Rede von
Dr.
Gebhard
Seelos
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BP)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bejahe durchaus das Schlußwort, das mein Vorredner geprägt hat: Es ist eine deutsche Aufgabe, eine glücklichere Länderregelung, eine Neuverteilung der Ländergebiete zu finden. Aber ich bedaure, daß diese Regelung trotz der jahrelangen Verhandlungen der drei betroffenen Länder nicht in einer direkten Fühlungnahme gelungen ist, sondern daß wir uns jetzt im Bundestag mit dieser Frage befassen müssen. Es ist auch viel zu spät zu einer Abstimmung gekommen, die sich aber doch mit Mehrheit für die Wiederschaffung des alten Landes oder Staates Baden ausgesprochen hat.
Wenn man einen Föderalismus in Deutschland will — und den will ja die Bonner Verfassung —, dann muß man auch Länder wollen, die organisch gewachsen sind und die in einer sicheren einzelstaatlichen Tradition ruhen. Da sowohl Baden wie Württemberg — das hat uns der Einbringer des CDU-Gesetzentwurfes eindeutig dargelegt — wirtschaftlich durchaus immer konsolidiert waren,
so sollte man jedenfalls das Volk, wie es der CDU-Entwurf vorsieht, durch eine Abstimmung entscheiden lassen, welchen Weg es wünscht. Wir sind deshalb gewillt, für den CDU-Entwurf zu stimmen und nicht etwa diese undemokratische Verletzung des Selbstbestimmungsrechtes zu billigen, wie es der FDP-Entwurf vorsieht.
Wir kommen damit überhaupt zu der grundsätzlichen Frage der Neugliederung des Bundesgebiets, die nicht bloß von den Zentralisten, sondern noch viel starker von den echten, vernünftigen Föderalisten als notwendig erkannt worden ist, um überhaupt die Idee und den Sinn des Föderalismus zu erhalten. Die Alliierten haben mit der Schaffung des Bundes nicht bloß einen deutschen Torso hingestellt, sondern sie haben diesen Torso schon in der ersten Phase mit den schwierigsten, fast nicht lösbaren Aufgaben belastet, wie Lastenausgleich, Flüchtlingsfrage, und schließlich vor allem mit der Neugliederung des Bundesgebiets. Wenn man die Neugliederung des Bundesgebiets als eine partikularistische Auseinandersetzung oder als einen Interessenkonflikt zwischen benachbarten Gebietskörperschaften ansieht, dann wird diese Frage Jahre hindurch eine gesunde, echte, vernünftige Neuregelung verhindern und dem Gedanken des Föderalismus schwer schaden.
Meiner Ansicht nach ist es deshalb auch zu wenig, nur die Südweststaat-Frage vorwegnehmen zu wollen. Es ist vielmehr nötig, eine Gesamtlösung ins Auge zu fassen.
Wenn Art. 118 geschaffen worden ist, um die Neugliederung des Südwestgebietes vorwegzunehmen, so geschah das, weil man es in dem durch das Besatzungsstatut geschaffenen Zustande als besonders unnatürlich hielt und die willkürliche Zerschneidung von zwei historischen Ländern wie Baden und Württemberg abschaffen wollte und weil man annahm, daß eine Verständigung zwischen den beteiligten Ländern unschwer zu erreichen wäre. Nachdem dies aber nicht der Fall ist und bald zwei Jahre vergangen sind, sollte auch der Art. 29, der eine Neugliederung des gesamten Bundesgebietes drei Jahre nach der Verkündung des Grundgesetzes vorsieht, durchgeführt werden, wenn auch zur Zeit seine Anwendung noch durch die Besatzungsmächte ausgesetzt ist.
Der neue deutsche Staat ist auf dem föderalistischen Grundsatz aufgebaut. Der Föderalismus der Bonner Verfassung hat dadurch eine schwere Belastung erfahren, daß durch die laufenden Einwirkungen der Alliierten auf die Arbeiten des Parlamentarischen Rats und den hierbei zum Ausdruck gekommenen Wunsch nach einem weitgehend föderalistischen Aufbau der Verfassung der Anschein erweckt worden ist, als ob der Föderalismus eine Forderung der Besatzungsmächte und nicht vor allem auch ein eigener deutscher Wunsch wäre. Wie echt aber der föderalistische Wille in Süddeutschland immer noch zur Zeit der Abstimmung war, geht daraus hervor, daß die Bonner Verfassung vom bayerischen Landtag, dem damals die Bayernpartei noch nicht angehörte, ohne jede alliierte Einwirkung als zu wenig föderalistisch abgelehnt worden ist und daß sich auch in WürttembergHohenzollern und in Baden starke Minderheiten dagegen gefunden haben, die bei einer noch weniger föderalistischen Gestaltung der Bonner Verfassung zu Mehrheiten geworden wären und damit die Bonner Verfassung überhaupt gefährdet hätten. Wenn die Alliierten nun solchen Wert auf eine föderalistische Gestaltung dieses neuen Deutschlands legten, so taten sie es keineswegs aus Liebe zum Föderalismus, sondern um eine etwaige Machtzusammenballung eines zentralistischen Deutschlands unmöglich zu machen. Trotz dieser Absicht haben sie nichts getan, um den föderalistischen Aufbau des Bundes wirklich lebensfähig zu machen; denn ein Bund kann nur dann leben, wenn er von gesunden Gliedstaaten bzw. Ländern getragen wird, wenn sie, wie es in der Verfassung heißt, nach Größe und Leistungsfähigkeit die ihnen obliegenden Aufgaben wirklich erfüllen können.
Ich nenne gerade die Flüchtlingsfrage, in der die Länder gezwungen sind, besonders beim Flüchtlingsausgleich, die Zentrale als Instanz anzurufen, da eine Ländervereinbarung an dem Egoismus mancher Länder scheitert.
Die Alliierten haben aber auch so künstliche Ländergebilde geschaffen, daß sie niemals ein dauerndes Fundament für einen wahrhaft föderalistischen Bund sein können. Die Grenzen von Württemberg-Hohenzollern und Baden sind nach Norden hin durch den Verlauf der Autobahn bestimmt worden. Hessen — Groß-Hessen damals — verdankt seine Existenz in der jetzigen Form einer Addierung all der alten Gebiete, die nach der Festlegung von Bayern und Württemberg-Baden in der amerikanischen Zone noch übrig geblieben sind.
Bremen wurde nach monatelangem Streit, ob es zu Niedersachsen geschlagen oder ob es in seiner Eigenschaft als amerikanischer Hafen zum süddeutschen Staat befördert werden sollte, schließlich mit einer Ländereigenschaft beehrt. In der britischen Zone wollten die Engländer lange Zeit bekanntlich eine Zweiteilung vornehmen, um gegenüber Rheinland-Westfalen ein starkes Gegengewicht zu haben. Jedenfalls kann bei all diesen
künstlichen Gebilden niemals von dem Vorhandensein eines Staatsgefühls gesprochen werden, das eben zu einem Staat gehört.
Daß die Deutschen diese Ländereinteilung als Basis ihres Bundes so lange hingenommen haben, zeigt, wie sehr wir uns heute schon fürchten, Entscheidungen zu treffen, und wie phantasielos wir geworden sind. Wir sehen im Gegenteil jetzt schon überall in diesen Ländern, die oft nur fünf Jahre bestehen, Bestrebungen, diese Länderherrlichkeit wie ihr höchstes Gut, ihr Leben, zu verteidigen. In Wirklichkeit sind es aber Interessenbestrebungen, die für einen gesunden Föderalismus und einen gesunden föderalistischen Aufbau des Bundes nur verhängnisvoll sind. Niemals werden diese kleinen Länder in der Lage sein, die großen Nachkriegsaufgaben des Wiederaufbaues, der Eingliederung der Flüchtlinge, des horizontalen Finanzausgleichs zu lösen.
Die Bayernpartei hat deshalb schon vor etwa drei Jahren die Idee vertreten, daß gemäß einer natürlichen Schwergewichtsverteilung der Bund in etwa fünf bis sechs Länder aufgeteilt werden müsse.
Wenn wir die Frage der Neugliederung nur so anfassen würden, als ob dieser oder jener Gebietsstreifen zu dem einen oder anderen Land kommen
soll, dann werden wir hier viel schwerer zu einer
Lösung kommen, als wenn wir wirklich großzügig
und radikal an das Problem herangehen, und da
sehe ich vor allem nur die eine Möglichkeit, daß die
vier Länder Schleswig-Holstein, Niedersachsen,
Bremen und Hamburg untereinander möglichst zu
einer Lösung kommen, um eine Erleichterung —
— Diese ganze Frage muß man in der grundsätzlichen ersten Debatte mitbehandeln; denn man kann darüber sehr verschiedener Auffassung sein, ob man einen Teil vorwegnehmen soll oder ob man die Frage im Gesamten einmal regeln soll, um nicht die ganzen kommenden Jahre hindurch den Bundestag immer wieder damit zu befassen.
Eine Vorwegnahme der Neugliederung des Bundes nur im Südwesten würde auch eine starke politische Gewichtsverlagerung im Bundesrat bedeuten. Man muß diese Folge klar erkennen und sie offen aussprechen. Durch einen Zusammenschluß der drei Südweststaaten im Rahmen der jetzigen Bundesorganisation würde Süddeutschland fünf bis sechs Stimmen verlieren, je nachdem, ob dieser neue Staat die Einwohnerzahl von 6 Millionen erreicht oder nicht.
Denn 15 1/5 Millionen in Süddeutschland mit neun bis zehn Stimmen im Bundesrat stehen also 25 Millionen Einwohner in Norddeutschland mit 20 Stimmen — das ist das Doppelte - gegenüber, wobei ich die Mittelländer Rheinland-Pfalz und Hessen mit acht Stimmen bei 7 Millionen Einwohnern hier nicht zähle.
Das ist ein Grund! Die föderalistischen Kreise und, parteipolitisch gesehen, die föderalistischen Parteien würden durch den Ausfall der südbadischen und südwürttembergischen Stimmen einen sehr schweren Verlust erleiden.
Man muß das aussprechen, denn die Konsequenzen nachher erst zu erkennen, ist falsch.
Eine Gesamtregelung der Territorialverteilung des Bundesgebietes erscheint nötig, um einen gesunden Föderalismus im Bund zu erhalten. Wenn es auch im Bund nur ein Land gibt, nämlich Bayern, wo es in ungezwungener und glücklicher Weise möglich ist, neben einem deutschen auch ein bayerisches Staatsgefühl zu haben,
so sollen doch wenigstens die anderen Länder in einer Weise geschaffen werden, daß sie politisch und wirtschaftlich ausgeglichenere Gebietskörper sind, als es bisher der Fall ist. Sonst sehe ich eine schwere Gefährdung des Föderalismus, der für Deutschland historisch richtig erscheint und der ein notwendiges Gegengewicht gegen die gleichmacherischen, undemokratischen, zentralistischen Bestrebungen darstellt.