Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es handelt sich um die beiden Grundfragen: Soll angenommen werden, daß nach Abs. 1 des Art. 134 das Vermögen des ehemaligen Reiches von Gesetzes wegen, und zwar auf Grund unmittelbarer Wirkung des Grundgesetzes, auf den Bund übergegangen ist und daß der in Abs. 4 vorgesehenen Bundesgesetzgebung, die eine Zustimmungsgesetzgebung darstellt, nur noch die Regelung der Einzelfragen gemäß Abs. 2 und 3 vorbehalten bleiben soll? Um diese Fragen geht es.
Es mag nicht leicht sein, vor dem großen Kreise des Plenums eine eindringende und subtile verfassungsrechtliche Darlegung über die Art. 134 und 135 zu machen. Ich will mich also in meinen Ausführungen über diese Rechtsfragen sehr kurz fassen.
Der Herr Kollege Dr. Höpker-Aschoff hat schon am 24. Januar bei der Begründung einer Interpellation seiner Fraktion den Versuch einer juristischen Interpretation des Art. 134 gemacht. Inzwischen haben sich auch der Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen und der Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht mit dieser Rechtsmaterie eingehendst befaßt und den Rechtsstoff durchleuchtet. Der Herr Kollege Dr. Laforet hat soeben in einer nach meiner Auffassung überzeugenden Weise die Beweisgründe für die auch von meiner Fraktion nachdrücklichst vertretene Ansicht angeführt, daß der Abs. 1 des Art. 134 nicht den mit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes erfolgten gesetzlichen Übergang des ehemaligen Reichsvermögens auf den Bund verfügt, sondern nur den Charakter einer Richtlinie, einer Direktive oder Anweisung an den Bundesgesetzgeber für die nach Abs. 4 zu treffende Regelung und Auseinandersetzung bedeutet. Dies ergibt sich in Abs. 1 schon aus dem Zusatz „grundsätzlich", der völlig unverständlich und sinnlos wäre, wenn der Übergang auf den Bund von Grundgesetzes wegen erfolgt wäre. Zwingend folgt das aber aus dem Abs. 3, in dem der Begriff „wird" an Stelle von „ist" in dem gleichen Sinne wie in Abs. 1 gebraucht ist; er kann, wie aus der Einschränkung „soweit es nicht der Bund für eigene Verwaltungsaufgaben benötigt" unzweifelhaft hervorgeht, nur die Bedeutung haben, daß der künftige Übergang oder die künftige Übertragung durch ein Bundesgesetz, und zwar ein Zustimmungsgesetz, geregelt werden muß. Die vergleichende Heranziehung des Art. 135 führt zu dem gleichen Ergebnis. Auch die Beratungsgeschichte des Parlamentarischen Rats bestätigt nach unserer Ansicht diese Auffassung im vollen Umfang. Wäre die Ansicht richtig, welche davon ausgeht, daß der Übergang durch Gesetz,
I nämlich durch den Abs. 1 des Art. 134 schon geschehen sei, so wäre nicht einzusehen, warum es erst noch des vorliegenden sogenannten Vorschaltegesetzes, vor allem. seines § 1 bedürfte. Die Frage der Identität des Bundes und des vormaligen Reiches, also die Streitfrage über den Fortbestand des früheren Reiches, ob es auch vor dem Inkrafttreten des Grundgesetzes noch existierte oder nicht, ob es durch sogenannte Debellation untergegangen sei — letztere Auffassung vertreten wir —, diese Frage ist hier nicht entscheidend heranzuziehen.
Abgesehen von diesen rein verfassungsrechtlichen Erwägungen sprechen auch politische und wirtschaftliche Gründe dafür, daß der Bund hier nicht eine kategorische, brüske, einseitige Regelung trifft und über die Rechte, die sich die Länder durch ihre bisherige Verwaltung erworben haben, einfach hinweggeht. Die Länder haben in einer Zeit, die man als chaotisch bezeichnen muß, in der niemand wußte, was Rechtens war, diesen Besitz weitgehend übertragen erhalten.
Sie haben diesen Besitz verwaltet, entwickelt und große Investitionen gemacht. Eine ganze Reihe von Ländern war beispielsweise nur mit Hilfe der ehemaligen Wehrmachtländereien in der Lage, einen nicht geringen Teil der ihnen zufallenden Aufgaben bei der Bewältigung des Flüchtlingsproblems durchzuführen.
Das ist wesentlich; und diese Länder haben hier in einer sehr schweren Zeit für den Bund eine Vorleistung vollbracht, auf der er aufbauen konnte. Es ist unmöglich, nun sozusagen mit einem Federstrich durch die verwickelten Rechtsverhältnisse, die inzwischen geschaffen worden sind — denn es haben doch in großem Maßstabe Ansiedlungen, Rechtsverfügungen, Eigentumsübertragungen stattgefunden —, ich sage: durch diese komplizierten Rechtsverhältnisse hindurchzufahren. Ich glaube, daß in einer Zeit, in der die Dekonzentration des Besitzes, der Macht, die Entflechtung im politischen und wirtschaftlichen Bereich das Gebot ist, nicht eine neue Machtkonzentration, eine neue Besitz- und Verwaltungsanhäufung erfolgen darf, wie sie hier durch das vorliegende Gesetz geschaffen würde. Ich glaube, daß mit behutsamer Hand vorgegangen werden muß und daß der Bund gut daran tut, mit weiser Mäßigung zu verfahren.
Der Bund sollte auch aus politisch-psychologischen Gründen nicht einen Verfassungskonflikt hervorrufen und die Länder in einer allzu direkten Weise vor den Kopf stoßen. Er müßte ein Interesse daran haben, daß das Verhältnis zwischen Bund und Ländern nicht in unheilvoller Weise beeinflußt und verschlechtert wird.
Ich möchte wünschen, daß das Plenum des Bundestages, im Gegensatz zu Mehrheitsauffassungen, die in den beteiligten Ausschüssen zutage getreten sind soviel staatsmännische Weisheit und politische Einsicht besitzt,
daß es diesem Gesetz seine Zustimmung niemals erteilt.