Rede von
Dr.
Hermann
Ehlers
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren,. Sie haben die Begründung der beiden Gesetzesvorlagen der Regierung gehört.
Zur Begründung des Gesetzesantrags der KPD — Drucksache Nr. 1958 — hat Herr Abgeordneter Kohl das Wort.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, für die Begründung 15 Minuten und für die Aussprache über diese drei Punkte der Tagesordnung eine Redezeit von 120 Minuten vorzusehen.
Kohl (KPD), Antragsteller: Meine Damen und Herren! Im Frühjahr 1950 wurde im Bundestag anläßlich einer Debatte über die stetig wachsende Zahl der Arbeitslosen durch Herrn Bundesarbeitsminister Storch die Meinung vertreten, daß diese Zahl bis zum Herbst 1950 stark im Absinken begriffen sein werde und daß ihre Senkung keinen besonderen Schwierigkeiten mehr begegnen würde. Sekundiert wurde der Herr Bundesarbeitsminister nicht nur hier in diesem Hause, sondern auch außerhalb dieses Hauses von dem Herrn Bundeswirtschaftsminister Dr. Erhard, der in der Behandlung der Prognosen der wirtschaftlichen Zukunftsentwicklung dieselbe Auffassung vertreten hat und der ja gestern erneut unter Beweis gestellt hat, wie wandlungsfähig er bei seinen Prognosen geworden ist. Wir haben die Tatsache zu verzeichnen, daß trotz aller Bemühungen der Bundesregierung, wie der Herr Bundesarbeitsminister meint, die Zweimillionengrenze der Arbeitslosenzahl in Sicht ist. Damit ist nach unserer Meinung der Höhepunkt noch nicht erreicht. Auch die offiziellen Pressemitteilungen, die von einem leichten Absinken der Arbeitslosenziffer sprechen, können über die tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnisse nicht hinwegtäuschen. Es ist bereits gesternin diesem Hause ausgeführt worden, daß die Arbeitslosenziffer schon außerordentlich stabil ist, vielleicht die einzige Stabilität, die wir in Westdeutschland zu verzeichnen haben. Die Hoffnungen, die eine große Anzahl von Politikern auf die Folgen des Marshallplans gesetzt hat — deren Wirksamkeit von uns allerdings bestritten worden ist —, sind nicht erfüllt worden. Diese Abhängigkeit vom Marshallplan ist mit eine der Hauptursachen dafür, daß die Arbeitslosenzahl nicht absinkt, sondern weiter im Steigen begriffen ist. Wir sind der Meinung, daß gerade in der Tatsache des Vorhandenseins einer strukturellen Arbeitslosigkeit die koloniale Abhängigkeit Westdeutschlands erneut unter Beweis gestellt worden ist. Die Maßnahmen der Regierung, die in den letzten Monaten besonders kraß in Erscheinung getreten sind — ich erinnere nur an die Brotpreiserhöhung, an die Tatsache der kommenden Erhöhung der Margarinepreise, an die Erhöhung der Butterpreise und Kohlenpreise, an.
die diskutierte Mietpreiserhöhung und den Blütenstrauß neuer Steuergesetze, den der Bundesfinanzminister in einer der letzten Sitzungen dem Parlament serviert hat —, führen ganz zwangsläufig zu einer außerordentlichen Verschlechterung der Lebenshaltung im allgemeinen.
Besonders hart aber treffen diese geschaffenen wirtschaftlichen und politischen Tatsachen den Kreis der Arbeitslosen. Die unglaubliche Spanne zwischen Preis und Einkommen zeigt ihre Auswirkungen gerade bei den bald zwei Millionen Arbeitslosen, deren Erbitterung in Hunderten von Entschließungen dieser Kreise an dieses Haus und an die maßgebenden Regierungsstellen zum Ausdruck gekommen ist. Es wäre wirklich einmal zweckmäßig, wenn der Herr Bundeswirtschaftsminister nicht nur von der Tribüne dieses Hauses die Maßnahmen der Regierung, die sie auf dem wirtschaftlichen und Preissektor durchzuführen gedenkt, vor dem deutschen Volk vertreten, sondern wenn er seine Parole des Riemen-enger-Schnallens auch einmal in einer Arbeitslosenversammlung vertreten würde. Er zieht es allerdings vor, vor den Kreisen der Industrie- und Handelskammern zu sprechen, weil dort die Situation für ihn ungefährlicher ist.
Wir stellen die bedenkliche Tatsache fest, daß bei den langfristig Erwerbslosen, die den größten Teil der Arbeitslosen darstellen — weit über 60 %, der Anteil der Jugendlichen beträgt zirka 28 % —, sich die Lage durch die katastrophale Wirtschafts- und Steuerpolitik der Regierung bedeutend verschlechtert hat. Der Bundesarbeitsminister Storch, der gerade vor mir seinen Gesetzentwurf zur Änderung wenigstens in der Unterstützungsfrage begründet hat, glaubt nun, mit einer zehnprozentigen Erhöhung einen Ausgleich geschaffen und auf der anderen Seite auch — allerdings ist das illusionär — damit die Empörung der Erwerbslosen aufgefangen zu haben. Die Proteste, die bereits jetzt laut geworden sind, gipfeln immer wieder in der berechtigten Behauptung, daß dieser Gesetzentwurf eine Verhöhnung der Arbeitslosen darstellt. Dabei ist bezeichnend, daß für die Errichtung einer Bundesanstalt für Arbeitslosenversicherung, die jetzt noch vorhandenen zirka 700 Millionen DM Rücklage in diese neue Bundesanstalt miteingebracht werden sollen. Den Satz in der Begründung des Gesetzentwurfes über die zehnprozentige Erhöhung sollte man in Parallele setzen, daß nämlich mit diesen Gesetzesvorlagen die Möglichkeiten der Bundesregierung, den Erwerbslosen zu helfen, ausgeschöpft seien. Obwohl der Bundestag bereits Anfang vorigen Jahres die Meinung vertreten hat, daß eine grundlegende Reform des Gesetzes über Arbeitslosenversicherung und Arbeitsvermittlung eine zwingende Notwendigkeit ist, versucht man, mit kleinen Änderungen an der Gesamtproblematik dieser Frage vorbeizukommen, weil man das Steueraufkommen der arbeitenden Menschen für Zwecke der sogenannten Sicherheit benötigt. Dabei läßt man die soziale Seite, die vor allen Dingen für die bald 2 Millionen Arbeitslosen so lebenswichtig ist, vollkommen außer acht. Ich darf in diesem Zusammenhange darauf hinweisen, daß es nicht nur bedenklich ist, wenn nach den Erklärungen des Bundeswirtschaftsministers in der gestrigen Sitzung die Mittel der Sozialversicherung und der Arbeitslosenversicherung für Investitionszwecke in Anspruch genommen werden, sondern ich glaube, daß hier auch der schärfste Widerstand gegen diese
Pläne von seiten der Arbeiterschaft in Erscheinung treten dürfte.
Diese grundsätzliche Erkenntnis und die Tatsache, daß seit 1939 keine Änderung entscheidender Art an dem Gesetz über Arbeitslosenversicherung und Arbeitslosenfürsorge vorgenommen worden ist, hat uns veranlaßt, diesen Gesetzentwurf vorzulegen, der wenigstens in den grundsätzlichen Fragen eine längts fällige Reform des Arbeitslosenversicherungsgesetzes vorsieht. Wir erheben dabei keinen Anspruch darauf, mit unseren Vorschlägen alles das aus dem Gesetz ausgemerzt zu haben, was auszumerzen notwendig ist. Aber wir sind der Auffassung, daß, da die Bundesregierung bisher jede Initiative vermissen ließ und die Not bei den Erwerbslosen immer weiter steigt, endlich etwas getan werden muß, um diesem Personenkreis in bescheidenem Ausmaß zu helfen.
Schon seit Jahren wird beispielsweise in zuständigen Fachkreisen darüber diskutiert, ob es zweckmaßig sei, zwei verschiedene Unterstützungsarten zu haben, einmal die Arbeitslosenversicherung und zum zweiten die Arbeitslosenfürsorgeunterstützung. Die Kompliziertheit dieses Verfahrens bedingt einen riesigen Verwaltungsapparat, dessen Mittel man durch eine Vereinfachung einsparen könnte, indem man eine Unterstützungsart sicherstellt, auf die der Arbeitslose, soweit er in einem versicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis gestanden hat, für die Gesamtdauer seiner Arbeitslosigkeit einen Rechtsanspruch haben muß. Wir gingen dabei auch von dem Grundsatz aus, daß nach Ablauf der bestimmten Karenzzeit das Überwechseln von der Alu in die Alfu mit einer finanziellen Schlechterstellung verbunden ist, die weder moralisch noch sozial gerechtfertigt ist, weil ja mit der Länge der Arbeitslosigkeit die Lebenslage des Arbeitslosen immer weiter absinkt und ein niedrigerer Unterstützungssatz nicht verantwortet werden kann. Die Mittel der Arbeitslosenversicherung sind zweckgebunden und sollten nach unserer Meinung eindeutig den Anspruchberechtigten zugute kommen.
Wir legen weiter in unserem Gesetzesvorschlag den Gedanken fest, daß die Vermittlung und Berufsberatung unentgeltlich auszuführen sind, im Gegensatz zu dem bisher gültigen § 60 des alten Gesetzes, nach dem den Arbeitsämtern bei Arbeitsvermittlung immer noch die Erhebung von Gebühren gestattet ist.
Trotz dem Angebot des Herrn Bundeskanzlers — nach großem, allerdings untauglichem Vorbild —, auf Kosten der Arbeiter einen Burgfrieden abzuschließen, sind wir der Meinung, daß infolge der Politik der Bundesregierung Lohnkämpfe und, wenn die Entwicklung so weiter geht, sicherlich auch Arbeitszeitkämpfe unvermeidlich sein werden. Wir wollen deshalb in dieses Gesetz gewisse Sicherungen einbauen und sagen in unserem Gesetzesvorschlag, daß bei Ausständen oder Aussperrungen unter keinen Umständen eine Vermittlung von Arbeitslosen durch die Arbeitsämter durchgeführt werden darf. Wir stützen uns dabei auf die Erfahrungen in der Vergangenheit, wo man immer wieder versuchte, gerade bei Lohn- und Arbeitszeitkämpfen die Arbeitslosen gegenüber der um ihre Existenz ringenden Arbeiterschaft auszuspielen. Wir sind uns auch darüber im klaren, daß weite Kreise in Westdeutschland mit dem Gedanken spielen, einmal die Not der Arbeitslosen für ihre Rekrutierungsgelüste in der Frage der Remilitarisierung nutzbar zu machen.
Wir wollen weiter die Versicherungsfreiheit von Lehrlingen, Anlernlingen und Praktikanten bis 12 Monate vor Beendigung ihres vertraglichen Lehr- oder Arbeitsverhältnisses; für diese Zeit hat dann der Unternehmer die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu tragen. Niemand wird bestreiten wollen, daß bei dem bisherigen Zustand gerade dieser Personenkreis kurz nach Beendigung seines Vertragsverhältnisses zum großen Teil entlassen wird und praktisch vor einem Nichts steht.
Einer der entscheidendsten Paragraphen ist § 87, in dem wir entsprechend unserer grundsätzlichen Einstellung eine Unterstützungsart verlangen, die jedem Anspruchsberechtigten für die Dauer seiner gesamten Arbeitslosigkeit die Arbeitslosenunterstützung garantiert. Die Anwartschaft muß als erfüllt betrachtet werden, wenn der Arbeitslose bei seiner Entlassung in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden hat.
Bei einem Blick auf die gegenwärtig von den Arbeitsämtern durchgeführten Aus- und Fortbildungskurse sind wir der Meinung, daß bedeutend mehr getan werden könnte, wenn man unseren Gesetzesvorschlag annimmt, der vorsieht, die Kosten für diese Fortbildung und auch das Fahrgeld durch die Arbeitsämter tragen zu lassen.
Die kommunistische Fraktion des Bundestages hat bereits im September vorigen Jahres dem Bundestag einen Antrag unterbreitet, der eine Erhöhung der Unterstützungssätze für Arbeitslose und Kurzarbeiter um 30 % vorsah. Die Antwort auf diesen Antrag ist nun der Gesetzentwurf der Bundesregierung, der eine zehnprozentige Erhöhung als ausreichend betrachtet. Wir halten es deshalb auch für notwendig, die Berechnungsgrundlage, die nach dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf des Herrn Bundesarbeitsministers um 10 % erhöht wird, in § 105 zu ändern, und zwar zugunsten der Erwerbslosen, indem angesichts der unerhört gestiegenen Lebenshaltungskosten der bisher unzulängliche Zuschlag für Angehörige von 20 bzw. 10 % auf 40 bzw. 30 % erhöht wird.
Wer selbst einmal das Schicksal eines Erwerbslosen hat auf sich nehmen müssen, der wird wissen, daß die in, § 110 festgelegte Karenzzeit eine Unmöglichkeit darstellt. Wir verlangen deshalb mit unserem Gesetzentwurf, die Arbeitslosenunterstützung vom Tage der Arbeitslosmeldung ab zu bezahlen. Die Zahlung der Kurzarbeiterunterstützung, die nach dem Gesetz eine Kannbestimmung ist, muß in eine Mußbestimmung geändert werden. Ebenso muß dem Erwerbslosen bei der Beschaffung einer neuen Arbeitsausrüstung geholfen werden. Mittel der Arbeitsämter sind dafür ohne Rückerstattung zur Verfügung zu stellen.
Die Tatsache, daß Arbeitslose aus langfristiger Arbeitslosigkeit in einen neuen Beruf vermittelt werden, in dem sie zuerst die notwendige Fertigkeit erlangen müssen, zwang dazu, einen Lohnausgleich aus den Mitteln der Arbeitslosenversicherung festzulegen, der so lange zu gewähren ist, bis der Arbeitende in seinem neuen Wirkungskreis die volle Fertigkeit erreicht hat.
Eine Unmöglichkeit stellt der bisherige Zustand dar, daß der Leiter des Arbeitsamtes bzw. des Landesarbeitsamtes bei der Durchführung von Notstandsarbeiten den Stundenlohn bestimmt bzw. festlegt. Wir verlangen, daß bei der Durchführung dieser Arbeiten der dafür vorgesehene Tariflohn unter allen Umständen zu bezahlen ist. Ebenso lehnen wir es ab, daß ausgesprochene Facharbeiter unter Androhung des Entzugs der Arbeitslosenunterstützung gezwungen werden können, einen anderen Beruf, in dem gegenwärtig Mangel besteht, aufzunehmen, und daß die Unterstützungszahlung davon abhängig gemacht wird.
Den Gemeinden und Gemeindeverbänden gestehen wir nicht mehr die Vermittlung von Arbeitslosen zu, weil wir, gestützt auf Erfahrungen, die Unmöglichkeit dieses Zustandes kennen.
Wir sind uns darüber im klaren, daß dieser von uns eingereichte Gesetzentwurf, wenn er gründlich und eingehend diskutiert wird, unter allen Umständen zweifelsohne eine fortschrittliche Arbeitslosenhilfe darstellt.
Wir sind uns weiter darüber im klaren, daß die Erwerbslosen in erster Linie die Katastrophenpolitik der Bundesregierung mit niedrigen Unterstützungssätzen und mit einem weiteren Ansteigen der Arbeitslosenzahl zu bezahlen haben. Nur zwei kurze Zitate: Die „Düsseldorfer Nachrichten" vom 9. März 1951 bringen unter der Überschrift „Höhere Preise, mehr Steuern, weniger Wohnungen, Bauverbote in Kürze zu erwarten" ein Bild über die tatsächlichen Zustände, wie wir sie gegenwärtig in Westdeutschland haben und wie sie sich weiter entwickeln werden. Einen Tag vorher veröffentlicht das Nürnberger „8-Uhr-Abendblatt" ebenfalls einen Bericht unter der Überschrift „Eine Milliarde für neue Kasernen für amerikanische Streitkräfte oder kasernierte deutsche Truppen". Wir sind der Meinung, meine Damen und Herren, die Mittel, die Sie in diesem Hause für einen sogenannten Verteidigungsbeitrag und für eine schlagkräftige Polizei bewilligen, sollten viel eher den Erwerbslosen zugutekommen. Sie sollten Ihre Politik därauf ausrichten, die Erwerbslosen in Arbeit zu bringen. Sie können sie in Arbeit bringen, wenn Sie eine Politik des Friedens und nicht eine Politik der Vorbereitung des Krieges betreiben.
Deswegen glauben wir sagen zu müssen, daß der Gesetzentwurf im Ausschuß für Arbeit gründlich diskutiert werden soll. Wir beantragen die Überweisung an diesen Ausschuß.