Rede von
Anton
Storch
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es freut mich, daß es mir auf Grund des vorliegenden Antrages möglich ist, etwas über die Fragen der Rentenversicherungsträger sagen zu können. Ich verstehe Frau Kalinke nicht ganz, wenn sie sagt, es sei hier von diesem Pult aus die Behauptung aufgestellt worden, die Invalidenversicherung hätte in der Vergangenheit Gelder für die Rentenversicherung der Angestellten aufbringen müssen. Ich weiß wirklich nicht, wer zu einer derartigen Schlußfolgerung gekommen ist. Sie entspricht nicht der Wahrheit. Sie wissen, daß wir in der ersten Zeit nach dem Krieg durch das Recht, das die Besatzungsmächte aufgestellt haben, nicht mehr in der Lage waren, die Träger unserer Sozialversicherung, vor allen Dingen die Angestelltenversicherung, in der alten Form weiterarbeiten zu lassen. Sie war eine zentrale Organisation für das ganze frühere Reichsgebiet und hatte ihren Träger nicht im heutigen Bundesgebiet, sondern in Berlin. Sie war nicht in der Lage, ihre Aufgaben fortzuführen, und deshalb war es gar nicht anders möglich, als' daß man für die Übergangszeit bestimmte, daß die Träger der Invalidenversicherung auch die Belange der Angestelltenversicherung mit wahrzunehmen hatten. Dabei ist es doch, seitdem wir das Sozialversicherungsanpassungsgesetz in Frankfurt geschaffen haben, so daß wir die eingehenden Gelder für die beiden Sozialversicherungsträger getrennt verwalten lassen. Was vordem war, sollte man zwar geschichtlich gesehen sich noch einmal ansehen, eine wirkliche Bedeutung hat die ganze Sache nicht mehr.
In Berlin hat man auf Grund der gegebenen Verhältnisse eine ganz andere Art der Versicherung für alle Menschen aufgebaut. Wir haben auf Grund des Besatzungsrechtes in der englischen Zone das Verhältnis gehabt, daß die Versicherungsträger gezwungen waren, die bei ihnen einlaufenden Beträge zur Abdeckung der alten Verpflichtungen gemeinschaftlich zu verwenden, und nur das darüber hinaus Notwendige mußte damals von den Ländern aufgebracht werden. Ich wäre Frau Kalinke wirklich sehr denkbar, wenn sie mir sagen würde, wo in der Zeit Gelder als Rücklagen von Landesverasicherungsanstalten geschaffen werden konnten. Mir ist von derartigen Rücklagen nichts bekannt; ich weiß nur. daß alle Landesversicherungsanstalten in der Zeit bis zum Sozialversicherungsanpassungsgesetz Zuschüsse von den Ländern bekommen mußten, um die Rentenverpflichtungen abzudecken.
Wenn ich mir nun das jetzige Verhältnis ansehe, dann frage ich mich: Kommt es dem Versicherten darauf an, daß er einen Versicherungsträger in dieser oder jener Form bekommt. oder ist es wichtig, daß dem Versicherten seine Rechtsansprüche gewährleistet werden. Das Letztere scheint mir im jetzigen Moment das Notwendigste zu sein!
In welcher Intensität bei uns im Bundesarbeitsministerium an den Dingen gearbeitet wird, ist den sezialversicherungsinteressierten Mitgliedern dieses Hohen Hauses wohl bekannt. Ich habe vor einiger Zeit die Herren aus den Regierungsparteien gebeten, zu mir zu kommen, um ihnen im groben gesehen einen Überblick über den jetzigen Stand der Sozialversicherungsträger zu geben. Heute abend wollten die Herren von der Sozialdemokratischen Partei zu mir kommen. Sie werden wahrscheinlich morgen abend bei mir sein. Die Überblicke, die Sie
dort bekommen, zeigen Ihnen, daß sich unsere Sozialversicherungsträger, soweit die Rentenversicherungen in Frage kommen, bestimmt in einer sehr ernsten Situation befinden.
Ich habe hier schon mehrfach angedeutet, daß es vielleicht die größte Aufgabe der nächsten Zeit ist, daß die Bundesregierung und mit ihr das Hohe Haus durch geeignete Gesetze dafür sorgen, daß die Rentenversicherungsträger unserer Sozialversicherung finanziell gesichert werden. Neben der Angestelltenversicherung waren eine ganze Reihe von Berufgenossenschaften in Berlin ansässig, die ihr Tätigkeitsgebiet weit über die Grenzen Berlins hinaus hatten. Nach 1945 hat man in Berlin alle Versicherungsträger stillgelegt. Man hat ihnen die Fortsetzung ihrer Tätigkeit verboten und auch die Vermögen beschlagnahmt. Später ist man dazu übergegangen und hat von der englischen Besatzungsmacht in Berlin einen Treuhänder eingesetzt, der die vorhandene Vermögenssubstanz, auch soweit sie über das Gebiet der Stadt Berlin hinausging, zu verwalten hat. Als die Bundesregierung gebildet war, habe ich den Herrn Bundeskanzler veranlaßt, den englischen Hohen Kommissar zu bitten, man möge uns — der Bundesregierung — die treuhänderische Verwaltung dieser Vermögen übertragen. Das war angeblich nicht möglich. Man hat sich auf dem Petersberg auf den Standpunkt gestellt, das seien Berliner Angelegenheiten, und sagte, der Magistrat von Berlin sei damit nicht einverstanden. Darüber hinaus sagte man, daß die Arbeitgeber und Arbeitnehmer ebenfalls nicht damit einverstanden wären.
Ich habe später den Herrn Bundeskanzler gebeten, in einer Eingabe an die Hohen Kommissare noch einmal auf die Notwendigkeit hinzuweisen, daß die Vermögensverwaltung der Sozialversicherungsträger in deutsche Hände übergeben werden müßte. Als ich vor 14 Tagen in Berlin war, habe ich über die Angelegenheit auch mit dem Herrn Oberbürgermeister Reuter und mit dem zuständigen Vertreter im Magistrat gesprochen. Sie waren mit mir hundertprozentig darüber einig, daß man diese Übertragung von seiten der Besatzungsmächte vornehmen müsse. Es handelt sich meines Erachtens um sehr große Wertsubstanzen, die dort verwaltet werden, und sie sind keinerlei deutscher Kontrolle unterstellt. Der Mann, der die treuhänderische Verwaltung hat, bekommt aus den Einnahmen 2% als persönliche Vergütung. Der Herr Oberbürgermeister von Berlin sagte, als ich mit ihm vor der Presse über diese Dinge sprach: „Hier handelt es sich um etwas, was man als einen Skandal bezeichnen kann", denn der führende Mann, der die Kontrolle ausübt, wird wahrscheinlich das Doppelte an Einnahmen haben, was er als Oberbürgermeister und ich als Minister zusammen an jährlichem Einkommen beziehen.
Wenn man überhaupt dazu kommen will, eine ehrliche Sozialversicherungsbilanz aufzustellen, dann muß man die Möglichkeit haben, festzustellen, was von dem früheren Vermögen der Sozialversicherungsträger überhaupt noch vorhanden ist. Es handelt sich ja nicht allein um die Verwaltung der Gelder, die die Angestelltenversicherung oder die Invalidenversicherung in Berlin als Hypotheken herausgegeben haben. Es handelt sich auch darum, daß die in die GAGFAH und ähnliche Tochtergesellschaften der Sozialversicherungsträger gesteckten Vermögen einer geordneten Verwaltung unterstellt und die Nutznießung aus diesen Kapitalsubstanzen den Versicherungsträgern zugeleitet werden, die heute die Renten dieser Versicherungsträger bezahlen müssen.
Das ist meines Erachtens das Allerwichtigste.
— Wir kennen gar nicht die Wertsubstanzen, die heute über die GAGFAH auch bei uns noch vorhanden sind.
— Na, ich versichere Ihnen, daß mir die Vertreter der.Landesversicherungsanstalten etwas anderes darüber sagen. Die Leute, die in Berlin in die Verwaltung etwas hineingesehen haben, sagen, es würden dort sehr groß e Teile einer Wertsubstanz verwaltet, die nicht in Berlin, sondern im Bundesgebiet oder in der russischen Zone lägen.
Wir müssen uns darüber klar sein, daß derjenige, der die Verwaltung dieser Wertsubstanzen übernimmt, die Verpflichtung hat, für alle früheren Beteiligten auch den Teil sicherzustellen, der auf sie entfällt. Ich bin der Meinung, daß, nachdem nunmehr eine klare Erklärung des Berliner Magistrats und auch der Angestelltengewerkschaft auf dem Petersberg vorliegt, man sich entschließen muß, auf diesem Gebiet endlich Ordnung zu schaffen. Das ist nur möglich, indem man der Regierung, die von den Hohen Kommissaren bzw. von den westlichen Alliierten als die einzig wirklich demokratische Regierung des deutschen Volkes angesprochen wird, auch diese Dinge überträgt. Wir denken nicht daran — das möchte ich auch in diesem Hohen Hause sagen —, für die Verwaltung dieser Wertsubstanzen einen neuen bürokratischen Apparat aufzubauen. Ich kann mir vorstellen, daß man aus meinem Ministerium zwei Leute abkommandiert, die Beamte des Ministeriums bleiben und auch von uns ihr Gehalt bekommen, und daneben der Magistrat von Berlin einen seiner fähigsten Männer für diese Aufgabe zur Verfügung stellt und daß man, solange die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung noch nicht durchgeführt ist, auch den Arbeitgebern und den Gewerkschaften die Möglichkeit gibt, an der Verwaltung dieser Wertsubstanzen mitzuwirken. Es ist unerläßlich, diese Vermögen so bald wie möglich wieder ihrem ureigensten Zweck zuzuführen, nämlich den Versicherungsträgern, die wir heute als Nachfolger der früheren Versicherungsanstalten oder der Einrichtungen, die wir dort gehabt haben, anzusehen haben. Es ist ein unmögliche Zustand, daß wir heute aus den verschiedensten Gebieten Deutschlands Rentenverpflichtungen aus Beiträgen der bei uns Versicherten abdecken, die letzten Endes zum Teil noch in diesen Wertsubstanzen ihre Deckung finden können.
Ich bin also der Meinung, wir sollten diese Frage jetzt nicht überstürzen. Wir sollten in diesem Hohen Hause in Verbindung mit meinem Ministerium die Voraussetzungen dafür schaffen, damit wir recht bald durch eine ausgiebige Gesetzgebung dafür sorgen können, daß unsere Sozialversicherungsträger gesund gestaltet werden, damit unsere arbeitenden Menschen darin wieder die Lebenssicherung für ihren Lebensabend sehen können.