Meine Damen und Herren! Wir haben in diesem Hause ebenso wie im Jugendfürsorgeausschuß des öfteren ausführlich über die Jugendnot unserer Zeit gesprochen. Ich kann es mir deshalb ersparen, grundsätzliche Ausführungen darüber zu machen; ich möchte unmittelbar zu dem vorliegenden Gesetzentwurf der KPD etwas sagen.
Mir scheint, daß der Antrag eine recht oberflächliche Zusammenstellung von Forderungen für Sofortmaßnahmen für die schaffende, lernende und arbeitslose Jugend ist, die man unter keinen Umständen in einem Bundesgesetz erledigen kann. Es ist geradezu erstaunlich. daß in einem Antrag der Kommunistischen Partei das Recht der Jugend auf Arbeit nur deklamatorisch im § 8 angesprochen wird. Daß die Forderung und das Recht der Jugend auf Berufsausbildung und Arbeit nicht das Kernstück dieses Gesetzes sind, ist weit schlimmer als der Mangel, daß alle anderen mit einbezogenen Materien im Hinblick auf unser Grundgesetz nicht von der Bundesebene aus gelöst werden können.
Wer in diesem Haus ein Gesetz einbringt, von dem von vornherein feststeht, daß die Zuständigkeit nicht gegeben ist, der beweist damit ganz eindeutig, daß es ihm nicht im wesentlichen um Dinge geht, die die Jugendnot lindern oder abstellen sollen.
Es erweckt den Eindruck, als ob die KPD nur einen Propagandaantrag stellt; denn ganz abgesehen davon, daß. kein ausreichen der Deckungsvorschlag vorliegt, sind die einzelnen Paragraphen in ihrem materiellen Wert so unzulänglich, daß sie nicht einmal eine gute Diskussionsgrundlage bieten.
Einige Punkte dieser Gesetzesvorlage sind im Bundestag schon wesentlich gründlicher angesprochen worden, z. B. in dem Antrag der SPD auf Vollbeschäftigung, in dem Antrag der SPD auf Gewährung von Kinderbeihilfe und in dem Antrag auf Sofortmaßnahmen für die arbeits-, berufs- und heimatlose Jugend. Dieser letztgenannte Antrag wurde im Jugendfürsorgeausschuß eingehend beraten, und der Ausschußantrag ist in der Sitzung des Bundestages vom 4. 5. 1950 angenommen worden. Ebenso ist in der Sitzung am 21. Juli 1950 erneut mit aller Klarheit zur Frage der Jugendnot in diesem Hause Stellung genommen worden.
Der vorliegende Gesetzentwurf der kommunistischen Fraktion wäre vielleicht vor einem Jahre, als die Arbeit des Bundestages begonnen hatte, eine gute Anregung gewesen. Aber heute sind wir durch die Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft für Jugendpflege und Jugendfürsorge, mit dem Deutschen Städtetag und anderen an der Jugendfrage interessierten Stellen nicht darauf angewiesen, auf eine so oberflächliche Gesetzesvorlage zurückgreifen zu müssen.
Obwohl im Bundestag die Frage der Jugendnot mehrmals angesprochen wurde, ist in der Zwischenzeit leider fast nichts geschehen.
Die Schuld daran trifft die Regierung und die Kreise, die die Wirtschaftspolitik dieser Regierung unterstützen.
Wir haben im Bundesjugendplan das erste Mal von einer positiven Maßnahme gehört, die die Regierung zur Behebung dieser Jugendnot ergreifen will.
Wenn ich mir nun die einzelnen Abschnitte des Gesetzentwurfs der KPD ansehe, dann muß ich zum ersten Abschnitt sagen: wenn der Jugend wesentliche Voraussetzungen zu einer gesunden Entwicklung fehlen, dann kann es unmöglich ihr größtes Verlangen sein, mit 18 Jahren schon als wahlberechtigt zu gelten.
In vielen Aussprachen haben Jugendliche mir versichert, daß sie daran gar nicht interessiert sind. Warum die Jugend mit einer Verantwortung belasten, die sie nicht tragen kann und zu einem ganz großen Teil auch noch nicht tragen will?
Zur politischen Meinungsbildung gehört eine Lebenserfahrung, die der heute Achtzehnjährige einfach noch nicht haben kann.
Im zweiten Teil wird von einer Verbesserung der Schulleistungen gesprochen. Nach dem Grundgesetz steht den Ländern die Gesetzgebung über das Schulwesen zu; sie wachen mit besonderer Sorgfalt über diese Hoheit. Es wäre allerdings sehr viel zu diesem Thema zu sagen. Nicht in allen Ländern der Bundesrepublik wird die Erziehung der Kinder und Jugendlichen als eine der wichtigsten sozialen Aufgaben betrachtet, für die die besten geistigen und materiellen Mittel des Volkes nutzbar gemacht werden sollten, und meist wird nicht anerkannt, daß die öffentlichen Ausgaben zur Sicherung des freien Schulbesuchs, für Lehr- und Lernmittel wohlbegründete und beste Kapitalanlagen für das Volk sind.
Es ist eine alte Forderung der Sozialdemokratischen Partei, die schon im Erfurter Programm von 1891 festgelegt ist, daß die SPD die Unentgeltlichkeit des Unterrichts, die Unentgeltlichkeit der Lehr- und Lernmittel in der Schule und die freie Verpflegung in den Schulen fordert. Und immer, wenn in den vergangenen Jahrzehnten die Sozialdemokratische Partei in einem Lande die Regierungsmehrheit besaß, sind diese Forderungen verwirklicht worden.
Leider haben die Regierungen der bürgerlichen Seite für diese wichtige staatspolitische Aufgabe nicht das erforderliche Verständnis, und sie haben immer dann bei ihrem Regierungsantritt nichts Eiligeres zu tun gehabt, als den jungen Menschen den gleichen Start zu einer geistigen Entwicklung zu nehmen.
Im dritten Abschnitt wird von der Verbesserung der Berufsausbildung gesprochen. Mit einer schwungvollen Deklamation ist der Jugend keineswegs geholfen. Was wir brauchen, ist ein gut durchgearbeitetes Berufsausbildungsgesetz. Und den weiblichen Jugendlichen ist keineswegs gedient, wenn nur von der Gleichberechtigung in einem Gesetz gesprochen wird. Wir haben ja die Gleichberechtigung bereits im Grundgesetz verankert, und wir wissen, wie diese Gleichberechtigung gerade im Erwerbsleben in der Praxis aussieht.
Wichtiger als eine Proklamation ist die Hilfe bei der Findung von neuen Frauenberufen, zu denen junge Mädchen Zugang finden können.
Der Gesetzentwurf der sozialdemokratischen Fraktion, in dem die Forderung nach Kinderbeihilfen gestellt ist, scheint mir eine weit bessere Grundlage für die Ausbildung und Erziehung von Kindern aus Familien mit geringem Einkommen zu sein als die in § 10 dieses Gesetzes.
Reichlich unverständlich sind die Forderungen auf Lehrlingseinstellung nach den im Antrag aufgeführten Prozentsätzen. Ganz abgesehen davon, daß gewisse Betriebsarten gar nicht in der Lage sind, eine solche Zahl von Lehrlingen einzustellen, müssen wir von jeder Lehrstelle die Gewißheit haben, daß die Voraussetzungen für eine gute und ordentliche Lehre gegeben sind. An einer Lehrlingszüchterei haben wir keinerlei Interesse.
In diesem Zusammenhang muß ich wieder die Grundforderung der Sozialdemokratischen Partei nach einer Vollbeschäftigung herausstellen, denn nur dadurch kann die Not der berufs- und arbeitslosen Jugend wirklich behoben werden.
Es erübrigt sich, viel über den vierten Abschnitt der Gesetzesvorlage zu sagen. Die hier aufgestellten Forderungen sind zum Teil weit gründlicher in den gültigen Jugendarbeitsschutzgesetzen der Länder behandelt. Wir hoffen aber, daß in der nächsten Zeit ein vorbildliches Jugendarbeitsschutzgesetz dem Bundestag vorgelegt wird, in dem dem Jugendarbeitsschutz umfassend Rechnung getragen wird. Denn es liegt uns wirklich an einem echten Schutz der Jugend, und wir würden alles ablehnen, was z. B. einem Ausbeutersystem oder einem Antreibersystem gleichsehen würde, mag es Henneckesystem oder sonstwie heißen.
Genau so wie das Schulwesen sind auch die kulturellen Belange Sache der Länder, der Städte und der Gemeinden, und ein großer Teil unserer Jugendpflegearbeit wird in den Selbstverwaltungen geleistet. Die Städte und die Gemeinden waren seit Jahrzehnten der Jugendarbeit gegenüber immer ganz besonders aufgeschlossen. Dies kam auch bei der Tagung des Deutschen Städtetages in diesem Sommer wieder deutlich zum Ausdruck, als das Thema „Unsere Städte und ihre Jugend'' im Mittelpunkt aller Erörterungen stand.
Was wir aber vom Bunde aus tun müssen, um den Städten, Gemeinden und Kreisen die Möglichkeit zu einer noch intensiveren Jugendpflegearbeit zu geben, ist neben der Gewährung von Mitteln die Neugestaltung des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes. Wir müssen unter anderem in diesem Gesetz den § 4 in eine echte Aufgabe umwandeln.
Damit wären dann die gesetzlichen Voraussetzungen geschaffen, um alle die im fünften Abschnitt dieser Gesetzesvorlage angeführten Maßnahmen durchzuführen.
Es berührt einen eigentlich eigenartig, wenn die kommunistische Fraktion in einer Gesetzesvorlage die Errichtung von Studentenheimen fordert. Warum eigentlich Studentenheime? ist es nicht viel zweckmäßiger, wenn die Studenten, so wie es heute tatsächlich praktiziert wird, in den Lehrlingswohnheimen mitaufgenommen werden, damit sich die jungen Menschen aller Berufe und aller Stände kennen und verstehen lernen?
Wir hätten es gar nicht nötig, uns mit dieser Gesetzesvorlage der kommunistischen Fraktion auseinanderzusetzen, wenn die Regierung den vom Bundestag erhaltenen klaren Auftrag schneller erfüllt hätte.
Man kann eine Sache, die einer dringenden Lösung bedarf, nicht nach einer althergebrachten ministeriellen Arbeitsweise erledigen. Das Ministerium muß ein sicheres Gefühl für die Belange der Jugend bekommen. Es muß wissen, wo die echten Nöte der Jugend liegen, und es sollte die größte und schönste Aufgabe der Regierung sein, für die Jugend sorgen zu dürfen. Es ist durchaus anerkennenswert, wenn der Herr Finanzminister sich für den Jugendpaß einsetzt. Aber seine tiefere Verpflichtung wäre es, sich Gedanken darüber zu machen, wie die Mittel zu beschaffen sind, mit denen der Jugend Heimat, Arbeit und Lebensfreude gesichert werden können. Wir freuen uns, daß die Regierung in dem Bundesjugendplan einen Ansatz zu einer Hilfe gemacht hat.
Mit Propagandaanträgen ist unserer Jugend gar nicht geholfen. Wir wollen eine sachliche, verantwortungsbewußte Arbeit für unsere Jugend in diesem Bundestag leisten. Wir Sozialdemokraten stellen immer wieder heraus, daß der Jugend in erster Linie dadurch geholfen werden kann, daß man für Arbeit, für einen Beruf und für Wohnraum für sie sorgt. Wir werden uns mit dem bisherigen Arbeitstempo der Regierung in Jugendfragen nicht mehr begnügen. Wir verlangen, daß dem Jugendfürsorgeausschuß in kurzen Zeitabständen ein Bericht der beteiligten Ministerien über den Fortgang und den Erfolg der Bemühungen vorgelegt wird, damit wir nachkontrollieren können, ob die Regierung den Auftrag, den sie vom Bundestag erhalten hat, auch erfüllt.
Den Antrag der kommunistischen Fraktion bitten wir dem Jugendfürsorgeausschuß zu überweisen.