Rede von
Dr.
Günther
Henle
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es war an sich nicht meine Absicht, in diese Debatte einzugreifen, weil ich persönlich an den Verhandlungen mit den Vertretern der Gewerkschaften als Sachverständiger beteiligt gewesen bin. Es würde mir schlecht anstehen, nun nachträglich, sei es als Verteidiger, sei es als Kritiker des dabei erzielten Ergebnisses aufzutreten. Da mich meine Fraktionskollegen aber trotz Würdigung dieses Umstandes dringlich gebeten haben, zu dieser Frage als ein Mann zu sprechen, der um das Drum und Dran schließlich doch vielleicht etwas mehr Bescheid weiß als so mancher andere, will ich mich diesem Wunsche nicht verschließen, zumal ich finde, daß wir nicht nur unsere Aufmerksamkeit den uns vorliegenden Texten zuwenden sollten, sondern den Blick auch etwas in die Vergangenheit richten und an die Zukunft denken müssen. Unter diesen Gesichtspunkten kann ich vielleicht in der Tat einiges sagen, was für die Würdigung des uns beschäftigenden Entwurfs nützlich sein mag.
Zunächst also kein kurzer Blick in die ziemlich häufig, aber keineswegs immer zutreffend zitierte Vergangenheit. Schon zu Beginn des Jahres 1946 fanden unter dem Vorsitze des damaligen Oberpräsidenten, Herrn Dr. Lehr, mehrere vertrauliche Besprechungen zwischen bekannten Männern der Montanindustrie und namhaften Vertretern der Gewerkschaften statt, um eine gemeinschaftliche Linie zur Überwindung des damaligen Wirtschaftschaos zu finden. In diesen Verhandlungen spielte die Frage des Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechts der Arbeitnehmerseite im Bergbau und in der eisenschaffenden Industrie eine wichtige Rolle. Wenn auch die damaligen Verhandlungen zu einer Verständigung nicht geführt haben, so sind sie doch nicht nutzlos gewesen. Sie haben vielmehr führende Männer auf beiden Seiten persönlich einander nähergebracht und haben die gegenseitigen Auffassungen zu wichtigen wirtschaftlichen und sozialen Problemen klargelegt.
Auf diese Verhandlungen konnte zurückgegriffen werden, als im Herbst 1946 die britische North German Iron and Steel Control unter Mitwirkung der in ihrem Auftrage handelnden Treuhandverwaltung die große „Entflechtungsaktion" in der Eisenwirtschaft in die Wege leitete. Die betroffenen Unternehmungen der Eisenwirtschaft haben gegen diese Entflechtungsmaßnahmen, die sie für wirtschaftlich unzweckmäßig und ungeeignet hielten, nachdrücklich Stellung genommen. Sie hofften, in dieser Auseinandersetzung mit den Gewerkschaften einig gehen zu können, um so zu einem besseren als dem eingeschlagenen Wege zu gelangen. Die zunächst betroffenen Unternehmungen: die Gutehoffnungshütte, die Firma Otto Wolff und die Klöcknerwerke, haben damals in einer gemeinsamen ausführlichen Eingabe vom 21. 1. 1947 an das Verwaltungsamt für Wirtschaft ihren Standpunkt dargelegt und dabei auch ihre Bereitwilligkeit zum Ausdruck gebracht, der Arbeitnehmerseite sehr weitgehende Mitwirkungsrechte bei der Neuordnung der eisenschaffenden Industrie einzuräumen. Vorher hatte u. a. bereits der Aufsichtsratsvorsitzer der Klöcknerwerke, Herr Dr. Jarres, am 18. Januar 1947 diese Bereitwilligkeit gegenüber der Einheitsgewerkschaft in Köln, zu Händen von Herrn Dr. Böckler, zum Ausdruck gebracht und dabei eine entsprechende Umbildung des Aufsichtsrats vorgeschlagen.
Wir hatten gehofft, auf diese Weise gemeinsam mit den Gewerkschaften die ganze Neuordnung auf zweckmäßiger Grundlage durchführen zu können. Wir bleiben der Auffassung, daß, wenn damals ein solches Zusammengehen zustande gekommen wäre, der deutschen Montanwirtschaft der kostspielige und nach unserer Meinung vermeidbare Leidensweg der Entflechtungen erspart worden wäre. Aus diesen Erwägungen ist damals von Unternehmerseite das weitgehende Angebot gemacht worden. Leider hat die Gewerkschaftsseite dieses Angebot abgelehnt, womit es hinfällig wurde, wie das übrigens von Gewerkschaftsseite auch anerkannt worden ist.
Trotz dieses Scheiterns des damaligen Verständigungsversuchs haben sich die alten Gesellschaften, obwohl in den Aufsichtsräten nunmehr in die Minderheit gedrängt, fast durchweg in den Organen der neugebildeten entflochtenen Werke in sachlicher Mitarbeit betätigt. Die Unternehmerseite stand auch weiterhin dem Gedanken der Mitwirkung und Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Grundindustrien durchaus positiv gegenüber. Dieser unserer grundsätzlichen Haltung habe z. B. auch ich in der Aufsichtsratssitzung des entflochtenen Hüttenwerks Haspe am 12. Februar 1947 Ausdruck gegeben und die Bereitschaft ausgesprochen, auf dem Gebiete der Beteiligung der Arbeitnehmer an der Leitung der Betriebe neue Wege zu beschreiten. Wie dieses Mitbestimmungsrecht im einzelnen aussehen sollte, mußte naturgemäß näheren Überlegungen und Verhandlungen vorbehalten bleiben, wobei dann auch die Erfahrungen zu berücksichtigen blieben. die zwischenzeitlich bei den entflochtenen Gesellschaften und Betrieben gemacht wurden.
Von seiten der eisenschaffenden Industrie ist auch weiterhin nach dem Fortgange der Entflechtungsaktionen der Versuch gemacht worden, zu einer Verständigung mit den Gewerkschaften zu gelangen. Insbesondere hat Herr Dr. Jarres in einem Schreiben vom 18. Juni 1947 an Herrn Dr. Böckler neue Anregungen gegeben und einen weiteren Meinungsaustausch vorgeschlagen. Auf diesen Brief ist trotz mehrfacher mündlicher Erinnerung
von meiner Seite keine Antwort erfolgt. In der allerneuesten Zeit haben weitere Besprechungen führender Herren der Kohle- und Eisenindustrie mit Beauftragten des Herrn Dr. Böckler stattgefunden, um entsprechende Verhandlungen vorzubereiten. Es wurde dabei ein Termin für eine gemeinsame Besprechung mit Herrn Dr. Böckler festgelegt; dieser Termin ist dann unter den Tisch gefallen, weil tags darauf die Streikankündigung der Gewerkschaften erfolgte,
und damit die ganze Angelegenheit auf eine andere Ebene geriet. Als dann kürzlich auf die Initiative des Herrn Bundeskanzlers hin Sachverständige von Kohle und Eisen aufgefordert wurden, mit der Gewerkschaftsseite unter der Führung der Bundesregierung in Besprechungen einzutreten, haben wir uns von der Unternehmerseite im Hinblick auf die ungemein kritische Lage solchen Verhandlungen nicht entzogen. Unserer Auffassung nach hätte es zur Erzielung einer Verständigung einer solchen Streikdrohung dabei bestimmt nicht bedurft. Das Ergebnis, das bei diesen Verhandlungen erzielt worden ist, hat dann zur Grundlage des Gesetzentwurfes gedient, der jetzt diesem Hause vorliegt.
So viel, meine Damen und Herren, möchte ich zur Vorgeschichte der ganzen Frage sagen. Daraus ergibt sich, glaube ich, daß die eisenschaffende Industrie in der Frage des Mitbestimmungsrechts die verflossenen Jahre hindurch eine folgerichtige Haltung bewahrt und immer wieder Verständigungsbereitschaft bekundet hat. Ihre Wortführer deshalb zu verunglimpfen, wie dies vielfach geschah und erst kürzlich noch z. B. im „Rhein-Echo" eine Spitzenleistung erreichte, dazu liegt deshalb wahrlich kein berechtigter Anlaß vor, und derartiges unterbliebe wohl besser, ebenso wie verunglückte Interviews gleicher Tendenz, noch dazu mit ausländischen Zeitungen.
Doch nun zu dem erzielten Ergebnis selbst. Es läßt sich natürlich kritisieren, und auch ich persönlich bin nicht über jede der Formulierungen glücklich, auf die man sich schließlich geeinigt hat. Aber das ist schließlich bei jedwedem erzielten Kompromiß so. Wenn ein Hinausgehen über bestimmte Grenzen zu einem Abbruch der Verhandlungen vor der einen oder anderen Seite mit allen schwerwiegenden Folgen führen muß, verständigt man sich besser; denn diese Folgen auf sich zu nehmen. hätte niemand verantworten können. Nachher Kritik zu üben, ist dann Sache der anderen. und kein Unterhändler wird diesen anderen das Recht dazu schmälern wollen; denn die Zeiten, in denen jede Kritik verboten war, sind hier hei uns jedenfalls Gott sei Dank vorüber. Ich will auch keineswegs sagen, daß ich die Kritik an den Begleitumständen. unter denen das Verhandlungsergebnis erzielt wurde, nicht auch meinerseits teilte. und die Gedanken, die hierzu unter anderem mein Fraktionskollege Herr Sabel vortrug. scheinen mir durchaus am Platze zu sein. Ich möchte jedoch zum Ausdruck bringen, daß das in den Besprechungen erzielte Ergebnis in seinen wesentlichen Zügen ein äußerstes Entgegenkommen der Unternehmerseite dargestellt hat, von dieser aber auch meines Erachtens verantwortet werden kann,
zumal dazu von allen Seiten eindeutig klargestellt
worden ist, daß die in Aussicht genommene Regelung des Mitbestimmungsrechts in dieser Weise sich
lediglich auf die eisenschaffende Industrie und den Kohlenbergbau bezieht und kein Präjudiz für die sonstige Wirtschaft bedeutet.
Nun noch einen Blick in die Zukunft! Es ist wohl klar, daß das vorgesehene neue Regime in den Gesellschaften der Grundindustrien nur dann ersprießlich arbeiten kann, wenn von der Unternehmer- wie von der Arbeitnehmerseite her auch der aufrichtige Wille zu einvernehmlicher Zusammenarbeit aufgebracht und betätigt wird.
Das ist die Voraussetzung, mit der dieses Regime steht oder fällt. Denn keine Gesetzesparagraphen vermögen die Lücken zu füllen, die fühlbar werden müssen, sobald das Erfordernis des guten Willens auf der einen oder anderen Seite fehlt. Meinungsverschiedenheiten können und werden sich immer wieder ergeben. Fortan aber sollen — und das ist ja vielleicht das Wichtigste auf dem neuen Wege, der nun beschritten werden soll — die Gesellschaftsorgane bei den Grundindustrien selbst so zusammengesetzt sein, daß schon in ihrem Schoße der Ausgleich erzielt werden kann, wo immer dies nötig ist, so daß es dann erst recht keiner Mobilisierung sogenannter Kampfmittel bedarf, die in den ernsten Zeiten, die wir durchleben, die Gesamtwirtschaft in Deutschland an den Rand des Verderbens bringen müssen, wenn sie wirklich je angewandt werden sollten. Gewiß ist das ganze ein neuartiger und kühner Versuch, und so faßt auch die Welt draußen die Sache auf. Sie steht dem Wagnis teils skeptisch, teils hoffnungsvoll gegenüber.
Aber die Erwartung kann doch wohl als berechtigt gelten, daß dieser Versuch glücken wird, womit sich dann die so beschlossene Neuregelung, sofern ihr der Bundestag die gesetzliche Untermauerung zuteil werden läßt, als ein Markstein erweisen würde, auf dem Wege zur Erreichung des Arbeitsfriedens, dessen wir in Deutschland so dringend bedürfen.