Rede von
Dr.
Hermann
Ehlers
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren! Ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit für folgende Mitteilungen.
Zur heutigen Tagesordnung bitte ich zu vermerken, daß nach einer Vereinbarung im Ältestenrat der Punkt 13 der Tagesordnung — zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Rechtsstellung der in den ersten Deutschen Bundestag gewählten Angehörigen des öffentlichen Dienstes — abgesetzt worden ist.
Weiterhin soll bei Punkt 15 a der Tagesordnung heute lediglich die zweite Beratung stattfinden und nicht auch die dritte Beratung; diese ist für die nächste Woche vorgesehen.
Dann bin ich gebeten worden, die Punkte 5 und 10 der Tagesordnung erst nach dem Punkt 12 der Tagesordnung aufzurufen, da die in Frage kommenden Abgeordneten durch Ausschußsitzungen verhindert sind.
Und schließlich ist der Herr Berichterstatter des Vermittlungsausschusses zu Punkt 9 der Tagesordnung wegen einer Fahrtverzögerung zur Zeit noch von Berlin hierher unterwegs. Wir werden diesen Punkt also erst aufrufen können, wenn der Herr Berichterstatter eingetroffen ist. Ich nehme an, daß das Haus damit einverstanden ist.
Ich rufe auf Punkt 1 der Tagesordnung: Beratung der Interpellation der Fraktion der SPD betreffend Einstellung von Schwerbeschädigten bei den Ministerien und sonstigen Verwaltungen der Bundesrepublik .
Wer wird den Antrag begründen? — Bitte, Herr Abgeordneter Leddin! — Bevor Herr Abgeordneter Leddin das Wort nimmt, bitte ich um Ihr Einverständnis, daß wir die Zeit der Begründung auf 10 Minuten und die der Besprechung auf 40 Minuten begrenzen. — Das Haus ist damit einverstanden.
Leddin , Interpellant: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Interpellation Drucksache Nr. 1829 hat die sozialdemokratische Fraktion zum dritten Male die Frage der Einstellung von Schwerbeschädigten bei den Ministerien und sonstigen Verwaltungen der Bundesrepublik angesprochen und darauf hingewiesen, daß der im November 1949 einstimmig gefaßte Beschluß des Bundestages bis heute noch nicht durchgeführt worden ist.
Nach zuverlässigen Informationen sind in dem letzten halben Jahr 896 Neueinstellungen vorgenommen worden, bei denen ganze 3 1/2 % dieser Zahl auf Schwerbeschädigte entfallen. Bei solch lapidarer Behandlung dieser Angelegenheit kann natürlich eine Durchführung des Beschlusses des Bundestages nie erfolgen.
Es soll anerkannt werden, daß inzwischen einige Ministerien — wie z. B. das Ministerium für gesamtdeutsche Fragen, das Ministerium für Wohnungsbau, das Bundesjustiz- und das Bundesarbeitsministerium — bemüht gewesen sind, die sich aus diesem Beschluß ergebenden Verpflichtungen zu erfüllen. Bei allen anderen Ministerien und Verwaltungen aber ist man hinsichtlich der Einstellungspflicht von Schwerbeschädigten sehr erheblich im Rückstand. Diese Tatsache ist einfach skandalös und muß hier mit aller Schärfe festgestellt werden.
Schon bei der Schaffung des Bundesversorgungsgesetzes waren sich alle Beteiligten darüber einig, daß dieses Gesetz durch ein neues bundeseinheitliches Schwerbeschädigten-Gesetz wirksam ergänzt werden müsse. Eine derartige Regelung ist um so notwendiger, als heute noch rund 80 000 Schwerbeschädigte seit Jahr und Tag ohne Beschäftigung sind und unter allen Umständen untergebracht werden müssen. Aber es muß auf die Öffentlichkeit und auf die privaten Unternehmungen einen denkbar schlechten Eindruck machen, wenn nicht einmal die Bundesbehörden ihr Einstellungssoll an Schwer-
beschädigten erfüllen. Das gesamte Haus wird wohl mit der sozialdemokratischen Fraktion der Überzeugung sein, daß hier, wieder einmal ein eklatanter Beweis dafür vorliegt, wie wenig ernst es die Bundesregierung mit der Respektierung der vom Parlament einstimmig gefaßten Beschlüsse meint
und wie wenig Rücksicht sie in einer derartigen, das ganze Volk angehenden nationalen und sozialen Frage nimmt.
Um so mehr möchte ich hier Veranlassung nehmen, einem großen Teil der Arbeitsverwaltungen, den Fürsorge- und Hauptfürsorgestellen dafür Anerkennung auszusprechen, mit welchem beachtlichen Erfolg sie in der Vergangenheit in den einzelnen Ländern die Unterbringung von Schwerbeschädigten geregelt haben. Es ist auch anzuerkennen, daß ein großer Teil der Industrie mit Unterstützung der Gewerkschaften und der Betriebsräte hier beachtliche Fortschritte erzielt hat. Aber es bleibt die erschütternde Tatsache bestehen, daß eben noch fast rund 100 000 Schwerbeschädigte ohne Beschäftigung sind.
Mit allem Ernst möchte ich noch einmal darauf hinweisen, daß es sich bei der Vermittlung von Schwerbeschädigten in Arbeit nicht nur um die Sicherung ihrer sozialen Existenz handelt, sondern daß für sie die Übertragung einer bestimmten Aufgabe ein wesentlicher Heilfaktor in ihrem mehr oder weniger zerstörten oder gestörten Leben ist. Daher müssen Blinde, Hirnverletzte, Ohnhänder und andere Gruppen von Schwerstbeschädigten bei der Schaffung von Arbeitsplätzen besonders vordringlich berücksichtigt werden. Dies Ziel kann sehr wohl erreicht werden, wenn alle Behörden der Gemeinden, der Kreise, der Länder, der Körperschaften des öffentlichen Rechts, wenn Industrie, Handel und Handwerk mit einigem guten Willen an diese Aufgabe herangehen, zumal unter den beschäftigungslosen Schwerbeschädigten eine ganze Anzahl durchaus geeigneter und befähigter Kräfte vorhanden sind. Aber es ist selbstverständlich, daß die Bundesregierung hier mit gutem Beispiel vorangehen muß. Es wird wohl niemand verstehen, wenn am Anfang dieses Jahres statt des seinerzeit beschlossenen Pflichtsatzes von mindestens 10 % Schwerbeschädigten erst ein Satz von 7,1 % erreicht worden ist und noch rund 160 Stellen bei der Bundesverwaltung unbesetzt sind.
Unter den Dienststellen, die im Rückstand sind, befinden sich unter anderen das Bundespräsidialamt, das Bundeskanzleramt, das Bundesministerium des Innern, das Statistische Bundesamt und der Bundespressedienst. Besonders hoch ist die Zahl der noch nicht entsprechend besetzten Stellen bei dem Bundesfinanzministerium mit zirka 23 sowie beim Bundeswirtschaftsministerium mit sogar rund 30 unbesetzten Stellen.
Aber auch bei der Dienststelle für Auswärtige Angelegenheiten ist der Beschluß des Bundestages noch nicht durchgeführt worden.
Ich stelle diese tief bedauerliche Tatsache in aller Öffentlichkeit fest in der Erwartung, daß auch hier der Bundestagsbeschluß endlich respektiert werden wird.
Mit einem besonderen Wort muß ich mich aber an den Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen wenden. In diesem Ministerium ist die sehr hohe Zahl von 40 Schwerbeschädigtenstellen noch offen. Der Herr Minister hat sich darauf berufen, daß in der ihm unterstellten Bundespostverwaltung eine sehr hohe Zahl von Schwerbeschädigten berücksichtigt sei, die es rechtfertige, daß er bei seinem Ministerium von diesem Grundsatz abweiche. Einer derartigen Auffassung muß man mit aller Entschiedenheit widersprechen, zumal sich auch das Bundesverkehrsministerium bei der ihm unterstellten Bundesbahn nicht auf ein derartiges Argument beruft. Daher ist auch das Bundesministerium für das Post- und Fernmeldewesen verpflichtet, genau wie alle anderen Dienststellen, den Beschluß des Bundestages durchzuführen. Darüber hinaus möchte ich aber an den Herrn Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen persönlich appellieren, daß gerade er als Leidensgefährte von vielen hunderttausend Schwerbeschädigten sich seiner besonderen Verpflichtung zur Einstellung von Schwerbeschädigten bewußt sein möge.
Es ist schon eine bedauerliche Tatsache, daß das seinerzeit von diesem Hause einmütig verabschiedete Bundesversorgungsgesetz bis heute noch nicht zur Auswirkung gelangt ist und damit das seinerzeit von uns allen gestellte positive Ziel negativ- beeinflußt wird. Darum ist es an der Zeit, daß nunmehr wirklich schnellstens alle Voraussetzungen für die praktische Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes geschaffen werden und daß andererseits auch der vom Bundestag gefaßte Beschluß auf Beschäftigung von mindestens 10 % Schwerbeschädigten bei den Bundesministerien endlich durchgeführt wird. Die bisherigen Erfahrungen haben aber gezeigt, daß es offenbar bei verschiedenen Stellen der Bundesregierung an gutem Willen fehlt, sei es daß das an dem Versagen einzelner Personalchefs liegt oder anderweitig begründet ist.
Ich beantrage daher namens meiner Fraktion, bei der Vorlage der Stellenpläne beim Etat eine Übersicht darüber zu schaffen, welche Stellen mit Schwerkriegsbeschädigten besetzt worden sind und in welcher Position sie sich befinden. Denn schließlich kam es uns darauf an, Schwerbeschädigte nicht nur als Boten oder als Pförtner zu verwenden, sondern es war der Sinn unseres Beschlusses, diese schwergeprüften Menschen in allen Zweigen der Verwaltung gemäß ihren Kenntnissen zu verwenden. Das Parlament sollte auch erwägen, ob nicht eine Kommission aus dem Kriegsopferausschuß zu beauftragen ist, die Verwaltungen mit dem Vertrauensmann der Schwerbeschädigten gemeinsam zu überprüfen, damit die Gewißheit gegeben ist, daß auch von unserer Seite wirklich ein entscheidender Beitrag für die Befriedigung der berechtigten Ansprüche der Schwerkriegsbeschädigten gewährleistet wird.