Rede von
Dr.
Erik
Nölting
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Sehr geehrte Damen und Herren! Wir begrüßen es — namentlich nach dieser Rede — sehr, daß uns die zweite Lesung des Etats des Wirtschaftsministeriums Gelegenheit bietet, über die einzelnen Etatspositionen hinaus unsere Auffassung über die wirtschaftliche Gesamtsituation zu entwickeln. Denn die Wirtschaftspolitik steht heute im Brennpunkt des öffentlichen Interesses. Ich glaube aber, daß diese leidenschaftliche Anteilnahme und Interessiertheit bestimmt kein Ruhmeskapitel für den Herrn Bundeskanzler und seinen Wirtschaftsminister bedeutet.
Wir hatten heute wohl alle gehofft, daß man von der Regierungsbank ein wirklich zielweisendes Wort zu hören bekommen würde; denn bei den breitesten Volksmassen hat sich ein Gefühl der Erbitterung und der Sorge festgefressen,
daß die Regierung die Dinge nicht mehr in ihrer Hand hat und daß sie sie schleifen läßt.
Ich glaube, meine Damen und Herren, es war ein zu hochgegriffenes Wort, wenn der Herr Bundeswirtschaftsminister seine Rede als eine Programmrede bezeichnete.
In Wirklichkeit war sie eine gestammelte Entschuldigungsrede,
eine Rede, meine Damen und Herren,
die sehr viel interessante und in diesem Munde ungewohnte Vokabeln enthielt;
denn wenn wir hören von „Repressalien", die vom Liberalisierungsstop drohen — jetzt muß ich leider wirklich ablesen —, wenn wir hören von „notleidenden Grundindustrien", wenn wir hören von „Kaufkraftumlenkung", von einer „straffen Führung der Wirtschaftspolitik", von „Prioritäten in der Rohstoffzuteilung", die uns noch vor kurzem abgelehnt wurden — ja, meine Damen und Herren, dann ist das doch alles eine fortlaufende, ich will nicht sagen, Sünde gegen das Blut, aber eine Sünde gegen den Geist,
aus dem heraus bisher hier Wirtschaftspolitik getrieben wurde.
Herr Professor Erhard, was Sie heute auf dieses Podium brachten, das war die Mumie Ihrer Marktwirtschaft.
Wenn Sie in den Spiegel schauen, möchte ich Sie fragen: Erkennen Sie sich selbst dann eigentlich noch wieder?
Wir aber haben die Ratlosigkeit eines Liberalisten erkannt, der sich gründlich festgefahren hat. Ich glaube, diese Ihre Rede wird alarmierend im ganzen Lande wirken, und die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter werden es vielleicht mit besonderem Interesse vernehmen, daß sie angeblich erst durch Ihre Wirtschaftspolitik wieder zum „Sinn für Arbeit" erzogen worden sind, ein Wort, das Sie sich hätten schenken sollen.
Aber, meine Damen und Herren, dennoch vielleicht war diese Rede gut; denn Sie wissen ja: was bisher in die Öffentlichkeit gedrungen war, war ein unübersichtliches Gewirr von Plänen, von Gutachten, von Projekten, von Pronunziamentos, verhüllten Andeutungen und von Dementis am laufenden Band. Wir wissen, wer alles in der letzten Zeit Wirtschaftsprogramme fixiert und niedergelegt hat: Umsatzsteuerpläne, generelle Preiserhöhungen — man nennt das heute „Preisanhebung" —, Zwangssparideen, Markenklebeprojekte, Marktspaltungsforderungen, Zwangsanleihen auf Kohle, Einfuhrstop bei gleichzeitiger Exportförde-
rung, — das alles wirbelt wie unlustige Schneeflocken in letzter Zeit bunt durcheinander.
Die Direktionslosigkeit, mit der man sich festgefahren hat, ist so groß, daß wir gestern aus den Zeitungen entnehmen mußten: Vertreter der Hohen Amerikanischen Kommission sind beim Bundeskanzler vorstellig geworden, um auf die Notwendigkeit eines zielbewußten Kurses in der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung hinzuweisen.
Sie haben Stabilisierungsmaßnahmen, sie haben die Errichtung von Ein- und Ausfuhrkontrollen, sie haben zweckbestimmte Verwendung der Rohstoffe und Halbwaren in diesem Memorandum als das Gebot der Stunde bezeichnet. Gewiß für die Bundesregierung eine blamable Rüge, meine Damen und Herren.
Schon bei der Diskussion um das Arbeitsbeschaffungsprogramm — jenes Arbeitsbeschaffungsprogrammes, das dann später zusammenschrumpelte zu einem Wirtschaftsförderungsprogramm, um dann als Engpaßprogramm auf Eis gelegt zu werden — haben wir wiederholt auf die ungeklärten Zuständigkeiten hingewiesen; denn einmal war es ja der Herr Arbeitsminister, einmal der Herr Wirtschaftsminister, der verantwortlich zeichnete.
Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie haben in der heutigen Rede etwas verdächtig oft betont, daß Sie die für die Wirtschaftspolitik allein zuständige Instanz seien.
So etwas legt immer den Verdacht nahe, daß sich neben Ihnen noch irgendeine Nebenregierung etabliert hat.
Es wäre sehr interessant zu erfahren, wie eigentlich die Kompetenzenabgrenzung mit jenem Hof-Wirtschaftsminister ist, den sich der Herr Bundeskanzler in aller Heimlichkeit zulegte. Sehen Sie, wie die Zuständigkeiten durcheinander gehen! Sie propagierten heute ein Exportförderungsprogramm, betonten Exportnotwendigkeiten, aber noch im Sommer des vergangenen Jahres wies der Herr Bundesfinanzminister Schäffer darauf hin, daß eine steuerliche Exportförderung überflüssig sei, da ja der Export ohnehin so erfreulich anlaufe. Im Topfe des Außenhandels rühren gegenwärtig die Professoren Erhard und Niklas im trauten Verein mit dem Herrn Vizekanzler Blücher als nicht immer gar sehr einträchtige Köche herum.
— Ach nein, in diesem Topf rühre ich nicht mit. — Die Zuständigkeit im Kreditbereich, die der Herr Wirtschaftsminister nach unserem Dafürhalten mit Recht für sich reklamiert, liegt beim Finanzminister. Ich glaube, meine Damen und Herren, dadurch, daß sich nun der Herr Bundeskanzler noch einen besonderen privaten Wirtschaftsminister beigesellt hat, sind wir nicht gerade der Notwendigkeit, zu einer Vereinheitlichung der ganzen Wirtschaftskonzeption zu kommen, nähergerückt. Bei solchem Arrangement sind dafür nur höchst geringe Chancen vorhanden.
Ich möchte mich im weiteren Verlauf meiner Rede gern an die Disposition halten, die der Herr Bundeswirtschaftsminister seinen Ausführungen zugrunde legte. Horcht man in die Diskussion des Mannes der Straße, so geht es neben der Arbeitlosigkeit — von der der Herr Bundeswirtschaftsminister bezeichnenderweise wiederum überhaupt nicht sprach,
denn eine Arbeitslosigkeit von 1,5 oder 1,6 Millionen, wird inzwischen regierungsseitig fast schon als konstante Größe empfunden —, ich sage: sieht man von dieser Arbeitslosigkeit ab, so geht es bei diesen Diskussionen in der Tat heute in erster Linie um die Frage der Preise. Damit ist das am meisten brennende Thema angeschlagen. Sicher spielt beim Auftrieb der Preise der durch Rüstungskonjunktur bedingte aufwärtsweisende Preistrend auf dem Weltmarkt eine nicht zu leugnende Rolle, und Sie sollen uns nicht später wieder sagen, das wir das übersehen. Auch wir werden nicht verlangen,' daß man sich gegen diesen Preisanstieg völlig abschirmt und daß man die Preise auf ein bestimmtes kalendermäßiges Datum hin einfach einfrieren läßt. Aber ich glaube, zwei Dinge sind zu sagen. Erstens: man hätte mehr Vorsorge treffen können, damit uns der Anprall des Preisanstiegs nun nicht mit seiner ganzen Wucht trifft, damit uns nun nicht alle Ziegelsteine auf den Kopf fallen, wie es jetzt leider tatsächlich der Fall ist. Zweitens: Man sollte keinen blauen Dunst produzieren, indem man jetzt schon wieder von bevorstehenden Preiseinbrüchen im Frühjahr oder im Sommer orakelt. Denn die Teuerungswelle in den Weltrohstoffen beginnt erst gerade jetzt unsere Fertigfabrikation zu erreichen und wird in ihrer ganzen Breitenwirkung etwa um August oder September hervortreten.
Gewiß gibt es Korea. Das wissen wir auch, Herr Minister Erhard. Aber man soll Korea nicht als Alibi und Wandschirm für eigenes Versagen benutzen.
Der Weltmarkt erklärt nicht den ganzen Umfang des heutigen Preisphänomens. Der Preisanstieg bei uns ist vielmehr zum großen Teil eine Folge der Disproportionalitäten, Engpässe und der strukturellen Verzerrungen in unserer Wirtschaft, nicht zuletzt eine Folge der aus Steuerbegünstigungen gespeisten Selbstfinanzierung und der dadurch verursachten Kaufwelle und schließlich das Resultat der sich überstürzenden und sich so häufig widersprechenden Erklärungen der Bundesregierung und ihrer einzelnen Minister, die ja eine allgemeine Unsicherheit und Käuferpanik geradezu zwangsläufig heraufführen mußten.
Wenn der Herr Bundeskanzler davon spricht, die Steigerung der landwirtschaftlichen Erlöse um eine Milliarde sei notwendig, wenn der Niederbreisiger Kreis von einer allgemeinen Anhebung des Preis-und Lohnniveaus spricht, wenn Herr Schäffer Umsatzsteuererhöhungen verkündet, wenn Herr Blücher von Zwangssparen, wenn Herr Professor Erhard von Sparmarkenkleben usw. spricht — und man spricht bei uns ja lange, bevor gehandelt wird, weil man angesichts der überall vorhandenen Engpässe den Engpaß mangelnder Ideen für sich selber so gern durch originelle Einfälle durchbricht und sich damit an die Tate spielt —,
dann, verehrte Anwesende, muß zwangsläufig ein Run auf die Warenmärkte entstehen. Hernach beschimpft man dann nach bewährtem Vorbild den Verbraucher, den man zuvor durch dieses vielstimmige Gerede in Nervosität gehetzt hat.
Die Preispolitik ist eine Funktion der allgemeinen Wirtschaftspolitik. Wir haben niemals dem Köhlerglauben angehangen, daß man diesem Problem nur mit Polizei- und Preisvorschriften beikommen könne. Da müßte schon das ganze Instrumentarium moderner Wirtschaftslenkung eingesetzt werden, um dem Übel an der Wurzel zu begegnen.
Dennoch können wir nach dem Dafürhalten meiner Freunde in der gegenwärtigen Situation auf konkrete und schnell wirksame Stützmaßnahmen nicht verzichten. Wir müssen zu einer Verhinderung von Knappheitsgewinnen durch verschärfte Anwendung des Wirtschaftsstrafrechts und durch Ausschöpfung aller Möglichkeiten bis zum Berufsverbot und bis zur Betriebsschließung kommen,
wobei sich die Anklage gegen den ganzen Personenkreis richten müßte, der sich in der Kette der Preistreiberei und Verteuerung schuldig gemacht hat, vom Erzeuger über alle Zwischenhandelsstufen hinweg .bis zum letzten Einzelhändler. Wir brauchen eine wirksame Preiskontrolle, wir brauchen den Erlaß von Richtpreisen. Aber, Herr Bundeswirtschaftsminister, wie lange ist es eigentlich her, daß Sie mit Triumphatorengeste hier verkündet haben: „Ich werde die ganzen unteren Preisbehörden zum Teufel jagen",
die Sie heute so dringend brauchen? Wir fordern eine Überprüfung und Niedrighaltung der übersetzten Handelsspannen — das ist unser altes Anliegen —, eine Beibehaltung der Subventionierung für einige Massenlebensmittel, da man zur Stunde das Stützgebälk einfach nicht wegschlagen kann, und eine rigorose Erfassung hinterzogener Steuern, die doch heute als zusätzlicher Konsum auf den Warenmärkten herumzigeunern. Wenigstens aber wäre zu fordern, daß die Bundesregierung — weitgehend selber unfähig, ihren gesetzlichen Vorschriften Respekt zu erzwingen — nicht, wie es bei der Frage der Getreidepreise geschah, selbst gegen bestehende Gesetze verstößt
und sich damit um allen Kredit bringt.
Die falsche Preispolitik, für uns beginnend mit der überhasteten Beiseiteräumung aller Preisregulierung im Sommer 1948, ist es auch gewesen, die uns in den zweiten Notstand gebracht hat, dessen Folgen wir heute zu tragen haben, in jene Bezirke von Engpässen, die sich als Bremse für den weiteren Produktionsanstieg auswirken. Sie sind dadurch entstanden — und deshalb handelt es sich nicht um strukturelle Verzerrung, sondern um wirtschaftspolitische Fehlleitung, Herr Minister Erhard —, daß man in den konsumnahen Industrien und in der Geschäftswelt die Preise schießen und sprossen ließ, während im Sektor der Grundstoffindustrien und der Energieerzeugung sowie des Verkehrs und der Mieten Preisgebundenheit blieb.
Ich weiß nicht, Herr Minister, wie ich Ihre andeutenden Worte von heute verstehen soll. Aber ich könnte mir denken, daß Sie als ein unentwegter liberaler Gralshüter auch das vielleicht als einen Schönheitsfehler empfinden und daß Sie auch hier die Preisbindung über Bord werfen möchten. Wir möchten warnen! Dieser Sprung in das kalte Wasser der Marktwirtschaft würde zu einem fröhlichen Plätschern im Stahlbad anziehender Preise werden.
Er würde Lohnanpassungen im ganzen Bereich der
Wirtschaft und der Fürsorge nach sich ziehen, und die Inflation stünde vor den Toren.
Einigkeit besteht darüber, daß die Engpässe aufgesprengt werden müssen. Es ist interessant, daß jetzt endlich auch die Regierung begreift, daß auf diesem Gebiet schwere Unterlassungssünden begangen sind.
Wir haben schon vor zwei Jahren auf die Engpässe hingewiesen, insbesondere auf das Kohleproblem, das man in Bonn zwei Jahre völlig aus den Augen verloren hatte, weil man sich auf eine bevorstehende Kohlenschwemme einstellte.
— Wollen Sie es nicht glauben? Sie, Herr Professor Erhard, haben noch am 8. November 1950 vor dem Industrie- und Handelstag in Köln erklärt, eine Kohleverknappung sei nicht zu befürchten.
Im übrigen: schieben Sie auch da wieder nicht alles auf die Ruhrbehörde ab, wobei ich nur darauf hinweisen möchte: Wir sind es schließlich nicht gewesen, die der Ruhrbehörde zugestimmt haben,
die uns jetzt die Kohle abzwackt.
Wie aber will man nun an die Stellen, deren Kapitalausstattung allzu dürftig geblieben ist, das Kapital heranbringen? Man sage uns nicht: es ist kein Kapital vorhanden. In manchen Zweigen der Wirtschaft wird das Wort „verdienen" gestern und heute groß geschrieben. Die Investitionsrate ist enorm. Die Nettoinvestitionen haben nach Ihren eigenen Feststellungen im letzten Jahre allein 15 bis 16 Milliarden DM ausgemacht. Freilich blieb die Kapitalbildung eine höchst exklusive Angelegenheit, an der der kleine Einkommensträger wegen der Wucherpreise und der schröpfenden Verbrauchssteuern nicht beteiligt war.
Die Investitionen haben sich so vollzogen — bei
Ihnen, Herr Minister, fehlte jeder Hinweis darauf
daß das weniger Dringliche vor dem Dringlichen erstellt wurde. Weil Sie mir nicht glauben, darf ich mich hier auf die Kronzeugenschaft von Herrn Direktor Abs, Direktor der Kreditanstalt für Wiederaufbau, berufen, der darauf hingewiesen hat, daß man Investitionen durchgeführt habe, die bei vernünftigem Wirtschaftsaufbau in die Jahre 1954 und 1955 gehört hätten, während im Grundsektor der Wirtschaft Investitionen unterblieben seien, die man in den Jahren 1946/47 hätte vornehmen sollen. Das nennen wir Fehlinvestitionen, wohlgemerkt, nicht absolute Fehlinvestitionen — später werden wir auch das einmal gebrauchen können —, aber proportional und zeitlich falsch angesetzte Investitionen.
Nun erhebt sich nämlich das erste Stockwerk unserer Wirtschaft, in das ich die Konsumgüterindustrien, die Absatz- und Vertriebsorganisation und ihren Anhang verweise, auf zu schmalbrüstig dimensioniertem und verkümmert gebliebenem Fundament. In diesem Fundament sind beheimatet die Grundindustrien, die Energieerzeugung, der Verkehr, der Wohnungsbau usw. Diese Verzerrung der Produktionskapazitäten und -proportionen wirkt sich heute höchst nachteilig aus. Wir stoßen deshalb mit dem Kopf an eine Decke, die unsere Bewegungsfreiheit hemmt.
Dem Kapital- und Kreditstrom muß also eine andere Richtungstendenz gegeben werden. Das er-
kennen auch Sie an. Aber die Frage ist: wie macht man das, was schlägt die Bundesregierung vor? Sie schlägt erstens Steuern vor, Steuern, die man dann natürlich nicht für konsumtive Haushaltszwecke verwenden dürfte. Aber, meine Damen und Herren, ehe man uns mit neuen Steuern kommt, soll man uns sagen, was man gegen die Steuerhinterziehungen zu unternehmen gedenkt, die sich nach Schäffers Wort auf 3 Milliarden DM belaufen,
und gegen die Kapitalflucht, die auf 600 bis 800 Millionen DM geschätzt wird.
Im übrigen: wenn schon bei der kleinen Steuerreform gemäß § 7 a des Einkommensteuergesetzes Geld frei wurde, warum hat man dann dieses Geld nicht zielbewußt dem Kapitalmarkt zugeführt? Dann hätte man nämlich jene Manövriermasse in der Hand gehabt, nach der man heute so sehnlich ruft.
Die zweite Forderung in Ihrem Lager ist die: Investitionsbildung aus der Lohntüte, indem man die Preise heraufsetzt oder heraufredet, denn beides geschieht heute. Wir werden uns dazu nicht hergeben. Denn wir wissen, die Massen leben nicht mehr am Rande, sie leben vielfach unterhalb des Existenzminimums. Es kommt eine Drosselung des Massenverbrauchs für uns nicht in Frage. Wir wissen durchaus, daß uns Korea manchen Zwang zufügt. Aber wenn wir schon arm sein müssen, dann wollen wir auf anständige Weise gemeinsam arm sein.
Daran hat es bei Ihrer „sozialen Marktpolitik" bis heute gefehlt.
Der dritte Vorschlag, der heute zum Glück nicht aufgeführt wurde, ist das Zwangssparen. Wir wissen, jedes Zwangssparen erschlägt den freiwilligen Sparakt. Außerdem weckt die Volkswagensparaktion unangenehme, aber noch höchst frische Erinnerungen.
Dafür tragen Sie nun, sehr geehrter Herr Bundesminister, Ihren Lieblingsplan vor, jene Babybonds, die übrigens praktisch auch auf ein Zwangssparen hinauslaufen. Wir wundern uns auf der einen Seite, wie Sie, der Sie doch als Ritter St. Georg ausgezogen sind, um das Ungetüm der Bürokratie zu erlegen, heute bereit sind, einen solchen Organisationsapparat zu erstellen, der für diese Zwecke notwendig wäre.
Wir fragen Sie zweitens: Wo es so viel Steuerunehrlichkeit im Lande gibt, glauben Sie, daß die Klebeehrlichkeit so viel größer sein würde als die Steuerehrlichkeit?
Wir fragen drittens: Wäre das mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein, wenn Sie nicht sehr breit streuen und dann auch den Massenbedarf einbeziehen wollen? Wir fragen viertens: Steckt nicht in Ihrem Babybondsplan ein logischer Widerspruch? Denn man will doch, um aus der Zahlungsbilanzklemme herauszukommen, überflüssige Einfuhren zurückdämmen. Aber die Hervorlockung von Investitionskapital gemäß Ihrem Plan setzt gerade voraus, daß möglichst viele nicht lebensnotwendige Dinge gekauft und konsumiert werden. Und so verstopfen Sie sich selber die Quellader, aus der dieser Investitionsstrom rinnen soll.
Ich sagte, wir lehnen diese vier Vorschläge ab.
Uns ist nur interessant dabei, mit welcher Emphase man plötzlich heute das Hohelied der Sparsamkeit singt, wie man übereinstimmend erklärt, Verbrauchseinschränkung sei das Gebot der Stunde. Wettert Herr Vizekanzler Blücher doch gegen den „törichten Konsum", und Sie haben in Frankfurt davon gesprochen, daß wir den Riemen enger schnallen müßten. Einverstanden, Herr Bundeswirtschaftsminister! Aber wer soll eigentlich mit gutem Beispiele vorangehen?
Der Sparsamkeitsappell der Minister erreicht nicht
die Schichten, die hier eigentlich gemeint sind. Ich
sagte schön: Die Massen leben heute unterhalb des
Existenzminimums. Sparen kann aber nur der,
der nicht von der Hand in den Mund leben muß,
im grausamsten und buchstäblichsten Sinne des
Wortes. Anregen zur Sparsamkeit kann nur ein
solches Wirtschaftsprogramm, das Vertrauen in die
künftige Entwicklung einflößt. An ihm aber fehlt
es trotz der herrschenden Programminflation, auch
nach der Rede, die Sie uns heute gehalten haben.
Man wettert gegen die Kaufpsychose, man beschimpft den kleinen Verbraucher. Aber, meine Damen und Herren, diese Kaufpsychose stammt doch nur daher, daß die Bevölkerung sich schutzlos den Preissteigerungen ausgeliefert sieht.
Wird im Rahmen des Möglichen jede Bedarfsdeckung heute vorweggenommen, so doch nur deshalb, weil Abwarten Selbstmord bedeutet. Aber wie soll der Arbeiter sich groß eindecken, der sich mit etwas Öl und etwas Margarine im allgemeinen schon vollkommen verausgabt hat?
Und noch einmal die Frage, Herr Bundeswirtschaftsminister: Halten denn eigentlich jene Wirtschaftskreise Disziplin, bei denen Sie so gerne verkehren und bei denen Ihnen soviel Beifall bisher geklatscht worden ist?
Aber damit Sie uns nicht sagen: ia, das war nur wieder negative Kritik. möchte ich dem Hause nun gern unsere Vorschläge entwickeln. Unerläßliche Voraussetzung — das haben wir immer betont — für eine genügende Kapitalbefruchtung der Engpaßbereiche ist die Bseitigung aller eine. unerwünschte Selbstfinanzierüng förderden Steuervergünstigungen. wozu viel zu lange Zeit der § 7 a die Handhabe geboten hat. Hoffentlich knmmen wir bald zu einem Zustand, wo das wenigstens besetigt ist.
Wir sagen als zweites: Notwendig ist eine zielbewußte Lenkung der sich bei Sparkassen, Versicherungen und anderen Kreditinstituten ansammelnden Kauitalien.
Wir sagen als drittes: Wir fordern eine Investitionsanleihe aus Gewinnen und aufgebauschten Abschreibungen und Rückstellungen in jenen Wirtschaftszweigen, deren weiterer Ausbau zur Zeit überflüssig oder überhaupt unerwünscht erscheint. Sehen Sie, meine Damen und Herren, wenn jeder beliebig investieren und seinen Produktionsapparat nach eigenem Gusto vergrößern kann, dann braucht ja auch dieser Mann für die
Vergrößerung künftig mehr Kohle, mehr Stahl, mehr Strom, mehr Gas, — alles Dinge, die wir nicht genügend haben. Schon deshalb kann eine beliebige Produktions- und Kapazitätserweiterung nicht jedem zugestanden werden, ohne daß zumindest ein Bruchteil der Investitionen in jene Bezirke abgeführt wird, wo die Engpässe bestehen. Die so anfallenden Gelder wollen wir in einem Sonderfonds ansammeln, aus dem alsdann eine gesteuerte Kapitallenkung erfolgt zum Zwecke des Einsatzes in den Engpaßbereichen. Es soll also keine weitere Selbstfinanzierung unwichtiger volkswirtschaftlicher Industrien erfolgen, ohne daß sie empfindlich steuerlich belastet wird.
Als weitere Maßnahme die Überverbrauchssteuer, die zusätzlich zu der Einkommensteuer hinzutreten und den Überkonsum, d. h. den nicht lebensnotwendigen Verbrauch der Träger hoher Einkommen erfassen soll, mit dem man der Sparleistung ausgewichen ist; also, meine Damen und Herren, um es ganz deutlich zu sagen, eine Zusatzsteuer auf hohe, nicht gesparte Einkommen; eine sozial gestaffelte direkte Verbrauchssteuer, die einer unsozialen generellen Erhöhung der Umsatzsteuer bestimmt vorzuziehen ist und die auch bestimmt viel wirksamer ist als die bloße Luxussteuer. Von dieser Steuer kann man sich insoweit befreien, als man von seinem mehrverbrauchssteuerpflichtigen Einkommen Kapital für die Engpaßindustrien durch Erwerb von Anleihen, von Aktien oder in anderen Sparformen zur Verfügung stellt. Der Zweck dieser Steuer ist also sowohl finanzpolitisch wie gleichzeitig auch konsum- und kapitallenkend, und ich glaube, das ist außerordentlich wichtig.
Und nun zum Schluß, meine Damen und Herren: Diese Engpässe bilden sich immer mehr zu Bremsen und Flaschenhälsen für unseren Export aus. Unsere Ausfuhrziffern — das ist j a das Betrübliche — hinken hinter unseren Einfuhrziffern hinterdrein, und noch mit jedem Monat hat die Auslandsverschuldung zugenommen. Das gilt auch für den Monat Februar, für den die Zahlen heute veröffentlicht wurden.
Liberalisierung, meine Damen und Herren, ist
an sich ein guter Gedanke, nur ein Gedanke, der
ebenfalls nicht zeitlos gedacht werden kann. Natürlich ist eine hohe Ausfuhr, wenn sie sich erreichen
läßt, auch uns lieber als eine gesenkte Einfuhr;
man soll uns nicht mit solchen Selbstverständlichkeiten und Lappalien kommen. Wir behaupten
aber: Auch auf der Schiene der Liberalisierung
kann man nicht ohne Fahrplan fahren. Ihre Ausgangsvorstellung, Herr Professor Erhard, war: Man
muß nur den anderen tüchtig etwas abkaufen, dann
werden sie uns selbst auch schon entsprechende
Warenbezüge abnehmen! Dabei gab es aber leider
die bekannten Ladehemmungen, und nun türmt
sich vor uns ein bedrohliches Schuldengebirge in
die Höhe. Wir haben unbedacht und voreilig Vorleistungen erbracht, die zu keiner Zug-um Zug-
Reaktion bei den anderen Partnern geführt haben.
Das sozialdemokratische Arbeitsbeschaffungsprogramm vom Jahre 1950 enthielt den Satz:
Die Liberalisierung des Außenhandels ist an
die Bedingung der Gegenseitigkeit zu knüpfen,
sie ist durch eine Regulierung der Einfuhr zu begrenzen, soweit die neugeschaffene Nachfrage zu einer nicht auf die Dauer auszugleichenden Passivierung der Handelsbilanz führt.
Wären wir diesem Satz gefolgt, und wäre man nicht Ihrem sehr starken, in diesem Falle höchst persönlichen Ehrgeiz nachgelaufen, Herr Bundeswirtschaftsminister, würde uns allen heute wohler sein.
Uns als dem schwächsten Glied in der Kette der europäischen Wirtschaftsvölker kommt hier keine Spitzenführung zu; wir können nicht den forschen Schrittmacher markieren. , Der Begriff des Mitläufers ist doch sonst bei uns so populär, meine verehrten Damen und Herren!
Bananen und kalifornische Früchte, Datteln und Feigen, Zitronen, Apfelsinen und Pampelmusen, weiße und blaue Trauben aus Bulgarien, Hummer, Kaviar und Lippenstifte in allen Ehren. Aber es hat sich hier ein leichtfertiger Dilettantismus, es hat sich eine bedenkliche Großmannssucht ausgetobt, und man hat alle unsere Warnungen in den Wind geschlagen.
Wir haben uns mehr Luxus gegönnt, als man sich bei einem Produktionsindex von 117, gerechnet auf das Bezugsjahr 1936, leisten kann, wenn man nicht zum Bankrotteur werden will.
Wir konnten es uns nicht leisten, daß man unsere Äpfel und Birnen verfaulen ließ, daß das Frühgemüse hier im Bonner Vorgebirge untergegraben werden mußte. Es fehlte, Herr Professor Erhard, eben an der richtigen Abstimmung in bezug auf das Tempo und in bezug auf den Umfang; es fehlte an der Abstimmung auf ein strikt an Gegenleistungen gebundenes Tempo.
Was Sie jetzt als Importsog beschimpfen — übrigens eine Zwischenfrage: wenn es zutrifft, daß die Preise im Ausland so viel stärker gestiegen sind als bei uns, woher kommt dann eigentlich immer noch dieser Importsog? —; dann müßte doch das umgekehrte Gefälle herrschen! —,
ich sage: was man jetzt als Importsog beschimpft, ist ja nichts als die Folge unserer planlosen Außenhandelspolitik, die uns um unsere Kreditwürdigkeit, leider aber weitgehend auch um unsern guten Ruf in der Welt gebracht hat. Wie lange haben Sie auf den Regierungsbänken England verhöhnt!
Wie haben Sie sich lustig gemacht über jene Austerity, die heute von Ihnen als stolzes Ideal gepriesen wird!
Drüben ist man durch die Mauser hindurch, die wir noch vor uns haben, verehrter Herr Bundeswirtschaftsminister!
Drüben hat man sich gesundgehungert, während man sich bei uns durch den Luxuskonsum einer dünnen Oberschicht — wenn der Herr Präsident das Wort verzeiht — kaputt gefressen hat.
Und es war bestimmt kein Ideal sozialer Marktwirtschaft, das damit erreicht wurde: übersteigerter, raffinierter Konsum und Gaumengenuß schmaler Bevölkerungsschichten auf der einen Seite, parallel gehend mit auswegloser Not auf der andern Seite.
Verehrte Damen und Herren! Ich weiß, die Kreditlinie, die man uns einräumte, ist sehr, ist zu schmal bemessen. Aber wäre es dann nicht gerade doppelt notwendig gewesen, mit besonderer Sorgfalt zu planen, wenn ab Mai der Sonderkredit zurückgezahlt werden muß?
Herr Professor Erhard, Sie haben in Lüdenscheid gesagt: der Nölting soll wissen, es steht alles auf einem Sonderkonto bereit. Heute haben Sie sich aber darüber ausgeschwiegen. Jedenfalls wird damit die letzte Manövrier- und Manipulationsmasse auf außenwirtschaftlichem Gebiet verbraucht sein, und die Länderzentralbank hatte recht, als sie gestern schrieb: dann müssen hierfür unsere letzten Devisenreserven verpfändet werden.
Sehen Sie, meine Damen und Herren, das sind die Nöte, das sind die Wundstellen und das sind zugleich die Anklagepunkte, die wir in den Mittelpunkt unserer Rede rücken: die Teuerung, die Arbeitslosigkeit, die Engpässe und die heillose Auslandsverschuldung.
Ich habe mit Absicht keine „akademische Rede" gehalten. Ich habe mit konkreter Gegenständlichkeit gesprochen. Und doch, glaube ich, waren meine Ausführungen mehr als nur Einzelheiten. Man braucht nur dem Entstehungsgrund und dem Quell nachzuforschen, dann stößt man überall auf die Unmöglichkeit der ganzen Konzeption einer Wirtschaftspolitik, die immer mehr in dogmatischer Erstarrung in den luftleeren Raum gerät und der der Boden längst unter den Füßen weggezogen ist.
Sie, die Sie so gerne das Wort ,.marktkonform" hören, Sie sind nicht mehr zeitkonform.
Wir haben uns gefreut — und ich möchte unsere Genugtuung darüber bekunden —, daß Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, heute nicht wieder auf die Ebene der „Zwangswirtschaft" ausgewichen sind.
Aber ich glaube, Sie hatten dafür Ihre guten Gründe.
Denn uns kann man sie nicht mehr andichten: aber bei Ihnen rückt sie in gefährliche Verwandtschaftsnähe.
Zwangswirtschaft ist, stelle ich noch einmal fest, verkrüppelte Notstandswirtschaft, niemals wünschenswert, aber leider zu gewissen Zeiten notwendig. Zwangswirtschaft ist die Ergänzung einer freien Wirtschaft, Ihrer freien Wirtschaft,
da, wo sie nicht mehr weiter kann.
Deswegen fürchten wir. daß uns bald eine Neuauflage bevorsteht. Dieser Bundeswirtschaftsminister. der einstmals ruhmredig auszog. sie zu bekämpfen. ist nun bald so weit gekommen. daß er bei ihr landet. Bei den Kundenlisten im Kohlenhandel für die Hausbrandversorgung buchstabieren und stottern Sie bereits an dem Wort „Zwangswirtschaft" herum.
Und die Stromabschaltungen und die Einschränkungen des Zugverkehrs sowie die heute angekündigte straffe Lenkung des Schrotts und ähnliche Maßnahmen,— sind das nicht alles Symptome einer marktwirtschaftlichen Ratlosigkeit, der nur Zwangswirtschaft als letzter Ausweg bleibt?
Damit, Herr Bundeswirtschaftsminister, schließt sich der Kreis. Damit ist die Bahn durchmessen, die zu durchlaufen Ihnen bestimmt war. Seien Sie überzeugt: w i r werden das verhaßte Wort Zwangswirtschaft bestimmt nicht zuerst sprechen; über unsere Lippen wird es nicht kommen, denn wir wollen keiner neuen Dolchstoßlegende Starthilfe leisten.
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Die Sozialdemokratie gibt sich nicht gemeinsam mit diesem Kabinett zu einer Pokerpartie der Brotkarte und der Zwangswirtschaft her!
In einer wirklich funktionierenden Demokratie hätte dieser Wirtschaftsminister nach dem, was er uns heute über die von ihm und unter ihm herbeigeführte Situation auseinandersetzte, längst die Konsequenz seines Rücktritts gezogen.
Aber, meine Damen und Herren, er denkt offenbar nicht daran. Er spricht heute von Planung, — er, der uns neulich noch höhnisch sagte: ein bißchen Planwirtschaft gibt es genau so wenig wie ein bißchen Schwangerschaft.
Deshalb glauben wir: es wird auch immer nur ein
bißchen Erhard bei dieser Planung vorhanden sein.
Auf der Pressekonferenz hat unlängst ein neugieriger Journalist Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, gefragt, ob Sie zurückzutreten gedächten. Sie haben ihm lächelnd geantwortet: „Sehe ich etwa so aus?" — Begreifen Sie nicht, daß die deutsche Wirtschaft so aussieht,
daß eine solche Konsequenz dringend geboten erscheint?
Meine Damen und Herren, wenn diese Konsequenz durch den zuständigen Minister offenbar nicht gezogen wird, dann muß sie ihm vom Parlament nahegelegt werden, nahegelegt werden in einer Weise, deren peinliche Deutlichkeit uns die vorliegende Situation bedauerlicherweise aufzwingt. So habe ich im Namen meiner politischen Freunde folgenden Antrag der SPD zu überreichen:
Der Bundestag wolle beschließen:
Das Amtsgehalt des Bundesministers für Wirtschaft wird gestrichen.