Rede von
Margot
Kalinke
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Wenn man zu einem so ernsten Thema Stellung nimmt, dann sollte man den einmütigen Willen aller Fraktionen des Hauses, dieses sehr ernsthafte sozialpolitische Problem einer Lösung entgegenzuführen, nicht mit derart polemischen und parteipolitischen Ausführungen beeinträchtigen, wie das hier geschehen ist.
Ich glaube, der Herr Richter wird als Vorsitzender des Sozialpolitischen Ausschusses auch nicht wollen, daß diese Frage, die ihm sicher genau so am Herzen liegt wie allen anderen sozial verantwortlich Denkenden,
zum Gegenstand der Parteipolitik gemacht wird.
das Ihnen auch die Grenze zwischen Polemik und echter Verantwortung zeigen wird.
Ich möchte nicht weiter auf die Ausführungen der Vorrednerin eingehen,
sondern nunmehr den Antrag meiner Fraktion begründen.
Hinsichtlich der Ziffer 1 unseres Antrags möchte ich vorausschicken: meine Fraktion hat mit Anerkennung und Freude festgestellt, daß die Regierung unter Berücksichtigung des Sozialetats und ihrer großen sozialen Verpflichtungen in dem Bundesversorgungsgesetz, in den beabsichtigten Maßnahmen zur Erhöhung der Arbeitslosenversicherungs- und -fürsorgesätze und in dem vorgelegten Entwurf zur Neuordnung der knappschaftlichen Rentenversicherung durchaus Anstrengungen gemacht hat. Daß für die große Masse der Rentenempfänger aus der Sozialversicherung in allen ihren Sparten die augenblickliche Rente nicht ausreichend ist, ist allgemein bekannt.
Schon die im Jahre 1949 von der Verwaltung für Arbeit des Vereinigten Wirtschaftsgebiets zusammengestellten Zahlen, also die Statistiken haben gezeigt, daß die damals vor der Verabschiedung des Sozialversicherungsanpassungsgesetzes zur Auszahlung kommenden Durchschnittsrenten weitgehend entwertet waren. Ich kann mich, da Frau Korspeter auf die Frage der Durchschnittsrenten schon ausführlich eingegangen ist, auf die Feststellung beschränken, daß auch die Durchschnittsrenten in der Invaliden- und Angestelltenversicherung heute durchaus nicht ausreichend sind, um einem Rentner zu ermöglichen, bei dem derzeitigen Preisniveau ohne Beanspruchung des Wohlfahrtsamtes oder der Verwandtenhilfe auszukommen.
Es ist für uns — Ihr „also" erübrigt sich vollkommen —
selbstverständlich, daß eine Anpassung der Rente an das gestiegene Preisniveau notwendig ist.
Wir haben uns nur zu überlegen, in welcher Form diese notwendige Anpassung erfolgen soll.
Über 800/o aller Witwen in der sozialen Rentenversicherung erhalten nur die Mindestrente. Wir haben damals beim Sozialversicherungsanpassungsgesetz der pauschalen Erhöhung der Renten nicht zugestimmt, obwohl wir immer wieder betont haben, daß die Erhöhung der Mindestrente dringend erforderlich war; aber wir möchten, daß bei der Korrektur, bei der notwendigen Erhöhung der Renten wieder ein echtes Gefühl für die Versicherungsgerechtigkeit und für die Versicherungswahrheit Platz greift.
Wir wünschen deshalb, daß nicht pauschale Rentenerhöhungen stattfinden, die demjenigen einen Vorteil verschaffen, der glaubt, sich nicht anstrengen zu müssen, um für die Wechselfälle des Lebens selber vorzusorgen.
Wir möchten, daß derjenige belohnt wird, der aus eigener Kraft durch Beitragsleistung sich ein möglichst hohes Maß an Sicherstellung schafft.
Ich kann in wenigen Worten sagen, daß die Indexzahlen, 'die heute verbreitet sind, in keiner Weise für die Rentner angewandt werden können und daß die Kaufkraft der Sozialrenten um mehr als die Hälfte geringer geworden ist. Für die Vertriebenen und Ausgebombten ist es, soweit sie Rentner sind, unmöglich, jemals wieder in den Besitz einer Wohnung oder der nötigsten Bekleidungsstücke zu kommen. Die Wohlfahrtssätze und die Soforthilfesätze liegen teilweise über den Durchschnittsrenten.
Hier möchte ich nun auch ein sehr ernstes Wort zur künftigen Gestaltung der Sozialpolitik sagen. Meiner Fraktion schwebt vor, daß derjenige, der aus eigener Kraft, der nach dem Prinzip der gegenseitigen Hilfe, nach dem Prinzip der Versicherung Beitragsleistungen aufbringt, anders gestellt wird als der, der von der Versorgung des Staates geschützt wird. Wir haben die Lösung des Problems nach dem Sozialversicherungsanpassungsgesetz als nicht ausreichend empfunden und freuen uns, daß die von uns damals vertretene Auffassung heute Allgemeinerkenntnis ist. Die Länderhaushalte, die sehr wesentlich mit Fürsorgeausgaben belastet sind, werden durch die Erhöhung der Renten erheblich entlastet.
Ich komme zum zweiten Punkt unseres Antrags. Meine Freunde und ich sind der Auffassung, daß die Vermögensverluste der deutschen Sozialversicherung, die insgesamt 12 Milliarden, in der Rentenversicherung allein 9 Milliarden — und wenn man den Währungsverfall von 1923 berücksichtigt, sogar 15 Milliarden, in der Rentenversicherung 12 Milliarden — betragen, von Staats wegen ersetzt oder zumindest teilweise in Ordnung gebracht werden müssen. Die Währungsgesetzgebung, die den Rentenversicherungsträgern eine Umstellung 1 zu 1 vorgeschrieben hat, hat versäumt, den Sozialversicherungsträgern eine entsprechende Vorrangstellung in der Behandlung ihrer Vermögensreserven zu geben. Der Staat ist ohnehin zur Zahlung von Zuschüssen verpflichtet. Die Verpflichtung zu dieser Garantie ergibt sich aus der Reichsversicherungsordnung und dem Angestelltenversicherungsgesetz. Wir sind der Auffassung, daß auch die wesentlichen Mehrkosten, die der Rentenversicherung durch die Austreibung so
vieler Menschen und durch Kriegsfolgelasten entstanden sind, nicht auf die Schultern der Sozialversicherten allein gelegt werden können, indem man erhöhte Beiträge von ihnen verlangt.
Schließlich darf ich noch sagen: Wir hoffen, daß der Herr Arbeitsminister uns ausführlich zu der Frage der endlichen Übernahme des Vermögens der Sozialversicherungsträger auf die Bundesregierung antworten wird. Wir glauben, daß die Zurückgabe dieses Vermögens an die Bundesregierung maßgeblich dazu beitragen wird, die Angestelltenversicherung sicherzustellen.
— Und was die Selbstverwaltung angeht, Herr Kollege Richter, so werden die Vertreter in der Selbstverwaltung dafür Sorge tragen, daß nicht die Wünsche Ihrer Freunde in Berlin erfüllt werden, die noch in diesen Tagen an den Oberstleutnant Sleeman, den Stabschef der alliierten Kommandantur, geschrieben haben. Wenn Sie gestatten, Herr Präsident, dann verlese ich zwei Sätze:
Der Magistrat Berlin vertritt die Auffassung,
daß diese Treuhandverwaltung vom Land
Berlin übernommen werden muß. Er vertritt
weiter die Auffassung, daß grundsätzliche
Entscheidungen über die Verwendung der in
Treuhandvermögen vorhandenen Werte ihm — dem Magistrat —
obliegen.
Ich bin mit Ihnen einig, Herr Kollege Richter, daß diese grundsätzlichen Entscheidungen nur den Versicherten in ihrer Selbstverwaltung obliegen.
Die Deutsche Partei hat den Antrag heute aus dem Bewußtsein der sozialen Verantwortung gestellt;
und wenn Frau Korspeter diese soziale Verantwortung bezweifelt, so bedarf das keiner Erklärung bei den Menschen, die das wahre Gesicht politischer Parteien und ihrer Vertreter zu beurteilen in der Lage sind.