Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Politische Reden, Debatten und darauf folgende Taten und Entscheidungen zwingen mich, eine Erklärung des Heiligen Vaters, Papst Pius XII., einleitend zu zitieren:
Was uns nicht nur als das größte Übel, sondern als die Quelle allen Übels erscheint, ist der Umstand, daß oftmals die Lüge die Wahrheit ersetzt und dann als Grundlage der Diskussion verwendet wird.
Wer anders spricht, als er innerlich denkt, ist so ein Lügner, auch auf politischem Gebiet.
Nichts wäre leichter, als Beispiele über Beispiele auf inner- und außenpolitischem Gebiete als Beweise für die Wahrheit dieses Ausspruches zu bringen. Dies sollte man ganz besonders bei der Diskussion unserer Gesetzesvorlage bedenken.
Je wichtiger ein Problem ist, desto mehr sollte man auch von den verschiedensten sachlichen Standpunkten ausgehen und das Problem beleuchten, um in gemeinsamer, verantwortungsbewußter, gewissenhafter Arbeit zu dem günstigsten Resultat zu kommen. Gerade unsere heutige Gesetzesvorlage dürfte nicht parteipolitisch gesehen werden, sondern nur von der Verantwortung für die Lebenserhaltung unseres ganzen Volkes. Nicht darf bei dieser Stellungnahme das Ohr des einen oder anderen Partners eine Rolle spielen, sondern das göttliche Recht für beide Teile.
Ich lehne den versklavenden Staatskapitalismus genau so entschieden ab wie den ausbeuterischen Privatkapitalismus. Dabei möchte ich aber vor den Schreiern gegen den Kapitalismus warnen; denn die meisten von ihnen haben es im Kampfe gegen den Kapitalismus zu Eigenkapital gebracht.
Der Monopolkapitalismus konzentriert den Reichtum in den Händen einiger weniger Kapitalisten, der Staatskapitalismus in den Händen einiger weniger Bürokraten. Das eine wie das andere läuft auf die Verproletarisierung der Massen hinaus, in der nicht mehr der einzelne Mensch gewertet wird und als einzelner Gewicht entsprechend seiner Leistung hat.
Der Sozialstaat dagegen in Wahrheit und Tat, durchdrungen von der christlichen Lebensauffassung, ist das Idealziel unseres politischen Wollens. Dieses Ziel schließt jeglichen Klassenkampf aus. Es sieht nicht eine Kaste der Arbeitgeber auf der einen Seite und der Arbeitnehmer auf der anderen. Allen Abgeordneten möchte ich das Studium der Enzykliken „Rerum novarum" und „Quadragesimo anno" als Grundlage für eine Stellungnahme zu dem heute behandelten Problem besonders empfehlen.
Jedem Menschen ist ein großer Reichtum von Gott geschenkt. Diesen Besitz soll er durch Fleiß und Tüchtigkeit vermehren. Dieses rechtmäßig erworbene Gut kann ihm niemand streitig machen. Das Privateigentum ist also ein göttliches Recht.
Dieses Recht ist allerdings beschränkt durch die Rücksicht auf das Gemeinwohl und die Verantwortung gegenüber der Gemeinschaft. Die Eigentumsfreiheit muß ihre Ergänzung finden in der sozialen Gebundenheit.
Die Eigentumsvermehrung, die noch durch das Mittun anderer Menschen ermöglicht wird, kann aber eine derartige Größe erreichen, daß der Einzelne nicht mehr allein die ganze Verantwortung zur Erhaltung derselben tragen kann und darf. Je anonymer und unpersönlicher das Eigentum wird, desto weniger besteht ein Recht daran. Diese Mit-
arbeiter haben auch selbst zur Erhaltung ihrer eigenen Lebensexistenz das größte, unmittelbare Interesse an der Erhaltung und Weiterentwicklung dieses gemeinsam geschaffenen Besitztums.
Aus diesem Grunde müssen Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine Betriebsfamiliengemeinschaft als Schicksals- und Leistungsgemeinschaft bilden. Eine solche Betriebsfamiliengemeinschaft verhindert den ausbeuterischen Monopolkapitalismus ebenso wie das unmenschliche Kollektiv. Beides sind abzulehnende Wirtschaftssysteme, weil sie die Herabwürdigung des Individuums zum Leibeigenen oder Sklaven des einen oder anderen Partners bedeuten.
— Jawohl, Herr Renner. Konzentrierung des Reichtums in der angeführten Weise ist ein Unrecht, nicht nur an der Wolga, sondern auch am Hudson. Diese Gemeinschaft kann man aber nicht künstlich schaffen, am allerwenigsten unter dem Druck von Drohungen; denn damit erreicht man das Gegenteil. „Der Geist ist es, der lebendig macht", so heißt es schon in der Offenbarung.
Wenn die Arbeitgeber den Arbeitnehmern in den Verhandlungen in Hattenheim, Bonn und MariaLaach ihre Bereitschaft erklärt haben, den aktiv in den Betrieben tätigen Arbeitnehmern Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrecht auf sozialem, personellem und wirtschaftlichem Gebiet zu gewähren, so haben sie damit einen natürlichen, gesunden Weg zur Schaffung einer betrieblichen Familiengemeinschaft eingeschlagen, der nicht nur bei der eisen- und stahlschaffenden Industrie sowie im Bergbau, sondern in allen Betrieben gegangen werden möge.
Meine politischen Freunde und ich, die sich ganz besonders der Belange der Ärmsten der Armen annehmen, denen das Wohl der Arbeitnehmer Herzensangelegenheit ist, warnen vor einer Entwicklung, die diktatorisch mit Streikdrohungen Zustände herbeiführen möchte, die früher oder später zum Zusammenbruch der gesamten Volkswirtschaft führen werden. Man verweist so gerne auf die Vergangenheit und lehnt in Bausch und Bogen Gesundes und — hier mit Recht — Ungesundes ab, und auf der anderen Seite will man unter anderen Vorzeichen doch wieder erwiesene Gifte als Wein servieren.
Arbeitnehmer einer Betriebsgemeinschaft allein, aber niemals Funktionäre einer Organisation, die vielleicht gar keine Beziehungen zum Betrieb als solchem haben, können mitbestimmen. Daß sich die Arbeitnehmerschaft überparteilich zur Wahrung ihrer Rechte zusammenschließen darf, wird niemand bestreiten wollen; ja, wir empfehlen es sehr. Nun weiß aber auch der letzte objektiv urteilende Arbeiter, daß diese Organisation längst nicht mehr überparteilich ist. Für mich persönlich gibt es keinen Zweifel darüber, daß die heutige Arbeiterinteressenorganisation nicht mehr überparteilich und damit eine sehr gefährliche Angelegenheit für den demokratischen Staat ist. Ich habe den Mut, dies zu sagen, auch wenn ich morgen wieder ob meines Mutes angegriffen werden sollte.
Mitbestimmung bedeutet für mich und meine Freunde Mitverantwortung, Mittragen eines eventuellen Risikos, und es muß seine Krönung finden in der Mitbeteiligung am Gewinn, woran der Arbeiterschaft am meisten gelegen ist.
Den Arbeitgebern aber möchte ich den in diesem Hohen Hause ausgesprochenen Satz zurufen: „Habt Achtung vor dem Leben", indem ihr den Arbeitnehmern das gebt, worauf sie einen naturrechtlichen Anspruch haben, nämlich Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte auf sozialem, personellem und wirtschaftlichem Gebiet und Mitbeteiligung an jeglichem Reingewinn, der durch das Zusammenwirken von Arbeitgebern und Arbeitnehmern in Fleiß, Schweiß und Tüchtigkeit entstanden ist.
Zum Schluß zitiere ich aus der Denkschrift an die Gesetzgeber „Das Mitunternehmertum" von Gert Spindler den Satz: „Aufgabe des Gesetzgebers muß es sein, die Lösung zu suchen, die dem Zusammenwirken von Unternehmern und Arbeitnehmern im gleichen Betriebe gerecht wird und beide in einer Sozialordnung vereint, die alle an dem gemeinsam zustande gebrachten Wirtschaftsergebnis teilhaben läßt."