Meine Damen und Herren! Meine Ausführungen stehen mit dem, was der Herr Berichterstatter vorgetragen hat, nur in einem mittelbaren Zusammenhang. Obwohl ich die verfassungsrechtlichen Bedenken, die der Herr Bundesjustizminister geäußert hat, auch habe, glaube ich doch, daß hier eine Zweckmäßigkeit dafür spricht, dem Ausschuß im Sinne des Berichts eine Vollmacht zu geben.
Es ist ein anderes, das mich veranlaßt hat, hier zu sprechen. Es ist die grundsätzliche Frage, wie das Parlament in der letzten Zeit zur Frage der Aufhebung oder Verweigerung der Aufhebung der Immunität Stellung genommen hat. Der Ausschuß hat über diese Frage ja einige grundsätzliche Beschlüsse gefaßt, und ich stelle gleich fest — um jeden Einwand vorwegzunehmen —, daß diese Beschlüsse, wie ich wohl weiß, auch mit den Stimmen meiner Freunde gefaßt worden sind. Die maßgeblichen Beschlüsse sind enthalten in dem Protokoll über die 55. Sitzung des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität vom 16. Oktober 1950. Ich erspare es mir, auf diese Beschlüsse im einzelnen einzugehen. Wir sind aber der Meinung — und ich spreche hier auch für meine politischen Freunde —, daß wir uns von dieser Praxis, die das Parlament hier herausbildet und mit guten Gründen zunächst auszubilden versucht hat, wieder entfernen müssen.
Was ist die Immunität? In der ersten Debatte über diese Frage — es war die 14. Sitzung vom 3. November 1949 — ist in sehr grundsätzlichen Ausführungen sowohl von dem damaligen Berichterstatter Herrn Kollegen Dr. von Merkatz wie auch von dem Herrn Kollegen Prof. Dr. Schmid dazu Stellung genommen worden. Beide haben damals zutreffend und mit Recht betont, daß die Immunität des Abgeordneten kein persönliches Vorrecht des Abgeordneten sei, das ihn besser stellen solle und dürfe als einen anderen, sondern daß die Immunität eine echte Prärogative des Parlaments sei, also ein Vorrecht des Parlaments, durch das es instand gesetzt wird, ein Mitglied des Parlaments vor einer Strafverfolgung zu schützen, die in ihren Auswirkungen die politische Tätigkeit des Abgeordneten behindern könnte. Das ist ja auch der geschichtliche Hergang, der zu dem Begriff Immunität geführt hat. Die Immunität ist als eine echte Reaktion des beginnenden Konstitutionalismus gegen die Kräfte des Absolutismus, als eine Reaktion gegen mögliche Übergriffe der damals nicht parlamentarisch kontrollierten Exekutive eingeführt worden. Es waren Einzelfälle, die dazu geführt haben, Einzelfälle, in denen die Exekutive auf Grund ihrer absolutistischen Befugnisse und unter Mißbrauch ihres Rechts den Abgeordneten mundtot zu machen versuchte, indem sie ihn unveranlaßt in ein Strafverfahren verwickelte.
Meine Damen und Herren! Man kann schon die grundsätzliche Frage stellen, ob nicht die Entwicklung zur parlamentarischen Demokratie, bei der auch die Exekutive der parlamentarischen Kontrolle unterliegt, die Voraussetzungen für die Institution als solche beseitigt hat, ob also überhaupt noch ein echtes Bedürfnis nach Immunität besteht;
denn die Instanzen, gegen die der Abgeordnete geschützt werden soll, sind ja Instanzen des parlamentarischen Staates. Wir sind in unserem Grundgesetz sogar so weit gegangen, daß wir mit gutem Grund — ich habe das begrüßt — auch den Richter in einem gewissen Sinne der parlamentarischen Kontrolle unterstellt haben, indem wir die Institution der Richteranklage eingeführt haben. Wir haben also hier eine sehr weitgehende parlamentarische Kontrolle auch der Exekutive und sogar des Gerichts.
Ich will nicht die Frage stellen, ob jetzt der Zeitpunkt gekommen ist, etwa Artikel 46 des Grundgesetzes zu ändern. Ich möchte mich vielmehr auf eine Feststellung beschränken. Ich bin der Meinung, daß wir, wenn wir die bisherige Praxis beibehalten, den Sinn der Immunität in einer verhängnisvollen Weise verkehren und aus den Abgeordneten dieses Hohen Hauses eine Art Kaste machen, die Gesetzesprivilegien für sich in Anspruch nimmt, die in Anspruch zu nehmen sie meiner Überzeugung nach nicht berechtigt ist.
Ich bin der Meinung, daß es in jedem Fall, in dem ein begründeter Tatverdacht gegen einen Abgeordneten vorliegt,
im Interesse des Abgeordneten selbst und ebenso im Interesse dieses Hohen Hauses liegen sollte, dem Verfahren freien Lauf zu lassen.
Ich finde es vor allem in den Auswirkungen bedenklich, wenn der Immunitätsausschuß seinerzeit — sicherlich nach einer sehr reiflichen Überlegung; ich habe die Protokolle des Unterausschusses gelesen und ich möchte daran nicht mäkeln — den Beschluß gefaßt hat: Beleidigungen sollen, wenn sie politischen Charakters sind, nicht zur Aufhebung der Immunität führen. Hier entfernen wir uns, glaube ich, wirklich in einer bedenklichen Form von der Auffassung unserer Wähler. Wir haben im Gegensatz zu der Auffassung, wie sie hier zum Ausdruck kommt, die Absicht, den Ehrenschutz noch viel stärker 'auszubauen, als er bisher nach dem Strafgesetz gegeben war. Meine Freunde und ich sind der Meinung, daß der Grundsatz des Ehrenschutzes, den der Abgeordnete in Anspruch nehmen will, von ihm in gleicher Weise beachtet werden muß. Ich glaube, daß wir uns sonst auf eine gefährliche Bahn begeben, daß wir vielleicht auch in einer gefährlichen Weise der Verwilderung politischer Sitten Vorschub leisten, was sicherlich nicht die Absicht dieses Beschlusses war.
Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Meine Freunde und ich bitten den Ausschuß, die bisherigen Beschlüsse noch einmal zu überprüfen. Meine Freunde und ich sind entschlossen, in Zukunft in jedem einzelnen Fall, in dem der Tatbestand einer strafbaren Handlung gegeben ist, die Immunität aufzuheben
— ich komme darauf zurück — und von der Verweigerung der Aufhebung der Immunität nur dann Gebrauch zu machen, wenn wirklich begründeter Anlaß besteht, daß die Strafverfolgung im Einzelfall den Abgeordneten an der ordnungsgemäßen Ausübung seiner Abgeordnetenfunktion hindern könnte. Lassen Sie mich ein Wort zitieren, das seinerzeit Herr Kollege Schmid in der Sitzung vom 3. November 1949 gebraucht hat. Er hat damals einen Ausspruch des vorsokratischen Philosophen Heraklit zitiert und hat gesagt, die Immunität der Abgeordneten sei der Nomos des Parlaments, und nach dem Worte Heraklits solle das Volk um seinen Nomos kämpfen wie um seine Mauer. Ich halte diese Feststellung für sehr gut. Ich glaube, wir alle sollten um den Nomos, um das Recht und um das Gesetz kämpfen. Das können wir als Abgeordnete nicht besser tun als dadurch, daß wir uns auch selber unter das Gesetz stellen, das für die anderen gilt.