Rede von
Dr.
Walter
Zawadil
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es sind immerhin vier Jahre vergangen, bis die Initiative zur Schaffung von Maßnahmen zur Beseitigung der einseitigen Verlagerung und Verteilung der Heimatvertriebenen im Bundesgebiet ergriffen wurde. Die Regierungsverordnung vom 29. November 1949 zielte darauf ab, aus den Ländern Bayern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein 300 000 Vertriebene nach den unterbelegten Ländern umzusiedeln, und zwar bis zum 31. Dezember 1950. Wir wissen, daß bis heute — das hat schon mein verehrter Vorredner erwähnt — von den 300 000 'für die Umsiedlung Vorgesehenen nur rund 250 000 umgesiedelt wurden, wobei noch bei einigen tausend die Streitfrage besteht, ob sie als Umsiedler im Sinne der Verordnung angesehen werden oder ob sie als freiwillige Umsiedler oder Umwanderer betrachtet werden sollen. Nachdem die Grundsätze, nach denen dieses Problem gelöst werden soll, schon in der Debatte bei der ersten Lesung ausführlich behandelt worden sind, kann ich darauf verzichten, möchte aber auf einige Besonderheiten hinweisen, die im Zuge der bisherigen Behandlung
der Regierungsverordnung aufgetaucht sind. Denn
aus eben diesen Erfahrungen haben sich gewisse
Formulierungen des vorliegenden Gesetzes ergeben.
Die Aufnahmeländer fordern hohe Geldsummen zur Erstellung von Wohnraum für die Heimatvertriebenen. Sie machen also die Durchführung der Umsiedlung von der Erstellung von Wohnraum abhängig. Zur Frage des Wohnraums in den Aufnahmeländern möchte ich den Vertretern der Aufnahmeländer sagen: Wohnraumnot ist ein sehr relativer Begriff! Das, was man in Bayern, in Niedersachsen und Schleswig-Holstein unter Wohnraumnot versteht, steht in gar keinem Verhältnis zu dem, was man hierorts darunter versteht.
Eine z. B. in Nordrhein-Westfalen unter den Begriff Wohnraumnot fallende Wohnung könnte bei uns in Bayern, wenn ich mich etwas kraß ausdrücken darf, als Palast bezeichnet werden. Ich glaube, man hat in den Aufnahmeländern noch nicht erlebt, daß man, wie es noch heute in den überfüllten Ländern der Fall ist, zu dem Mittel der Zwangseinquartierungen greifen muß, die unter polizeilicher Aufsicht vor sich gehen.
Die bisherige Umsiedlung ist unter mancherlei fragwürdigen Begleiterscheinungen vor sich gegangen, in Bayern z. B. bestehen heute noch rund 300 Lager. Ich denke weiter an die Taktik der Kommissionen, die nur Arbeitsfähige, Ledige und bestimmte Fachgruppen auswählten. Die Auswirkung solcher Auslese für die Abgabeländer ist, daß dort zum großen Teil Fürsorgeempfänger, Rentner oder Kinderreiche zurückbleiben. Die Zahl der Fälle, daß Umsiedler in dem Aufnahmeland in Lager eingewiesen werden, ist nicht gering und schreckt nur ab; vielleicht soll die Lagereinweisung sogar dazu dienen, abzuschrecken. Dagegen sind bereits Versuche feststellbar, daß sich Aufnahmeländer durch Unterhändler um die Verlagerung ganzer Flüchtlingsbetriebe bemühen. Wir haben in Oberfranken Fälle festzustellen — und da wird mir vielleicht mein Kollege Herrmann von der SPD recht geben können —, daß Glasindustrien der Gablonzer schon im Begriff sind, mit Sack und Pack nach Württemberg umzusiedeln, und zwar außerhalb der Umsiedlungsquote. Das heißt praktisch, daß dort, wo man sich in Bayern bemüht hat, Zentren zu schaffen — leider Gottes sind es zwei, eines in Kaufbeuren und das andere im Fichtelgebirge — und langsam wieder organische Wirtschaftseinheiten entstehen zu lassen, man diese Wirtschaftseinheiten jetzt wieder zerreißt. Das ist eine Maßnahme, die unfruchtbar ist.
Der bisherige Verlauf der Umsiedlung läßt die
immer häufiger auftretende Meinung verstehen,
der man immer wieder begegnet, nämlich daß mit
der Summe von Umsiedlungskosten plus Transportkosten plus Gelder für Wohnungsbau plus Kredite
für neue Industrien, verteilt auf die bisher überfüllten Abgabeländer, diese wahrscheinlich die
Möglichkeit hätten, die Probleme der wirtschaftlichen und sozialen Eingliederung der Heimtvertriebenen selbst zu lösen. Ich kann nicht prüfen,
inwieweit diese Auffassungen richtig sind, aber
man könnte diesen Auffassungen beinahe nähertreten, um so mehr als die Länder Bayern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein bereits die weitaus
größten Erfahrungen in der Lösung des Problems
der Heimatvertriebenen erworben haben. Leider
müssen wir auf Grund der bisherigen Erfahrungen
mit der Umsiedlung feststellen, daß sich selten ein
als Partikularismus überspitzter Föderalismus für das Gesamtinteresse der Bundesrepublik so nachteilig und für die gesunde Entwicklung so hemmend ausgewirkt hat wie bei der innerdeutschen Umsiedlung.
Föderalistischem Eigensinn und partikularistischer Engstirnigkeit ist energisch Einhalt zu gebieten, wo es um gesamtdeutsche Interessen geht. Zentrale Probleme sind nur durch zentrale Maßnahmen zu lösen!
Der heute vorliegende Gesetzentwurf ist der letzte Versuch, er bietet die letzte Möglichkeit, der Umsiedlung, die bisher so lendenlahm verlaufen ist, neuen Antrieb und, durch bisherige Erfahrungen vermehrt, neue Impulse zu verleihen. Meine Freunde und ich begrüßen den Gesetzentwurf. Als Angehöriger Bayerns bedaure ich zwar, im Gegensatz zu meinem Vorredner von der SPD, daß die ursprünglich in der ersten Verordnung vorgesehene Abgabequote in Höhe von 75 000 Umsiedlern aus Bayern nicht eingehalten wurde. Wenn man Bayern und Niedersachsen in wirtschaftlicher und soziologischer Hinsicht vergleicht, so ist festzustellen, daß der Prozentsatz der Heimatvertriebenen in Niedersachsen wohl höher ist, aber ich glaube, daß die wirtschaftlichen Möglichkeiten in Niedersachsen etwas günstiger als in Bayern sind. Wir erkennen jedoch an, daß die augenblickliche Aufschlüsselung durchgeführt werden kann und auch ihre Berechtigung hat.
Wir möchten insbesondere auf § 1 b der Vorlage hinweisen, wonach auch Pensions- und Rentenempfänger in entsprechendem Verhältnis Berücksichtigung finden sollen. In diesem Zusammenhange sei gesagt, daß es vielleicht förderlich gewesen wäre, von Anfang an so vorzugehen, daß die Summe aller Fürsorgelasten auf eine Bundesinstitution übertragen und von dort auf alle Länder entsprechend deren Prozentsatz an Fürsorgeempfängern anteilmäßig umgelegt wird. Dann hätte sich manches Aufnahmeland bisher nicht so geweigert, Renten- und Fürsorgeempfänger mit aufzunehmen. Eine solche Maßnahme wäre schon längst fällig gewesen, kann sich aber als Nachdruck für eine korrekte Durchführung des Gesetzes immer noch auswirken.
Wir halten auch die §§ 4 a und 4 b für sehr wichtig und fruchtbar. Grundsätzlich möchten wir sagen, daß das Evakuiertenproblem nicht mit dem Umsiedlungsproblem verquickt werden kann. Dagegen erkennen wir an, daß das Evakuiertenproblem in einem Gesetz bearbeitet und gelöst werden müßte. Meine Freunde und ich schließen uns der vorliegenden Gesetzesfassung entsprechend den Beschlüssen des Ausschusses für Heimatvertriebene an und werden für das Gesetz stimmen. Ebenso bejahen wir, wie es bereits interfraktionell zum Ausdruck gekommen ist, den Abänderungsantrag der CDU.
Für die weitere Behandlung dieses außerordentlich wichtigen Gesetzes aber möchten wir der Vorlage den Wunsch mit auf den Weg geben, der Bundesrat möge sich bei seiner Entscheidung vom Gesamtinteresse leiten lassen und nicht erneut die Rolle einer Gegenregierung gegenüber dem Bundestag spielen, wozu er schließlich nicht einmal im föderativen Grundgesetz ausersehen ist.