Zur Begründung des Antrags der FDP auf Drucksache Nr. 821 hat das Wort Herr Abgeordneter Mayer.
Mayer (FDP), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf zunächst einen kleinen Irrtum unseres Kollegen Hilbert richtigstellen: Es handelt sich nicht um einen Gesetzentwurf Euler, sondern es handelt sich um einen Gesetzentwurf, den die württembergischen und badischen Mitglieder der FDP-Fraktion einmütig unterschrieben haben. Herr Hilbert muß sich also mit uns als der Fraktion und vornehmlich mit uns, den Württembergern und den Badenern, statt mit Herrn August Euler auseinandersetzen.
Das Schicksal dieses unseres Initiativgesetzentwurfs ist irgendwie symptomatisch für das Schicksal der in ihm behandelten Frage. Unser Antrag blieb zehn Monate in der Schwebe. Die Frage der Neuordnung des deutschen Südwestens befindet sich seit Jahren in einem Schwebezustand, und die Bevölkerung befindet sich in einem Zustand,
der zwischen Hoffnung und Ärger schwankte und schwankt. Wir haben unseren Entwurf im März eingebracht, zu einem Zeitpunkt, als wir an den guten Willen aller Beteiligten für eine Lösung in unserem Sinne nicht mehr glauben konnten. Wir haben ihn zurückgestellt, als sich auf einmal wieder die Hoffnung und die Möglichkeit abzeichneten, auf dem Wege einer Volksbefragung zu einem Ergebnis zu kommen.
Ich will zur Begründung unseres Gesetzentwurfs kein geschichtliches Kolleg halten. Ich danke Herrn Kollegen Hilbert dafür, daß er einiges aus dem geschichtlichen Werden der letzten fünf Jahre aufgezeigt hat. Einiges sieht allerdings aus unserer Sicht etwas anders aus, als er es dargestellt hat. Ich will meinerseits auch keine Neuauflage der Reden aus dem Abstimmungskampf hier veranstalten. In ihnen wurde so viel echtes und falsches Pathos und so viel Leidenschaft investiert, daß es mir fürs erste zu genügen scheint. Ich will versuchen, unseren Gesetzentwurf sachlich zu begründen, obwohl ich aus Stuttgart und deswegen in den Augen unseres Freundes Hilbert reichlich verdächtig bin.
— Aber, lieber Herr Kollege Hilbert, ein Pfälzer, der sich nach einer langjährigen Tätigkeit in Baden freiwillig in die Tyrannei der Schwaben begeben hat, kann, glaube ich, wenigstens mit einigermaßen Sachkenntnis die Argumente beider Teile würdigen; er kann vielleicht auch in Kenntnis beider Länder die „tiefgreifenden Stammesunterschiede" erkennen. Er kann vielleicht aber auch die Notwendigkeit für eine Lösung in unserem Sinne besser erkennen als jemand, der in einer allzu engen, allzu starren landsmannschaftlichen Bindung befangen ist.
Was geschah denn vor fünf Jahren im deutschen Südwesten? Dort haben die Besatzungsmächte, ohne das Volk zu fragen, irgend etwas veranstaltet.
— Jawohl. Aber es wiederholte sich doch letztlich 1945, nur mit negativen Vorzeichen, etwas, was sich in diesen Bezirken dort schon einmal abgespielt hatte. In diesen Bezirken hatte damals ein fremder Eroberer aus strategisch-politischen Gründen, nach den Interessen seines Volkes ausgerichtet,
Länder sehr willkürlich zusammengefügt, und 150 Jahre später haben andere Besatzungsmächte wiederum aus strategisch-politischen Gründen und wiederum entgegen den deutschen Interessen diese Länder unsinnig und sinnlos auseinandergerissen.
Die Beendigung der widernatürlichen Aufspaltung wollen wir — so möchte ich wenigstens hoffen — alle. Die einen wollen sie auf dem Weg der Restitution der napoleonischen Länder, die andern, und zwar in diesem Fall die Mehrheit in Nordbaden, die Mehrheit in Nordwürttemberg und die Mehrheit in Württemberg-Hohenzollern, möchten die Revision im Sinne eines Zusammenschlusses des deutschen Südwestens zu einem den anderen Ländern in etwa gleichgewichtigen, sozial ausgeglichenen, wirtschaftlich gesunden und finanziell lebensfähigen deutschen Bundesland. Die Mehrheit in den drei Landesteilen will, daß— zum ersten Mal in der Geschichte der süddeutschen Länder — die deutschen Interessen und der deutsche Wille für die Formgebung und Gestaltung dieser deutschen Länder maßgebend sind; und dieser Teil
wartet seit fünf Jahren auf diese Lösung. Wir haben zunächst auf Beschlüsse der Ministerpräsidenten unserer Länder, der Ministerpräsidenten der deutschen Länder, gewartet, die damals auf dem Rittersturz ihre historische Aufgabe, ihre historische Möglichkeit entweder nicht gesehen haben oder sie nicht haben sehen wollen. Wir haben das Ergebnis der langjährigen Verhandlungen abgewartet, die unsere Länderregierungen zweieinhalb Jahre hindurch führten. Das Ergebnis hat Kollege Hilbert bereits festgestellt. Ich will jetzt nicht den Versuch machen, die Schuld festzustellen. Letztlich war es so, daß immer zwei gezogen haben und einer gehalten hat.
Auch die Volksabstimmung, das Referendum, hat keine Entscheidung gebracht; mindestens haben es die Regierungen nicht zuwege gebracht, die vom Volk gewollte, die vom Volk gefällte Entscheidung einheitlich auszudeuten. Südbaden deutet sie aus als den Willen des Volkes auf die Wiederherstellung der alten Länder. Die anderen, einschließlich Nordbaden, deuten das Ergebnis der Volksabstimmung als ein Bekenntnis zum Südweststaat.
Fest steht nur das eine, daß die Länder gemäß Art. 118 des Grundgesetzes erklärt haben, daß sie nicht einig geworden sind. Damit steht fest, daß die Initiative auf den Bund übergegangen ist. Wir hier, der Deutsche Bundestag, müssen dieser Anforderung genügen. Dabei müssen wir einige Tatsachen, die der Herr Kollege Hilbert, glaube ich, vergessen hat, beachten, etwa die, daß die Gespräche um die Vereinigung der beiden südwestdeutschen Länder nicht erst nach 1945 begonnen haben, sondern daß man sich nach 1918 sehr ernsthaft und sehr intensiv auch über diese Frage unterhalten hat. Man muß etwa auch an die andere Tatsache denken, daß, ehe die beiden Nordhälften der Länder Württemberg und Baden 1945 von den Amerikanern zusammengeschlossen wurden, von nordbadischer Seite her, von den damals verantwortlichen Männern in Nordbaden an die Amerikaner bereits der Wille zu einem Zusammenschluß der Länder herangetragen worden war.
— Vielleicht ist der Kollege Freudenberg nachher so freundlich und sagt Ihnen Näheres darüber'
Im übrigen ist der Wille zur Zusammengehörigkeit der beiden Landesteile Nordwürttemberg und Nordbaden nicht nur durch die gemeinsam angenommene Verfassung bekräftigt, nicht nur durch die fünf Jahre lange, sehr erfolgreiche Zusammenarbeit — —
— Ach, Druck! Herr Kollege Hilbert, lassen Sie sich doch nicht auslachen! — Sie ist auch in Nordbaden bestätigt worden durch die Volksabstimmung des letzten Herbstes. Im übrigen, Herr Kollege Hilbert, Sie haben vorhin schon angedeutet, man habe verfassungsrechtliche Bedenken vorgeschoben. Es ist aber so, daß es — ganz abgesehen von den wirtschaftlich-verwaltungsmäßigen Bildungen und Bindungen, die in den letzten fünf Jahren entstanden sind — ein Trugbild darstellt, wenn man der Bevölkerung etwa jetzt die Auffassung beibringen würde, daß durch eine Ablehnung des Südweststaates die alten Länder wiederhergestellt seien.
— So ist es nicht; denn inzwischen ist einiges geschehen. Eine neue Staatspersönlichkeit Nordwürttemberg-Nordbaden ist entstanden, mit der Sie sich irgendwie auseinandersetzen müssen.
— Lieber Herr Hilbert, ich habe Sie auch nicht gefragt, ob Sie sich zu Napoleon bekennen!
Dazwischen kamen die wiederholten Willensäußerungen der badischen und der württembergischen Städte und kamen die unzweideutigen Willensäußerungen der badischen und württembergischen Wirtschaftskreise und die unzweideutigen Willensäußerungen der Gewerkschaften, der einheitliche Wille der Parteien, der nur leider in Ihrer Partei nicht sehr einheitlich ist. Die anderen wollen alle das gleiche. Südwürttemberg hat nie einen Zweifel daran gelassen, wohin es will und was es will; und wenn ich mich recht erinnere, hat auch der Landtag von Südbaden vor etwa zwei Jahren seine Regierung beauftragt, Verhandlungen mit dem Ziele des Zusammenschlusses der südwestdeutschen Länder zu führen.
Wir wollen mit unserem Gesetzentwurf nicht, Herr Kollege Hilbert, wie Sie uns unterstellen, die Volksmeinung ausschalten. Wir wollen genau das Gegenteil. Wir wollen, daß der Volkswille endlich über die verschiedenen hemmenden Kräfte siegen kann.
Wir entsprechen mit unserem Gesetzentwurf dem Willen des Volkes, und zwar auch dem Willen des überwiegenden Teiles des badischen Volkes.
Im übrigen hat der Herr Kollege Hilbert gemeint, daß unser Antrag ein Ausfluß zentralistischer Gesinnung sei. Ich will jetzt hier keine Debatte über Zentralismus - und Föderalismus entfesseln. Ich selbst bin nicht das, was Herr Hilbert einen Zentralisten nennt, ebenso dürfte auch der
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Herr Bundesfinanzminister Schäffer nicht das sein, was man einen Zentralisten nennt. Wenn wir nämlich noch etwas zur Begründung unseres Antrags gebraucht hätten, dann brauchten wir Sie nur auf das zu verweisen, was der Herr Bundesfinanzminister Schäffer vor wenigen Wochen hier ausgeführt hat, als er sagte, daß der deutsche Föderalismus nicht lebensfähig bleiben kann, wenn wir nicht zu einer Revision unserer Ländergrenzen und der Größe unserer Länder kommen, — aus finanziellen, aber auch aus politischen Gründen.
Der Weg für diese Neuordnung ist im Grundgesetz gewiesen. Herr Kollege Hilbert hat in dankenswerter Weise den Passus zitiert. Entschuldigen Sie, daß ich Wert darauf- lege, ihn zu wiederholen; er ist für uns gültig, auch wenn er einstweilen durch die Besatzungsmächte für das gesamte Bundesgebiet noch suspendiert ist. Der Art. 29 des Grundgesetzes schreibt vor:
Das Bundesgebiet ist unter Berücksichtigung der landsmannschaftlichen Verbundenheit, der geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge, der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit und des sozialen Gefüges durch Bundesgesetz neu zu gliedern. Die Neugliederung soll Länder schaffen, die nach Größe und Leistungsfähigkeit die ihnen obliegenden Aufgaben wirksam erfüllen können.
Sehr geehrter Herr Hollege Hilbert, jeder Satz und jedes Wort dieses Verfassungsartikels bestätigt die Richtigkeit unseres Wollens und den Sinn unseres Entwurfes und widerspricht Ihrem Entwurf. Ich bin sehr damit einverstanden, daß sie im Ausschuß miteinander behandelt werden. Ich bin auch sehr damit einverstanden, daß wir uns darüber Gedanken machen, wie man das Gute aus Ihrem und unserem Entwurf zusammenbringen kann. Ich habe dabei allerdings ein Bedenken. Wir hatten ja nur wenig Zeit, uns über Ihren sehr umfänglichen Entwurf zu orientieren, er ist vorhin erst verteilt worden; aber ich bin gerne bereit, alles zu prüfen. Ich bin deswegen skeptisch, weil Ihr Entwurf von dem Willen zum Nein und der unsere vom Willen zum Ja getragen ist. Dort werden die Grenzen einer Vereinigung beider Entwürfe liegen. Ich bin durchaus der Meinung, daß in unserem Entwurf vielleicht dieses oder jenes geändert werden kann. Ich habe vor allem den Willen — meine Freunde haben ihn wahrscheinlich grundsätzlich genau so —, daß nichts darin stehenbleibt, was je Veranlassung geben könnte, nachher zu behaupten, es sei ein Teil vom anderen Teil majorisiert worden. Wir verlangen aber auch Sicherung dagegen, daß der größere Teil des badischen Volkes, der nordbadische, vom kleineren Teil, dem südbadischen, durch Ausklügelung von irgendwelchen Auszählungsgeschichten majorisiert werden könnte.
Herr Kollege Hilbert, Sie haben uns vorhin die Lebensfähigkeit Badens zu beweisen und weiter zu beweisen geglaubt — ich weiß es, und meine politischen Freunde wissen es auch —, daß das Baden von vor 1945 etwas anderes war als das Südbaden von heute. Aber auch hier hat der Herr Kollege Freudenberg wahrscheinlich viel mehr zu sauen als ich. Ich will nur an einige Bundestagsdebatten der letzten Monate erinnern, etwa an den Versuch, Baden aus von uns anerkannten Gründen an der Berlin-Hilfe zu beteilig en. Ich erinnere Sie an die von Ihnen selbst sehr betonten Schwierigkeiten, die Südbaden mit seinem Aufbau hat; ich erinnere Sie an die Schwierigkeiten — die wir hier selbst festgestellt haben —, die Südbaden bei der Erfüllung seiner Bundespflicht bezüglich der Unterbringung der Flüchtlinge hat. Wir haben uns hier erst vor wenigen Wochen über 10 Millionen DM für die Stadt Kehl unterhalten. Herr Kollege Hilbert, die 10 Millionen für den Wiederaufbau der Stadt Kehl wären für den Etat eines Südweststaates eine Kleinigkeit.
Herr Kollege Hilbert, wir möchten, daß alle Länder
vom Wohlwollen der anderen unabhängig werden,
weil wir uns nur so einen föderativen Aufbau eines
Staates denken können. Wir möchten aber vor
allem, daß deutsche Länder aus dem peinlichen
Zwang befreit werden, sich weiterhin und noch
öfter bei einer ausländischen Besatzungsmacht für
Geldspenden zum Wiederaufbau etwa von Brücken
oder Schulhäusern oder Städten zu bedanken.
Wir denken auch nicht gering von der Geschichte der süddeutschen Länder. Ich bin als Pfälzer und als Adoptiv-Schwabe — wenn Sie so wollen — sehr stolz auf die Geschichte des deutschen Südens, wenn ich auch weiß, daß wir auf unsere Geschichte nicht so stolz sein dürfen wie etwa die bayerischen Kollegen auf die ihrige. Von der wissen wir nämlich aus authentischer Quelle schon seit längerem, daß Bayern bekanntlich bereits ein Kulturzentrum war, als diese „minderwertigen" Preußen da oben noch die Knochen der Missionare abgenagt haben.
Unsere württembergische, unsere badische, unsere Geschichte dort unten im Süden ist nicht so alt, das gebe ich zu. Aber wir wissen von ihr, daß unsere südwestdeutsche Kultur älter ist als die Grenzen, die man nachher über das Gebiet dieser Kultur geworfen hat, daß unsere Dome in Freiburg und in Ulm und unsere alten Städte von Menschen gebaut worden sind, die von Baden und Württemberg überhaupt noch nichts gewußt haben.
Wir wissen, daß dort unten eine kulturelle und volkliche Einheit war, lange bevor Napoleon die Notwendigkeit spürte, in einem Falle eine Morgengabe an Stephanie Beauharnais zu konstruieren und im anderen Falle ein Benefiz oder Trinkgeld für den Verrat am deutschen Reich zusammenzubauen.
Aber wir haben noch mehr Respekt vor der Aufgabe, die Zukunft sicherzustellen, die Zukunft unserer südwestdeutschen Länder und die Zukunft unseres gesamtdeutschen Vaterlandes; und die scheint uns in der Vereinsamung nicht gewährleistet, sie scheint uns nur in der Vereinigung gewährleistet. Meine Freunde haben hier vor mehr als einem Dreivierteljahr die Initiative ergriffen, weil sie mit uns der Meinung sind, daß es nicht eine badische Frage und nicht eine württembergische Frage zu lösen gilt, sondern daß das, was wir dort zu lösen haben, eine deutsche Aufgabe ist.
Meine Damen und Herren im Deutschen Bundestag: Lösen wir diese Aufgabe!