— Gar nicht!
Meine Damen und Herren!
— Verzeihung! Herr Präsident! Meine Damen und Herren! — Ich habe mich durch den Zwischenruf etwas irritieren lassen.
Wir stehen vor der Tatsache, daß in Westdeutschland im Augenblick Hunderte von Menschen auf Grund von Verurteilungen wegen Vergehen inhaftiert sind, die ihrer politischen Überzeugung entspringen,
der politischen Überzeugung des Verurteilten.
— Das entzieht sich meiner Kenntnis.
— Aber ich gebe Ihnen eine Antwort darauf, die Sie sicherlich beruhigen wird. Wir setzen uns hier für Überzeugungstäter ein, und zwar für solche Menschen, die aus einer ehrbaren politischen oder religiösen Überzeugung heraus gegen Gesetze verstoßen haben.
— Aus einer politisch ehrbaren Überzeugung und nicht aus einer ehrlosen oder schändlichen politischen Überzeugung heraus! Das ist der kleine, aber entscheidende Unterschied. Ich brauche mich deshalb nicht einzusetzen für die Agenten, die Naziverbrecher, die eventuell in der DDR inhaftiert worden sind.
— Doch, das ist eine Antwort. — Ich hatte die Absicht, auf die Tatsache hinzuweisen, daß es in der Weimarer Republik bekanntlich für Überzeugungstäter einen besonderen Strafvollzug gab, und ich hatte die Absicht, auf die Tatsache hinzuweisen, daß diese Sonderstellung im Strafvollzug hier in Westdeutschland unmöglich gemacht worden ist, weil die Besatzungsmächte eine Sonderbehandlung der Überzeugungstäter verboten haben.
Mein Antrag geht also nur darauf hinaus, einen Zustand wieder aufleben zu lassen, der zur Weimarer Zeit eine Selbstverständlichkeit war.
— Sie haben ja nachher Zeit, Ihre Meinung hier
zum Ausdruck zu bringen, also unterbrechen Sie mich bitte nicht.
Eigenartigerweise haben Ihre Freunde im Landtag von Nordrhein-Westfalen sich zu diesem Gedanken bekannt. Dort ist in dem zuständigen Ausschuß einstimmig beschlossen worden, an die Regierung heranzutreten, sich im Sinne dieser Anregung bei der Bundesregierung einzusetzen. Es ist bedauerlich, daß Sie hier diese ernste Angelegenheit dazu benutzen, um Ihre längst abgelaufene politische Hetzplatte gegen die DDR und gegen uns loszuwerden. So liegen die Dinge.
Wir verlangen in unserem Antrage nichts anderes als die Wiederherstellung eines alten, früher als selbstverständlich anerkannten Zustandes, daß den Menschen, die aus einer ehrbaren politischen oder religiösen Überzeugung heraus gegen bestehende Gesetze verstoßen haben und deshalb verurteilt wurden, im Strafvollzug eine ehrenhafte Sonderbehandlung zuteil wird.
— Ich halte Sie für klug genug, um selbst zwischen politisch ehrbarer und politisch schändlicher Überzeugung zu unterscheiden.
— Nein, unehrenhaft sind die Menschen, die sich unter dem Titel Bibelforscher als Agenten für die amerikanische und englische Besatzungsmacht hergegeben haben. Das sind unehrenhafte Menschen. Ebenso unehrenhaft sind die von Ihnen bezahlten Agenten, die drüben das Werk des demokratischen Aufbaues sabotieren. Das sind ebenso schändliche Burschen.
— Unsere Agenten existieren nur in der Phantasie des Herrn Innenministers. Unsere Agenten existieren nur in den Gesprächen, die er im Industrieklub in Düsseldorf führt, wo er davon spricht, daß hier nach Westdeutschland sogar Polizeiuniformen illegal eingeführt, also eingeschmuggelt werden.
— Es ist sehr charakteristisch, daß Sie als Sozialdemokrat diese unbegründeten Redensarten nachsprechen.
— Ich bin gar nicht bescheiden; ich mute Ihnen nur etwas zu, was Ihnen der politische Anstand auch anempfehlen sollte. Ich mute Ihnen zu, das zu tun, was Ihre Kollegen im Landtag von NordrheinWestfalen, wie ich schon sagte, auch getan haben, mehr nicht. Und wenn Ihnen das hier untragbar erscheint, dann, bitte, kommen Sie herauf und sagen Sie es offen und klar heraus; aber bringen Sie Ihre tatsächlichen Argumente und nicht die an den Haaren herbeigezogenen verlogenen Phrasen über angebliche Mißstände im Strafvollzug in der DDR.
Ich bitte, dem Antrag zuzustimmen. Wir sind damit einverstanden, daß er dem zuständigen Ausschuß, dem Rechtsausschuß, überwiesen wird.
Auf Ihren Dank hatte ich nicht gerechnet!