Rede von
Dr.
Helmut
Bertram
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FU)
Die quantitative Ausdehnung des Geldumlaufs ist wesentlich geringer als die qualitative Ausdehnung des Produktionsvolumens. Der Geldumlauf stieg seit Dezember 1948 von 18 Milliarden auf 28 Milliarden im September 1950; die entsprechenden Zahlen für den Produktionsindex sind: 78 im Januar 1949 und 125 im Oktober 1950. Die Geldschöpfung im September und Oktober 1950 betrug nur 600 Millionen DM. Allein in diesen beiden Monaten ist der Produktionsindex aber um
9 Punkte gestiegen. Geldvolumen und Produktionsindex halten sich demnach fast die Waage, wobei letzterer sogar etwas stärker gestiegen ist. Das bedeutet also, und darauf kommt es an, daß der innerdeutsche Geldmarkt völlig in Ordnung ist, weil Produktionsindex und Ausweitung des Geldvolumens tatsächlich eine annähernd gleiche Entwicklung zeigen, wobei sogar der Produktionsindex etwas stärker gestiegen ist.
Von den Verhältnissen des deutschen Geldmarkts her rechtfertigt sich daher der Diskontsatz keineswegs. Es kann auch nicht davon die Rede sein, daß wir in Deutschland etwa eine Überkonjunktur hätten. In Deutschland ist keine Überkonjunktur,
wie sie in anderen westlichen Ländern vorhanden sein mag, zu verzeichnen. Die Güterversorgung pro Kopf des Einwohners unseres Bundesgebiets liegt immer noch unter dem Stand von 1938. Es ist auch nicht richtig, daß die gesamte Wirtschaft bereits restlos ausgelastet sei. Im Gegenteil, gerade bei der verarbeitenden Industrie stellen wir fest, daß noch eine größere oder kleinere Kapazität verhanden ist, eine Kapazitätsreserve, die auf dem Wege über den Export nutzbar gemacht werden könnte und sollte. Wir werden mit der Heraufsetzung des Diskontsatzes den Geldmarkt also keineswegs sanieren, dafür aber den Kapitalmarkt zerstören.
Ich glaube deshalb, daß die deutschen Leistungsreserven durch eine produktive und expansive Wirtschaftspolitik bis zum letzten ausgenutzt werden sollten. Wir sollten nicht in den Fehler verfallen, die deutsche Wirtschaft auf dem Wege über den politischen Geldmarktzins in einem Zeitpunkt abzubremsen, in dem wir diese Abbremsung weniger als je vertragen können. Wenn wir heute hören, daß die Amerikaner eine internationale Rohstofflenkung erwägen, daß Kautschuk, Zucker, Wolle, Holz, Schwefel, Eisen, Metalle und Kohle durch eine internationale Rohstofflenkung zugeteilt werden sollen mit dem Ziel eines völligen Einsatzes aller vorhandenen Produktionsmittel, so ist nicht einzusehen, warum wir in Deutschland diese wirtschaftspolitischen Steuerungsmittel aus übertriebenem Festhalten an einem irrigen Dogma ablehnen und uns statt dessen mit einer politischen Fehlentscheidung zugunsten eines Geldmarktzinses, der den Kapitalmarkt zerstört, begnügen.