Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die vorliegenden Interpellationen sprechen eine der gefährlichsten Situationen unserer Zeit an. Leider ist in der Interpellation der Sozialdemokratischen Partei kein Unterschied gemacht worden zwischen Leistungen, die sich der einzelne auf Grund einer Beitragsleistung persönlich erworben hat, und den Leistungen aus dem öffentlichen Haushalt.
Wenn irgendeine Gruppe von Menschen in einen Notstand gerät, muß man ihr letzten Endes über den Wohlfahrtsetat helfen; und der Wohlfahrtsetat ist nun einmal bei den Ländern. Sie müssen sich doch darüber klar sein, daß den Ländern auch alle direkten Steuern zufließen. Sie fordern hier den Ausgleich immer wieder vom Bund und wissen ganz genau, daß dem Bund nur die indirekten Steuern zufließen. Wenn man die Dinge durch erhöhte Steuereinnahmen auf der Bundesebene ausgleichen will, muß man den Mut aufbringen, die indirekten Steuern wesentlich zu erhöhen. Da bin ich allerdings der Meinung, daß Sie sich, wenn derartige Gesetzentwürfe vor Ihnen liegen, wahrscheinlich nicht allzusehr dafür begeistern können.
Wir haben nun in der Zwischenzeit versucht, einige Probleme herauszugreifen, um sie grundsätzlich zu regeln. Das war einmal das Versorgungsgesetz für die Kriegsbeschädigten. Sie haben jetzt die Gesetzentwürfe für die Arbeitslosenversicherung und für die Arbeitslosenfürsorge vorliegen. Ich habe schon vor einigen Monaten einmal die sozialpolitisch besonders interessierten Abgeordneten dieses Hohen Hauses sowohl von den Regierungsparteien als auch von der Opposition zu
mir gebeten, um ihnen einen Überblick über die tatsächliche Situation in unseren Rentenversicherungsträgern zu geben. Ich glaube, Sie alle, die sich diese Dinge einmal genau angesehen haben, werden vor der Größe des von uns zu lösenden Problems erschrocken sein. Da muß man die Frage aufwerfen —und muß sie auch ganz konsequent beantworten—, ob man in der Zukunft in unserem Wirtschaftsleben die Sicherstellung der arbeitenden Menschen durch eine Versicherung, in der Versicherungsleistungen und Versicherungsbeitrag aufeinander abgestellt sein müssen, regeln will oder ob man an eine allgemeine Volksfürsorge denken und damit dem einzelnen Rechtsansprüche aus seiner persönlichen Beitragsleistung nur noch teilweise zuteil werden lassen will.
Vorhin sind Zahlen über die Größenverhältnisse genannt worden, die wir vor uns haben. Täuschen wir uns nicht! Die Zahlen sind wahrscheinlich noch zu gering angenommen. Wenn ich die Leistungen aus der Sozialversicherung um 25% erhöhe, dann sind das ungefähr 900 Millionen DM. Darüber hinaus brauche ich aus dem öffentlichen Haushalt 340 Millionen DM für die Fremdrenten. Also die Beträge sind viel größer, als sie seither genannt worden sind. Ich kämpfe seit Wochen mit dem Herrn Bundesfinanzminister darum, daß . er mir für den neuen Etat die Mittel zur Verfügung stellt, um diese Dinge in ihrer Grundsätzlichkeit regeln zu können. Denn hier hilft es nichts mehr, daß wir wieder irgendwo ein kleines Pflästerchen daraufsetzen; vielmehr muß eine grundsätzliche Neudurcharbeitung dieser Versorgungsinstitutionen erfolgen.
.Ta, dann müssen sie eben durch die Wohlfahrtsämter der Länder so lange noch zusätzlich betreut werden; daran kommen wir nicht vorbei, Herr Kollege Richter.
Praktisch ist die Sache so, wie sie Herr Arndgen vorhin vollständig richtig dargelegt hat. Sie werden in diesem Hohen Hause in sehr kurzer Zeit vor der Frage stehen, für die Sanierung der Sozialversicherung Bundesmittel in Höhe von ungefähr einer Milliarde DM bewilligen zu müssen. Darüber müssen Sie sich klar sein. Wenn wir uns in unserem heutigen Wirtschaftsleben die Dinge etwas genauer ansehen, finden wir, daß diejenigen Menschen, die sich durch die Beitragszahlung Rechtsansprüche erworben haben, in ihre Versicherungsträger allerlei Dinge hineingepackt bekommen haben, die in die Wohlfahrt und nicht in die Versicherungsträger gehören.
Erste Voraussetzung für den Neuaufbau einer Sozialversicherung ist, daß man eine endgültige Bilanz aufstellen kann. Da komme ich zu der Frage, die von Frau Kalinke angeschnitten worden ist, zu der treuhänderischen Verwaltung der in Berlin stillgelegten Versicherungsträger. Nun frage ich Sie, auch den Herrn Kollegen Richter, in aller Offenheit: Wer muß diese Vermögen verwalten können? Doch wahrscheinlich derjenige, der die Leistungen aus den stillgelegten Versicherungsträgern zu tragen hat.
Es handelt sich also absolut nicht darum, daß man
in Berlin an die Stelle von Herrn Uhlmann vielleicht den Herrn Maier setzt. Es handelt sich vielmehr darum, daß man die vorhandene Wertsubstanz dem Versicherungsträger gibt, der heute die Leistungen erfüllt.
Ich habe bereits Ende November in Berlin mit dem Herrn Oberbürgermeister Dr. Reuter und mit dem Sozialsenator Fleischmann über die Dinge gesprochen. Sie waren damals hundertprozentig mit mir darüber einig, daß die treuhänderische Verwaltung dieser Vermögenssubstanzen, die gar nicht klein sind, in die Hände der Deutschen übergehen soll, und zwar in die Hände der Bundesregierung, die mit dem Senat in Berlin — damals nannte man es Magistrat -- nun eine gemeinschaftliche Verwaltung aufstellen sollte. Damals bestand völlige Einigkeit. Dann ist quergeschossen worden. Von wem, will ich gar nicht sagen. Vielleicht wissen es einige der Damen und Herren, die hier im Hause sitzen.
Der versprochene Brief, den Herr Dr. Reuter mir für die Hohen Kommissare zugesagt hat, ist dann nicht abgesandt worden. Ich habe fünf- oder sechsmal in Berlin bei Herrn Fleischmann angerufen; er sagte mir: der Brief wird fertiggestellt, es sollen nur zwei kleine Änderungen daran vorgenommen werden. — Nichts ist geschehen!
Am letzten Tag, an dem der alte Magistrat in Berlin tätig war, hat er einen Brief an die Berliner Besatzungsmächte gerichtet, in dem er ersucht, die Treuhandverwaltung der Sozialversicherungsvermögen nicht an die Bundesregierung, sondern an den Magistrat in Berlin zu geben.
Meine Damen und Herren! Wir wollen uns über diese Dinge gar nicht allzusehr streiten. Ich war im vergangenen Monat in Berlin und habe, da Herr Oberbürgermeister Dr. Reuter nicht anwesend war, mit seinem Stellvertreter, Herrn Dr. Schreiber, gesprochen, und ich habe auch mit Herrn Fleischmann Verhandlungen geführt, und die Herren sind der Meinung, daß das, was im Dezember versäumt worden ist, eben jetzt auf dem schleunigsten Wege nachgeholt wird.
Wir haben ein Schreiben der Hohen Kommissare vorliegen, in dem uns gesagt wird, daß, wenn zwischen der Bundesregierung und dem Senat in Berlin eine Verständigung über die Verwaltung der Vermögen erzielt wird, uns mit Wirkung vom 1. April dieses Jahres die treuhänderische Verwaltung übergeben wird. Das ist meines Erachtens etwas ganz Entscheidendes, und ich möchte Ihnen sagen: Zur Zeit wird ja von der Bundesregierung auf Grund der Verhältnisse, die wir durch die internationale Lage bekommen haben. ein allgemeines Wirtschafts- und Sozialprogramm durchberaten, und ich bin der Überzeugung, daß wir zur Neuordnung und zur finanziellen Sicherung unserer Sozialversicherungsträger im Rahmen dieses Einheitsprogramms die Dinge so weit in Ord-rung bringen können, daß unsere Sozialrentner. die auch ich als die Ärmsten der Armen zur Zeit in Deutschland bezeichne, zu ihrem Recht kommen, damit Menschen, die im guten Glauben in ihre Versicherungsträger ihre Beiträge eingezahlt haben, auch durch diese Versicherungsträger jetzt in ihrem Alter so unterhalten werden, daß sie von einem menschlichen Leben sprechen können.