Rede von
Herbert
Wehner
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten folgt in wesentlichen Punkten dem von meiner Fraktion gestellten Antrag. Ich kann mich deshalb auf einige Bemerkungen beschränken. Als wir unseren Antrag stellten, waren wir uns wohl der Tatsache bewußt, daß von den Ministerien und Behörden, die mit Kriegsgefangenenangelegenheiten befaßt sind, sowie von zahlreichen freien Verbänden eine Menge oft sehr mühseliger Arbeit geleistet worden ist und geleistet wird. Wir waren uns aber auch der Tatsache bewußt, daß selbst die Summe dieser Arbeiten noch nicht ausreichen würde, um die Aufgabe zu lösen, die uns mit der Entschließung der Vollversammlung der Vereinten Nationen gestellt worden ist. Es ist eine Aufgabe, die uns Möglichkeiten gibt und mit der eine Reihe sehr ernster Pflichten verbunden ist. Hier wurde schon auf die Resolution der UNO hingewiesen. Ich möchte auf den Punkt 4 der Resolution hinweisen, in dem sich gerade für die deutsche Seite eine wesentliche Möglichkeit verbirgt. In diesem Punkt 4 werden alle Regierungen dringend ersucht, besonders auf der Grundlage der zu liefernden Unterlagen die größtmöglichen Anstrengungen zu vollbringen, um Kriegsgefangene ausfindig zu machen, deren Abwesenheit gemeldet worden ist und die sich auf ihren Gebieten befinden könnten.
Ich muß es mir versagen, ausführlicher darauf einzugehen, welche Möglichkeiten sich aus diesem Punkt 4 für uns ergeben. Aber ich darf wohl voraussetzen, daß Sie mit mir einverstanden sind, wenn ich sage: Daraus ergibt sich für uns die Notwendigkeit, eine Dokumentation, die so umfangreich wie möglich sein muß, mit Namen und Sachangaben über Kriegsgefangene vorzulegen, über deren Verbleib wir wissen, die aber noch nicht zurückgekehrt sind, sowie über Kriegsgefangene und Vermißte, über deren Verbleib wir nichts wissen, von denen wir aber irgendwann irgendwelche Lebenszeichen erhalten haben. Das bedeutet aber, daß wir nach Möglichkeit bis zu der am 30. April ablaufenden Frist eine nach Ländern gegliederte Übersicht über diese vier Kategorien, die in dem Antrag des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten aufgeführt worden sind, liefern müssen.
Die Schwierigkeiten, die sich der Zusammenstellung einer solchen Übersicht entgegenstellen, sind graß. Ich will nur am Rande erwähnen, daß wir durch die Begleiterscheinungen des totalen Krieges über viele Unterlagen, die man in anderen Ländern unter normalen Umständen leichter hat, nicht mehr verfügen. Wir sind in dieser Beziehung sogar schlechter gestellt als z. B. Japan, das, wie wir uns bei der Tagung der Vollversammlung der Vereinten Nationen überzeugen konnten, auf Grund der anderen Stellung, die dieses Land seit Beendigung der Feindseligkeiten eingenommen hat, viel übersichtlichere 'Unterlagen besitzt. Wir müssen vor allen Dingen auch damit rechnen, daß Kriegsgefangene in der Zeit seit dem Kriege die Gewahrsamsländer gewechselt haben und daß das betreffende Gewahrsamsland bisher noch keine Auskunft darüber gibt, wem es die Kriegsgefangenen überstellt hat. Es gibt also eine Reihe von Problemen zusätzlicher Art.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich darauf hinweisen, daß es ein Verdienst wäre, wenn z. B. die britische und die amerikanische Regierung uns, den deutschen Stellen, endlich die Übersicht über diejenigen geben würden, die nach Beendigung der Feindseligkeiten anderen Gewahrsamsländern übergeben worden sind oder die unmittelbar bei Beendigung der Feindseligkeiten, nachdem sie sich ergeben hatten, an andere überstellt wurden.
Ferner müssen wir mit der Schwierigkeit rechnen, die sich daraus ergibt, daß Kriegsgefangene inzwischen ihren Status geändert haben. Für uns sind sie nach wie vor Kriegsgefangene, aber für die Gewahrsamsländer sind sie es nicht mehr. Durch diesen Schleier, durch dieses Dunkel müssen wir
hindurchzudringen versuchen. Sie sind Kriegsgefangene gewesen, sind aber inzwischen zum Teil „freie Zivilarbeiter" geworden, zum Teil sind sie Strafgefangene. Es gibt auch Kriegsgefangene, die in irgendwelche Legionen oder andere Verbände übergeführt worden sind. Es ist daher notwendig, das Punkt für Punkt und, soweit wir können, Person für Person zu untersuchen. Die Möglichkeit dazu haben wir durch die Resolution der UNO. Aber damit haben wir auch die schwere Pflicht, in dieser sehr kurzen Zeit zusammenzutragen und aufzurechnen, was aufgerechnet werden kann, weil die Gefangenen und Verschleppten selbst wie auch ihre Angehörigen einen Anspruch darauf haben, daß keiner ausgelassen oder vergessen wird. Die Zahl derer, die von uns aus nicht zu ermitteln sind, wird sowieso groß genug sein. Aber wir müssen alles tun, damit das, was wir ermitteln können, auch wirklich bis zum letzten ermittelt wird.
Wir haben nun in unserem Antrag den Vorschlag gemacht, die Regierung möge dazu einen Arbeitsstab bilden; ein etwas ungewöhnlicher Begriff für die Apparatur der Regierung. Damit meinten wir, es sollten außergewöhnliche Maßnahmen ergriffen werden, um die außergewöhnlichen Möglichkeiten, die sich in dieser Frist für uns ergeben, auch wirklich zu nutzen, denn nur mit außergewöhnlichen Anstrengungen werden wir dieser Aufgabe gerecht werden. Wir glaubten auch — und das war ein wesentlicher Grund für unseren Antrag, den ich deshalb hier auch noch einmal anführen möchte —, es sei notwendig, durch entsprechende Maßnahmen der Regierung alle, die etwas tun können, zur Mitarbeit aufzurufen, damit keine Zeit verloren geht, zu einer gemeinsamen Anstrengung gerade jetzt in dieser Zeit. Wir waren uns wohl der Unsumme von Arbeit bewußt, die die einzelnen Stellen bisher geleistet haben. Aber, meine Damen und Herren, das genügt nicht, selbst wenn wir diese Arbeit jetzt in etwas beschleunigtem Tempo weiterführen, um das zu tun, was noch zu tun bleibt.
Aber es sollte in dieser Zeit auch Klarheit über die finanziellen Folgerungen geschaffen werden, die zu ziehen notwendig sind. Es sollten nicht durch die verschiedenen Zuständigkeitsbereiche derjenigen Ministerien, die sich mit diesen Fragen beschäftigen — es ist ja eine ganze Reihe von Ministerien, die mit Kriegsgefangenenfragen befaßt sind; uns wäre es lieber, es wäre nur eines, aber es sind nun eben mehrere, und daran kann und soll zur Zeit auch nichts geändert werden —, Versäumnisse möglich werden, die etwa daraus herrühren, daß man sagt, nicht diese, sondern die andere Stelle sei dafür zuständig oder für Berlin sei keines der Ministerien, weder das Innenministerium noch das Vertriebenenministerium zuständig. Dort fällt Material an, das nur mangelhaft oder gar nicht bearbeitet werden kann. All das bedauern wir. Wir wollten durch unseren Antrag erreichen, daß eine Atmosphäre geschaffen wird, in welcher diese Instanzenschwierigkeiten in wirklicher Gemeinsamkeit und gegenseitiger Unterstützung überwunden werden können. Wir hätten es dankbar begrüßt, wenn uns die Regierung dafür z. B. eine Persönlichkeit benannt und gesagt hätte, für diese Arbeit und für diese Zeit sei diese Persönlichkeit verantwortlich. Nun, es ist ein anderer Weg gewählt worden. Wir haben gegen diesen Weg nichts einzuwenden. Es ist eine Stelle zur Koordinierung aller Anstrengungen geschaffen worden. Wir wünschen nur, daß der Sinn dieses unseres Antrages, erhöhte Anstrengungen zu machen, damit kein Land ausgelassen wird und damit eine wirklich objektive und gründliche Übersicht geschaffen wird, auch während dieser Arbeit lebendig bleibt.
Es gibt einen Punkt in unserem Antrag, der allerdings hier nicht weiter berücksichtigt worden ist, von dem wir aber hoffen, daß er dazu gehört: das ist die Information der Öffentlichkeit durch eine Stelle, die dieser Zentrale zugehört und die die Öffentlichkeit mit sachkundigem Material über das, was wirklich ist, auf dem laufenden hält. Wir wollen es vor allen Dingen der Öffentlichkeit in Deutschland und auch der internationalen Öffentlichkeit ersparen, mit widersprechenden Zahlen versorgt zu werden.
Besondere Sorgfalt und besondere Anstrengungen erfordert das Material über die verschleppten Zivilpersonen. Wir sollten das auch unter dem Gesichtspunkt mit besonderer Aufmerksamkeit betreiben, daß wir zwar jetzt bei dieser Aktion der Vereinten Nationen die verschleppten Zivilpersonen sozusagen nur am Rande mit hineinnehmen. Aber vielleicht schaffen wir, wenn wir genügend Unterlagen für die Kommission bieten können, die Möglichkeit, daß in absehbarer Zeit das Problem der verschleppten Zivilpersonen — darunter sind auch sehr viele Frauen — einmal ganz besonders angegriffen und an und für sich einer Lösung entgegengeführt wird. Das wäre eine Aufgabe, die, wenn sie jetzt begonnen werden könnte, nützlich wäre und die Voraussetzungen für den nächsten Schritt schaffen könnte.
Das war, meine Damen und Herren, der Sinn unseres Antrages und unseres Vorschlages. Ich sage noch einmal: in wesentlichen Punkten ist der Antrag des Ausschusses für Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten dem gefolgt. Wir wollten an dieser Stelle und bei dieser Gelegenheit nur noch einmal zum Ausdruck bringen, daß es uns darauf ankommt, daß jeder in diesem Hause und daß auch die ganze Öffentlichkeit und alle beteiligten Stellen begreifen, daß es sich diesmal um eine außergewöhnliche Anstrengung handelt und daß wir uns dessen bewußt sein sollten.