Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dem Pflichtenkreis der deutschen Grenzlande, der dem Hohen Hause immer wieder ins Gedächtnis zurückgerufen werden muß, nimmt Helgoland eine ganz besondere und leider Gottes sehr schmerzhafte Stellung ein. Diese Insel ist zwar klein an Ausmaß, aber so tief durchsetzt mit Schmerz für die ehemaligen Bewohner Helgolands wie für das gesamte deutsche Volk, daß eine eingehende, und zwar doppelte Diagnose notwendig ist, um die Bedeutung dieser Frage für die Bewohner selbst, für Deutschland wie auch für das Verhältnis zwischen Deutschland und England, ja auch über England und Deutschland hinaus einer besonderen Betrachtung zu unterziehen. Darum möchte ich bei dem, was ich zu diesem Thema zu sagen habe, unterscheiden erstens nach außerdeutschen Gesichtspunkten und zweitens nach innerdeutschen Gesichtspunkten.
Vor einigen Wochen haben wir aus dem Munde des neuen Vertreters Englands, des Herrn Kirkpatrick, eine Rede an das deutsche Volk gehört, in der dem Thema Helgoland Sätze von besonders wohlwollender Natur für Deutschland gewidmet waren. Wir haben uns gefreut, daß der neue Kommissar sich in dieser Form in seine wahrhaft sehr bedeutsame Aufgabe für die Beziehungen zwischen England und Deutschland eingeführt hat. Um so schmerzlicher sind wir berührt, daß nun ein maßgebendes Mitglied des englischen Kabinetts, Herr Kriegsminister Henderson, darauf eine Antwort gegeben hat, die wir nicht schweigend hinnehmen können und nicht hinnehmen dürfen. Denn er hat inhaltlich eindeutig gesagt, dieses Bombenziel Helgoland könne von England und dem Kriegsministerium nicht zurückgestellt werden, man könne also der Anregung des Herrn Kirkpatrick nicht nachgeben — ein Zwiespalt zwischen den maßgebenden Kreisen der Regierung und dem maßgebenden Vertreter Englands in Deutschland.
Meine Damen und Herren! Wer diesen Zwiespalt auf sich wirken läßt, der denkt unwillkürlich an das widersinnige Verhältnis zwischen den Anhängern des Morgenthauplans und den Anhängern des Marshallplans, von dem die Kenner wissen, daß sie sich gegenseitig nicht nur stören, sondern auf jeden Fall in der ganzen Auswirkung auch hemmen.
Von England und vom Standpunkt des Herrn Kriegsministers her gesehen möchten wir ihm sagen: Wenn er nach einem Bombenziel suchen muß, nach einem Exerzier- oder Experimentierbombenfeld, dann könnte ihm jeder durchschnittsbegabte deutsche Volksschüler sagen: England hat im Norden seines Landes eine große Zahl von unbewohnten und unbewohnbaren Inseln, die ebenfalls für diese Exerzier- und Experimentierbomben in Frage kämen. Wenn er dies berücksichtigte, würde er auf keinen Fall das deutsche Land und das deutsche Volk mit diesen Bombenwürfen so verletzen, daß diese Bombenwürfe nicht nur als Bomben auf Helgoland, sondern als Bomben auf das deutsche Land und das deutsche Volk empfunden werden müssen.
Und hier, meine sehr verehrten Damen und Herren, haben wir als Vertretung des deutschen Volkes die Pflicht, auf die ernsten Bedenken, ja die ernsten Folgen aufmerksam zu machen, die aus der Durchführung des Plans des Herrn Kriegsministers schließlich entstehen könnten.
Damit komme ich auf die innerdeutsche Seite und die innerdeutsche Beobachtung dieser Angelegenheit. Es ist ja nicht unbekannt geblieben, daß junge Studenten aus einem inneren Antrieb heraus nach Helgoland gefahren sind. Studenten sind immer unberechenbar und spielen nicht nur ab und zu ihren Professoren einen Schabernack, sondern sie spielen ab und zu auch in der Politik eine Rolle, die weittragende Folgen haben kann.
Man denke z. B. an die Studenten, die dem damals allmächtigen Minister Metternich in dem ersten Jahrzehnt nach den Freiheitskriegen das Konzept so gründlich verdorben haben, daß er vom Deutschen Bunde die Karlsbader Beschlüsse gegen diese Studenten fassen ließ.
Nun haben hier wiederum deutsche Studenten eine Initiative ergriffen, die von weittragenden Folgen war und die in der Öffentlichkeit jedenfalls mit großer Aufmerksamkeit aufgenommen worden ist. Es ist interessant zu hören, daß diese Studenten mittellos waren, aber an der Küste, an der Wasserkante sofort mit Geld ausgerüstet wurden, Überfahrtsmöglichkeiten nach Helgoland erhielten und daß sie dort einen Aufenthalt nahmen, von dem die breiteste Öffentlichkeit hat Kenntnis nehmen können. Ich stelle mit Genugtuung fest, daß gerade die Studenten, die da genannt worden sind, wußten, welche Folgen ihre Aktion haben würde. Ich stelle mit Genugtuung fest, daß ein Prinz zu Löwenstein es verstanden hat, durch sein kluges, besonnenes, abgemessenes Wort zu verhüten, daß irgendwelche nationalistischen Kreise dieses Beginnen in ein falsches Fahrwasser lenkten. Ich stelle mit Genugtuung fest, daß auch der deutsche Kapitän von Blank, der Kapitän eines ehemaligen deutschen Zollkreuzers unter englischem Kommando ist, sich nach seinem Gewissen geweigert hat, Befehle auszuführen, die ihm von dem englischen Kommandanten gegeben wurden.
Meine Damen und Herren! Inzwischen aber hat ja der Kriegsminister bekanntgegeben, daß Helgoland auch weiter als Exerzierfeld für die Bombenwürfe benutzt würde. Diese Tatsache ist nun auch von der jungen Generation mit großer Aufmerksamkeit verfolgt worden. Ich glaube sagen zu können, daß diese wenigen Vertreter der jungen Generation weit über Deutschland hinaus, nicht nur in den europäischen Ländern, sondern auch in den asiatischen Ländern — z. B. in Indien — eine so große Anteilnahme gefunden haben, daß die junge Generation in diesen Ländern sich an die Seite der jungen deutschen Studenten zu stellen bereit ist. Die Aktion, die die junge Generation unternimmt, wird nicht nur von deutscher und europäischer Bedeutung, sondern auch von internationaler Bedeutung sein. Sie ist eine Mahnung an den englischen Kriegsminister. Auch wir richten von uns aus — ich erlaube mir, das hier zu erwähnen — eine Mahnung an das englische Parlament. Wenn wir von dieser Stelle aus, wo wir im Namen des deutschen Volkes sprechen, für die Helgoländer und ihre Rückkehr eintreten, glaube ich annehmen zu dürfen, daß das Hohe Haus dem Gedanken zustimmen wird, an das englische Unterhaus die dringende Bitte zu richten, nun von seiner legislatorischen, von seiner gesetzgebenden Gewalt Gebrauch zu machen und zu verhindern, daß Helgoland wieder als Exerzierfeld für die Bombenabwürfe benutzt wird. Ich gehe noch weiter und stelle die Frage, ob es nicht möglich ist, in der öffentlichen Meinung Englands eine Reaktion gegen diese Pläne entstehen zu lassen, die dazu führt, daß nicht nur die Bombenabwürfe auf Helgoland aufhören, sondern daß das englische Volk einen Ölzweig des Friedens nach Deutschland reicht und sieh bereit erklärt, zu seinem Teil dazu beizutragen, daß die Insel Helgoland wieder der Besiedlung zugeführt werden kann. Daher möchte ich sagen: Hört auf mit diesem grausamen Spiel! Denn Bomben auf Helgoland sind Bomben auf deutsches Land und auf das deutsche Volk! Diese Bomben können dann eine Reaktion in der jungen Generation auslösen, die eine so große Weiterung haben kann und haben wird, wie ich sie vorhin angedeutet habe.
Ich habe darum die Bitte an das Hohe Haus, sich mit dem Antrag des Zentrums einverstanden zu erklären, die Bundesregierung zu ersuchen, an den Hohen Kommissar mit dem Ersuchen heranzutreten, dahin zu wirken, daß die Bombenflüge auf Helgoland ein Ende haben.