Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesfinanzminister hat -nach meinem Empfinden mit vollem Recht — am Anfang seiner Rede einen Blick in die Vergangenheit geworfen. Man kann tatsächlich in diesem Augenblick nicht über das schwerwiegende Gesetz des allgemeinen Lastenausgleichs sprechen, ohne der verhängnisvollen Entwicklung vor sechs Jahren zu gedenken. Im eisigen Winter wurden Millionen unserer Mitbürger aus ihrer angestammten Heimat vertrieben. Das mit Flüchtlingen überfüllte Dresden wurde von einer mächtigen Luftflotte angegriffen. An all dieses unsagbare Elend, damals vor sechs Jahren, sollte man sich heute hier in dieser Stunde erinnern. Ich gedenke dieser Zeit vor allem deswegen, weil es mir eine Pflicht zu sein scheint, einmal all den Mitbürgern zu danken, die trotzdem den Mut nicht verloren haben, die, als sie wieder eine neue Heimat hier bei uns fanden, sofort mit großer Energie den Aufbau begonnen haben, nicht immer so unterstützt, wie man es gern gesehen hätte! Diese Tatsache erfüllt uns mit Vertrauen in die Kraft unseres Volkes. Wir werden zu einer um so besseren Entwicklung kommen, wenn wir nun diesen Menschen, die sich zunächst einmal selbst geholfen haben, durch einen Lastenausgleich im Rahmen des wirtschaftlich Möglichen weitere Hilfe zur Verfügung stellen.
Es ist aber auch aus einem anderen Grunde notwendig, an diese Zeit vor sechs Jahren, die Zeit der Bombennächte, zu erinnern. Ein Kollege, ein Landwirt, sagte mir einmal folgendes: Wenn man ihm unerfüllbare Wünsche hinsichtlich einer Ermäßigung der Abgaben vortrage, so frage er diese Interpellanten oft, wie denn die Sache vor sechs Jahren gewesen wäre, als sie in den Bombenkellern gesessen hätten. Wenn damals unter dem Bombenhagel die Wände wankten und wenn dann plötzlich ein Engel gekommen wäre und gefragt hätte: Bist Du bereit, 50 % Deines Besitzes abzugeben, wenn Du gerettet wirst? —, dann wäre damals wohl keiner dagewesen, der nicht dieses Opfer gern gebracht hätte um den Preis seiner und seiner Familie Rettung.
Meine Damen und Herren! In der Begründung zu dem Lastenausgleichsgesetz ist sehr eingehend die Frage nach der Rechtfertigung dieses Entschädigungsanspruches erörtert worden. Man hat dazu sogar unser altes Preußisches Allgemeine Landrecht zitiert, aber ich glaube, man braucht die Begründung gar nicht so weit herzuholen. Auch hier scheint mir zwischen uns und dem Herr n Bundesfinanzminister Übereinstimmung zu bestehen. Die Entschädigungspflicht ergibt sich aus der Existenz der Volksgemeinschaft. Man kann nicht einfach Millionen Mitglieder eines Volkes ihren ganzen Vermögensbesitz verlieren lassen, ohne eine Hilfe zu leisten. Für uns, die wir grundsätzlich das Privateigentum verteidigten, ist es ebenso selbstverständlich; daß das gerettete Privateigentum einen entsprechenden Ausgleichsbeitrag leisten muß.
Wir sind uns in diesem Hause wohl weitgehend über die Notwendigkeit eines Lastenausgleichs klar, aber die Auffassungen über die Wege und die Art und Weise, wie dieser Lastenausgleich durchgeführt werden soll, gehen zwangsläufig auseinander. Ich halte es nicht für richtig und sinnvoll, die sich aus der ganz verschiedenen politischen Einstellung ergebenden Gegensätze zu verkleinern. Herr Kollege Kriedemann hat hier ganz offen den Standpunkt dargelegt, wie er und seine Freunde ihn auf Grund ihrer sozialistischen Einstellung haben. Ich habe für Ihren Standpunkt volles Verständnis. Ich darf Sie dann aber auch ebenso um Verständnis für unseren natürlich gegenteiligen Standpunkt bitten. Wir müssen auf dem Prinzip für die endgültige Gestaltung des Lastenausgleichs bestehen, das man mit einem wenig zutreffenden Ausdruck als „quotal" bezeichnet hat; richtiger wäre: ein auf den Vermögensverlusten aufbauender Lastenausgleich, bei dem die Vermögensverluste als solche wieder ausgeglichen werden sollen. Ich bedauere es, daß man immer noch ais Gegensatz zu dieser Form des Lastenausgleichs den irreführenden Ausdruck „sozialer Lastenausgleich" gebraucht. Wir, die wir den quotalen Lastenausgleich immer gefordert haben, sind uns völlig darüber klar, daß die soziale Dringlichkeit, die volkswirtschaftliche Notwendigkeit bei der Reihenfolge der Zahlungen, die geleistet werden können, berücksichtigt werden müssen. Wir akzeptieren ohne weiteres eine Staffelung der Entschädigungen. Darüber sollte kein Zweifel bestehen.
Herr Abgeordneter Kather hat hier eben schon auch als Vertreter des Zentralverbandes der heimatvertriebenen Deutschen — nach meiner Meinung sehr wirkungsvoll — darauf hingewiesen, daß auch die Vertriebenenverbände und ebenso auch der Zentralverband der Fliegergeschädigten immer wieder die Forderung nach einem „quotalen" Lastenausgleich erhob en haben. Unbeschadet besonderer Beträge für Härtefonds und für Fürsorgemaßnahmen können und wollen also meine politischen Freunde nicht von dem Grundgedanken des „quotalen" Lastenausgleichs abgehen. Das war schon die Linie meiner Partei im Frankfurter Wirtschaftsrat, und wir sehen auch nach der bisherigen Entwicklung keine Veranlassung zu einer Änderung unseres Standpunktes.
Daraus folgt, daß wir den Gesetzentwurf der Regierung unter dem Grundgesichtspunkt prüfen müssen, inwieweit er dieser Grundkonzeption entspricht. Herr Kriedemann hat den Entwurf ange-. griffen, weil er starke Züge des „quotalen" Lastenausgleichs trägt. Das ist nun gerade der Grund, weswegen wir mit dem Entwurf grundsätzlich einverstanden sind und ihn als eine geeignete Diskussionsgrundlage ansehen, unbeschadet einer ganzen Reihe von wichtigen Einzelheiten, wo wir unbedingt auf Abänderungen dringen werden.
Wir sind insbesondere der Überzeugung, daß an dem Prinzip der Hauptentschädigung nicht gerüttelt werden darf. Wir unterstützen hier die
Regierung durchaus in ihrer ablehnenden Haltung gegenüber der abweichenden Ansicht der Bundesratsmehrheit.
Neben der Hauptentschädigung begrüßen wir insbesondere die Grundsätze, wie sie der § 311 des Gesetzes enthält. Danach soll jetzt stärker als bisher auch der Hausbesitzer und der Einzelne, der sich eine Wohnung bauen will, bei der Zuteilung der für die Wohnbaufinanzierung vorgesehenen Mittel berücksichtigt werden.
Wir halten es für ein gutes Vorzeichen, daß in derselben Sitzung, in der wir die erste Lesung des allgemeinen Lastenausgleichsgesetzes vornehmen, auch das Gesetz über das Wohnungseigentum beraten werden soll. Wir sehen gerade in diesem Wohnungseigentumgesetz eine wesentliche Hilfe für die Eingliederung, die auch für uns, das betone ich besonders, im Vordergrund steht. Wir müssen vor allen Dingen dafür sorgen, daß die Menschen dort Wohnungen finden, wo Arbeit zu finden ist. Bei der Verteilung der Mittel muß der Nachdruck bei der systematischen Förderung des Wohnungsbaues liegen. Wir begrüßen es deshalb besonders, daß in diesem Gesetzentwurf das „quotale" Moment, gepaart mit der individuellen Entschädigung, sich weitergehend, als es bisher der Fall war, durchzusetzen scheint. Wir werden durch entsprechende Anträge gerade diesen Gedanken weiter zu fördern versuchen.
Die von dem Regierungsentwurf vorgenommene Trennung zwischen den eigentlichen Fürsorgelasten und einer auf dem früheren Vermögensbesitz aufgebauten besonderen Zusatzrente erscheint uns als richtig. Insbesondere darf die Tatsache nicht übersehen werden, worauf j a auch der Herr Bundesfinanzminister vorhin in seiner Rede hinwies, daß wir auf diese Weise über das unmittelbare Aufkommen des Lastenausgleichsfonds hinaus immerhin noch über 250 Millionen jährlich für die Betreuung der Kriegsgeschädigten erhalten. Wir entlasten also insoweit den Ausgleichsfonds.
Ich kann auch nicht zugeben, daß damit eine soziale Schlechterstellung erfolgt. Die vom Soforthilfegesetz vorgesehenen 70 DM Unterhaltsrente reichen tatsächlich vielfach nicht aus. Häufig muß noch eine ergänzende Fürsorge eingreifen. Meine Freunde und ich können darin nichts Diffamierendes erblicken, wenn Menschen, die ohne Schuld nicht mehr ihren eigenen Lebensunterhalt verdienen können, die öffentliche Fürsorge in Anspruch nehmen. Die Armenpflege des 19. Jahrhunderts haben wir doch wohl überwunden.
In allen diesen Punkten hat die Bundesratsmehrheit eine andere Stellung bezogen. Wir begrüßen deshalb die ablehnende Haltung der Bundesregierung gegenüber dem Bundesratsvotum. Es ist hierzu schon von anderen Rednern Entsprechendes gesagt worden. Wir werden die Regierung in dieser Haltung gegenüber dem Bundesrat nachdrücklichst unterstützen.
Der wundeste Punkt des Entwurfs ist die Hausratsentschädigung. In eingeweihten Kreisen wird erzählt, daß der Herr Bundesfinanzminister diese Regelung absichtlich so getroffen habe, um ein Objekt zu haben, wo er dem Drängen des Parlaments nachgeben kann. Ich weiß nicht, ob das der Grund ist. Aber dieser Punkt ist tatsächlich für uns vollständig unannehmbar. Wenn wir die Hausratsentschädigung so lassen, würde die Masse der Geschädigten, die oft ein Leben lang für ihren Hausrat gespart haben, überhaupt leer ausgehen. Wenn man weiß, mit welcher Liebe gerade auch der kleine Mann in unserem Volke an seinem oft mühsam zusammengesparten Heim hängt, dann kann man allerdings eine Entschädigungsleistung von 400 bzw. 600 DM nicht als Diskussionsgrundlage betrachten. Also hier werden wir uns ganz energisch für eine Umgestaltung des Gesetzes einsetzen müssen.
Nun ein weiterer Punkt, der uns Sorge macht! Das ist die Hinausschiebung gewisser Probleme auf eine spätere Zeit. Wir bitten die Regierung sehr nachdrücklich, unbedingt sofort mit Vorarbeiten zur Durchführung des § 259 zu beginnen. Das ist die Frage der Währungsschäden der Vertriebenen. Wir sind der Ansicht, dieses Problem ist so vordringlich und hat politisch eine so ungeheuere Bedeutung, daß wir dieses Problem unbedingt noch im Rahmen dieses Gesetzentwurfes lösen müssen. Es hat keinen Zweck, meine Herren, die Frage immer wieder zu vertagen. Probleme werden ja nicht dadurch gelöst, daß man sie vertagt, sondern wir müssen sie so oder so anpacken.
Wir haben dasselbe Bedenken dagegen, daß die Schuldenregelung nach § 324 hinausgeschoben werden soll. Auch dieses Problem muß gelöst werden, und es dürfte auch kaum besonders schwierig sein.
Meine Fraktion hat sich gestern sehr eingehend über den gefährlichen „Katalog der Hoffnungen", wie ich ihn nennen möchte, unterhalten, der in § 325 steckt. Herr Kollege Kunze hat vorhin schon das Problem der Altsparer angeschnitten. Ich will hier nicht im einzelnen darauf eingehen; dazu reicht meine Redezeit nicht. Aber meiner Fraktion erscheint der Vorschlag bedenklich, wonach all diese heiklen Fragen — Demontage- und Auslandsschäden, Altsparerentschädigung! — einer späteren gesetzlichen Regelung vorbehalten werden sollen. Die Entscheidung muß so oder so fallen. Wir müssen im Parlament den Mut haben, die Entscheidung dann auch nach außen hin zu vertreten. Je mehr wir den Kreis der Anspruchsberechtigten erweitern, desto schwieriger wird die Lösung des Lastenausgleichsproblems. Das ist in meiner Fraktion gestern sehr eingehend erörtert worden. Auf alle Fälle aber müssen jetzt hier Entscheidungen gefällt werden.
Ein anderes Zeitproblem bildet die Hinausschiebung des endgültigen Gesetzes, das die Regelung der Hauptentschädigung bringen soll, bis zum 31. Dezember 1956. Hier müssen wir die dringende Bitte an die Regierung richten, mit einem sehr viel früheren Termin auszukommen. Selbstverständlich nimmt die Feststellung der Verluste Zeit in Anspruch. Das haben wir immer gesagt. Deswegen haben wir ja auch das von den anderen Fraktionen teilweise so stark kritisierte Feststellungsgesetz schon im Sommer eingebracht. Aber die endgültige Regelung der Entschädigung jetzt nochmals sechs volle Jahre in der Schwebe zu lassen, wäre wirklich eine Nervenprobe für die Betroffenen, die wir ihnen gern ersparen möchten.
Ist nun das ganze Gesetz pessimistisch oder optimistisch zu beurteilen? Wir haben bei der bisherigen Diskussion die verschiedensten Standpunkte vertreten hören. Ich möchte unterstreichen, was Herr Kollege Kather vorhin gesagt hat. 45 Milliarden sollen aufkommen. Das ist immerhin ein Wort, und das soll und muß mit aller Deutlichkeit einmal auch nach außenhin gesagt werden. Nach der jetzigen Vorlage hat der Fonds auf der anderen Seite Belastungen von 31,35 Milliarden. Es ist also von vornherein eine Reserve, eine sehr erhebliche
Reserve einkalkuliert worden. Wir haben damit im Ausschuß noch einen gewissen Spielraum, um Verbesserungen vorzunehmen bei den Renten, vor allen Dingen aber bei der Hausratentschädigung, die wir unbedingt für notwendig halten. Trotzdem, meine Damen und Herren, muß sich jeder, der heute im Lastenausgleichsausschuß mitarbeiten muß, darüber klar sein: Wir werden keinen Dank ernten, und wir werden niemals beide Teile, die abgebenden und die nehmenden, zufriedenstellen können. Wir können nur versuchen, das Bestmögliche herauszuholen, was unter den gegebenen Verhältnissen erreichbar ist. Wenn wir diese Aufgabe — vielleicht die größte Aufgabe, die einem Parlament im zwanzigsten Jahrhundert gestellt wird — wenigstens einigermaßen lösen, dann haben wir nicht nur unendlich vielen Menschen geholfen, sondern wir haben nach meiner Überzeugung sicherlich auch einen wertvollen Beitrag geleistet zum Neuaufbau einer hoffentlich dann nicht mehr gefährdeten deutschen Demokratie.