Meine Damen und Herren! Ich glaube, unsere Debatte wäre sehr einseitig, wenn nicht auch ein Abgeordneter von Nordbaden zu dem Problem sprechen würde. Auch ich will versuchen, die Frage, die uns heute beschäftigt, losgelöst von Polemik zu behandeln. Ich glaube, daß in den letzten zwei Jahren, insbesondere im letzten Jahr, unendlich viel Unglück dadurch geschehen ist, daß man, obwohl unser Land besetzt ist, so viel gegenseitige Gehässigkeit gezeigt hat. Schande soll auf die fallen, die diesen Ton in die Auseinandersetzung hineingebracht haben!
Wenn ich nun von Nordbaden aus zu dem Problem spreche, so will ich dabei nicht allzusehr in die Geschichte zurückgehen. Aber für den, der das badische Gefüge kennt, steht doch das eine fest, daß Baden, das vor 150 Jahren durch einen Willensakt Napoleons zustande gekommen ist, im letzten Grunde durch unser großherzogliches Haus zusammengehalten wurde. Nach 1918, als das groß-
herzogliche Haus verschwunden war, sind die Spannungen im badischen Land niemals zur Ruhe gekommen. Nord- und Südbaden — ich brauche nur an die Spannungen Mannheim—Karlsruhe usw. zu denken — haben keine einheitliche Sprache gesprochen. So waren schon 1918 und danach nicht die Schlechtesten im badischen Land in Nord und Süd der Meinung, daß es zweckmäßig wäre, die Länder Baden und Württemberg zu einer Verwaltung zusammenzuführen. Lassen Sie uns doch nicht immer das bombastische Wort „Länder" gebrauchen, sondern lassen Sie uns doch bedenken, daß das, was wir in Deutschland suchen müssen, eigentlich eine vernünftige Verwaltungsorganisation unseres deutschen Gebietes ist!
Die Stadt Pforzheim, auch das Bodenseegebiet, die
Gebiete in Nordbaden, das Bauland, aber auch das
Gebiet Mannheim, Heidelberg haben niemals Verständnis dafür gehabt, daß man eine Art badischer
Irredenta aufzieht. Das ist erst eine Errungenschaft
neuester Zeit, und ich glaube, die besten Badener
schämen sich dessen; denn schließlich war es die
Tradition Badens, daß wir immer in erster Linie
Deutsche und erst in zweiter Linie Badener waren.
Meine Damen und Herren, nach diesen Ausführungen darf ich nun auf einige Irrtümer hinweisen, die sich in die Darstellung des Kollegen Hilbert eingeschlichen haben. Herr Kollege Hilbert, es ist nicht richtig, daß die Zusammenfügung von Nordbaden und Nordwürttemberg nach 1945 ein Willensakt der Besatzungsmacht ist, sondern die erste Anregung, Nordbaden und Nordwürttemberg zu vereinigen, nachdem der Besatzungsstrich durch Württemberg-Baden gezogen worden ist, ist von dem damals verantwortlichen Leiter der nordbadischen Verwaltung ausgegangen, dem Professor Holl.
Und nicht nur mit Herrn Professor Holl, sondern auch mit anderen maßgebenden Leuten in Nordbaden, darunter auch mit mir, der ich damals Landrat und Bürgermeister in Nordbaden gewesen bin, hat die amerikanische Besatzungsmacht darüber gesprochen, was wir wollen. Ich kenne keine Stimme, die im Jahre 1945 auch nur einen Augenblick anders gedacht hätte, als daß es vernünftig wäre, Nordbaden und Nordwürttemberg zu einer Verwaltungseinheit zusammenzufügen.
Ich glaube, auch in Südbaden hat man im Grunde in der damaligen Zeit gar nicht anders gedacht; denn es ist doch bekannt, daß zwischen Südbaden und Südwürttemberg 1945/46 auch sehr lebhafte Unterhaltungen darüber im Gange waren, ob es nicht zweckmäßiger wäre, Südbaden und Südwürttemberg zu einer Verwaltungseinheit zusammenzuführen. Wenn aber die Württemberger in der damaligen Zeit nicht so schlechten Charakters waren, daß man sich in Südbaden mit ihnen zusammenfinden wollte, so verstehen wir in Nordbaden nicht, warum sie jetzt, zwei Jahre später, so furchtbar schlecht geworden sein sollten.
Die Zusammenlegung der Verwaltung von Südbaden und Südwürttemberg ist damals nicht zustande gekommen, und wir in Nordbaden machen uns Gedanken darüber. Ich glaube, daß sie deswegen nicht zustandegekommen ist, weil in Südbaden eine Linienrichtung von West nach Ost gesucht worden ist, während man in Südwürttemberg die Linie sehr stark von Süd nach Nord gesehen hat. Man wollte sich nicht von Stuttgart, von Nordwürttemberg lösen,
und ich glaube, man wäre in Südbaden klüger gewesen, wenn man sich an die Südnordrichtung gehalten und sich mit uns immer in Verbindung gehalten hätte. Es ist kein Zufall, daß der südbadische Landtag mit Einstimmigkeit seinen Staatspräsidenten Wohleb im Jahre 1948 beauftragt hat, die Verhandlungen mit dem ausschließlichen Ziel der Herbeiführung der Vereinigung
von Süd- und Nordbaden zu führen.
— Sie haben auch zugestimmt!
Der zweite Irrtum, der in die Zukunft weist und deswegen so ungeheuer ernst ist, ist der, daß man unter Hinweis auf irgendwelche Ziffern nun glaubt, das badische Land in seiner alten Form sei ein lebensfähiges Land und stark genug, um ein wirklicher Träger eines gesunden Föderalismus in Deutschland zu sein. Meine Damen und Herren; die Ziffern, die von Südbaden vorgelegt worden sind, hören beinahe sämtlich vor 1914 auf, also in der Zeit, als Baden kein Grenzland, sondern in andere deutsche Länder eingebettet war, weil damals Elsaß-Lothringen in deutscher Verwaltung war. Seit 1914 haben sich die Dinge aber zweimal grundsätzlich gewandelt. Nach 1918 ist es doch immer so gewesen, daß das badische Land in sich nicht mehr die Finanzkraft gehabt hat, die es vor 1914 hatte. Ich glaube daher, Herr Hilbert, daß Sie sich von Grund auf irren, wenn Sie glauben, daß Nordbaden heute noch die Finanzkraft hat, um in gleichem Maße die Verwaltung eines badischen Landes mitzutragen, wie das in früheren Jahrzehnten immer eine Selbstverständlichkeit gewesen ist. Ich weiß nicht, ob Sie oder andere Diskussionsredner schon darauf hingewiesen haben, daß von den Verwaltungskosten Nordbaden gut zwei Drittel getragen hat. Die Stadt Mannheim allein hat 35% des gesamten Gewerbesteueraufkommens des damaligen Landes Baden aufgebracht. Die Stadt Mannheim ist aber heute nicht mehr das, was sie gewesen ist; sie wird heute keinen höheren Prozentsatz mehr darstellen können als 15%.
Und wie ist es denn seit 1945 in unserer Ehe mit den Nordwürttembergern gewesen? Was hat denn die Abstimmung ergeben? Es ist doch immerhin merkwürdig, daß trotz der unerhört scharfen Agitation — wer die Versammlung in Karlsruhe miterlebt hat, kann sich nur schämen, wie es damals zugegangen ist — alle Grenzbezirke mit Ausnahme von Karlsruhe, das seinen Landeshauptstadtkomplex hat, sich mit einer absoluten Majorität für das Zusammengehen und das Zusammenbleiben mit Württemberg bekannt haben.
— Also, Herr Hilbert, — —
— Der Terror der Großindustrie, Herr Hilbert, ist vielleicht doch etwas bescheidener als der starke Einfluß der Staatsverwaltung in Südbaden auf das Abstimmungsergebnis.
Im übrigen danke ich Ihnen, daß Sie mich so stark einschätzen.
Warum ist es denn Südbaden in der ersten Zeit einigermaßen erträglich gegangen? Weil Südbaden zwei Steuereinnahmen hatte: die Tabaksteuern und die Zölle. Diese haben nahezu 30% des steuerlichen Aufkommens von Südbaden erbracht. Seitdem diese Steuerquellen auf den Bund übergegangen sind, sind in Südbaden die Verhältnisse außerordentlich ernst geworden. Sie sind auch in Südwürttemberg sehr ernst. Deswegen, Herr Dr. Seelos, können wir die Dinge nicht mehr allzulange treiben lassen; denn schließlich haben wir doch die Verantwortung dafür, daß in unserem Südwestraum nicht irgendein Unglück geschieht.
Wie immer wir diese Dinge ansehen, möchte ich bitten, daß das Hohe Haus und seine Ausschüsse möglichst rasch an die Arbeit gehen.
Es scheint mir jetzt wirklich an der Zeit zu sein, daß dieser Froschmäusekrieg zu einem Ende kommt und daß wir uns dazu durchringen, mit einer vernünftigen Neugliederung Westdeutschlands bei uns im Südwesten den Anfang zu machen.
Meine Damen und Herren, wo liegt denn der alte Streitpunkt, über den wir uns in den letzten zwei Jahren nicht einig geworden sind? Er liegt darin, daß wir in Nordbaden — ich betone ausdrücklich: wir in Nordbaden — uns dagegen gewehrt haben, daß man die Stimmen durch das ganze Land Baden durchzählt. Denn wir waren uns darüber im klaren, daß in Nordbaden das Zusammenfügen unserer Länder eine so große Selbstverständlichkeit ist, daß sehr viele da waren die sich einfach auf den Standpunkt gestellt haben: warum soll man denn über eine solche Selbstverständlichkeit eigentlich abstimmen? —, während es uns bei der Agitation, wie sie in Südbaden entfaltet worden ist, ganz klar war, daß dort mindestens der letzte Badener auf den Trab gebracht worden ist. Wir haben uns dagegen gewehrt, daß wir in Nordbaden von Südbaden majorisiert werden. Wir haben uns auch dagegen gewehrt, daß wir von Württemberg aus majorisiert werden sollten.
Ich will in dem Zusammenhang sagen, daß auch wir — wie Sie, Herr Kiesinger, von Südwürttemberg —durchaus willens sind, einer Regelung zuzustimmen, die etwa in der Richtung gedacht sein kann, daß dann, wenn drei von den vier Landesbezirken sich für die Bildung des Südweststaates aussprechen, der Südweststaat gebildet ist. Man kann sogar darüber noch hinausgehen, Herr Hilbert, daß dann der Vierte, das Recht haben soll, sich zu entscheiden, ob er sich später anschließen will oder ob er das nicht will.
— Herr Hilbert, ich glaube, diese Abstimmungsmethoden sind unendlich viel demokratischer als die Fassung Ihres Artikel 4, und ich bedauere, Herr von Brentano, daß Sie den Artikel 4 unterschrieben haben. Ich bin überzeugt, wenn Sie den genauen Wortlaut lesen, dann sind Sie der erste der den Antrag auf Abänderung stellt.
— Herr von Brentano, ich kann mir nicht denken, daß Sie dem zustimmen können,
daß für den einen Fall festgelegt wird, daß die Mehrheit der Abstimmenden entscheiden soll und daß in dem anderen Fall nur die an der Abstimmung Beteiligten — —(Abg. Hilbert: Herr Freudenberg, wir müssen
doch auch was zum Aushandeln haben! —
Heiterkeit.)
— Herr Hilbert, das kommt mir ungefähr so vor
wie das, was mir einmal ein neugebackener Minister' gesagt hat, ,der furchtbar bissige Reden gehalten hat. Es war in der nationalsozialistischen Zeit. Als ich dann zu ihm kam und mich mit ihm darüber auseinandersetzte, sagte er mir: Ja, Herr Freudenberg, das Volk will doch irgendwas haben.
— Ich glaube, wir sollten uns mit einer solchen Leerlaufarbeit hier im Parlament nicht abgeben.
Wenn es aber wirklich dahin käme, daß das Land Baden in seiner alten Form wiedererstehen sollte, ja, meine Damen und Herren, abgesehen von seiner finanziellen Schwäche, die es als Grenzland hat, käme dann noch hinzu, daß weite Teile des badischen Landes sich gar nicht davon abhalten lassen werden, von dem Artikel 29 des Grundgesetzes Gebrauch zu machen.
Wir sind uns gar nicht darüber klar, ob sich nicht in dem Augenblick, in dem der Artikel 29 des Grundgesetzes in Kraft gesetzt wird — und daß er nicht in Kraft ist, ist ja lediglich eine Folge der Besetzung —, von Konstanz über den Schwarzwald rauf bis Wertheim manche Bezirke finden werden, die sagen, daß sie lieber zu den Nachbarländern stoßen würden.
Ich glaube also, wir würden unserer badischen Heimat einen sehr schlechten Dienst erweisen, wenn wir jetzt versuchen würden, das Rad der Geschichte zurückzudrehen. Ich kann das Hohe Haus nur mit allem Nachdruck bitten, sich erstens dafür einzusetzen, daß diese Dinge jetzt rasch zu einem Ende kommen, und zweitens nicht zu vergessen, daß wir letzten Endes eine deutsche Lösung zu suchen haben.