Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß sagen, daß uns einiges in den beiden von der Regierung vorgelegten Entwürfen und auch in den Ausführungen des Bundesarbeitsministers mit Freude erfüllt, wenn auch nur in sehr geringem Maße. Uns erfüllt mit Freude, daß man den veränderten Verhältnissen Rechnung tragen will. Wir haben schon lange auf solch eine Vorlage gewartet. In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, daß diese Fragen schon im Juli des vorigen Jahres in einem Antrag der Sozialdemokratischen Partei angesprochen wurden. Es wird also spät dazu Stellung genommen. Es freut uns aber, wie man langsam erkennt, daß diese Fragen doch brennender sind, als es damals in der Debatte hingestellt wurde.
Ich möchte auch darauf aufmerksam machen, daß die große sozialpolitische Debatte in der 122. Sitzung des Deutschen Bundestages am 1. März dieses Jahres durch eine Interpellation der Sozialdemokratischen Partei ausgelöst wurde, die sich auf den Antrag des vorigen Jahres bezog. Der Antrag forderte, daß von der Regierung nun end-
lieh Maßnahmen ergriffen werden, die erkennen lassen, daß man der Not entgegentreten will.
Zu der Notlage der betroffenen Kreise möchte ich keine allgemeinen Ausführungen machen. Ich möchte nur an die von uns gemachten sehr ausführlichen Darlegungen erinnern, die in der sozialpolitischen Debatte in dieser Richtung gemacht worden sind. Auch die gestrige Debatte in diesem Hause hat noch einmal aufgezeigt, wie wir zu dieser Frage stehen.
Zu dem Gesetzentwurf Drucksache Nr. 2007 möchte ich sagen, es ist erfreulich, daß nun hinsichtlich der langfristig Arbeitslosen, und zwar solcher, die früher in anderen Berufen tätig waren und in der letzten Zeit eine nicht ihrer Ausbildung entsprechende Beschäftigung übernommen haben, welche eine entsprechend geringere Entlohnung und weiter eine entsprechend geringere Unterstützung mit sich gebracht hat, ein Schritt vorwärtsgegangen wird. Wir begrüßen das sehr. Ich möchte aber darauf hinweisen, daß in dem § 2 Abs. 3 gesagt wird, diese Maßnahme solle auf laufende Unterstützungsfälle nicht angewendet werden. Ich hoffe, das richtig zu verstehen. Es würde dann dazu kommen, daß in einer Gruppe zwei verschieden hohe Unterstützungssätze gezahlt werden — wenn ich es nicht richtig verstanden haben sollte, würde ich mich sogar freuen, aber ich sehe gerade, daß Sie, Herr Bundesarbeitsminister, den Kopf schütteln —; das wäre ja eine Ungerechtigkeit. In Abs. 3 des § 2 heißt es:
Auf laufende Unterstützungsfälle im Sinne des Absatzes 2 findet § 105 Absätze 2 und 3 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung in der Fassung dieses Gesetzes keine Anwendung.
Ich kann leider diesem Wortlaut keine andere Deutung geben als die, daß dann praktisch zwei verschiedene Berechnungsarten nebeneinander bestehen, daß derjenige, der heute erwerbslos wird, die Unterstützung nach den neuen Berechnungsgrundlagen bekommt, und derjenige, der schon länger erwerbslos ist, nicht.
Die Tabelle in der Vorlage Drucksache Nr. 2007 ist auch für uns nicht gerade erfreulich. Es wird in der Regierungsvorlage davon gesprochen, daß angestrebt wird, bis zu 80 % des Arbeitsverdienstes an Unterstützung zu zahlen. Bei den aufgeführten Berechnungsbeispielen muß ich feststellen, daß das nur bei den untersten Sätzen in Frage kommt. Bei den Gruppen, deren Angehörige heute als Normalverdiener — 50 bis 60 Mark Wochenverdienst — anzusehen sind, wird der Prozentsatz lange nicht erreicht. Er liegt bei einem Arbeitslosen mit sechs Familienangehörigen bei zirka 70 %. Wir glauben, Herr Arbeitsminister, daß man hier doch nicht an die Grenze des Möglichen gegangen ist. Bei aller Anerkennung der Überlegungen, wie weit man gehen kann, um den Arbeitswillen nicht erlahmen zu lassen, glauben wir doch, daß man hier nicht bis an die Grenze gegangen ist, also einem Unterstützungssatz, der die Not in dem höchstmöglichen Maße zu lindern vermag und bei dem trotzdem noch der Wille erhalten wird, sich um eine ordentlich bezahlte Arbeit zu bemühen.
Wir glauben also, im Ausschuß entsprechende Vorschläge machen zu müssen. Ich stelle fest, daß der von der KPD vorgelegte Entwurf hier einen Satz von 90 % vorsieht, daß also der Arbeitslose 90 % des normalen Einkommens bekommen soll, während die Regierungsvorlage von 80 % spricht.
Aber in den wenigsten Fällen werden 80 % ausgezahlt werden. In den meisten Fällen bewegt sich der Satz zwischen 50 bis 55, höchstens 60 %. Das ist nach unserer Ansicht zu niedrig.
Herr Arbeitsminister, es hat uns gefreut, daß Sie uns in Ihrem Ministerium einen Einblick in die Entwicklung der Sozialversicherung gegeben haben. Es wäre uns sehr angenehm gewesen, wenn Sie auch in dieser brennenden Frage den gleichen Kreis, den Ausschuß für Arbeit und den Ausschuß für Sozialpolitik, zu sich eingeladen hätten, um diesem Kreis Unterlagen darüber zu geben, was an Stock vorhanden ist. Denn ein gewisser Stock ist ja neben dem, was laufend einkommt, vorhanden. Dann wäre man doch wohl zu anderen Sätzen gekommen, als sie hier in der Vorlage niedergelegt sind.
Zu der Vorlage Drucksache Nr. 2008 ist in groben Zügen das gleiche zu sagen. Die Vorlage beschäftigt sich mit den Alfu-Empfängern. Wir begrüßen auch, daß in ihrer Begründung die Notwendigkeit zwischenzeitlicher Überprüfung der Unterstützung im Hinblick auf das tatsächlich auf dem Arbeitsmarkt vorherrschende Lohnniveau nochmals betont wird. Wir sehen hier den Angelpunkt zu. einer in den Debatten der letzten Zeit immer hervorgehobenen Frage, nämlich der Einführung einer sogenannten gleitenden Skala für Unterstützungen. Wir lesen in Ihrer Begründung, daß praktisch seit 1947 die gleichen Sätze maßgebend sind. Es heißt dort wörtlich:
Die Regelung der Unterstützungssätze verträgt jedoch keinen Aufschub, da diese ebenso wie die Sätze der Arbeitslosenversicherung auf der Wirtschaftslage des Jahres 1947 fußen.
Wir müssen betonen, Sie kommen sehr, sehr spät. Trotzdem ist das Geringe, das heute hier vorgetragen wurde, schon erfreulich. Auf Grund der Hinweise, die auch heute in der Begründung des Herrn Arbeitsministers gegeben wurden, werden wir, wie gesagt, im Ausschuß vor allen Dingen die Frage der gleitenden Skala für Unterstützungen aufgreifen.
Zu der Vorlage der KPD wollen wir jetzt keine Stellung nehmen. Wie Sie wissen, Herr Kollege Kohl, liegt eine Vorlage fast gleicher Art seitens der Sozialdemokratischen Partei bereits seit dem vorigen Jahr vor und hat auch im Ausschuß einige Male zur Beratung gestanden; Sie waren leider nicht da. Wir haben von der Regierung das Versprechen bekommen, daß in nächster Zeit eine generelle Überholung des AVAVG erfolgen wird. Sie ist soeben angekündigt worden. Wir hoffen, daß die Überholung ohne jede Verzögerung erfolgt, damit die wirklich brennenden Fragen bald geklärt werden können. Wir haben den Eindruck, Herr Arbeitsminister — und ich habe von dieser Stelle aus schon einige Male unsere Unzufriedenheit über die langsame Behandlung von Anträgen aus diesem Hohen Hause zum Ausdruck gebracht —, daß Ihre vielgepriesene Sparsamkeit auf Kosten dessen betrieben wird, was notwendig ist. Sie würden bei der Haushaltsberatung unsere volle Unterstützung haben, wenn wir dabei den Eindruck gewinnen würden, daß die entsprechenden Stellen so arbeiten können, wie es den Notwendigkeiten der Zeit entspricht. Wir glauben, daß sie Ihre Sparsamkeit teils am falschen Platze üben.
In dem Entwurf der KPD wird auf den § 74 AVAVG hingewiesen. Wir haben von Ihnen in der damaligen Debatte das Versprechen bekommen, daß Sie diese Regelung jeden Tag mitmachen
würden. Fast 200 Tage sind ins Land gegangen, und es ist nichts geschehen.
Die arbeitslosen jungen Menschen, die nun nach Beendigung der Lehrzeit vor den Werkstätten stehen, werden zu den Wohlfahrtsämtern gehen müssen. Wenn auch gesagt wird, es wird Alfu gezahlt, so ist doch immer die Bedürftigkeit nachzuweisen. Ich richte also nochmals den Appell an Sie, nicht falsche Sparsamkeit zu üben, sondern in Ihrem Ministerium die Leute einzusetzen, die die dringenden Vorlagen auch schnellstens bearbeiten können.
Wir werden der Überweisung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialpolitik zustimmen. Wir haben immer wieder auf die Not der betroffenen Kreise hingewiesen; in diesen Vorlagen sehen wir eine Anerkennung unseres Drängens. Wenn man an die sozialpolitische Debatte und an manchen Zwischenruf denkt, der protokollarisch festgelegt ist, dann muß man sich fragen, wieweit noch ein echtes soziales Verständnis vorhanden ist. Wir haben bei den meisten Vorlagen den Eindruck, daß sie aus dem Geiste des „so sozial wie möglich" erfolgen. Das heißt, daß nicht der Druck der harten Tatsachen dahintersteht. Wir haben von dieser Stelle aus mehrfach erklärt, daß die Sozialpolitik von dem Grundsatz aus „so sozial wie nötig" betrieben werden muß. Das heißt, daß man unablässig und mit stärkstem Druck daran gehen muß, die Not zu beseitigen. Bei aller Anerkennung der materiellen Schwierigkeiten der Regierung in der gesetzlichen Regelung dieser Fragen sind wir doch der Ansicht, daß hier nicht das Entsprechende getan wird. Diese Vorlagen entsprechen in der letzten Erfüllung nicht den Vorstellungen der Sozialdemokratie. Ich habe soeben schon gesagt, es sind einige erfreuliche Fortschritte zu verzeichnen. Wir werden im Ausschuß mithelfen, eine Vorlage zu erarbeiten, die der Not der Zeit gerecht wird. Es ist soviel von der Not gesprochen worden. Es ist notwendig, auf dem schnellsten Wege hier eine gute Regelung zu schaffen, notwendig in dem tiefsten Sinne des Wortes, um „die Not zu wenden".