Rede von
Heinrich Georg
Ritzel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundestag unterlag in dem abgelaufenen Jahr nicht selten der Kritik der Öffentlichkeit, und ,das Verhältnis zwischen Bundestag und Presse war nicht immer so, wie es sich der Bundestag wünscht und auch wünschen muß. Ich glaube, daß in der Zwischenzeit dank einer Änderung der Atmosphäre eine wesentliche Annäherung eingetreten ist und ein besseres gegenseitiges Verstehen Platz gegriffen hat.
Wir dürfen die Dinge nicht immer allzu tragisch nehmen. Der Bundestag unterliegt zu Recht der öffentlichen Kritik. Er sollte selber einen Schuß Humor in sein nicht ganz leichtes Leben bringen. Ich habe mich gefreut, wie mir vorhin ein Kollege eine illustrierte Zeitung brachte. Darauf steht „Der Bundestag tanzt Samba".
Sambatanz ist etwas ganz Nettes, nur hat nicht der Bundestag Samba getanzt — das ist so ein kleiner Irrtum, hoffentlich nicht absichtlich —, sondern der Bundestag war bei diesem Sambatanzen Gast der Presse, die so nett über ihn berichtet.
Man kann das j a schließlich nicht dem eingeladenen Gast zum Vorwurf machen und kann nicht etwa daraus schlußfolgern: der Kongreß tanzt.
Nun, über das Thema Presse ist soviel gesprochen worden, daß ich es mir erlauben kann, im Laufe meiner kurzen Darlegungen nur noch auf einen besonderen Fall am Schluß zu sprechen zu kommen, der aber eigentlich nicht die Presse, sondern etwas anderes angeht.
Ich sehe mit Interesse, daß sowohl die, Photographen als auch die Presse den Bundestag in seiner Arbeit und besonders bei den vielen leeren Bänken beobachten, die im Laufe eines langen Sitzungstages immer wieder in Erscheinung treten. Ich hatte neulich eine Unterhaltung mit einem Pressephotographen wegen einer besonderen Angelegenheit, und ich habe dann auch selbst einmal Anlaß genommen, festzustellen, aus welchem Grunde ein Abgeordneter, der ja im Lichte der Öffentlichkeit steht, hier so oft nicht anwesend ist. Ich nehme das an meinen eigenen Erfahrungen ab. An zwei Tagen der vorigen Woche zählte ich siebzehn Besucher aus dem Bundesgebiet, die zum Teil aus meines Wahlkreis kamen, weil sie ihren Abgeordneten eben nur hier und sonst nirgends erreichen konnten, und diese Besucher nahmen ihn eben .gerade in der Zeit in Anspruch, in der der Abgeordnete eigentlich hier im Plenum hätte sitzen sollen.
Die Zahlen über die Kosten des Bundestags, die draußen herumschwirren, sind manchmal auch ein bißchen, na, sagen wir, nicht ganz genau berechnet. Vielleicht wird man gelegentlich einmal Anlaß nehmen, die echten Kosten des Bundestags mit der Bevölkerungszahl in Vergleich zû setzen. Wir dürfen ruhig mit Fug und Recht Berlin einrechnen und kommen so an Hand dieses Etats zu der Feststellung, daß die Kosten des Bundestags pro Kopf der Bevölkerung rund und roh 33 Pfennig pro Jahr betragen.
Das ist im Endeffekt immerhin zwar eine erhebliche, aber angesichts der Arbeitsleistung, über die etwas zu sagen sein dürfte, erträgliche Summe.
Ich habe mir einmal die Mühe gemacht — ich habe das im Haushaltsausschuß bereits dargelegt —, den Etat des Deutschen Reichstages vom Jahre 1929 mit dem Etat des Deutschen Bundestages von 1950 zu vergleichen und auch einige Ermittlungen über die Arbeitsleistung anzustellen. Ich war selbst Mitglied des Reichstags ùnd glaube, ein Urteil darüber zu haben. Meine Damen und Herren, es
ist nicht uninteressant zu wissen, daß der Deutsche Bundestag im Kalenderjahr 1950 93 Gesetze verabschiedet und verkündet hat, daß er weiter 29 Gesetze beschlossen aber noch nicht verkündet hat; das sind zusammen 122. Wenn Sie den Inhalt der einzelnen Gesetze betrachten, dann finden Sie, daß eine gewaltige gesetzgeberische Arbeit geleistet worden ist. Wir sind ein Staat im Umbau der Gesetzgebung wie vorher im Umbau des Verfassungsrechts. Wir konstatieren, daß der Reichstag im Jahre 1929 100 Gesetze verabschiedet hat. Der Bundestag, dessen Arbeit draußen nicht genügend gekannt und genannt wird, hat in der Zeit vom 1. April 1950 bis gestern, dem 20. Februar, unter' Ausschluß des Urlaubsmonats August an 290 Tagen — die Sonntage eingerechnet — 74 Plenarsitzungen, 1350 Ausschußsitzungen, 516 Fraktionssitzungen, 51 Ältestenratssitzungen, zusammen 1991 Sitzungen gehabt, ohne die Sitzungen der Unterausschüsse und ohne die Sitzungen der Fraktionsvorstände.
Meine Damen und Herren, es wird in der Öffentlichkeit — das darf in Wahrung der Rechte des Bundestags auch einmal gesagt werden — oftmals verkannt, daß dieser Bundestag in bezug auf seine besonderen Aufgaben vor ganz neue Situationen gestellt wurde. Ich darf Sie darauf hinweisen, wie ich es gestern abend in einer Unterhaltung im Bundesratssaal bereits andeutete, daß eine Situation entstanden ist, die die Bundestagsabgeordneten viel mehr, als es früher in einem deutschen Parlament der Fall war, zu einem Spezialistentum zwingt
und zur Meisterung neuer Aufgaben nötigt, von denen früher einfach nicht die Rede war. Ich brauche Ihnen ja nur einige Worte hinzuwerfen, die sich automatisch zu Begriffen bilden. Ich erinnere an alles das, was mit der Besatzung, mit dem Marshall-Plan, mit den ERP-Kontrakten, mit der Wohnungsfrage, mit der gesamtdeutschen Frage, mit dem auf der heutigen Tagesordnung stehenden Kriegsgefangenenproblem und dergleichen zusammenhängt.
— Und mit dem sogenannten Föderalismus, Herr Kollege Dr. Schäfer, vollkommen richtig! —; und da wird für uns — das wird besonders Sie interessieren müssen — noch eine harte Nuß zu knacken sein.
Nun, meine Damen und Herren, wenn wir diese Vergleiche, Reichstag 1929 — Bundestag 1950, etwas auf das Personalgebiet ausdehnen, dann ergeben sich auch ganz interessante Tatsachen, die natürlich durch die ungeheuere Mehrbelastung dieses Hohen Hauses in den Personalfragen irgendwie einen konkreten Ausdruck finden müssen. Aber es ist gleichwohl interessant, die Zahlen einander gegenüberzustellen. Im Jahre 1932 hat der Reichstag 31 Beamte vom Regierungsrat aufwärts gekannt; der heutige Bundestag hat 32. Beamte insgesamt im Bundestag heute 136 — ohne die Streichungen, die der Haushaltsausschuß vorgesehen und über die der Herr Berichterstatter vorhin berichtet hat —, im Reichstag 128, also heute im ganzen 8 Beamte mehr. Angestellte — hier vollzieht sich nun der große Umbruch — hatte der Reichstag 45, der Bundestag hat deren 179. Arbeiter hatte der Reichstag 168, der Bundestag hat 195 Arbeiter. Die Erklärung liegt in den dem Hause bekannten Tatsachen.
Wir müssen feststellen — und ich glaube, das namens meiner Fraktion wie auch namens anderer Fraktionen ohne Auftrag sagen zu dürfen, da es aus allen Ausschußberatungen herausklingt —, daß hier mit Ausnahme gewisser Überschneidungen, die nachgeprüft und geändert werden müssen, von einer personellen Übersetzung keine Rede sein kann. Es darf auch anerkannt werden, daß besonders durch die Ausschußarbeit, durch die ungeheure Zahl der Ausschüsse und ihre intensive Arbeit eine ganz starke, das Maß des Vergleichbaren im Reichstag im wesentlichen, und im Durchschnitt weit übersteigende Mehrbelastung eingetreten ist.
Wir wenden uns — und wir haben das bereits im Haushaltsausschuß zum Ausdruck gebracht — gegen das System der Überstundenbezahlung. Wir sind der Auffassung, daß da, wo irgendeine Möglichkeit besteht, statt der Bezahlung von Überstunden aus dem Arbeitsmarkt verfügbare Arbeitskräfte eingestellt werden sollten.
Ich freue mich, unterstreichen zu können, daß der Haushaltsausschuß sich sehr viel Mühe gemacht hat, um im Bundestag Sparmaßnahmen einzuleiten. Ich erinnere daran, daß der Haushaltsausschuß den Herrn Präsidenten bzw. das Präsidium des Bundestages gebeten hat, unter Zuziehung fachlich geeigneter Mitglieder des Hauses eine Überprüfung der Organisation des Bundestages vorzunehmen, und daß der Haushaltsausschuß außerdem gefordert hat, daß der Gesamtetat und die Gesamteinrichtung des Bundestages einem Gutachten des Bundesrechnungshofes unterstellt werden.
Meine Damen und Herren, Sie wissen, daß wir mitten in der Beratung einer neuen Geschäftsordnung stehen. Wir kennen alle die Wünsche nach einer Verlebendigung in der Arbeit des Hohen Hauses. Ich möchte davor warnen, daß irgendeine Entwicklung, gleichviel welcher Art, begünstigt wird, die den Bundestag zu einer bloßen Abstimmungsmaschine degradiert.
Das würde das Gegenteil dessen sein, was wir brauchen. Die neue Geschäftsordnung sieht vor — und ich glaube, daß alle Parteien darin einig sind —, daß Fragestunden im Hohen Hause eingeführt werden. Sie sieht verschärfte Bestimmungen in bezug auf den schönen Traum und Wunsch vor, der uns immer wieder beseelt, daß die freie Rede sich hier an diesem Pult ihren Platz erobern möge.
Sie sieht vor, daß in der Ausschußarbeit — und das wird besonders die Presse interessieren — eine erhebliche Änderung durch die teilweise Übernahme, nein, es ist eigentlich die komplette Übernahme des amerikanischen Systems der public hearings erfolgt, eine vorangehende Informationssitzung, bei der Interessenten und Sachverständige sich vor dem Bundestagsausschuß äußern können.
Aber es kommen noch andere Vorschläge. Mein Kollege Mommer wird Ihnen nachher unter anderem noch jenen Vorschlag zu begründen haben, der einen Dokumentationsdienst vorsieht, auch nach einem Muster der Vereinigten Staaten, der den Abgeordneten mehr Material, rascher Material und zuverlässiges Material beschaffen soll.
Aber all diese Dinge, die uns beschäftigen und die die Öffentlichkeit interessieren, können uns nicht der Pflicht entheben, vom Standpunkte des Bundestages und der Wahrung seiner Rechte aus zu gewissen Auswüchsen Stellung zu nehmen,
deren schlimmster hier in einer illustrierten Zeitschrift enthalten ist, die dieser Tage erschienen ist „Totengräber am eigenen Haus".
„Totengräber" — das sind wir alle in dieser Betrachtung; „am eigenen Haus" — das ist dieses Haus. Meine Damen und Herren, wegen des Verfassers, nicht wegen des Inhalts lohnt es sich, einige Worte zu diesem Machwerk, das man eigentlich sehr tief hängen sollte,
zu sagen. Der Verfasser rühmt sich in diesem Artikel, er habe die Akten genau studiert, die ihn zu diesem Artikel — na, sagen wir: beschwingt haben. Ich möchte fragen: Wer gab dem Verfasser das Recht der Akteneinsicht? Und wenn er sich das Recht erwarb oder nahm, wer gab ihm das Recht, in absolut entstellter, verfälschter, verhetzender und unwahrer Weise derartige Dinge in eine illustrierte Zeitung zu setzen?
Meine Damen und Herren, damit Sie einen Begriff von dem bekommen, was da drin steht: es heißt hier unter einem Bild von dem Plattengang da draußen:
Ein Plattengang sollte vom Bundeshaus zum Rhein führen, damit die Abgeordneten in den Pausen ihrer schweren Tätigkeit Sonne schöpfen und meditieren können. Der Plattenweg führt in die Wüste — ist die Arbeit nicht so schwer?
Dieser Plattenweg gehört nicht dem Bund und nicht dem Bundestag; er gehört der Stadt Bonn.
Dann heißt es einmal — den Anlaß gab eine Wasserlache in den Platten vor dem Restaurant —:
Die roten Sandsteinplatten um das Bundeshaus
wurden auf die losen Erdaufschüttungen verlegt. Nun sind sie eingesunken, und das
Wasser steht darauf — aber man will ja keinen
Pfennig mehr in das teuere Parlamentsgebäude
stecken.
Meine Damen und Herren! Der Verfasser dieses Artikels hat zweifellos dem ihm persönlich sehr nahestehenden Urheber dieses Plattenbelags, Herrn Professor Schwippert, einen Dienst erweisen wollen, der aber vermutlich nach der falschen Seite ausschlägt.
Der Verfasser sagt zu einem Bild, das an der Einfassung Wasser zeigt:
Wenn man Mauern ohne Abflußröhren baut, bleibt das Wasser stehen. Tagelang, wochenlang unmittelbar hinter dem Bundeshaus. Vielleicht siedeln sich eines Tages noch Enten und Gänse an. Für die Küche des Bundestagsrestaurants.
Meine Damen und Herren, wer hat denn die Abflußröhren vergessen? Der Freund und Gewährsmann des Verfassers, Herr Professor Schwippert!
Es heißt zu einem anderen Bild:
„Wir brauchen keinen Garten, um Ostereier zu suchen!" rief der Abgeordnete Graf von Spreti vor versammeltem Parlament aus. Sind Sie einmal in diesem Garten spazieren gegangen — 10 Meter südlich des Hauptgebäudes — Herr Graf?
Dazu darf gesagt werden, daß das 'hier photographierte Gelände überhaupt nicht zum Gelände des Deutschen Bundestags gehört.
Oder:
So sieht es unter Westdeutschlands Bundeshaus aus:
— ein Misthaufen ist da photographiert! —
Die Abfallgrube ist im Hause untergebracht; das scheint als sehr praktisch und fortschrittlich empfunden zu werden. Wir fragen: Muß das sein? Gibt es wirklich keine andere Lösung?
Meine Damen und Herren, die Lösung ist sehr einfach. Der Erbauer des Hauses, Herr Professor Schwippert, hat vergessen, für die nötigen Abstellplätze für den Dreck und den Mist, der im Bundeshaus anfällt — ich meine damit nicht manche Reden hier im Hause —,
zu sorgen.
Zu einer Photographie heißt es:
Kein Bild von einer „akuten" Reparaturstelle, sondern eine Aufnahme aus dem westdeutschen Bundeshaus.
Die Aufnahme zeigt herunterhängende Drähte und vermittelt einen üblen Eindruck. Wir sind alle, glaube ich, davon überzeugt, daß dieses Bundeshaus alles andere, nur nicht ideal ist.
Es ist aber festgestellt worden, daß das ein Bild aus einer Zeit ist, in der dort Reparaturen ausgeführt worden sind.
Dann regt sich der Verfasser über den Eindruck auf, den die Fernsprechzellen vor dem Sitzungssaal des Haushaltsausschusses, vor Zimmer 02 auf ihn gemacht haben.
Ich weiß nicht, mit welcher moralischen Begründung derartige Dinge in die Welt gesetzt werden.
Wenn der Herr Verfasser dem Bundestag sogar
noch überflüssige Ratschläge gibt, indem er schreibt: Die Volksvertreter aber sollten sich endlich darüber klar werden, daß der Kampf um Deutschland jetzt und hier in Bonn ausgetragen wird und nirgendwo anders und nirgendwo später,
oder wenn er in beleidigender Weise nicht nur in
bezug auf den erwähnten Dreckhaufen sagt:
Nicht nur den Soldaten schändet alter Dreck, und von dem vor der Haustür pflegt man auf die Bewohner zu schließen,
dann stellt sich doch die Frage: Wer ist dieser Verfasser? Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen nur raten: setzen Sie sich fest! Der Verfasser ist Professor und Leiter des Presse- und Bildarchivs bei der Bundesregierung, also dem Herrn Bundeskanzler unterstellt
und Angestellter des Bundes.
Ich möchte mir, erlauben, den Herrn Bundeskanzler zu fragen, — —
— Das weiß ich nicht.
Ich möchte den Herrn Bundeskanzler fragen, was er zu tun gedenkt, um derartigen Mißbräuchen der Akten und derart niederträchtigen Beleidigungen des Parlaments einen Riegel vorzuschieben.