Meine Damen und Herren! Ich glaube, es gibt kaum einen Abgeordneten in diesem Hause, der, wenn er in seinen Wahlkreis hinausgeht und Versammlungen abhält, nicht von Rentenempfängern angesprochen wird, die ihn über die unhaltbare Lage, über die Not und über das Elend, die in diesen Kreisen herrschen, unterrichten. Es dürfte auch die allgemeine Auffassung dieses Hauses sein, daß die Rentenempfänger unter den gegenwärtigen ungünstigen Wirtschaftsverhältnissen am schwersten zu leiden haben. Es scheint mir daher eine nationale Verpflichtung und ein Gebot der Stunde zu sein, Menschen, die 30, 40, 50 Jahre oder noch länger im Wirtschaftsleben ihre Pflicht und Schuldigkeit getan haben, wenigstens eine solche Rente zu gewähren, daß ihr Lebensabend einigermaßen gesichert ist. Ich sage ausdrücklich „einigermaßen gesichert". Ich weiß, daß nicht alle Wünsche. jedes einzelnen erfüllt werden können. Ich bin aber der Meinung, daß, bevor jetzt andere Gruppen an die Reihe kommen, zunächst und an erster Stelle die Rentenempfänger berücksichtigt werden müssen. Ihnen zu helfen, scheint mir am dringendsten notwendig zu sein.
Es ist heute von den einzelnen Rednern wiederholt auf die Höhe der Durchschnittsrenten in der Invaliden- und Angestelltenversicherung hingewiesen worden. Ich will die Zahlen nicht wiederholen, sondern nur feststellen, daß diese Renten dem Rentenempfänger in keiner Weise das Leben noch lebenswert machen, sondern daß man hier nur von Hungerrenten reden kann, die zum Leben zuwenig und zum Sterben zuviel sind und die angesichts der ständig steigenden Preise für Lebensmittel und sonstige Bedarfsgegenstände bei den Sozialrentnern eine immer schwierigere Situation herbeiführen.
Die sozialdemokratische Fraktion hat deshalb seit langer Zeit, bereits im Frankfurter Wirtschaftsrat, die Initiative ergriffen, um zu erreichen, daß die Rentenbezüge erhöht werden. Es ist ihrer Initia-
tive zu verdanken gewesen, daß eine Mindestrente festgesetzt wurde, und es ist ihrer Initiative zu verdanken gewesen, daß die Witwe eines Mannes, der in der Invalidenversicherung versichert war, ohne Rücksicht auf ihr Alter und ihre Erwerbsfähigkeit ebenfalls eine Rente erhält wie die Beamtenwitwe und die Witwe eines in der Angestelltenversicherung versichert gewesenen Mannes. Wir haben im vorigen Jahr einen Antrag eingebracht, mit dem wir erreichen wollten, daß der Grundbetrag in der Invalidenversicherung von 156 Mark auf die Höhe des Grundbetrages in der Angestelltenversicherung, nämlich auf 444 Mark heraufgesetzt wird. Umgekehrt haben wir dann weiter beantragt, daß die Steigerungsbeträge aus der Angestelltenversicherung, die nur 0, 7 % ausmachen, auf den Stand der Steigerungsbeträge in der Invalidenversicherung, d. h. auf 1,2 %, heraufgesetzt werden.
Frau Abgeordnete Kalinke und auch Herr Arbeitsminister Storch haben vorhin darauf hingewiesen, daß diejenigen, die aus eigener Kraft und durch eigene Beiträge für ihr Alter etwas tun, besonders belohnt werden sollen. Um Ihnen einmal vor Augen zu führen, wie die Steigerungsbeträge sich in der Angestelltenversicherung auswirken, will ich Ihnen ein Beispiel nennen. Ich zahle monatlich 55 Mark Angestelltenversicherung, das sind 660 Mark im Jahr. Dafür erhalte ich einen Steigerungsbetrag von 0,7 %, das macht im Jahr 4,62 Mark aus. Daß das ein unmöglicher Zustand ist, der auf die Dauer nicht aufrechterhalten werden kann, dürfte wohl allgemein anerkannt werden. Wir haben damals diesen Antrag eingereicht, und es wäre möglich gewesen, eine Verbesserung der Renten durchzuführen, wenn die Mehrheit des Hauses unserem Antrag gefolgt wäre. Das ist da-3) mals nicht der Fall gewesen. Der Antrag ist lediglich der Regierung als Material überwiesen worden; geschehen ist auf dem Gebiet bis zum heutigen Tage nichts.
In dem Antrag Nr. 1948 fragt Frau Abgeordnete Kalinke, welche Maßnahmen die Bundesregierung vorbereitet hat, um die Renten in der Sozialversicherung dem veränderten Lohn- und Preisgefüge anzupassen. Ich glaube, es wäre längst Zeit gewesen, den Standpunkt, den wir vertreten haben, einzunehmen, und nicht zu warten, bis eine Situation entsteht, in der der Hungerriemen bei den Rentenempfängern so weit angezogen werden muß, daß bei einem großen Teil Selbstmordgedanken auftreten. Ich hoffe deshalb, auf allen Seiten dieses Hauses ist jetzt die Erkenntnis vorhanden, daß möglichst rasch eine Erhöhung der Renten für alle Rentenempfänger durchgeführt werden muß.
Wir wissen auch, daß sich die Rententräger in einer außerordentlich schwierigen Situation befinden. Vorhin ist schon darauf hingewiesen worden, daß die Verluste in der Rentenversorgung durch Inflation, durch Währungsumstellung und durch Zerstörung der Häuser, die mit Hypotheken aus der Rentenversicherung beliehen waren, den Betrag von etwa 12 Milliarden Mark ausmachen. Der Herr Bundesarbeitsminister Storch hat vorhin darauf hingewiesen, daß dem Bund nur indirekte Steuern zur Verfügung stünden, um einen Ausgleich in der allgemeinen Rentenversorgung, d. h. um die Substanzherstellung durchzuführen. Das beruht auf einem Irrtum. Der Bund kann Einkommensteueranteile von den Ländern für sich in Anspruch nehmen, und es dürfte möglich sein, daß der Bund einen Teil der Einkommensteuer zur Wiederherstellung der Substanz der Rentenversicherung in Anspruch nimmt. Wir wissen auch, daß das deutsche Volk unter seiner Überalterung sehr schwer zu leiden hat und daß die Zugänge zur Rentenversicherung und damit die Beitragseinnahmen in Zukunft infolge der Mindergeburten der letzten Zeit wahrscheinlich abnehmen werden.
Man hat aber auch der Rentenversicherung gewaltige Kriegsfolgelasten aufgebürdet, die nach unserer Auffassung nicht in die Rentenversorgung hineingehören, indem man die Flüchtlinge und einen Teil vorzeitig zu Rentnern gewordene Kriegsopfer der Rentenversicherung überantwortet hat, während es nach unserer Auffassung Aufgabe des Bundes ist, die absoluten Kriegsfolgelasten, um die es sich hier handelt, durch den Bund und nicht durch die Sozialversicherung tragen zu lassen. Nach unseren Feststellungen leistet der Bund gegenwärtig 800 Millionen DM an Zuschüssen zur Sozialversichërung.
Der Herr Abgeordnete Arndgen, der selbst lange Zeit Arbeitsminister in einem Land gewesen ist, hat den Appell an uns gerichtet, wir sollten verantwortungsbewußt sein und die notwendigen Steuern bewilligen, die es ermöglichen, die Renten zu zahlen. Herr Abgeordneter Arndgen! Ich kann Ihnen versichern: Wir sind bereit, die notwendigen Steuern mitzubeschließen. Aber diese Steuern werden anders aussehen als diejenigen, die die Regierungsmehrheit durchführen will.
Ich weiß nicht, ob Herr Arbeitsminister Storch noch auf demselben Standpunkt steht wie am 20. Juli 1950, als er dem Verband der Deutschen Rentenversicherungsträger mitteilte — ich zitiere wörtlich—:
Ich werde mit allen Kräften dafür eintreten, daß die Träger der Sozialversicherung im Rahmen des Lastenausgleichs eine Entschädigung für ihre Verluste durch die Währungsreform und durch die unmittelbaren Kriegseinwirkungen erhalten.
Selbst wenn der Herr Arbeitsminister noch denselben Standpunkt einnähme, würde er bei seinem Ministerkollegen Schäffer wahrscheinlich auf sehr schweren Widerstand stoßen. Mir scheint es notwendig zu sein, daß der Bundestag möglichst rasch einen Ausgleich schafft, um die Währungsverluste bei der Rentenversicherung durch ein Bundesgesetz festzustellen und zu regeln. Nur so wird es nach unserer Auffassung möglich sein, die Sozialversicherung wieder auf eine gesunde Grundlage zu stellen. Das scheint mir um so notwendiger zu sein, als die Privatversicherung seit dem 1. 1. 1949 jährlich rund 87 Millionen DM aus Bundesmitteln an Zinsen erhält für die ihr zugeteilten Kriegsausgleichsforderungen. Was dem einen recht ist, muß auch dem andern billig sein.
Nun hat die CDU/CSU in einem Antrag Drucksache Nr. 1971 verlangt, daß die Regierung möglichst rasch einen Gesetzentwurf vorlegt, durch den eine 25% ige Erhöhung der Renten durchgeführt werden soll. Es ist etwas eigenartig, wenn man die Daten der einzelnen Anträge verfolgt. Am 13. Februar 1951 hat die sozialdemokratische Fraktion eine Interpellation eingereicht, in der sie fragt, was auf dem Gebiet geschehen ist. Am 17. Februar hat die Deutsche Partei einen Antrag eingebracht,
worin sie eine Erhöhung der Renten fordert, und einige Tage später, am 22. Februar, hat dann die CDU/CSU den Antrag eingebracht, von dem ich spreche. Nachdem alle Fraktionen damit einverstanden sind, die Renten jetzt zu erhöhen, sind wir einmütig der Überzeugung, daß die Dinge möglichst rasch erledigt werden sollen, um den Ärmsten der Armen zu ihren Renten zu verhelfen. Ich bin auch der Überzeugung, wenn die sozialdemokratische Fraktion den Antrag, den die CDU eingereicht hat, jetzt im Bundestag eingebracht hätte, dann würde Herr Abgeordneter Arndgen wahrscheinlich erklärt haben, bei diesem Antrag handle es sich um einen Agitationsantrag der Sozialdemokratie. Ich hoffe, es handelt sich bei der CDU nicht um einen Agitationsantrag, sondern daß sie bereit ist, gemeinsam mit uns die Rentenerhöhung möglichst bald durchzuführen. Nach unserer Überzeugung wird es sehr lange dauern, bis der Antrag der CDU endgültig verabschiedet ist. Bis dahin können aber die, Renten nicht auf dem jetzigen niedrigen Stand bleiben, sondern sie müssen erhöht werden. Es muß also möglichst rasch etwas geschehen.
Ich möchte deshalb im Namen der sozialdemokratischen Fraktion folgenden Antrag dem Herrn Präsidenten des Hauses übergeben und bitte um Annahme. Ich beantrage gleichzeitig, daß die Abstimmung über diesen Antrag heute erfolgen soll. Der Antrag hat folgenden Wortlaut:
Die Bundesregierung wird ersucht, dem Bundestag sofort einen Gesetzentwurf vorzulegen, nach dem die aus der Sozialversicherung zu gewährenden Renten sowie Witwen- und Waisengelder ab 1. April 1951 um 25°/o erhöht werden.
Da die Sozialversicherungsträger insbesondere infolge der Vermögensverluste von 1923 und 1948 nicht in der Lage sind, aus eigenen Mitteln die durch die Erhöhung entstehenden Mehrkosten zu tragen, sind dieselben vom Bund zur Verfügung zu stellen.
Im Interesse der Rentenempfänger und einer beschleunigten Durchführung der Erhöhung der Renten bitte ich, die Abstimmung heute vorzunehmen, und ersuche das Hohe Haus, diesem Antrage zuzustimmen.