Meine Damen und Herren, die Beantwortung der Interpellation ist erfolgt. Wird eine Besprechung gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Damit ist der Punkt der Tagesordnung erledigt.
Ich rufe auf Punkt 2 der Tagesordnung:
a) Beratung der Interpellation der Fraktion der SPD betreffend Verbesserung von Versicherungs- und Fürsorgeleistungen ;
b) Beratung des Antrags der Fraktion der Deutschen Partei betreffend Auskunft über Maßnahmen für die Sozial- und Rentenversicherung ;
c) Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU betreffend Sanierung der Rentenversicherungsträger und Erhöhung der Renten in der Sozialversicherung .
Der Ältestenrat schlägt Ihnen für die Begründung der Interpellation und der Anträge je 10 Minuten und für die Aussprache 120 Minuten Redezeit vor. — Das Haus ist damit einverstanden.
Wer wird die Interpellation begründen?
— Das Wort hat Frau Abgeordnete Korspeter.
Frau Korspeter , Interpellantin: Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Die sozialdemokratische Fraktion hatte am 29. Juli vorigen Jahres den Antrag in der Drucksache Nr. 1271 eingereicht, der eine Anpassung von Leistungen der Sozialversicherung, der Arbeitslosenversicherung, der Arbeitslosenfürsorge, der Körperbeschädigten- und Hinterbliebenenfürsorge, der Soforthilfe und der öffentlichen Fürsorge an das veränderte Preisgefüge forderte. Dieser Antrag kam bedauerlicherweise erst am 13. Oktober auf die Tagesordnung, und er erlebte ein Schicksal, das von keinem der betroffenen Rentner verstanden wurde und ein
großes Maß von Verbitterung auslöste. Obgleich alle Parteien sich während der Debatte über diesen Antrag dazu bekannten, daß angesichts der elenden Lage der Renten- und Unterstützungsempfänger Abhilfe dringend geboten sei, obgleich auch der Herr Arbeitsminister erklärte, daß die Bezüge, die wir den Rentnern geben und geben könnten, nicht ausreichend seien, wurde dieser Antrag der SPD-Fraktion gegen unsere Stimmen der Regierung lediglich als Material überwiesen. Die Mehrheit des Hauses hielt es also noch nicht einmal für notwendig, trotz aller Versicherungen, die Notlage dieser Menschen zu sehen, den Antrag dem zuständigen Ausschuß mit dem Auftrag zu überweisen, wirklich ernsthafte Überlegungen anzustellen, wie diesem Personenkreis zu helfen sei. Das war eine mehr als unverständliche Maßnahme.
Man nannte damals in der Öffentlichkeit diesen Tag — es war ein Freitag — den „schwarzen Freitag des Bonner Parlaments",
und vielleicht erinnern sich auch alle diejenigen, die an der Sozialpolitik interessiert sind, daran, daß die Behandlung dieses Antrages mit der Verabschiedung des Gesetzes über die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung zusammenfiel.
Unsere Befürchtungen, was mit einem Antrag geschehen würde, der der Regierung als Material überwiesen wird, haben sich vollauf bestätigt.
Wohl hat das Parlament inzwischen das Bundesversorgungsgesetz verabschiedet, und mit den Unterhaltshilfen beschäftigt sich jetzt der Lastenausgleichsausschuß. Darüber hinaus ist dem Bundesrat ein Gesetzentwurf über die Erhöhung der Arbeitslosenfürsorge- und Arbeitslosenversicherungssätze zugeleitet worden, der wirklich sehr lange hat auf sich warten lassen und über den in den Beratungen im Ausschuß noch viel zu reden sein wird. Aber von Maßnahmen der Regierung zur Erhöhung der Renten der Sozialversicherung und der Fürsorgesätze hat man bisher überhaupt noch nichts gehört, und die Bundesregierung hat durch ihr zögerndes Verhalten diese Menschen angesichts der Preisentwicklung nicht nur unter das Existenzminimum absinken lassen; nein, sie hat ihnen praktisch sogar jede Existenzmöglichkeit genommen.
Fünf Monate hat die Bundesregierung Zeit gehabt. Fünf Monate hat ihr dieser Antrag als Material vorgelegen, — für sie vielleicht eine kurze Spanne Zeit, aber für die Rentner mit ihren kärglichen Renten eine lange Zeit bitterster Sorge.
Hätte man nicht eigentlich von der Bundesregierung, wenn sie Wert darauf legt, daß unser soziales Gefüge in Ordnung kommt, verlangen dürfen, daß sie von sich aus früh genug die Entwicklung hätte beobachten müssen und daß sie Maßnahmen hätte ergreifen müssen, um diesem Elend zu begegnen? Statt dessen ist bislang von konkreten Vorschlägen überhaupt noch nichts bekanntgeworden, so daß sich selbst die Deutsche Partei veranlaßt gesehen hat, die Regierung zu fragen, welche Maßnahmen sie vorbereitet hat, um die Renten an das veränderte Preisgefüge anzupassen, und daß weiterhin die Fraktion der CDU/CSU einen Antrag vorgelegt hat, die Renten um 25 % zu erhöhen.
Meine Herren und Damen, es scheint nunmehr ein edler Wettstreit zwischen den Regierungsparteien ausgebrochen zu sein,
nachdem man es vor fünf Monaten nicht für nötig befunden hat, unsern Antrag überhaupt zu beraten.
(Sehr gut! bei der SPD. — Widerspruch
in der Mitte und rechts.)
Aber sehen Sie, uns beunruhigt nur eines dabei: Was sagt Ihr Finanzminister dazu?
Damals, als wir unsern Antrag einbrachten, hatte er keine 280 Millionen zur Verfügung, und heute soll und muß er für die Durchführung Ihres Antrages nach den „Ruhr-Nachrichten", in denen Herr Kollege Arndgen und Herr Kollege Degener als Initiatoren dieses Antrages so freundlich abgebildet sind, eine Milliarde D-Mark zur Verfügung stellen.
Fürchten Sie nicht, daß Sie damit bei den Rentnern Hoffnungen erwecken, die zu realisieren Ihr Finanzminister nicht bereit ist,
noch dazu, da ja bekanntgeworden ist, daß der Finanzminister wohl allerlei andere Pläne für das Haushaltsjahr 1951 vorbereitet hat, daß er aber, obwohl ihm unser Antrag als Material vorlag, gar nicht daran gedacht hat, Gelder für die Erhöhung der Renten einzusetzen!?
Fürchten Sie nicht, daß es Ihnen mit Ihrem Antrag auch wieder so geht wie bei der Abstimmung über die Subventionen zur Stützung des Brotgetreidepreises, bei dem Sie damals ja diesen unglaublichen Purzelbaum geschlagen haben?!
Sie haben uns schon sehr häufig Agitationsanträge vorgeworfen.
Aber ich frage mich bei diesem Antrag, was man davon zu halten hat.
Ich weiß: wir haben Wahlen in Niedersachsen, und was tut man nicht alles, wenn Wahlen in Aussicht stehen!
Meine Herren und Damen, wenn wir allerdings helfen wollen, dann sollten wir schnell helfen.
Schon damals, als wir unsern Antrag eingebracht haben, wäre es notwendig gewesen, schnell zu helfen, um dem Elend unter den Rentnern durch Zulagen zu den Renten zu begegnen und ihre Lebenshaltung, die unter die Hungergrenze herabgedrückt ist, zu verbessern. Seit der Behandlung unseres Antrages haben sich die Verhältnisse aber
weiterhin entscheidend verschlechtert. Die Lebenshaltungskosten, besonders die Preise der Güter des starren Lebensbedarfs, auf die sich diese Personenkreise in erster Linie beschränken müssen, sind in bestürzender Weise angestiegen. Ich habe gerade am Wochenende, als ich in meinem Wahlkreis war, wieder Gelegenheit gehabt, festzustellen, daß in einer Reihe von Orten am Sonnabend Preissteigerungen bei Lebensmitteln vorgenommen wurden, zum Beispiel bei Brot und Teigwaren. Das Konsumbrot war nicht zu haben, angeblich weil das entsprechende Mehl nicht vorhanden ist. Darüber hinaus fehlte die billige Margarine, so daß dieser Personenkreis darauf angewiesen war, die teureren Lebensmittel zu kaufen.
Um uns eine richtige Vorstellung von der Dürftigkeit der Lebenshaltung dieses Personenkreises zu machen, erscheint es noch einmal nötig, diese Rentensätze und Fürsorgesätze zu nennen; es sind gewiß erschütternde Zahlen angesichts unseres heutigen Preisniveaus. Die Durchschnittsrenten aus der Invalidenversicherung betragen 63 DM und aus der Angestelltenversicherung 90 DM, Wohlfahrtsunterstützungsempfänger haben nach den Richtsätzen mit 45 DM für den Haushaltungsvorstand, 25 DM für die Ehefrau und 20 DM für jedes Kind — plus Mietzuschläge — auszukommen. Bei diesen Sätzen ist schon seit langem keine Existenzmöglichkeit mehr gegeben. Wenn wir dann noch an die Auswirkung der Erhöhung der Kohlen- und Stahlpreise und an die Mineralölsteuer denken, weiterhin an die Steuerpläne des Herrn Finanzministers, die immer darauf hinauslaufen, die Lasten auf die Schultern der breiten Massen abzuwälzen, wenn wir weiterhin an das wirtschaftspolitische Programm der Regierung und des Niederbreisiger Kreises denken, so fragt man sich wahrhaftig mit großer Sorge: Was soll denn daraus noch werden? Auf die Rentner und Unterstützungsempfänger müssen diese Pläne in einer Weise alarmierend und beunruhigend wirken, daß sie das Gefühl haben, dieser Situation völlig hilflos gegenüberzustehen.
Da hört man von der Heraufsetzung der Zucker-und Brotpreise, von der Korrektur der Milchpreise, von einer Erhöhung der Altbaumieten, von der Beseitigung der Subventionen, — alles Maßnahmen, die sich ganz besonders für diese Personenkreise verhängnisvoll auswirken. Man spricht in diesem Zusammenhang auch davon, einschneidende Maßnahmen zur Konsumeinschränkung vornehmen zu wollen. Ich glaube, daß man bei diesem Personenkreis nicht an eine Konsumeinschränkung denken kann, weil das nämlich den nackten Hunger bedeuten würde. Mit Worten, mit der Anerkennung ihrer Notlage, so wie es damals geschah, ist den Rentnern nicht gedient.
Leider haben wir es schon allzuoft erlebt und bei der Behandlung unseres damaligen Antrags hat es sich wieder bestätigt, daß die Regierung mehr als zurückhaltend ist, wenn es sich um die wirtschaftlich Schwachen handelt, daß sie aber völlig bedenkenlos ist,
wenn es sich um die Pflege kapitalistischer Erfordernisse handelt.
Die Rentner warten darauf — und ihr Blick ist heute nach Bonn gerichtet —, daß wir alle Anstrengungen machen, um ihnen wirklich zu helfen. Es ist schmählich für uns, daß wir es nicht schaffen
können, unseren Alten und Invaliden einen einigermaßen erträglichen Lebensabend zu ermöglichen. Wie sollen diese Menschen überhaupt in ein gutes Verhältnis zur Demokratie kommen, wenn dieser demokratische Staat es nicht fertig bringt,
ihnen nach ihrem langen arbeitsreichen Leben
einen wirklich sicheren Lebensabend zu bieten.
Ihr ganzes Leben lang haben sie durch ihre Beitragszahlung ein immerwährendes Opfer gebracht.
Darüber hinaus haben sie versucht, von ihren gewiß nicht hohen Löhnen und Gehältern etwas zu ersparen, um mit diesen zurückgelegten Notgroschen ihre Rente strecken zu können, eben in der Hoffnung, ihren Lebensabend ohne Not und Elend beschließen zu können.
Sie sehen sich alle um diese Hoffnung betrogen, und es ist vielfach schon so weit gekommen, daß sie sich als eine Last gegenüber der Gemeinschaft fühlen. Es ist gewiß eine schlechte Visitenkarte für ein Volk, daß es die in Ehren alt Gewordenen der Not und dem Elend preisgibt und nicht das Letzte tut, um ihnen zu helfen. Man spricht sehr gern und sehr häufig davon, wir lebten alle in einem Boot und wir hätten alle dieses Boot gemeinsam zu schützen und zu verteidigen. Man spricht immer ganz besonders gern davon oder überhaupt nur dann davon, wenn Hinweise auf eine Notlage gemacht werden und wenn man dazu Forderungen stellt.
Wäre es nicht viel richtiger, erst einmal daran zu denken und auch dazu bereit zu sein, das Leben in diesem Boot für alle lebenswert zu machen und nicht, wie es jetzt geschieht, einen großen Teil unseres Volkes hilflos einer Situation auszusetzen, der die Betroffenen nicht begegnen können!?
Wir haben in unserer Interpellation zwei Fragen gestellt. Wir wünschen erstens zu hören: Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um eine den Verhältnissen gerecht werdende Verbesserung der Leistungen auf allen in Betracht kommenden Gebieten durchzuführen? Wir wollen in der Hauptsache hören, was die Bundesregierung unternommen hat, um die Renten aus der Sozialversicherung zu erhöhen, was sie getan hat, um die Länder zu veranlassen, eine Erhöhung der Fürsorgerichtsätze vorzunehmen. Darüber hinaus möchten wir wissen, wann diese Maßnahmen in Kraft treten sollen. Meine Herren und Damen, wir wollen hoffen, daß wir heute eine positive und konkrete Stellungnahme der Regierung erhalten, weil es menschlich und auch staatspolitisch nicht mehr zu verantworten wäre, wenn die Leistungen für diese Personengruppen nicht bald ein menschenwürdiges Dasein garantieren würden.