Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe den Auftrag, für die Fraktionen der Christlich-Demokratischen Union, der Freien Demokratischen Partei und der Deutschen Partei unsere Auffassungen zu der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers darzulegen. Ich möchte an den Anfang meiner Ausführungen stellen, daß wir dieser Erklärung und dem Verfahren, das der Herr Bundeskanzler vorsieht, voll und ganz zustimmen. Wir stimmen sowohl der grundsätzlichen Betrachtung, die in der Erklärung der Bundesregierung zum Ausdruck gekommen ist, als auch insbesondere der Tatsache zu, daß sich die Bundesregierung entschlossen hat, in dieser entscheidenden, vielleicht der entscheidendsten Stunde in der Geschichte unseres Volkes nach 1945 eine Note abzusenden. Wir stimmen dem Inhalt dieser Note und den in ihr zum Ausdruck gebrachten Forderungen zu. Wir unterstreichen das Verlangen der Bundesregierung, daß letzthin für alle Entscheidungen, die über unser Volk getroffen werden, die deutsche Zustimmung erforderlich ist. Wir unterstreichen von ganzem Herzen das große Ziel, die Einheit unseres Vaterlandes in der Freiheit zu erreichen. Dieses Ziel und seine Verwirklichung wird nicht nur über die Geschicke unseres eigenen Vaterlandes entscheiden, sondern über das Geschick ganz Europas und damit der Welt. Es wird mitbestimmend dafür sein, nach welchem nomos, nach welchem Gesetz die Menschheit künftig leben wird. Darum bedeutet die Forderung, unsere Einheit aus der innersten Freiheit, aus der tatsächlichen Freiheit herzustellen, viel mehr als nur die Entscheidung einer politischen Form; sie bedeutet die große Entscheidung, sich einzugliedern, daran mitzuhelfen, daß dieser alte, aus dem Abendland entstandene freie Bereich der Kultur bestehen bleibt und sich verwirklicht. Die Forderung auf eine demokratische Entscheidung, d. h. auf eine wirklich freie, aus dem innersten Entschluß des deutschen Volkes zu fällende Entscheidung bedeutet ein Stück Verwirklichung des innersten Wesens unserer Kultur.
Ich darf mich im Anschluß hieran den Ausführungen des Führers der Opposition zuwenden und feststellen, daß in diesen grundsätzlichen Fragen der nationalen Solidarität bis in die tieferen Bezirke der Betrachtung hinein kein Unterschied besteht, daß damit in dieser Stunde und in diesem Hause ein großes Faktum geschaffen worden ist,
wie wir unser Schicksal angesichts der großen Bedrohung, die von allen Seiten auf uns eindringt, zu gestalten haben, und daß wir auf diesem Weg der Wahrung unserer wahren nationalen Interessen mit allen, die da guten Willens sind, von der Passivität zur Aktivität gelangen. Ich möchte diesen Satz in der Rede des Führers der Opposition, der eine aktive Politik gefordert hat, ganz nachdrücklich unterstreichen. Uns reift und wächst nichts zu. Wenn, wir auch geduldig sein müssen, wenn wir auch die Fähigkeit des Abwartens besitzen müssen, so glaube ich doch, daß im Kern und in der Substanz das deutsche Schicksal aus unserem eigenen Entschluß und daraus zu schaffen ist, wieviel wirklich politische Kraft wir in der Gestaltung unserer inneren und äußeren Verhältnisse aufzubringen vermögen, wieweit es uns gelingt, die Lähmung und Ohnmacht, die auch in den seelischen Bezirken als eine Folge unserer Niederlage zurückgeblieben ist, zu überwinden und damit zu einer aus dem Innersten heraus wachsenden Kraft zu gelangen, die die Welt von dem Wesen unseres Daseins überzeugt.
Der Führer der Opposition hat auf den grundlegenden Unterschied in den Verhältnissen Österreichs und Deutschlands hingewiesen. Auch diese Feststellung möchte ich unterstreichen. In Österreich ist es nicht zu dem Aufbau eines kommunistischen Machtapparats gekommen. Damals hat die sowjetische Besatzungsmacht offenbar in dem Schwung ihres Sieges darauf vertraut, daß durch freie Wahlen eine kommunistische Entscheidung gefällt werden könnte. Diese freien Wahlen haben aber seinerzeit die Grundlage dafür gelegt, daß in Österreich das österreichische Volk über seine inneren Verhältnisse zu entscheiden hat.
Ich stimme auch den Ausführungen des Führers der Opposition hinsichtlich der Tatsache zu, daß eine soziale Fundamentierung ein richtiges Mittel dafür ist, unser Dasein zu erhalten und zu verteidigen.
Aber ich darf in diesem Zusammenhang auch darauf hinweisen, daß durch die Korea-Krise in der ganzen Welt eine Mangellage hervorgerufen worden ist. Diese Krise wiederum beweist, daß es den totalitären Systemen angelegen ist, den Aufbau und die Befriedung der Welt zu stören und zu verhindern, um dadurch die Ursachen für die sozialen Krisen zu setzen und zu erweitern.
Zweck meiner Ausführungen soll sein, den Versuch einer Analyse unserer Situation zu unternehmen, eine Antwort auf die Frage zu finden; was man mit uns vorhat, und dann unsere Konzeption zu entwickeln, die wir der Bedrohung im Sinne einer Aktivierung unserer Kräfte entgegenzusetzen haben.
Es ist der kommunistischen Propaganda gelungen, nicht nur in Deutschland, sondern in der ganzen westlichen Welt ein Klima der Angst und der Unrast zu erzeugen. Deshalb möchte ich an den Anfang meiner Betrachtungen den Menschen stellen, den abendländischen Menschen unserer Zeit. Lebensmut und Lebenswille sind die Voraussetzungen für die Freiheit. Nihilismus und Defaitismus bedrohen uns mehr als die, Atombombe; sie schwächen unsere Kultur und ihren Behauptungswillen. Unsere Zeit ist eine Zeit der Krisen. Martin Luther hat einmal gesagt: Wenn die Menschen vom Weltuntergang reden, dann ist es Zeit, ein Apfelbäumchen zu pflanzen.
Wenn wir das Unheil abwenden wollen, müssen wir den nötigen Mut aufbringen, uns ganz für das Ziel eines wahrhaften, auf die Achtung der Freiheit und Menschenwürde gegründeten dauerhaften Friedens einzusetzen. Das kann nicht in der Methode des Ausweichens vor und des Paktierens mit einem unversöhnlichen Gegner geschehen. Von uns werden Entscheidungen gefordert, die immer eine charakterliche Bewährungsprobe sind.
Lassen Sie mich in dieser Stunde an das Beispiel Berlins erinnern. Ohne die mutige und entschiedene Haltung der Bevölkerung wäre es niemals zur Luftbrücke gekommen. Dieses Beispiel sollte Richtschnur für das Verhalten in ganz Deutschland sein.
Wir bereiten uns unsere Zukunft selbst je nach dem Maß an politischer Kraft oder Ohnmacht, das man bei uns findet.
Ich fordere auch namens der Fraktionen, für die zu sprechen ich die Ehre habe, eine aktive Politik, die unseren politischen Sinn mit Entschlossenheit und Impulsen zur Freiheit bis in die Tiefenbezirke durchdringt, also einen Mut und Lebenswillen, der nichts anderes ist als das Gottvertrauen gereifter Menschen und eines unter den Schlägen der Geschichte gereiften Volkes, das seinen Standort erkennt und an seine Zukunft glaubt.
Ein Volk, das an seine Zukunft nicht zu glauben vermag, dem der große geschichtliche Sinn verlorengegangen ist, das sich nur als ein Objekt fühlt, ist zum Untergang verdammt. Wir aber wollen leben!
Wir begrüßen die Absicht der Westmächte, die Ursachen der Spannungen aufzuspüren, um eine Lösung zu ihrer Beseitigung zu finden. An dieser Stelle dürfen wir nicht an der Tatsache vorbeigehen, daß die vergangene deutsche politische Führung, die das eigene Volk und fast die ganze Welt in die Katastrophe eines Krieges verwickelt hat, damit die Ursache dafür gesetzt hat, daß die mittel- und osteuropäische Ordnung zusammengebrochen ist und so der Gegensatz zwischen der bolschewistischen und der nichtbolschewistischen Welt in solcher Unmittelbarkeit in Erscheinung treten konnte.
Die geschichtlichen Konsequenzen sind unerbittlich. Der Trennungsstrich dieses Gegensatzes geht mitten durch unser Land. Deutschlands Schicksal ist ein Gleichnis für den Zustand Mitteleuropas, ja für den ganz Europas und so für das politische Gefüge in der ganzen Welt. Darum muß eine echte Lösung gefunden werden, die diese Zerstörung der Struktur Europas beseitigt und die Struktur wieder in ein Gleichgewicht bringt. Wir als Deutsche sollten unseren Beitrag vor allem darin sehen, daß wir in unserer Konzeption unser nationales Bedürfnis nicht in der Engstirnigkeit eines nationalen Egoismus erfassen, sondern aus europäischer Sicht zu verstehen vermögen. Deutschland steht stellvertretend für Europa, und wenn wir auch erkennen, daß die deutsche Frage nur ein Ausschnitt aus den weltweiten Spannungen ist, so sollten wir doch die Übersicht darüber behalten, daß die Lösung unserer nationalen Bedürfnisse in einem Geist erfolgt, der sich mitverantwortlich fühlt für die Bedürfnisse ganz Europas und aller Völker, die nach dem Gesetz der Freiheit
leben. Ich meine damit ein neues Solidaritätsgefühl, das über die nationale Gemeinschaft hinausgeht.
Damit rede ich nicht von Utopien, sondern von Realitäten. Die geschichtlichen Strömungen, die eine neue Weltordnung aus den Leiden, Krisen und Katastrophen der Gegenwart emporzuheben trachten, zielen, wenn nicht alle Zeichen trügerisch sind, auf die Bildung großräumiger Zusammenschlüsse hin, die dem Stand unserer Wirtschaft in Technik und Verkehr, dem wachsenden Bedürfnis des Warenaustausches und der menschenwürdigen Existenz der Massen entsprechen. Wenn wir genauer hinsehen, dann ist das sowjetische Imperium bereits ein solcher Großraum, der nahezu vollendet steht und fast ein Viertel der Welt umschließt, während die westliche Welt über das Stadium der Konferenzen noch nicht wesentlich hinausgekommen zu sein scheint.
Davon aber fühlen wir uns auch bedroht. Wenn wir von Spannungen sprechen, von Krisen, ja von Katastrophen, dann dürfen wir nicht vergessen, daß sich die totalitären Bewegungen unseres Jahrhunderts diese katastrophische Betrachtung zu eigen gemacht haben. Ein Hauptdogma des Kommunismus ist, daß die kapitalistische Welt an ihren eigenen Krisen zugrunde gehen muß. Darum ist der Kommunismus bemüht, in seiner Strategie des Untergrundes Krisen zu erzeugen, wo er nur kann. Der müde Geist des Kompromisses, der Verharmlosung und der intellektuellen Eselei leistet ihm hierbei ebenso Vorschub wie die Täuschung, daß alles normal sei und mit normalen Mitteln gemeistert werden könne.
Dazu kommt noch die Flucht in das Private, die bei gröberen Naturen ein brutales Überwechseln in die nackte Selbstsucht ist. Ich stehe nicht an, auch festzustellen, daß Deutschland zur Zeit — abgesehen von den Ohne-mich-Aposteln — durch einen Hang mancher Menschen zur Selbstsucht in seiner Gemeinschaft und damit in seiner staatlichen Ordnung schwer bedroht wird.
Welches sind die Ursachen der Spannungen unserer Zeit? Ich möchte hier nur einige typische Beispiele einblenden: zwei Weltkriege innerhalb einer Generation, in denen zwischen 50 und 100 Millionen Menschen sowie Güter im Werte von mehreren Billionen vernichtet worden sind. Ich kann hierbei den Frevel der Massenvernichtung, der im letzten Krieg geschehen ist, nicht unerwähnt lassen. An 30 Millionen Menschen wurden und werden in Sklavenlager gesperrt, Millionen aus ihrer angestammten Heimat vertrieben. Hunderttausende wurden in politischen Säuberungsprozessen beseitigt. Die Flut der Revolutionen ist seit 1917 nicht mehr geschwunden. Städte liegen in Trümmern, und in den Zentren der Großstädte wuchert das Unkraut. Vollgestopfte Güterwagen rollten von der Ostzone nach Sibirien. Die Teilurig Deutschlands, die Entwicklung furchtbarster Waffen der Massenvernichtung, alles das sind die Ursachen der Spannungen in dieser Zeit. Der Hintergrund und die Folgen dieser Tatsachen sind eine gefährliche, auch für das Gemeinschaftsleben gefährliche Neurasthenie der Menschen, die alle das Gepräge der Zeit eines Überganges tragen, in der wir uns aber zu behaupten haben. Um diese Ursachen zu überwinden, brauchen wir eine offensive, tatkräftige und selbstlose Politik und ein wirkliches Format verantwortungsbewußter Menschen, die gewillt sind, in die Freiheit voranzumarschieren.
Den Weg in die Freiheit zu finden, das Fazit aus
dieser Zeit der Krisen und Katastrophen gerade in
unserem Lande zu ziehen, ist die deutsche Aufgabe.
Weil sich bei uns alles das ausgetobt hat, was die anderen erst bedroht, deshalb sind wir so hellhörig geworden.
So wächst bei uns der Mut vor der Realität der Aufgabe, die uns gestellt worden ist, indem wir als Volk mit den furchtbaren Gewalten konfrontiert sind, die aus diesem Massenzeitalter hervorzubrechen vermögen. Wir als Volk können einen wichtigen Beitrag zur Bildung der Gesetze einer freien Gesellschaft leisten,
indem wir mit unserem Schicksal fertigwerden und damit ein Beispiel geben; denn wir haben die Impulse zu bestimmen, die die Hilfe der größeren Gemeinschaft der freien Völker auslösen.
Damit bin ich bei dem deutschen Beitrag zur Überwindung der Spaltung unseres Staates. Diese Spaltung hat eine Vergangenheit in den wechselnden Konzeptionen der Siegermächte, auf die ich hier nicht näher eingehen möchte. Ich will nur andeuten, daß Jalta und Potsdam Höhepunkte in der manifestierten Absicht von Konzeptionen darstellten, die eine Zerstörung gewachsener politischer Ordnungen zur Folge hatten. Das heißt, daß auf diesen von den Kommunisten beherrschten Konferenzen Ursachen gesetzt worden sind, die nun das Weltgefüge in seinen Grundlagen bedrohen. Ich denke hierbei an den Dreiklang der Begriffe Neutralisierung, Pastoralisierung — damit meine ich den Morgenthau-Plan, der die Hauptgebiete der industriellen Produktion Deutschlands in eine Ziegenweide umzuwandeln trachtete — und Dismembration Deutschlands, worunter die einen die Auflösung Deutschlands in einen uferlosen Separatismus, die andern die praktische Aufteilung Deutschlands unter die Machtbereiche der Siegerstaaten verstanden. Mit der Byrnes-Rede in Stuttgart 1946 hat diese destruktive Aera der Siegerpolitik ihr Ende gefunden,
wenn auch heute noch manche sturen und gehässigen Geister aus solchen Ideen kriegserhitzter Rachsucht ihre Auffassungen ableiten.
Dabei darf nicht unerwähnt bleiben, daß heute wieder hinter der Kulisse mit den Plänen der Sowjetzone die Tendenz verfolgt wird, diese Haßgefühle und das Mißtrauen gegenüber Deutschland zu mobilisieren, indem man von kommunistischer Seite auf angebliche Rechtstitel aus der Potsdamer Übereinkunft über die wirtschaftliche und politische Verstümmelung Deutschlands hinweist. Damit entschleiert sich ein entscheidendes Ziel kommunistischer Politik, in Deutschland und, wenn möglich, in ganz Westeuropa ein Vakuum zu schaffen, das dann dem kommunistischen Zugriff risikolos offenliegt.
Die Neutralisierung Deutschlands bedeutete ein
solches Vakuum, d. h. die Schaffung der Voraussetzungen für die Gewinnung der Macht in einem
solchen Raum der vollkommenen politischen Impotenz, ohne damit irgendwie ein Risiko kriege-
rischer Verwicklungen einzugehen. Die VakuumPolitik der Kommunisten wurde wesentlich durch das Potsdamer Abkommen erleichtert, das die Handhabe bot, ohne Verletzung des Wortlautes eine Sowjetisierung der deutschen Mittelzone durchzuführen, während man im Kontrollrat durch das Veto jede aufbauende Politik der Westmächte zu durchkreuzen bestrebt war.
Damit komme ich zu einer Analyse der kommunistischen Strategie, die in der Ausnutzung der in Jalta und Potsdam gewonnenen Positionen so erfolgreich gewesen ist. Der Kommunismus hat das Ziel der Weltherrschaft. Er ist von seinem Ziel und der Logik seiner Erreichbarkeit nicht abzubringen. Seine Stellungswechsel beruhen immer nur auf taktischen Erwägungen. Unter diesem Aspekt ist die bolschewistische Diplomatie überhaupt eine neue, bisher kaum begriffene Form der Diplomatie, die nicht auf die Reaktion der fremden Staatsorgane berechnet ist, sondern auf die Psychologie der Massen, die sich der Kommunismus zur Erreichung seiner weltweiten Pläne gewinnen will.
Ich stelle fest, daß der Kommunismus Konferenzen als ein Forum benutzt, um zu den Massen zu sprechen und die Weltmeinung in der Richtung der kommunistischen Weltpolitik beeinflussen zu können.
Durch Appelle an die Massen sucht er die nichtkommunistischen Regierungen in ihrem Verhältnis zu deren Staatsbürgern zu unterminieren und zu schwächen und zugleich innerhalb der nichtkommunistischen Regierungen zu spalten, zu verbittern und von einer selbständigen antikommunistischen Politik abzulenken bzw. eine solche Politik zu blockieren.
So werden diese Konferenzen zur Tarnung für die Behinderung einer antikommunistischen Politik und klaren Erkenntnis der Notwendigkeit einer Abwehr. Für den Kommunisten ist der Nichtkommunist der Klassenfeind, der vernichtet werden muß, um die Absolutheit der kommunistischen Vorherrschaft und Ideologie durchzusetzen.
Wenn man diese Zusammenhänge einsieht, dann wird deutlich, warum eine verantwortungsbewußte deutsche Politik sich nicht auf ein Gespräch am runden Tisch einlassen kann. Es ist dies auch eine Frage der inneren Würde. Ich unterstreiche auch hier das Wort meines Herrn Vorredners: Man kann sich nicht mit dem Peiniger an einen Tisch setzen.
James Burnham, der bekannte amerikanische Soziologe, hat seinem Buch über die Strategie des Kalten Krieges das Motto vorangesetzt: Wer A sagt, muß auch B sagen.
— Bis zum Z! — Ein solches Gespräch mit den Handlangern des Kreml in der sowjetisch besetzten Zone hätte große Ähnlichkeit mit dem Gespräch zwischen Faust und Mephisto, das mit der Unterzeichnung des Blutpaktes enden mußte, nachdem sich Faust darauf überhaupt eingelassen hatte, mit Mephisto zu sprechen.
In den Mittelpunkt der Vorschläge ist der Konstituierende Rat gerückt worden. Darin verlangt man die Parität zwischen der sowjetisch besetzten Zone mit rund 18 Millionen Einwohnern und der rund 45 Millionen Einwohner umfassenden Bundesrepublik. Nicht legitimierte Repräsentanten eines Drittels wollen also in Parität mit reichlich zwei
Dritteln der deutschen Bevölkerung verhandeln und so schon in den Präliminarien ein Präjudiz für ein Übergewicht der Minderheit schaffen. Diese Minderheit wird wiederum von einer ganz kleinen Minorität von Usurpatoren und gekauften Leuten drangsaliert und in einer Weise repräsentiert, die in gar keinem Verhältnis zur Vertretungsvollmacht der gesamten deutschen Bevölkerung steht.
Was ist denn überhaupt der Unterschied zwischen einer Demokratie und einem totalitären System? In der Demokratie wird der Herrschaftswille aus der Mehrheit gebildet. Im totalitären System herrscht eine Minderheit, die sich auf einen Machtapparat stützt, der die Massen gefesselt und gelähmt hält wie unter einem Netz, dessen Maschen aus Terror und Propaganda im Sinne einer organisierten Massenbeeinflussung gewebt sind.
Der uns vorgeschlagene Konstituierende Rat ist ein Gremium, das ohne demokratische Legitimation ernannt werden soll. Damit soll ein Gremium geschaffen werden, das ähnlich wie die Lubliner Regierung, diese „Lubliner Junta", darauf abzielt, nichtkommunistische Vertreter in einem ungleichen Kräfteverhältnis der nur auf der Macht basierenden kommunistischen Minderheit auszuliefern und ihrer Verhandlungstaktik zu unterwerfen. Die Forderung dieser demokratisch nicht legitimierten Parität, unterstützt durch einen Machtapparat — Staatssicherheitsdienst, Volkspolizei, Denunzianten und Spitzel —, ist der Anfang einer Blockpolitik mit ihren auf nationale Phrasen gegründeten Einheitslisten, die nicht durch Wahl, sondern durch manipuliertes Plebiszit bestätigt werden soll. Mit diesem Bruch mit den demokratischen Grundvoraussetzungen ist man entschlossen, die Gutgläubigkeit zu überfahren und durch die Mittel des Terrors einen Willen herzustellen, der eine kommunistische Entscheidung hervorbringt. Nach kommunistischer Gesinnung ist mit dem Klassenfeind ein Vertrag überhaupt nur als Vorwand zu schließen, um ihn zu überlisten.
Hinter diesem System steht das, was nachher alles das „begradigt", was in verspäteter Erkenntnis dieses dolosen Verfahrens sich zur Wehr setzt, nämlich der Machtapparat, der vor keinem Mittel und vor keiner Maßnahme der Vernichtung zurückschreckt. Man benutzt die Gutgläubigkeit all derer, die den Schwierigkeiten aus dem Wege zu gehen versuchen. Das Endziel kommunistischer Strategie steht fest: die Einheit Deutschlands unter kommunistischer Herrschaft. Und diesem Endziele dient ein organisiertes Gespräch um die Bildung eines Gremiums, dessen Hauptaufgabe die Sowjetisierung ganz Deutschlands und in Ausführung der Warschauer und der Prager Beschlüsse die Schaffung eines Friedens ist, der Deutschland dem sowjetischen Machtbereich einverleibt. Wer diese Taktik nicht begreift, ist hoffnungslos dem kommunistischen Machtstreben ausgeliefert.
Vielleicht ist es nützlich, sich einmal die Sprachregelung für die Aufklärer der Nationalen Front über das gesamtdeutsche Gespräch anzusehen. Sie lautet:
Bei einer ganzen Reihe wirklich fortschrittlicher Demokraten und Patrioten ist teilweise Bestürzung und Verwirrung darüber entstanden, daß es den Anschein hat, als wollten wir hier in der Deutschen Demokratischen Republik unsere stolzen Errungenschaften wie die Blockpolitik an Stelle des parlamentarischen Kuhhandels der Koalitionspolitik, weiterhin die
erstmals am 15. Oktober erreichte Art von wirklich freien demokratischen Wahlen und unter Umständen noch weitere mühsam erkämpfte Errungenschaften unserer wahren Demokratie zugunsten der gesamtdeutschen Einheit aufgeben.
Mit dieser Erklärung werden die vom Landesausschuß Brandenburg der kommunistischen Natioonalen Front an die sogenannten Aufklärer herausgegebenen Propagandaanweisungen eingeleitet, die dem Informationsbüro West vorliegen.
Tatsächlich sind wir bereit,
— heißt es in den Propagandaanweisungen weiter — einen Teil dieser unserer stolzen Errungenschaften der DDR vorübergehend formal aufzugeben.
In diesen Anweisungen wird wörtlich und klipp und klar dargelegt, was beabsichtigt und wie es beabsichtigt ist. Die Aufklärer der Nationalen Front werden dann in der Propagandaanweisung aufgefordert, in ihrer Diskussion zu betonen, daß nach der marxistischen Definition der Staat das Machtmittel der jeweils herrschenden Klasse fest und seine Macht niemals in der parlamentarischen Kulisse, sondern in dem tatsächlichen, realen ökonomisch-politischen Machtverhältnis liegt. Von hier ausgehend wird das eigentliche Ziel angedeutet: Nur weil die Deutsche Demokratische Republik Westdeutschland aus wirtschaftlichen Gründen und mit Rücksicht auf das politische Endziel dringend brauche, quäle man sich noch mit dem Klotz der bürgerlichen Parteien und müsse auch bereit sein, im Interesse der Erreichung des Zieles eine Veränderung in der Form der parlamentarischen Kulisse vorzuspielen.
Alles dies ist also eine List, wie sie auf dem Hintergrund der Ihnen dargelegten bolschewistischen Taktik von jeher ausgeübt und gespielt worden ist. Diesem Verfahren haben wir unsere eigene Konzeption der Freiheit gegenüberzustellen. Alle Überlegungen im Zusammenhang mit der Wiedergewinnung der deutschen Einheit sollten von zwei Tatsachen ausgehen: erstens, daß Deutschland de jure nicht aufgehört hat, als Staat in den Grenzen des 31. Dezember 1937 zu bestehen,
und daß jede Änderung dieser Grenzen der deutschen Zustimmung bedarf und einem Friedensvertrage nicht vorweggenommen werden darf;
zweitens, daß alle Maßnahmen, die unter dem Namen „Eiserner Vorhang" zusammengefaßt werden,
gegen die Einheit Europas gerichtet sind, damit ein
im öffentlichen Bewußtsein bestehendes und durch
den Vertrag über den Europarat geschütztes Rechtsgut verletzen und daher als widerrechtlich und als
Angriff auf die Einheit Europas zu betrachten sind.
Wenn wir von dieser grundsätzlichen und — wie ich behaupten möchte — konstruktiven Konzeption ausgehen, ergeben sich alle weiteren Maßnahmen mit einer zwingenden Logik gewissermaßen von selbst. Wir begrüßen daher — ich möchte die Darlegungen, die der Herr Bundeskanzler gemacht hat, nicht wiederholen — die offensive Forderung nach wirklich freien Wahlen und — das ist das Entscheidende — die daran geknüpfte Forderung, ein Klima der Freiheit als Voraussetzung dieser Wahlen zu schaffen.
Die einzelnen Voraussetzungen möchte ich hier nicht noch einmal darlegen, um nicht in die Gefahr zu geraten, daß diese so wichtigen und wohl zu überlegenden Dinge zerredet werden. Aber ich Lin der Überzeugung daß die Offensive gegenüber den
Aggressionsabsichten der kommunistischen Strategie, eine Offensive mit der Forderung freier Wahlen und der Forderung, die Voraussetzungen dazu zu schaffen, die andere Seite in die Lage versetzen sollte, nun Farbe zu bekennen, Antwort zu geben, ob ja oder nein, ob man also das, was man sagt, wirklich will oder nicht.