Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte meine Ausführungen in dem Sinne verstanden wissen, daß jede weitere Verschärfung dieser Frage vermieden wird.
Meine politischen Freunde können sich bei ihrer sozialpolitischen Konzeption auf eine alte Parteitradition berufen.
— Ja, eine alte Parteitradition. Die Deutsche Partei beruht auf einer Tradition, die alle sozialen Schichten umfaßte. Neben dem Grafen Bernstorff saß der einfache Landarbeiter.
— Jawohl, wir sind der Auffassung, daß Deutschland in einem gemäßigten Sinne zu regieren ist. Wir werden alles, was einer gesunden Evolution dienen kann, unterstützen. Gerade in unserer notvollen Gegenwart brauchen wir die Faktoren, die zur Integration beitragen. Unser soziales Konzept und unser Ziel ist der soziale Frieden. So-gemäßigt und ohne Aufregung wir diese Dinge betrachten möchten, so sind wir uns doch über die grundsätzliche Tragweite dessen, was hier geschehen ist und geschehen soll, vollkommen im klaren. Es hat in der Politik bei allem Willen zur Verständigung kei-
nen Sinn, mit seiner klaren Meinung hinter dem Berg zu halten. Ich habe den Auftrag, dieser Meinung im Namen meiner politischen Freunde hier Ausdruck zu geben.
Wir sind davon überzeugt, daß als Folge des letzten Krieges, dieser unerhörten Niederlage, ein Zusammenbruch unserer gesellschaftlichen Ordnung eingetreten ist. Unsere Demokratie und unser Staat sind in eine Vermassung hineingeraten. In dieser Vermassung liegt eine der wichtigsten Ursachen unserer nationalen Erkrankung. Es muß alles getan werden, um aus diesem Zustand herauszukommen. Der Weg, der von der Organisation der Gewerkschaft eingeschlagen worden ist, führt aber nach unserer Auffassung auf eine Bahn, die konsequent durchdacht, in einem totalitären Staatssystem enden muß.
Die Konzentration solcher Macht würde nicht nur auf wirtschaftlichem, nicht nur auf dem gesamten sozialen Gebiet, sondern auch auf dem politischen Gebiet ein Monopol ergeben, wie es die Geschichte bisher noch nicht gekannt hat; selbst die Massenorganisationen der Einheitsparteien totalitärer Staaten würden Waisenknaben gegenüber den Konsequenzen und Möglichkeiten sein, die in diesen Plänen stecken.
Das muß einmal klar und deutlich gesagt werden. Der Herr Vorredner, Herr Kollege Becker, hat mit klassischer Präzision die Punkte aufgezeigt, die hier kritisch zu erwähnen wären. Wir stimmen ihm in diesen Punkten zu.
Ich möchte nicht alle Einzelheiten wiederholen; aber das eine steht fest — und diese Frage haben wir uns vorgelegt —: Was hat denn nun eigentlich der Arbeiter in dem einzelnen Betrieb von dem, was hier organisiert werden soll? Eine vernünftige Betriebsleitung wird immer in allen technischen und auch in wirtschaftlichen Fragen sehr eng mit der Belegschaft zusammenarbeiten. Ein Betrieb kann überhaupt nicht gedeihen. wenn nicht eng zusammengearbeitet wird. Das Hineinregieren von großen Massenorganisationen in die Betriebe hat Konsequenzen, die unabsehbar sind. Der Einfluß der Arbeiter wird ja auf diese Weise beiseite geschoben, er hat keinerlei Kontakt mehr; es wird ein Ringen mit betriebsfremden Elementen einsetzen, das die gesamte Wirtschaft in ihrem Grundgefüge erschüttern kann. Dinge, bei denen Entschlüsse notwendig sind, die das Vertrauen des einen zum andern erfordern, die die Gesundheit der Beziehungen zwischen der Leitung des Betriebes und der Belegschaft voraussetzen, werden zerredet werden. Der Streitapfel wird in das Ganze hineingeworfen. Das sind Gefahren, die man klar erkennen muß. Hier findet eine Fernlenkung statt, die die Wirtschaftsverfassung in ihren Grundlagen verändert. Es ist mir fraglich, ob bei konsequenter Anwendung dieses Gesetzes dann noch eine freie Marktwirtschaft möglich ist.
Nun, ich will die Dinge nicht überspitzen; ich will nicht alles, was darin stecken kann, bis ins Letzte ausmalen. Gewiß, das alles hängt vom guten Willen, von der Vernunft ab; und letzthin muß Vernunft uns alle leiten. Aber wir haben uns von Anfang an — ich möchte das auch in dieser Stunde noch einmal sagen — mit aller Klarheit gegen das Funktionärtum ausgesprochen, ohne dabei kleinlich von einem Job zu sprechen, der dem einen oder anderen verschafft werden soll. Dazu sind diese Dinge viel zu ernst. Wenn es dabei bleibt, wird sich das Bild ergeben, daß manch ein Arbeitsdirektor mit den übrigen Vorstandsmitgliedern vollständig einverstanden ist, jedoch sagen wird: ja, meine Herren, es tut mir leid, aber ich habe die und die Anweisung und kann nicht nach meinem Verstande handeln! Diese Gefahren sind nicht zu leugnen.
Zur Monopolisierung zugunsten der Spitzenorganisation hat Herr Kollege Becker schon das Erforderliche gesagt. Ich kann mich darauf beziehen.
Ein weiterer Punkt ist die Frage der Größenordnung. Bei diesem Gesetz wird es sehr wesentlich darauf ankommen, in welcher Größenordnung man es Anwendung finden lassen will, ob der Maßstab von 1000 oder 300 oder einer sonstigen Zahl von Belegschaftsmitgliedern hier maßgebend sein kann oder ob ein anderes Verfahren der Bestimmung der Größenordnung gefunden werden muß. Das soll den Beratungen im Ausschuß vorbehalten bleiben.
Abschließend noch ein Wort über die Gründe dafür, daß wir mit großer Sorge diesem Gesetz gegenüberstehen! Das ist die Geschichte seines Zustandekommens. Es ist nicht zuviel gesagt, wenn ich behaupte, daß die Streikandrohung, um durch dieses Gesetz eine völlige Änderung der Wirtschaftsverfassung zu erringen, eine politische Streikandrohung allergrößten Ausmaßes gewesen ist, daß es die Androhung eines Streiks mit dem Ziel war, geradezu den Staatsumsturz zu erreichen.
— Jawohl! Für die Regierung war hier ein Moment größter Verantwortung gekommen, und das Verfahren, das die Regierung angewandt hat, um die Reste der Autorität des Staates noch zu retten, die hier noch zu retten waren, kann nur gebilligt werden. Wir stehen auch heute noch in einer schweren Staatskrise. In Anbetracht der sonst von den Gewerkschaften in manchen kritischen Situationen unseres Landes gezeigten . Einsicht haben meine politischen Freunde es nicht verstanden, daß man ausgerechnet im gegenwärtig außen- und innenpolitisch so schwierigen Zeitpunkt zu diesem gefährlichen Mittel hat greifen wollen. Damit ist etwas in die Welt gesetzt worden, an dem diese Verfassung und diese erst werdende Demokratie scheitern kann. Herr Professor Schmid, der gegenwärtig amtierende Präsident, hat einmal gesagt, daß man den Zustand der Vermassung nur durch die großen Massenorganisationen wieder in eine Neuordnung hineinzubringen vermöge. Ich war erstaunt, von Herrn Kollegen Schmid diese sehr pessimistische Feststellung zu hören. Denn das, was er da gesagt hat, ist eigentlich genau dasselbe, was die Vertreter der sogenannten fortschrittlichen, der sogenannten Volksdemokratien auch immer behaupten. Der gesamte Vorgang, der sich hier abgespielt hat, hat für den Kenner der Verhältnisse ein ostzonales Odeur.
Wir haben nur die Hoffnung, daß man sich auch
innerhalb der Gewerkschaft über gewisse Kräfte
klar wird und ernsthaft versucht, diese Kräfte, soweit sie sich geltend machen sollten, los zu werden.
— Ich habe das Recht, hier die Meinung meiner
politischen Freunde — es ist nicht nur meine persönliche Meinung — darzulegen. Wir hören uns
auch geduldig das an, was Sie uns zu sagen haben.
Bei den Absprachen ist ausdrücklich gesagt worden, daß es sich um eine Ausnahmeregelung, um eine Begrenzung auf Kohle und Stahl handelt. Heute meldet sich die Chemie, morgen melden sich die anderen. Die Gewerkschaften selber — ich glaube, es war Dr. Grosse in seiner Rede Ende Dezember — haben gesagt: Dies alles ist nur ein Anfang, das Grundziel bleibt für uns die Sozialisierung. Ich kann mir nicht vorstellen, daß ein Land gesund bleibt und zu einem wirklichen sozialen Frieden kommt, wenn man diese Fragen weiterhin in einer derartigen Kampfstimmung und Kampfsituation ablaufen läßt. Meine politischen Freunde werden darauf bestehen: das Rückgrat einer gesunden Demokratie ist die Unabhängigkeit des Parlaments, und die Interessentenhaufen — denn darauf läuft es doch hinaus
haben alle, wer es auch sei, vor den Toren es Parlaments die Bannmeile zu respektieren. Damit diese Fragen, die hier zu einem sehr ernsten Komplex geworden sind, gründlich untersucht werden, beantragen wir die Überweisung dieser Vorlage an den Ausschuß zum Schutze der Verfassung.
Wir sind nicht gewillt, diese Entwicklung weiterhin im Unklaren zu lassen. Hier muß eine Klärung der Auffassung über die Grenzen des politischen Streiks gefunden werden. So geht es jedenfalls nicht weiter. Wir haben keine Lust, uns mit der Verantwortung für eine Entwicklung zu pelasten, die dann mit Demokratie nichts mehr zu tun hat.