Handeln zu wecken und die Verantwortungsbereiche klar zu umschreiben.
Und jetzt kommt der vierte, meines Erachtens hier bedeutsamste Satz:
Eine ähnliche Gefahr droht nicht minder dann, wenn man für die im Lohnarbeitsverhältnis stehende Belegschaft des Betriebes das Recht auf wirtschaftliche Mitbestimmung in Anspruch nimmt, namentlich dann, wenn die Ausübung dieses Rechtes tatsächlich unmittelbar oder mittelbar unter maßgeblichem Einfluß von Organisationen steht, die von außerhalb des Betriebes ihre Befehle empfangen.
Ich möchte mich jedes Kommentars zu diesen klaren Worten enthalten, nur hinzufügen: Das Ahlener Programm der CDU, zu dem unsere ganze Fraktion in eiserner Konsequenz steht,
sieht vor, daß „den Arbeitnehmern des Betriebes in den Aufsichtsorganen, z. B. im Aufsichtsrat , die ihnen zustehende Vertretung einzuräumen" ist.
— Gar nicht: „Es war einmal"!
— Sie werden erleben, meine Damen und Herren, daß unser Ahlener Programm noch durch diesen Bundestag in allen Punkten durchgeführt wird.
Damit habe ich in kurzen Worten den Kern des Problems angedeutet, um das es geht. Dieser Kern liegt darin, daß gesagt wird: Es darf nicht zuviel
Zuständigkeit in die Hand solcher Stellen gelegt werden, die nicht innerhalb des Betriebes stehen, und es wird gefordert, daß die Belegschaft selbst oder durch die Betriebsräte möglichst weitgehende Vollmachten hat und ausüben kann. Die Dinge zeigen sich nun praktisch hier in der Beantwortung der Frage: Wie weit geht das Recht der Belegschaften — in Klammern: — bei Auswahl ihrer Vertreter für den Aufsichtsrat, und wie weit geht das Recht der Gewerkschaften auf der anderen Seite, einen bestimmenden Einfluß auf diese Auswahl auszuüben?
Meine Damen und Herren! Ich möchte ausdrücklich erklären, daß ich nicht daran denke, der Arbeitnehmerschaft irgendwie das Recht abzusprechen, sich durch Funktionäre ihrer Gewerkschaften in den Aufsichtsräten vertreten zu lassen. Meine Damen und Herren, man darf den Mann am Schraubstock nicht dazu zwingen, unbedingt nur selbst oder vertreten durch seinen Kollegen im Aufsichtsrat zu erscheinen, sondern man muß ihm das Recht lassen, seinen zuständigen Fachmann, den Anwalt seiner Sache, in den Aufsichtsrat zu entsenden, damit er dort für ihn tätig wird. Mein Vorschlag, den ich nachher machen werde, wendet sich also in keiner Weise dagegen, daß Funktionäre der Gewerkschaften — und zwar die zwei oder drei, um die es geht — in den Aufsichtsrat hineinkommen. Es geht nur um die Frage: Wer bestimmt diesen dritten und vierten Mann, nachdem also vorab der erste und zweite aus den Reihen der Belegschaft ja schon gemäß dem Verfahren nach dem hier in Betracht kommenden § 6 Abs. 1 und 2 bestimmt worden sind? Da war in der Regierungsvorlage vorgesehen — und das ist auch in dem jetzt vorliegenden Antrag der CDU/CSU so —, daß dieser dritte und vierte Mann praktisch einseitig durch die Gewerkschaften bestimmt wird, zwar nach Anhörung oder Benehmen oder nach Fühlungnahme mit dem Betriebsrat, aber ein entscheidendes Mitwirkungsrecht sollte dem Betriebsrat in diesem Falle nicht gegeben sein.
Nun habe ich volles Verständnis dafür, daß die Gewerkschaften selbst eine wesentliche, entscheidende Mitbestimmung bei der Auswahl ihrer Funktionäre für den Aufsichtsrat ausüben wollen, und möchte den Vermittlungsvorschlag machen, der ja schon in der Ausschußfassung im Grundgedanken enthalten war, daß nämlich die Gewerkschaften diese beiden Gewerkschaftsfunktionäre nicht einseitig von sich aus allein bestimmend vorschlagen, sondern daß die Gewerkschaften vier Funktionäre benennen, aus denen dann der Betriebsrat zwei auswählen kann. Meine Damen und Herren, ich meine, dann hätte man zwei Prinzipien, die hier miteinander ringen, nämlich den Willen nach alleiniger Bestimmung seitens der Gewerkschaften und den berechtigten Anspruch der Betriebsräte, wenigstens einen Rest von Mitbestimmung auch noch in diesem Falle auszuüben, in eine Verbindung miteinander gebracht, mit der schließlich – schließlich, sage ich — weite Teile dieses Hauses zufrieden sein könnten.
Meine Damen und Herren! Ich darf anfügen, daß mir diese ganze Frage so wichtig war, daß ich am vergangenen Wochenende an zwei Tagen meine Arbeitnehmerfreunde aus' meinem Wahlkreis Altenkirchen—Neuwied versammelt und mit ihnen dieses Problem besprochen habe. Ich habe dort namens vieler Tausender Arbeitnehmerwähler der CDU, vor allem aus der Eisenindustrie im Kreise Altenkirchen an der Sieg, den einstimmig erteilten Auftrag bekommen, namens dieser Ar-
beitnehmerwähler — und zugleich namens zahlreicher Fraktionsfreunde — hier diesen von mir jetzt zu formulierenden Antrag zu stellen. Bei den Herren, mit denen ich gesprochen habe, befanden sich nicht etwa nur Mitglieder der Betriebsräte oder der Betriebe, sondern auch in jahrzehntelangem Ringen ergraute Funktionäre der christlichen Gewerkschaften.
Meine Damen und Herren! Die Fassung, die ich Ihnen jetzt für den § 6 Abs. 3 vorschlagen darf, bedeutet eine Änderung des Ihnen vorliegenden CDU/CSU-Antrags. Sie lautet:
Zwei der in §,4 Absatz 1 Buchstabe b bezeichneten Mitglieder werden von den Betriebsräten der Betriebe des Unternehmens aus einem vier Namen enthaltenden Wahlvorschlag gewählt, der von den zuständigen Spitzenorganisationen der Gewerkschaften unter angemessener Berücksichtigung der Minderheiten aufgestellt wird. Dieses Wahlverfahren kann unterbleiben, wenn Betriebsräte und Spitzenorganisationen sich über einen gemeinsamen Vorschlag einigen.
Der letzte Satz besagt, daß man, wenn sich ohne das Wahlverfahren die Gewerkschaften und die Betriebsräte über die zwei Personen einig werden — das gilt dann auch für die dritte Person, für den fünften also —, natürlich von diesem komplizierteren Verfahren abweichen kann, das allerdings immer noch wesentlich weniger kompliziert ist als das Verfahren nach Abs. 1 und 2 für die Wahl des ersten und des zweiten Arbeitnehmer-Mitglieds.