Rede von
Helene
Wessel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Zentrumsfraktion möchte zu dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung über die Mitbestimmung der Arbeiter im Bergbau und in der Eisenindustrie nicht im einzelnen Stellung nehmen. Die grundsätzliche Haltung meiner Fraktion habe ich bereits bei der Frage der betrieblichen Mitbestimmung in der 80. Sitzung dieses Hohen Hauses dargelegt.
Aus der Auffassung der Achtung und der Sicherung der Personenwürde des gemeinschaftbezogenen Menschen halten wir eine echte Mitwirkung des Arbeiters in der Wirtschaft für eine der Voraussetzungen der Neugestaltung unserer Gesellschafts- und Sozialordnung. Das Wirtschaftsprogramm der Zentrumspartei enthält die Forderung, daß alle in der Wirtschaft beschäftigten Menschen in paritätischer Zusammenarbeit, ganz gleich, ob sie in leitender oder in ausführender Funktion arbeiten, an der Regelung der gemeinsamen Angelegenheiten mitwirken, in voller Verantwortung vor dem eigenen Berufsstand, vor der gesamten Wirtschaft und dem ganzen Volke. Aufgabe der öffentlichen Gewalt — und darum geht es jetzt in diesem Hohen Hause bei der Frage der Mitbestimmung — bleibt es, bei einer solchen Neugestaltung der wirtschaftlichen Funktionen allgemeine, für alle gültige Regelungen festzulegen und dafür zu sorgen, daß die Gerechtigkeit im gegenseitigen Verhältnis nicht verletzt wird und die Notwendigkeiten des Gemeinwohls stets gewahrt werden. Diese Notwendigkeiten des Gemeinwohls bestimmen auch Ordnung und Ablauf des Wirtschaftsgeschehens. Sie können deswegen nicht einseitig von den Leitern der Betriebe und Organisationen bestimmt werden. Aus der Anerkennung des Gemeinwohls, das auch oberstes Gesetz der Wirtschaft sein muß, ist dem Bundestag das Gesetz zur Mitbestimmung vorgelegt worden; andernfalls hätte es nur einer gemeinsamen Regelung der Sozialpartner bedurft.
Von dieser grundsätzlichen Einstellung zur Mitbestimmung aus bewerten meine politischen Freunde und ich den uns vorliegenden Gesetzentwurf. Wir stellen fest, daß es sich beim Bergbau und bei der Stahl- und Eisenindustrie vorwiegend um Betriebsformen handelt, von denen der größte Teil der Mitglieder dieses Hohen Hauses wohl der Auffassung ist, daß sie im Hinblick auf die Tatsache, daß die Anlage und der Betrieb dieser Grundstoffindustrien regelmäßig mit der Zusammenballung großer Kapitalien und mit unpersönlichen Betriebsformen verbunden ist, für die Durchführung der Mitbestimmung am ehesten reif sein dürften.
Ich möchte im Auftrag meiner politischen Freunde mit der gleichen Klarheit wiederholen, was ich in meiner Rede am 27. Juli 1950 gesagt habe: In allen überschaubaren Klein- und Mittelbetrieben, wo die menschliche Nähe von Meister und Geselle, von Unternehmer und Belegschaft eine tägliche Aussprache und Mitbestimmung darstellt, in all den Fällen also, in denen das Ich-und-DuVerhältnis in Ordnung ist, bedarf es nach der Überzeugung der Zentrumsfraktion keiner durch das Gesetz bestimmten Form der Mitbestimmung. Das gilt insbesondere auch für die Landwirtschaft. Nur dort, wo der Betrieb zu groß ist, wo er zu unübersichtlich ist, bedarf das Mitbestimmungsrecht einer gesetzlichen Regelung. — Ich möchte diese Auffassung meiner Fraktion bei der Beratung des vorliegenden Gesetzentwurfs nochmals aussprechen, um damit Auffassungen zu begegnen, als ob das Mitbestimmungsrecht jetzt wahllos bis in den kleinsten Betrieb durchgeführt werden soll. Ich glaube, die Arbeiter und Gewerkschaften würden sieh bei einer solchen Auffassung vom Mitbestimmungsrecht selbst den schlechtesten Dienst erweisen.
Es ist eine alte Weisheit, daß ein richtiger Grundsatz durch eine falsche Anwendung eine andere als die beabsichtigte Wirkung erzielt. Und weil wir einen breiten und kräftigen Mittelstand für einen Stabilitätspfeiler der Gesellschaft halten, darum möchten wir ihn vor allen nicht notwendigen und nicht gerechtfertigten Eingriffen bewahren. Er bietet auch in gesellschaftlicher und volkswirtschaftlicher Hinsicht alle Möglichkeiten, unser Volk vor jener Verdichtung, Vermassung und Verproletarisierung zu bewahren, wie sie die großbetriebliche Konzentration mit sich gebracht hat.
Eine zweite Feststellung möchte ich zu den §§ 3 und 5 des vorliegenden Gesetzentwurfs machen. Die Zentrumsfraktion hat bei der Beratung der dem Hohen Hause von der CDU und der SPD vorgelegten Gesetzentwürfe zum Mitbestimmungsrecht den Standpunkt eingenommen, daß die Ausübung des Mitbestimmungsrechtes von seiten der Arbeitgeber nicht durch betriebsfremde Personen erfolgen sollte. Betriebseigentümer und Belegschaft sind die beiden Faktoren, die den Betrieb tragen. Sie müssen deshalb auch die Vollzieher des Mitbestimmungsrechts sein.
Die Voraussetzung für einen echten Erfolg des Mitbestimmungsrechtes ist doch das Zusammenwachsen von Unternehmer und Belegschaft zu einer auf gegenseitigem Vertrauen begründeten und vom Arbeitsfrieden bestimmten Leistungsgemeinschaft. Wir würden es für die Durchführung des Mitbestimmungsrechts für verhängnisvoll halten, wenn durch die im Gesetz vorgesehene Regelung nicht eine Entpolitisierung des Betriebes und damit eine Ausschaltung jeden Fremdeinflusses aus der betrieblichen Sphäre erfolgt. Es muß unter allen Umständen verhindert werden, daß der Betrieb zur
Plattform außerbetrieblicher Meinungskämpfe wird.
Damit komme ich zu einer weiteren Frage, die sich aus den §§ 3 und 5 ergibt. Es scheint uns notwendig zu sein, auch zu betonen, daß das Vorschlagsrecht der Spitzenorganisation der Gewerkschaften, auf Grund dessen die Arbeiter gewählt werden sollen, auch die Minderheiten, die durch andere Gewerkschaften, z. B. durch die Angestelltengewerkschaft, vertreten werden, berücksichtigen muß.
Hier sollte man eine Formulierung wählen, die etwa lauten könnte:
Die Gewerkschaften schlagen für den Aufsichtsrat die Vertreter in dem Verhältnis vor, in dem die einzelnen Gewerkschaften in dem Betrieb vertreten sind.
Meine Damen und Herren! Der Wunsch meiner politischen Freunde, daß das Mitbestimmungsrecht durch betriebsangehörige Personen ausgeübt werden sollte, resultiert auch aus der Auffassung, daß durch das Verschieben der Ebene, indem die Gewerkschaften nicht mehr die reine Funktion von Sozialpartnern gegenüber den Unternehmern ausüben, auch die Frage des Streiks und des Koalitionsrechts eine andere Basis bekommen könnte. Das möchte ich nur am Rande erwähnen, obwohl diese Frage von weitestgehender Bedeutung sein kann.
Damit komme ich zum Schluß. Aus diesen Darlegungen ersehen Sie, welche Bedenken meine politischen Freunde und ich zu dem vorliegenden Gesetzentwurf haben. Wenn wir trotz dieser Bedenken dem Entwurf im Grundprinzip zustimmen, so bedeutet das für uns auch eine politische Entscheidung, weil wir die von den Gesprächspartnern erreichte Einigung nicht zerschlagen möchten. Die in dem Entwurf vorgesehene Regelung bedeutet für uns aber keine Festlegung von Tatsachen hinsichtlich der Durchführung des Mitbestimmungsrechts in anderen Wirtschaftszweigen. Die heute noch ungeklärten Eigentumsverhältnisse bei Kohle und Eisen brachten es mit sich, daß keine echten Sozialpartner über die Mitbestimmung in diesen Wirtschaftszweigen verhandeln konnten. Auf der einen Seite waren die Gewerkschaften vertreten, auf der anderen Seite Persönlichkeiten, die vom Herrn Bundeskanzler vorgeschlagen worden sind, also nicht ausgesprochene Vertreter der Arbeitgeber oder der Arbeitgeberverbände. Auch diese Tatsache haben meine politischen Freunde in Anbetracht der politischen Bedeutung und Befriedung auf sozialem und wirtschaftlichem Gebiete zurückgestellt, wenn sie für den Gesetzentwurf stimmen. Wie bei den bisherigen Beratungen über das Mitbestimmungsrecht lassen wir uns auch heute von dem Gedanken leiten, alles zur Erhaltung des Arbeitsfriedens im deutschen Volke zu tun, um damit zur wirtschaftlichen und sozialen Gerechtigkeit und zur Neuformung unserer Gesellschaftsordnung beizutragen. Damit hoffen wir, dem deutschen Volke wenigstens den inneren Frieden zu geben, nachdem uns der äußere Friede bis heute noch nicht gegeben worden ist.