Rede von
Dr.
Helmut
Bertram
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FU)
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wo stehen wir preispolitisch? Die Preise sind seit dem Datum unserer Interpellationen auf vielen Gebieten weiter gestiegen. Die Preise für Lebensmittel sind zwar im allgemeinen stabil geblieben. Der Index ist im Laufe des letzten Monats und des Vormonats nur geringfügig angestiegen. Kartoffeln sind sogar billiger, aber Schweinefleisch ist erheblich teurer geworden. Der Versuch, die Fleischpreise durch Einfuhr von Rindfleischkonserven zu drücken, muß im wesentlichen als gescheitert angesehen werden. Die Dosen sind kistenweise gehamstert worden, offenbar weil die Verbraucher an eine nachhaltige Senkung der Fleischpreise nicht geglaubt haben.
Die Preise für industrielle Rohstoffe sind dagegen ganz erheblich gestiegen. Vor allem Nichteisenmetalle haben ihren Preisstand gegenüber dem Vorjahr vervielfacht. Kohle und Stahl sind teurer geworden; Gas und Strom, Bahntarife, Benzin und Beförderungsentgelte werden folgen. Der Weltmarktpreisindex für Industrierohstoffe steht auf 474 gegenüber 346 in der gleichen Woche des Vorjahrs. Die Erzeugerpreise für Industrieprodukte haben bisher leicht angezogen, ebenso, wie ich bereits sagte, der Gesamt-Lebenshaltungsindex, obwohl die statistische Situation hier noch verhältnismäßig günstig ist. Wenn man aber von dem soeben veröffentlichten Programm des Wirtschaftspolitischen Ausschusses der Regierungsparteien ausgeht, so sollen auch die Mieten um 20 % teurer
werden. Die Subventionen sollen fortfallen und — dadurch bedingt — die Preise für landwirtschaftliche Erzeugnisse auf den höheren Stand des Auslandes gebracht werden. Durch die Heraufsetzung des Diskontsatzes ist das Geld teurer geworden. Mit einem Wort, eine allgemeine Preissteigerung ist unverkennbar. Die Auswirkungen der Kohle- und der kommenden Mietpreiserhöhung sowie der Lebensmittelpreissteigerung werden sich sehr schnell im Lebenshaltungsindex niederschlagen. Die Auswirkungen der Rohstoffpreissteigerung auf den Weltmärkten werden sich erst nach und nach im Index widerspiegeln.
Die Hoffnung, daß diese Preissteigerung wenigstens teilweise durch die Produktionsverbilligung auf Grund der allgemeinen Produktionsausweitung aufgefangen werden könnte, wird sich kaum erfüllen, nachdem der Produktionsausweitung durch Kohle-, Energie- und Rohstoffmangel Grenzen gesetzt sind.
Daß die Preissteigerung vor allem der Industrierohstoffe sich sehr schnell auch auf das allgemeine Preisniveau auswirken wird, zeigt am deutlichsten bereits der Baumarkt. Hier sind Preissteigerungen für Ziegel, für Dachpfannen, für Bauholz, für Installationsmaterial bereits deutlich zu erkennen. Insgesamt dürfte ja bereits eine 20%ige Erhöhung der Baukosten gegenüber dem Frühjahr dieses Jahres eingetreten sein. Die Finanzierung vieler Bauten ist dadurch in Frage gestellt. Der zusätzliche Kapitalbedarf, der für die Restfinanzierung notwendig ist und der noch nicht gedeckt ist, dürfte mehrere Hundert Millionen für das Bundesgebiet betragen.
Als Ursachen der Preissteigerung wurden zunächst Spekulation, Hortungskäufe, mangelnde Preisdisziplin, Preistreiberei beim Erzeuger — so das Landwirtschaftsministerium — und überhöhte Handelsspannen angegeben. Diese Gründe können jedoch für sich allein als durchschlagend nicht anerkannt werden. Das Bundeswirtschaftsministerium beispielsweise hat gegenüber einer Verlautbarung des Bundeslandwirtschaftsministeriums erklärt, es sei unbillig, vom Verkäufer zu verlangen, er solle Produkte billiger abgeben, als er Preise am Markt erzielen könne.
Der Versuch, angeblicher Preistreiberei der Landwirte beim Verkauf von Schlachtschweinen strafrechtlich entgegenzutreten, ist gescheitert, da § 1 des Preistreibereigesetzes voraussetzt, daß die unlautere Ausnutzung einer Mangellage vorliegen muß, um unangemessene Entgelte zu erhalten. Und wem wollen Sie diesen Tatbestand denn nachweisen?
Auch der Hinweis auf angeblich überhöhte Handelsspannen dürfte in dieser Allgemeinheit kaum durchschlagen. Vor allem, welche sogenannten marktkonformen Mittel will denn der Bundeswirtschaftsminister anwenden, um überhöhte Handelsspannen zu reduzieren? Wo bleibt das bis heute erwartete Monopolmißbrauchgesetz?
Daß gewisse Hortungskäufe gemacht worden sind, ist zwar zutreffend. Diese Hortungskäufe sind aber volkswirtschaftlich gesehen, soweit es sich um Rohstoffeinkäufe des Großhandels in den Küstenplätzen gehandelt hat, nützlich gewesen. Wenn die Regierung rechtzeitig in diesem Frühjahr zu den billigeren Weltmarktpreisen eine umfassende Vorratspolitik getrieben hätte, wozu sie von mancher Seite aufgefordert worden ist, dann würde sich die Mangellage bei Zucker, Nichteisenmetallen und Futtermitteln, die wir zur Zeit zu verzeichnen haben, gar nicht erst eingestellt haben.
Die Preisbewegung hat in entscheidender Weise die Finanzierung des Bundesdefizits in diesem Sommer durch Geldschöpfung mit rund 1 1/2 Milliarden ausgelöst. Die erhöhte Umlaufgeschwindigkeit des Geldes in Verbindung mit der Korea-Krise ist natürlich auch von Bedeutung. — Die bisher vorgeschlagenen Mittel der Bundesregierung dürften eine Preisstabilisierung nicht herbeiführen können. Die eingeschlagene Kreditpolitik trifft Einfuhr und Produktion verteuernd, erhöht die Knappheit, wirkt preissteigernd im Inland und stärkt damit die Absatzfähigkeit ausländischer Fertigwaren. Die Forcierung von Rohstoff- und Halbwarenausfuhr verschließt der deutschen verarbeitenden Industrie zahlreiche Möglichkeiten der Ausfuhr von deutschen Fertigwaren. Es ist bisher nicht bekanntgeworden, was die Regierung getan hat oder zu tun gedenkt, um dieser Ausblutung der deutschen Volkswirtschaft entgegenzutreten.
Der wiederholte Appell an die Hohen Kommissare bezüglich des Kohlensektors kam verspätet, nachdem mit Zustimmung des deutschen Vertreters oder der deutschen Vertreter in der Ruhrkohlenbehörde die Exportquoten zu hoch festgesetzt worden waren. Die Mittel für das sogenannte Einfuhrsicherungs-Programm in Höhe von 1,7 bis 2 Milliarden D-Mark sind nicht vorhanden, die Preise auf dem Weltmarkt inzwischen auch erheblich angestiegen. Die Steuerpolitik hat durch die übermäßige Begünstigung der Betriebskapitalbildung und die Entlastung der Körperschaften und Großgewinne die Möglichkeit zu gewissen Spekulationskäufen begünstigt.
Wir wollen mit unserer Interpellation nicht sagen, daß wir unter allen Umständen eine Politik der starren Preisbildung befürworten. Wir sind uns darüber klar, daß die Abhängigkeit Deutschlands vom Weltmarkt eine völlige starre Preisbildung unmöglich macht. Es war seit langem aber jedem Einsichtigen klar, daß die internationale Aufrüstungswelle gewisse Preissteigerungen auch für Deutschland mit sich bringen würde.
Die Regierung hat in einer beschönigenden Propaganda den Ernst der Situation wegzudisputieren versucht. So kommt es, daß in der Bevölkerung eine gewisse Inflationsangst zu bemerken ist, die sachlich nicht gerechtfertigt ist, da unser innerdeutsches Geldwesen intakt ist. Die preissteigernden Einflüsse kommen in ganz überwiegendem Maße vom Weltmarkt her zu uns.
Daß Opfer gebracht werden müssen, daß sie unvermeidlich sind, hätte die Regierung rechtzeitig der Bevölkerung sagen und durch Beweglichkeit jetzt eingetretene starke Verzerrungen und Engpässe rechtzeitig bekämpfen sollen.
Nicht jeder Eingriff gefährdet die Marktwirtschaft. Die Marktwirtschaft wird nur erhalten bleiben, wenn sie in diesen Notzeiten ihre Überlegenheit beweisen kann. Dazu sind Eingriffe und Lenkungsmaßnahmen auf bestimmten Wirtschaftsgebieten unerläßlich. Es sind rechtzeitig Rohstoffeinkäufe zu tätigen. Rechtzeitige Rohstoffeinkäufe zu billigen Preisen sind unterlassen worden. Laufende Einfuhrkontrakte sind durch Restriktionen behindert, und es sind vor allem keine Vorkehrungen getroffen worden, um unvermeidliche Preissteigerungen dadurch sozial tragbar zu machen, daß diejenigen Bevölkerungskreise, die ein besonders geringes Einkommen haben, eine Erhöhung ihrer Bezüge erfahren, als da sind Rentenempfänger, Wohlfahrtsunterstützte, Arbeitslosenunterstützungs- und Arbeitslosenfürsorgeunterstützungsempfänger, aber auch die große Zahl der öffentlichen Bediensteten. Es ist zwar
richtig, daß der Lohnindex dem Preisindex teilweise nachgefolgt ist; aber all die von mir eben aufgeführten Kategorien von Unterstützungsempfängern liegen mit ihren Unterstützungen auf dem Preisindex von 1938, während der Warenindex um 50 % über dem Index von 1938 liegt. Das heißt also: all diese Bevölkerungsgruppen mußten die Preissteigerung dadurch büßen, daß ihnen ihre Kaufkraft im Verhältnis zu 1938 um ein Drittel weggenommen worden ist.
Wir fragen deshalb die Regierung: wie will sie, wenn sie Änderungen des Preisniveaus nicht verhindern kann, die sozialen Schäden beheben? Ich will keine Einzelbeispiele geben — meine Redezeit erlaubt es mir nicht —, ich kann aber feststellen: die Not ist groß, und die Regierung muß schnell handeln.