Rede von
Kurt
Pohle
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren! Ich habe mit großem Interesse die Ausführungen des Begründers des kommunistischen Antrags gehört und habe durchaus empfunden, daß manches von dem, was er von der sozialen Not gesagt hat, unterstrichen werden kann. Aber ich frage den Vertreter der kommunistischen Fraktion: Woher nimmt er den Mut, zu dieser Frage überhaupt Stellung zu nehmen?
Denn ich kann nicht verstehen, wie man auf der einen Seite eine Politik betreiben kann, die durch die sogenannte Anerkennung der Oder-NeißeGrenze als „Friedenslinie" unseren Arbeitslosen Hundertausende von Arbeitsplätzen vorenthält, und sich auf der anderen Seite hinstellen darf, um über die hohe Zahl der Arbeitslosen mitzureden.
Aber ein anderes. Am 29. Juli 1950 hat die Fraktion der SPD in diesem Hause einen Antrag betreffend Anpassung von Leistungen der Sozialversicherung, der Arbeitslosenversicherung, der Arbeitslosenfürsorge, der Körperbeschädigten- und Hinterbliebenenversorgung, der Soforthilfe und der öffentlichen Fürsorge eingereicht. Dieser Antrag ist am 13. Oktober 1950 vom Plenum behandelt worden — die Begründung meines schwerkranken Freundes Fischer brauche ich hier nicht zu wiederholen — und nach einem „weisen" Beschluß der Regierungsmehrheit des Hauses der Bundesregierung als Material überwiesen worden. Ich gebe der angenehmen Erwartung Raum, daß diese gegen unseren Willen vorgenommene Überweisung nicht nur die Materialsammlung der Bundesregierung vergrößert hat.
Inzwischen sind acht Wochen vergangen. Auch der Sprecher der Regierungsparteien hat damals in der Debatte gesagt, daß es sich um Themen handle, die besprochen werden müssen.
Wir haben hier im Hause am gestrigen Tage anerkennenswerte Worte von dem Anfang der Wiedergutmachung des Unrechts der Währungsreform gehört. Es könnte einem bei diesem Überfluß sozialer Erkenntnis direkt weihnachtlich stimmungsvoll ums Herz werden. Am grünen Holze der Regierungsparteien erscheinen schon einzelne Triebe sozialer Erkenntnis. Ich habe in diesen Tagen ein kleines Büchlein unseres Kollegen Bodensteiner zur Hand genommen, das heißt: Der Weg in eine bessere Zukunft. Auf Seite 50 lese ich da die Worte:
Daß sozialer Ausgleich nicht gleichbedeutend ist mit Gleichmacherei, dafür bietet Schweden ein überzeugendes Beispiel. Dort gibt es zwar auch verschiedene Lebensniveaus, aber nicht den krassen Unterschied von Luxusklasse und Proletariat wie bei uns.
Und weiter, auf Seite 87 heißt es — ich zitiere die Worte mit Zustimmung des Herrn Präsidenten; sie erscheinen mir doch sehr beachtlich —:
Von Männern, welche die Arbeitslosen von heute als die Schwarzhändler von gestern, welche die ernsten Bemühungen, dem Notleidenden zu helfen, als soziale Tricks bezeichnen und denen, welche für die Ärmsten des Volkes eintreten, Verantwortungslosigkeit vorwerfen, ist wahrhaftig nicht zu erwarten, daß sie ihrer und ihrer Hintermänner Profitgier Zügel anlegen. Diese Herren kennen weder die physische Not der Arbeitslosen, noch die seelische Not und Verzweiflung all derer, denen die Hoffnung auf ein besseres Deutschland einst die Kraft zur Ertragung aller Verfolgungen gab. So wenig man das Abendland mit feierlichen Bekenntnissen rettet, so wenig wird man die Machthaber unserer Zeit mit Reden überzeugen. Nur die Tat wird uns freimachen.
Ich habe sehr lange über diese wundervollen Worte des Herrn Abgeordneten Bodensteiner nachdenken müssen. Ich bekam in diesen Tagen den Brief eines alten Rentnerehepaares, in dem die präzise Aufgabe gestellt wurde, ich möchte doch einmal den Widerspruch deuten, daß man, obwohl man nicht anders lebe als bisher, seit einigen Monaten schon am 20. des Monats seine Rente aufgebraucht habe. Ich habe mir vorgenommen, diesen Brief in der plenumfreien Woche zu beantworten, weil ich das sehr ausführlich tun wollte. Aber nachdem ich gestern die Ausführungen des Herrn Minister Erhard gehört habe, brauche ich einen solch langen Brief nicht mehr zu schreiben, sondern ich brauche diesem Rentnerehepaar nur mitzuteilen: Daran sind die Punkte schuld. Ich habe das zwar nicht ganz begriffen, was Herr Minister Erhard uns hier mit diesen Punkten darzulegen versucht hat. Vielleicht kann ich ihn mal um eine private Erläuterung bitten. Da würde er mir wohl antworten: Du gleichst dem Geist, den du begreifst, nicht mir!
Aber ich habe im großen und ganzen die Feststellung zu treffen, daß diese Dinge mit den Punkten nicht aus der Welt zu schaffen sind. Tatsächlich haben wir in weiten Kreisen der Bevölkerung und insbesondere unter unseren Unterstützungsempfängern eine Härte der sozialen Verhältnisse zu verzeichnen, die irgendwie gelindert werden muß.
Wir wollen die Sache nicht nur wortebewegend im Plenum, sondern wir wollen sie prüfend und wägend mit den Vertretern der Bundesregierung im Ausschuß behandeln. Mir bangt um Ihren weihnachtlichen Frieden, wenn wir nicht wenigstens den Arbeitslosen die Hoffnung geben können: Das Parlament bemüht sich um eine Linderung dieser Notstände. Wir haben nicht die Absicht, uns unbedingt auf den kommunistischen Antrag zu stützen; aber da diese Materialsammlung von der Bundesregierung nicht wieder in das Plenum und in den Ausschuß zurückgekommen ist, werden wir dafür stimmen — und ich beantrage das hiermit —, daß dieser kommunistische Antrag dem Ausschuß für Arbeit überwiesen wird, damit wir, meine Damen und Herren, über diese Dinge ins Gespräch kommen. Denn wir wollen in dieser Angelegenheit vorankommen und eine Besserung herbeiführen.